Protokoll der Sitzung vom 10.05.2012

und Sie auf einen wichtigen Umstand hinweisen. Warum werden Menschen krank und welche Berufsgruppen werden besonders oft psychisch krank? Reine Fakten: Bei den Lehrern beträgt der Anteil der Pensionierungen wegen Dienstunfähigkeit 54 Prozent. Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Lehrkräfte bekommen keine vernünftigen Arbeitsplätze, müssen sich Schreibtische teilen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und Container!)

stehen während der Unterrichtsstunden im Dauerstress und werden seit Jahren – zuletzt unter der ehemaligen Senatorin Goetsch, jetzt unter Senator Rabe – mit neuen Aufgaben belastet, sodass psychischer Druck entsteht.

Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung – das ist jetzt der Gegensatz dazu – beträgt der Anteil nur 20 Prozent. Das heißt, nur jeder Fünfte wird vorzeitig berufsunfähig, bei den Lehrern ist es jeder Zweite. Herr Rabe, das ist mein besonderer Appell an Sie.

(Dirk Kienscherf SPD: Weniger Beamte!)

Nehmen Sie den Druck aus Ihrer Reformitis heraus, sorgen Sie dafür, dass in den nächsten Jahren Ihrer Amtszeit bei den Hamburger Lehrern seltener Dienstunfähigkeit aufgrund psychischer Belastungen eintritt.

(Beifall bei der CDU und bei Carl-Edgar Jar- chow FDP)

Ich sehe keine Wortmeldungen mehr. Die Aktuelle Stunde ist damit zu Ende.

Wir kommen zu Punkt 37 unserer heutigen Tagesordnung, Drucksache 20/3978, dem Bericht des Haushaltsausschusses: Schuldenbremse – Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt

(Kersten Artus)

Hamburg und Entwurf eines Gesetzes zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften.

[Bericht des Haushaltsausschusses über die Drucksachen 20/108 und 20/3390: Schuldenbremse – Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (Antrag der CDU-Fraktion) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften (Senatsantrag) – Drs 20/3978 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 20/4130 ein Antrag der CDU-Fraktion vor.

[Antrag der CDU-Fraktion: Schuldenbremse – Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg – Drs 20/4130 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Dr. Dressel, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Verfassungsänderungen gibt es nicht alle Tage. Es ist auch gut, dass das nicht parlamentarische Routine ist, sondern ein breites Einvernehmen im Parlament erfordert und fundierte Beratungen in den Ausschüssen vorausgehen. Die hat es gegeben und das ist eine gute Grundlage dafür, um heute zu einer Entscheidung zu kommen.

Ich will zunächst feststellen, dass sich alle in diesem Haus, bis auf die Links-Fraktion, einig darüber sind, dass die Schuldenbremse, die das Grundgesetz vorsieht, in die Hamburgische Verfassung gehört. Es ist eine gute Feststellung, dass eine breite grundsätzliche Einigkeit im Parlament darüber besteht, die Schuldenbremse in die Verfassung aufzunehmen.

(Beifall bei der SPD, der FDP und vereinzelt bei der GAL)

Wir haben es ausführlich beraten, wir haben Hinweise des Rechnungshofs bekommen, die wir auch im Antrag verarbeitet haben. Deswegen möchte ich allen danken, die durch ihren Expertenrat dazu beigetragen haben, dass wir heute zu einem guten Ergebnis kommen.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich möchte auch GAL und FDP danken, eine in der Tat ungewöhnliche Konstellation. Gestern haben wir uns gefetzt, und zwar durchaus heftig zu verschiedenen Fragen. Beim Thema Schuldenbremse sind wir aber zu einem einvernehmlichen Ergebnis gekommen. Es waren vertrauensvolle Beratungen zur Frage, ob wir mit strengen Maßgaben die Schuldenbremse des Grundgesetzes auch in die Hamburger Verfassung integrieren wollen.

Das ist nicht selbstverständlich und deshalb auch mein Dank an die beiden Fraktionen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich schon einmal beim Bedanken bin, richte ich auch meinen Dank an die CDU-Fraktion, denn es war ihr Antrag, Herr Heintze – das ist jetzt die Danksagung, gleich kommen noch ein paar andere Bemerkungen –, der letztlich das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Deshalb haben wir einen Zusatzantrag zu Ihrem Antrag eingebracht, denn wo Einigkeit besteht, soll man die auch benennen. Es ist nur bedauerlich, dass Sie heute nicht über Ihren Schatten springen wollen; noch haben Sie die Gelegenheit dazu. Sie können gern sagen, dass Sie für eine schnellere Einführung sind, das ist in Ordnung, aber Sie müssen sich einmal die Regelungen zur Schuldenbremse in anderen Bundesländern anschauen. Und auf Bundesebene war die CDU auch nicht ganz unbeteiligt daran, dass die Schuldenbremse im Jahr 2006 in das Grundgesetz geschrieben wurde. Im Sinne der gemeinsamen Grundzielsetzung wäre es schon angemessen, heute diesem Entwurf Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der SPD und bei Robert Bläsing FDP und Jens Kerstan GAL)

Es ist mitnichten so, dass wir einfach nur das Grundgesetz in die Hamburger Verfassung übernehmen – das haben Sie in den vergangenen Wochen versucht zu suggerieren –, nein, wir formulieren auch strenge Maßgaben für die Hamburger Verfassung. Zuerst einmal geht es darum, die Schuldenbremse in die Hamburger Verfassung zu integrieren, um von bestimmten Ausnahmen, die das Grundgesetz uns lässt, Gebrauch machen zu können. Dann geht es darum, Leitplanken für den Bremsweg einzubauen. Wenn Sie sich den Entwurf genau anschauen, dann stellen Sie fest, dass wir Rechte und Pflichten für die Verfassungsorgane klar definiert haben. Das ist keine Show, sondern ein substanzieller Fortschritt für die Finanzpolitik dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und bei Jens Kerstan GAL und Katja Suding FDP)

Ich will die einzelnen Punkte gern noch einmal benennen. Dass wir einen Zweidrittelvorbehalt für die Notfallkredite formuliert haben, ist eigentlich etwas, wo jede Opposition, auch eine CDU-Opposition, sagen würde, da können wir mitgehen; dieser Punkt ist von GAL und FDP auch benannt worden. Dann stellt sich die Frage, wie wir den Bremsweg definieren. Wir haben eine verfassungsfeste Verpflichtung zum Defizitabbau im Gesetz, es gibt eine Verminderungspflicht für die Nettokreditaufnahme mit der Option, dass, wenn der Verlauf normal bis gut ist, schon 2019 keine neuen Kredite aufgenommen werden sollen. Alle diese Punkte sind verfassungsfest im Entwurf definiert, im Notfall sind

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

sie auch einklagbar. Wir wollen hoffen, dass es zu einer solchen Situation nicht kommt, aber die Klagefreudigkeit nimmt in diesem Haus etwas zu, insofern kann man das nicht ausschließen. Es sind verfassungsrechtlich geregelte Rechte und Pflichten, und deswegen ist das ein verlässlicher Weg in Richtung 2020, den Sie auch hätten mitgehen können.

(Beifall bei der SPD)

Was ist die Aufgabe einer Verfassung? Jedenfalls nicht, ein Szenario zu entwerfen, das nur in Schönwetterphasen funktioniert, wenn wir eine super Konjunktur haben und die Steuereinnahmen sprudeln. Falls wir bis 2020 eine super Konjunktur haben sollten, können wir das Ziel natürlich früher erreichen. Eine Verfassung hat doch gerade die Aufgabe, auch ein Worst-Case-Szenario einzubeziehen, auch an konjunkturelle Schlechtwetterphasen zu denken, in denen es einen wirklich dramatischen Rückgang bei den Steuereinnahmen geben kann. Auch in diesem Fall muss die Verfassung greifen. Es kann nicht sein, dass eine Verfassung eine Wette auf eine gute Konjunktur ist. Sie muss krisenfest sein, und auch deswegen ist es gut, dass wir einen langfristigen Weg gehen.

(Beifall bei der SPD und bei Jens Kerstan, Farid Müller, beide GAL und Katja Suding FDP)

Nun zum Argument der CDU, dass die Frist bis 2020 eigentlich nur für das Saarland und Bremen gedacht sei. Wir haben im Grundgesetz und auch in den Drucksachen nachgeschaut, und ich habe den Hinweis auf die beiden in der Tat finanzschwächsten Länder dort nicht gefunden. Es ist auch klar, dass solche Regelungen eine Frage der Länderhoheit sind. Unsere föderale Struktur sieht vor, in diesem Parlament zu können, wie wir den Bremsweg bis zum Jahr 2020 gestalten. Deswegen ist es richtig, keine Vollbremsung einzuleiten, sondern einen vernünftigen, maßvollen Bremsweg zu definieren.

(Beifall bei der SPD und bei Farid Müller GAL)

Weil wir in diesen Tagen auch über den Fiskalpakt diskutieren und sich die Frage stellt, ob sich dadurch Auswirkungen auf die Schuldenbremse ergeben, will ich kurz darauf eingehen. Wir sagen ganz klar, wir stehen dem Fiskalpakt nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Das wird aber nicht hier diskutiert, sondern auf Bundesebene. Wir meinen aber, dass der Fiskalpakt der Ergänzung und Konkretisierung bedarf, Stichwort Wachstumsimpulse, aber eine Sache für die Länder relevant ist. Wir können und werden nicht zulassen, dass möglicherweise hintenherum zwischen EU-Kommission und Bundesregierung die Schuldenregeln für die Länder einseitig verschärft werden. Wenn das nicht zweifelsfrei im Sinne der Länder geklärt ist,

dann kann Hamburg einem Fiskalpakt im Bundesrat keine Zustimmung geben.

(Beifall bei der SPD)

Da wir gestern so viel über Sozialpolitik geredet haben und ein Zusammenhang zwischen Schuldenbremse und Sozialpolitik besteht, will ich gerade in Richtung CDU darauf hinweisen und daran erinnern, dass Sie gestern doch deutlich Ihr Herz für die Sozialpolitik entdeckt haben. Was heißt es eigentlich, schon im Jahr 2015 die Schuldenbremse einhalten zu wollen, was bedeutet es, verbindlich in jedem Fall Nettokreditaufnahme null? Wenn man nachrechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass dies zusätzliche Konsolidierungsanforderungen für die Sozialbehörde von sage und schreibe 120 bis 160 Millionen Euro bedeuten würde. Noch einmal zum Mitschreiben, Herr Heintze, 120 bis 160 Millionen Euro.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Wie wollen Sie das denn hinbekommen?)

Wir reden erst einmal über die Frage, was passiert, wenn man sich auf das Jahr 2015 festlegt.

Man kann sich nicht, wie die CDU es gestern tat, hinstellen und den barmherzigen Samariter spielen, aber gleichzeitig eine Verfassungsänderung haben wollen, die dazu führt, dass 160 Millionen Euro zusätzlich aus dem Haushalt der Sozialbehörde herausgenommen werden müssen.

(Robert Heinemann CDU: Sie haben gestern 560 Millionen Euro ausgegeben!)

Das ist verantwortungslos und auch deswegen kann es ein Vorziehen der Schuldenbremse nicht geben.

(Beifall bei der SPD)

Wenn die Schuldenbremse schon im Jahr 2015 käme, würde das dazu führen, dass Hamburg seinen gesetzlichen Pflichten an vielen Stellen im Sozialleistungsbereich nicht mehr voll nachkommen könnte und vor allem die freiwilligen Leistungen im Bereich Sozial- und Jugendhilfeleistungen einstellen müsste. Das kann man nicht verantworten. Das können Sie nicht verantworten. Sie sollten Ihre Argumentation kritisch überprüfen, das passt nicht zusammen, wie Sie argumentieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Haushaltsberatungen vor uns, und natürlich ist das, was wir im Bereich der Sozialbehörde und an anderen Stellen diskutieren, ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Man braucht kein Prophet zu sein, um das sagen zu können. Deshalb geht es bei allen harten Anstrengungen auch darum, einen maßvollen Mittelweg zu beschreiten, der den sozialen Frieden in unserer Stadt nicht gefährdet. Nur ein gesellschaftlich getragener Weg zur Schuldenbremse wird gelingen. Das zeigen auch die Widerstände, die wir in Euro

pa an vielen Orten sehen. Wer den Bogen überspannt, der spielt mit dem Feuer. Deshalb ist es richtig, einen Weg zu gehen, der gesellschaftlich tragfähig ist.

(Beifall bei der SPD)