Protokoll der Sitzung vom 10.05.2012

(Beifall bei der GAL und der LINKEN – Zuru- fe von der SPD)

Mindestlohn. Das muss man bei Ihnen immer mit dazu denken, man weiß bei der SPD nicht genau, was man sich alles bei ihr noch mit dazu denken muss.

Sie haben jedenfalls die konkreten Anträge, die es im Haus zu diesem Thema gegeben hat, abgelehnt und sich mit unverbindlichen Äußerungen in die nächsten Monate gerettet. Es ist nicht schlicht und einfach herbeigeholt, wenn wir feststellen müssen, dass die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die schlechte Bezahlung und die fehlenden Tarifverträge mit dazu beitragen, dass Menschen in bestimmten Branchen überdurchschnittlich belastet sind und überdurchschnittlich psychisch erkranken; da können Sie nicht drumherum reden. Wenn die psychische Belastung am Arbeitsplatz verringert werden soll, gehört das Thema mit auf die Tagesordnung, wenn wir über Prävention reden.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der LINKEN)

Dies muss ganz konkret für Hamburg geschehen. Wir als Grüne sind ziemlich froh darüber, dass der dritte Schwerpunkt des unter Schwarz-Grün noch initiierten Pakts für Prävention weiterhin Bestandteil auch Ihrer Arbeit ist. Das Thema Gesundheit, Leben und Arbeiten in Hamburg beschäftigt sich mit der Belastung am Arbeitsplatz, aber es geht um Offenheit der Diskussion.

(Glocke)

Entschuldigen Sie, Frau Möller. Meine lieben Kollegen Abgeordnete, wir telefonieren nicht im Plenarsaal.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das gilt auch für Herrn Münster!)

Bitte, Frau Möller, fahren Sie fort.

Offenheit für Diskussionen ist schön und gut, aber nicht genug. Wir erwarten, dass Hamburg die Initiative ergreift und auf Bundesebene Forderungen aufstellt.

Es gibt zwei konkrete Forderungen. Erstens muss eine Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor psychischen Fehlbelastungen analog zu anderen Verordnungen in anderen Bereichen des Arbeitsschutzes deutlich festgelegt und mit den Betrieben, den Gewerkschaften und vor allem auch mit der Politik vereinbart werden.

Der zweite Punkt sind die technischen Regelungen zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen bezüglich der psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz nach dem Arbeitsschutzgesetz.

Herr Stemmann sagte, wir hätten gute Vereinbarungen und Regelungen. Die haben wir, aber die beziehen sich nicht auf die psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz. Hier bleibt noch viel zu tun,

(Arno Münster SPD: Das stimmt nicht!)

man darf nicht nur mit Worten arbeiten, sondern muss tatsächlich handeln.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort hat Herr Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist gar keine Frage, psychische Probleme nehmen zu, und es ist ein ganz bitteres Los für die Betroffenen und ihre Familien. Es ist schlimm für die jeweiligen Betriebe durch den Arbeitsausfall, und es ist nebenbei auch ein volkswirtschaftliches Problem. Hier müssen wir etwas tun, diese Menschen verdienen unser Mitgefühl und auch unsere Hilfe. Es ist auch richtig, dass diese Probleme zum Teil durch die Arbeitswelt verursacht werden, aber sicher nicht nur zum Teil.

Die Frage ist nur, was man dagegen tun kann. Es ist nicht weiter überraschend, dass die Links-Partei, auch zum Teil die GAL, wieder nach dem Staat rufen und nach neuen staatlichen Vorschriften. Sie wissen es vielleicht nicht, aber ich sage es Ihnen: Der Stress am Arbeitsplatz wird nicht zuletzt dadurch verursacht, weil wir schon viel zu viele staatliche Vorschriften haben, die am Arbeitsplatz erfüllt werden müssen.

(Beifall bei der FDP – Heiterkeit bei der GAL und der LINKEN)

Es gibt einen unvorstellbaren Wust von Dokumentationspflichten, Zertifizierungen und einem Beauftragtenunwesen. Aus meiner eigenen Praxis kann ich Ihnen sagen, dass ich genauso viel Zeit mit Verwaltung und Bürokratie verbringe, die von solchen Leuten wie Ihnen mit eingeführt wurde, wie

(Antje Möller)

mit der Behandlung meiner Patienten. Das ist Arbeitsverdichtung und Stress und damit muss Schluss sein.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl und Hjalmar Stemmann, beide CDU)

Wir brauchen nicht noch mehr staatliche Vorschriften, wir müssen das Problem anders angehen. Herr Schäfer hat da schon durchaus richtige Bemerkungen gemacht. Lassen Sie mich dazu ein paar Punkte ausführen.

Frau Artus, Sie können es nicht wissen, vielleicht wollen Sie es auch gar nicht wissen. Ein guter Unternehmer und ein guter Vorgesetzter kümmern sich selbstverständlich darum, dass die Mitarbeiter leistungsfähig sind, dass sie nicht krank werden.

(Gabi Dobusch SPD: Und eine gute Unter- nehmerin!)

Das ist eine ganz normale Aufgabe eines Vorgesetzten und eines Unternehmers. Und das tun sie auch, denn sie haben ein eigenes Interesse daran. Das können Sie sich nicht vorstellen, es ist aber so.

(Beifall bei der FDP)

Zu Recht hat Herr Dr. Schäfer auch darauf hingewiesen, dass die Gewerkschaften hier eine Schlüsselaufgabe haben. Ich persönlich würde mich freuen, wenn bei den Gewerkschaften dieses Problem, wie ich mit dem Arbeitgeber aushandeln kann, dass Arbeitsbedingungen stattfinden, die human sind und die die Menschen nicht krank machen, im Vordergrund stünde. Es muss da viel mehr getan werden. Es ist möglicherweise sinnvoll, ab und zu mal auf eine Lohnforderung zu verzichten oder sie zu verringern und sich mehr um dieses Thema zu kümmern. Das wäre eine schöne Aufgabe für die Gewerkschaften.

(Beifall bei Katja Suding FDP – Wolfgang Rose SPD: Das ist doch blanke Ideologie!)

Man muss auch nicht nach dem Staat, den Unternehmern und den Gewerkschaften rufen. Jeder Mitarbeiter kann doch selbst etwas dafür tun.

(Zurufe aus dem Plenum)

Ich gebe Ihnen ein paar Ratschläge, die ich auch jeden Tag anwende, vielleicht können Sie sie sich zum Vorbild nehmen. Man sollte Arbeit nicht aufschieben.

(Glocke)

Nun hören Sie Herrn Dr. Schinnenburg doch erst einmal zu, bevor Sie sich aufregen. – Herr Dr. Schinnenburg, Sie haben das Wort.

(Beifall bei Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Man kann zum Beispiel gleich präzise arbeiten, statt erst einmal Entwürfe zu machen. Man kann dem Chef zum Beispiel frühzeitig sagen, dass man mit dieser Aufgabe nicht klarkommt und dass man Hilfe braucht. Man kann auch beispielsweise einfach einmal "Nein" sagen, das tue ich als Chef bisweilen auch.

(Heiterkeit bei der LINKEN und bei Gabi Do- busch SPD)

Man ist doch selbst dafür verantwortlich, dass man nicht ständig Aufgaben übernimmt, die man vielleicht nicht erfüllen kann. Das können Sie in jedem Ratgeber nachlesen. Das passt nicht in Ihr Meinungsbiotop, das weiß ich. Aber Sie müssen sich ab und zu auch Dinge anhören, die Ihnen nicht gefallen.

Schließlich und endlich können dies die Gewerkschaften machen, das können die Chefs machen

(Gabi Dobusch SPD: Und die Chefin!)

und das kann jeder selbst tun. Wer es am wenigsten kann, ist der Staat. Wir brauchen keine neuen Verordnungen, wir müssen die Menschen selbst motivieren – Chefs, Gewerkschaften und Mitarbeiter –, etwas dagegen zu tun. Da haben Sie unsere Unterstützung, aber nicht für neue Verordnungen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl CDU)

Das Wort hat nun Frau Senatorin Prüfer-Storcks.

(Wolfgang Rose SPD: Man kann auch mal "Nein" sagen!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist tatsächlich so, dass immer mehr Menschen wegen psychischer Probleme und Erkrankungen aus dem Arbeitsleben fallen, temporär oder dauerhaft. Selbstverständlich gibt es Handlungsbedarf bei diesem Thema und diesen Problemen, aber wir handeln auch in Hamburg. Nicht nur in Hamburg, sondern auch von Hamburg aus in Richtung Bundesebene sind wir aktiv.

Während die Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Arbeitsunfällen erfreulicherweise in den letzten Jahren gesunken sind, haben die wegen psychischer Erkrankungen enorm zugenommen. In den letzten 30 Jahren haben sie sich vervierfacht. Psychische Erkrankungen sind mittlerweile auch der Hauptauslöser für Frühverrentungen. Ihr Anteil an den Frühverrentungen ist auf 40 Prozent gestiegen. 40 Prozent der Frührentnerinnen und Frührentner scheiden aus aufgrund psychischer Erkrankungen.

(Dr. Wieland Schinnenburg)