Protokoll der Sitzung vom 16.08.2012

(Hjalmar Stemmann)

Die Kürzungen beim Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE treffen eine Einrichtung, die sich seit ihrer Gründung 2006 zu einer anerkannten Forschungseinrichtung im Suchtbereich entwickelt hat, was auch die Evaluation 2011 gezeigt hat. Mit seiner besonderen Ausrichtung auf die Suchtproblematik von Minderjährigen nimmt das Zentrum bundesweit eine besondere Stellung ein; Herr Stemmann hat darauf hingewiesen. Es bleibt also mehr als erklärungsbedürftig, und zwar auch nach Ihrem Beitrag, Herr Kühn, warum die Gelder für das Forschungszentrum in so drastischer Weise gekürzt werden.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Philipp- Sebastian Kühn SPD: Da haben Sie mir nicht zugehört!)

Wir haben daher die Überweisung federführend an den Wissenschaftsausschuss und mitberatend an den Gesundheitsausschuss vorgeschlagen, damit dort Finanzierungsgrundlagen dargelegt, bestehende Verträge erläutert und Vergleiche zu anderen Forschungseinrichtungen gezogen werden können, sodass eine Beurteilung der Förderkriterien auch wirklich möglich ist.

Einmal mehr verweigern Sie eine parlamentarische Befassung, die zu mehr Transparenz beigetragen hätte.

(Beifall bei der GAL)

Wir werden uns daher der Abstimmung heute enthalten, da die Hintergründe Ihrer Entscheidung nicht offengelegt werden und Vergleichswerte für eine Beurteilung fehlen.

Dass Sie eine Befassung im Ausschuss verweigern, passt zwar zum Regierungsstil der SPD

(Zurufe von der SPD: Oh! – Dirk Kienscherf SPD: Es ist immer die gleiche Leier! Wir überweisen so viel!)

und überrascht insofern nicht wirklich, wird aber der Bedeutung des Themas bei Weitem nicht gerecht.

Im Laufe der Haushaltsberatungen wird deutlich werden, welchen Stellenwert die SPD der Suchtprävention wirklich beimisst. Ich erinnere dabei an die kürzlich erfolgte Streichung der Gelder für die Suchtselbsthilfe. Hier wurde deutlich, dass der Senat nicht davor zurückschreckt, minimale Einspareffekte teuer zu erkaufen: teuer für Suchtkranke und teuer für das Gemeinwesen. Diese Sparpolitik lässt jede Verhältnismäßigkeit vermissen und erzeugt maximalen Schaden bei minimalen Einsparungen. Dass die SPD anscheinend auch die Förderung der Suchtforschung für entbehrlich hält, passt da ins Bild. Ohne Überweisung an die zuständigen Ausschüsse werden Sie diesen Eindruck nicht entkräften. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort bekommt Herr Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen zwei Zitate vortragen. Erstes Zitat:

"Seit der Gründung leistet das DZSKJ hervorragende Arbeit, insbesondere bei der Erforschung der Risiken und Auswirkungen von Suchtgefährdung und Suchtstörungen."

Zweites Zitat:

"Besonders wichtig ist es, suchtgefährdete Kinder und Jugendliche zu erreichen, bevor Gesundheitsschäden und soziale Desintegration drohen. Dafür benötigen wir mehr Wissen über Suchtentstehung im Kindesund Jugendalter, mehr Wissen über Methoden und mehr Wissen darüber, welche Interventionen wirklich wirken."

Meine Damen und Herren, was vermuten Sie, von wem diese beiden Zitate stammen? Das erste ist von Senatorin Stapelfeldt, das zweite ist von Senatorin Prüfer-Storcks. Richtig erkannt, nur ist die Politik eine andere.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Trotz berechtigtem Lob gibt es eine mehr als drastische Kürzung. Wir reden manchmal von Kürzungen in Höhe von 5 Prozent, wir reden hier davon, 288 000 Euro auf 100 000 Euro herunterzukürzen.

(Philipp-Sebastian Kühn SPD: Das ist keine Kürzung, sondern der Vertrag ist ausgelau- fen! Das wissen Sie doch!)

Herr Kühn, nun kommen Sie mir nicht mit dem Vertragsschluss. Sie wissen selbst, dass es anders ist. Natürlich gab es einen Vertragsschluss, aber vor welchen Alternativen standen denn das DZSKJ und das UKE? Das ist nichts anderes als ein Knebelvertrag, der da abgeschlossen wurde nach dem Motto: Entweder ihr unterschreibt das oder ihr bekommt gar kein Geld mehr. Friss, Vogel, oder stirb; das steckte dahinter. Das ist kein fairer Vertrag gewesen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich habe weder heute noch sonst irgendwann fachliche Kritik an der Arbeit dieses Zentrums gehört. Da frage ich mich natürlich: Warum dann überhaupt Kürzungen? Die einzige Begründung, die ich bis jetzt gehört und auch im "Hamburger Abendblatt" gelesen habe, war, die Arbeit könne mit Drittmitteln fortgeführt werden; Sie haben das gerade ausgeführt. Ich bin sicher, Herr Kühn, Sie

(Heidrun Schmitt)

wissen, dass das so nicht funktioniert. Man braucht für Akquise einen Stamm an Personal und der kostet einfach Geld. Man braucht sicher nicht jede Menge Leute, aber Sie können mit Sicherheit mit 100 000 Euro keine 800 000 Euro Drittmittel akquirieren; das werden Sie nicht schaffen. Mit anderen Worten: Wenn Sie das so kürzen, gibt es keine Drittmittel mehr und dann gibt es auch kein Institut mehr. Zeigen Sie mir einmal den Drittmittelgeber, der damit einverstanden ist, dass die Leute, die er bezahlt, nicht für Projektarbeit verwendet werden, sondern für völlig andere Dinge. Das ist ein Irrweg. Sie müssen dann schon sagen, dass Sie das Institut nicht mehr wollen, das wäre wenigstens ehrlich. Aber so funktioniert es nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das zweite Argument, das von Ihnen noch kommen könnte, wäre der Sparzwang. Das ist auch richtig, aber Sie sparen jetzt 188 000 Euro bei suchtgefährdeten Kindern und Jugendlichen in einem Behördenetat, in dem 1,3 Millionen Euro für eine zusätzliche Senatorin, einen zusätzlichen Staatsrat und deren Mitarbeiter vorgesehen sind. Dieser Senat gibt kein Geld für Suchtprävention aus, aber viel für den Wasserkopf. Das ist genau falsch. Wir unterstützen den Antrag und auch die Überweisung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort bekommt Frau Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Der Antrag der CDU vermittelt den Eindruck, dass unerwartete Kürzungen eine junge, aufstrebende Forschungseinrichtung zerstören sollen.

(Zuruf von Roland Heintze CDU)

Genau das habe ich vor, Herr Heintze, und Sie werden vielleicht erstaunt sein.

Dass die Anschubfinanzierung auf fünf Jahre beschränkt sein sollte, war allerdings – das hat ein Vorredner erwähnt – bei Projektstart vertraglich vereinbart. Eine Anschubfinanzierung für Forschungsinstitute ist sowieso eher ungewöhnlich und nur durch eine besonders herausragende Bedeutung zu rechtfertigen.

Der Antrag der CDU bezieht sich auf die Erkenntnisse der Evaluation von Herrn Professor Resch, der die hervorragende Arbeit und Entwicklung des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindesund Jugendalters bestätigt habe. Eine kritische Betrachtung der Inhalte dieser Evaluation lohnt, vor allem, wenn auch das sogenannte Addendum – der Nachtrag, in dem andere Fachleute die Evaluation kritisch hinterfragen und die Autoren zu die

ser Kritik Stellung nehmen müssen – mitbetrachtet wird.

Ein Beispiel: Der Antrag nennt als wichtiges Anliegen des Zentrums den Wissenstransfer in die Fachöffentlichkeit hinein, in Suchthilfe und Jugendhilfe, Gesundheitssystem und Gesundheitsbildungssystem, Schulen und Beratungsstellen. Die Fortbildungsveranstaltungen des Zentrums stehen aber nicht in dem Ruf, ausgesprochen gut besucht zu sein. 2009 wurden von 32 Seminaren nur 21 besucht, wobei zwischen zwei und zehn Personen teilnahmen. Da je nach Veranstaltung nur 0 bis 33 Prozent der Teilnehmenden überhaupt aus dem schulischen Bereich kamen, mussten auch die Autoren der Evaluation – allerdings erst auf kritische Nachfrage im Nachtrag – eingestehen, dass dies nicht befriedigend war.

Die Evaluation von Professor Resch wird in der Fachwelt äußerst kontrovers diskutiert. Hier haben meine Vorredner schlichtweg einen falschen Eindruck hinterlassen. Der Nachtrag bietet dafür eine Menge Beispiele. Ich nenne eines: Der Leiter des Zentrums, Herr Professor Thomasius, ist gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Vereins "Nichtrauchen ist cool". Dieser Verein führt am UKE seit 2005 sogenannte Aufklärungsveranstaltungen für Schüler und Schülerinnen der Klassen 5 bis 7 durch, bei denen den Kindern und Jugendlichen unter anderem abschreckende Bilder von Lungenspiegelungen oder Raucherbeinen gezeigt werden. Ob diese Methode der Entwöhnung, die der schwarzen Pädagogik der Siebzigerjahre entlehnt ist, vereinbar ist mit dem Anspruch höchster Aktualität der Suchtforschung, darf bezweifelt werden. Evaluiert wird auch der Sinn und Erfolg dieser Abschreckungsveranstaltung – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Herr Professor Resch lobt den Mehrwert dieses Projekts ausdrücklich. Erst durch die Nachfragen von Fachleuten im Addendum wird deutlich, dass das Projekt seit 2009 ruht, weil kein geeigneter Kooperationspartner an den Schulen gefunden werden konnte. Die Auswertung des Projekts "Nichtrauchen ist cool" ist, entgegen aller Erwartungen, keineswegs abgeschlossen. Auch dem vertraglich verpflichteten Qualitätsvergleich mit dem bereits evaluierten Entwöhnungskurs des Suchtpräventionszentrums am Landesinstitut für Lehrerbildung hat sich das Programm bisher nicht gestellt. Dieser soll nämlich helfen, über eine parallele und integrierte Fortsetzung beider Kurse oder die Beendigung eines Kursangebots zu entscheiden.

Aber auch abgesehen von inhaltlichen Zweifeln bleibt die Argumentation des CDU-Antrags widersprüchlich. Angeblich sei ohne die Bereitstellung einer soliden Grundfinanzierung die Aufrechterhaltung der Arbeit des Zentrums infrage gestellt. Fragwürdig wird diese Aussage vor dem Hintergrund, dass das Zentrum laut Evaluation Drittmittel in Höhe von 2,4 Millionen Euro eingeworben hat. Dies

(Dr. Wieland Schinnenburg)

bringt Professor Resch zu dem Ergebnis, dass es im Bereich der Suchtforschung des Kindes- und Jugendalters keine Institution gibt, die ähnliche Drittmitteleinwerbung vorzuweisen hat. Wenn aber eine Forschungseinrichtung so erfolgreich ist, braucht sie keine Basisfinanzierung.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das UKE jährlich 340 000 Euro für Raum-, Sach- und Personalkosten übernimmt.

Das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters wurde von der Stadt fünf Jahre lang jeweils mit 288 000 Euro finanziert. Kaum ein Forschungsinstitut kann auf eine solch umfangreiche Anschubfinanzierung zurückgreifen. Die meisten Institute müssen ganz ohne staatliche Mittel auskommen.

(Dietrich Wersich CDU: Sagen Sie doch, dass Ihnen das nicht passt, dass in der Richtung geforscht wird, das wäre ehrlicher!)

Die anderen Suchtforschungsinstitute in Hamburg, die Sie, Herr Wersich, auch kennen – das Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) und das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISd) –, bekommen keinerlei Basisfinanzierung von der Stadt und sind trotzdem in der Lage, viele Projekte durchzuführen, einen hohen wissenschaftlichen Output zu generieren und erfolgreiche Kooperationen zwischen Forschung und Praxis zu gewährleisten. Beispielhaft sei hier der Kooperationsvertrag zwischen dem ZIS, dem ISD, dem Büro für Suchtprävention und dem SuchtPräventionsZentrum am Landesinstitut für Lehrerbildung genannt. Wenn die Finanzierung des DZSKJ durch die Stadt nun bis 2015 schrittweise auf 100 000 Euro heruntergefahren wird, bedeutet das also nicht sein Aus, sondern nur, dass die völlig ungerechtfertigte Bevorzugung eines Instituts, das unter Ihrer Federführung, Herr Wersich, stark gefördert wurde, langsam beendet wird.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Sehr geehrte Herren und Damen! Wir brauchen mehr Gelder im Suchtbereich, aber wir brauchen sie in der Suchthilfe und in der Suchtselbsthilfe. Wir brauchen sie dort, wo es keine Finanzierung von Direktorenstelle plus Sekretariat durch das UKE gibt und wo die Betroffenen keine Drittmittel einwerben können. Die Linksfraktion favorisiert diesen Ansatz und wird dafür streiten, dass die Schwerpunkte in der Sucht- und Drogenpolitik entsprechend vertieft werden.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)