Meine Damen und Herren! Dann ist es schlicht zu spät. Dann ist die Katze bereits in den Brunnen gefallen.
Der Senat ist aufgefordert, vorher und rechtzeitig geeignete Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel einzuleiten und nicht erst dann, wenn das Problem eingetreten ist oder den Betrieben keine Handlungsoptionen mehr bleiben.
Die FDP sieht also bei dieser Senatsvorlage erheblichen Nachbesserungs-, Ergänzungsund Konkretisierungsbedarf. Wir hoffen, dass dies mit der Debatte im Sozialausschuss möglicherweise noch gelingt. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kluth, auch wenn es Sie betrüben mag, Katzen können landläufig schwimmen.
Da einige Rednerinnen und Redner über den Inhalt der Drucksache gesprochen haben, werde ich im Wesentlichen darüber reden, was nicht darin steht und was meiner Meinung nach hineingehört. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt stellt sich folgendermaßen dar. Im Jahr 2002 hatten wir in Deutschland insgesamt etwa 39 Millionen Erwerbstätige, heute sind es fast 42 Millionen Erwerbstätige. Das ist ein Zuwachs von gut 2,5 Millionen. Die
se Zahlen stimmen, und die kritisiere ich auch nicht. Aber wir hatten 2002 in Deutschland 310 000 Leiharbeiterinnen- und Leiharbeiterstellen, 2012 waren es 820 000. Das ist ein Zuwachs von mehr als 500 000 Stellen. Das IAB hat uns vorgerechnet, dass davon rund 250 000 neue Arbeitsplätze sind. Die anderen 250 000 haben sichere, unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnisse verdrängt. Wir haben 7,5 Millionen Minijobs in diesem Land – Minijob bedeutet neuerdings 450 Euro im Monat – vor allen Dingen im Einzelhandel, im Reinigungsgewerbe und in der Gastronomie. Davon bilden 5 Millionen Minijobs den Hauptjob und werden zu zwei Dritteln von Frauen gemacht. Wir haben die Ausweitung der Teilzeit. In Deutschland arbeiten 2 Millionen Menschen unfreiwillig in Teilzeit. Sie würden gern mehr arbeiten, aber es wird ihnen nicht zugestanden. Wir haben Niedriglöhne in diesem Land. Etwa 22 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, das sind 7,3 Millionen Menschen, arbeiten zu einem Niedriglohn. Die Grenze dafür liegt in Deutschland nach der OECD-Definition im Moment bei 9,54 Euro. Genau diese Zahlen machen sehr deutlich, warum diese Senatsdrucksache, die Hamburger Strategie zur Sicherung des Fachkräftebedarfs, einen völlig unzureichenden Anknüpfungspunkt hat, denn auch diese Realität muss man dort begutachten und erheben, und aus dieser Realität muss man letztlich Konsequenzen ziehen.
Die Drucksache hingegen geht zum großen Teil nur von Erhebungen und der Nutzbarmachung des Erwerbspersonenpotenzials als staatlich begleitete Aufgabe aus. Zumutbarkeitsgesichtspunkte etwa aus SGB II und SGB III bei der Aufnahme von Arbeit werden nicht thematisiert oder ungefragt hingenommen. Das ist nicht hinnehmbar.
Frau Demirel hat es gesagt: Diese Drucksache enthält keine wirklich neuen Aspekte. Es ist reine Ankündigungspolitik von Maßnahmen, die wir schon lange kennen, die wir zum Teil unterstützt haben, zum Teil kritisch begleitet haben, keine Frage, aber es gibt darin nichts Neues. Ein Beispiel will ich Ihnen geben. Frau Demirel nannte schon die Gleichstellungspolitik. In dieser Drucksache steht:
Beide Programme haben aber keinen großen eigenen Regelungsgehalt, es folgt aus ihnen nicht viel. Sie sind beide nur Ankündigungspolitik. Der Senat hält außerdem, ausweislich der Schriftlichen Kleinen Anfrage von Frau Artus und mir, eine Schulung der Geschäftsstelle des Fachkräftenetz
Es gibt die völlig unzureichende vierte Säule. Das ist die Frage von Arbeitnehmerrechten und guter Arbeit, die Sie genannt haben. Sie wollen angemessene Vergütung – hier bin ich ganz bei Ihnen. Dann reden Sie vom Mindestlohn – dazu haben wir dieses ebenfalls unzureichende Gesetz beschlossen. Sie sagen, es muss um Arbeitsorganisation und Unternehmenskultur gehen – auch hier bin ich bei Ihnen. Und Sie sagen, es muss um Gesundheits- und Arbeitsschutz gehen – auch hier bin ich bei Ihnen – und um betriebliche Weiterbildung, keine Frage. Zu einer wirkungsvollen Strategie muss aber auch das Verbot von Leiharbeit gehören, die Einschränkung der Teilzeitarbeit, das Verbot von zeitlichen Befristungen, die Abschaffung von Minijobs verbunden mit der alleinigen Beitragspflicht für Arbeitgeber bei Niedriglöhnen und die Rücknahme der Rente mit 67 und der Rentenkürzung.
Dazu sagen Sie nichts. Ah, ich habe gehört, das ist Bundesrecht. Das kann man sich tatsächlich einmal ansehen. Hamburg ist nicht gerade willfähriger Befehlsempfänger des Bundes, sondern ist in das föderale System eingebunden und gelegentlich auch im Bundesrat vertreten. Der Senat bringt Bundesratsinitiativen ein, zum Teil auch recht erfolgreiche. Nur wenn es um Arbeitnehmerrechte geht, dann werden nicht einmal die Bundesratsinitiativen, die die eigene SPD-Fraktion vorschlägt, umgesetzt, Beispiel Schutzfrist bei der Arbeitslosenversicherung. Von Weiterem will ich nicht reden.
Dieser Senat hat bei Arbeitnehmerrechten eine weiße Weste in dem Sinne, dass er dazu nichts beschrieben hat. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst vorausschicken, dass es nicht die Fachkräftestrategie des Senats allein ist, sondern dass es eine Fachkräftestrategie ist, die wir von der ersten bis zur letzten Seite in diesem Papier – es ist nur eine Senatsmitteilung geworden, weil wir die Bürgerschaft unterrichten wollen – gemeinsam mit Arbeitgebern, Gewerkschaften, den beiden Kammern, dem Dienstleister Agentur für Arbeit und den Fachbehörden, die sich um Ausbildung, Weiterbildung und so weiter kümmern, entwickelt haben. Eine Regierung sollte auch nicht eine Fachkräftestrategie machen, denn eine Regierung ist dafür nicht verantwortlich und weiß nicht, wo die Landepunkte sind und wie
die Entwicklung in den Unternehmen ist. Deshalb haben wir alle an Bord geholt, die etwas damit zu tun haben. Ich freue mich sehr, und es ist auch etwas Einzigartiges, dass alle an Bord sind: Kammern, Arbeitgeber, der DGB, die Fachbehörden und die Agentur für Arbeit. Das ist etwas sehr Bedeutsames für diese Strategie.
Was liegt nun vor uns? In Hamburg haben wir zurzeit ungefähr 1,15 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter. Das wird bis 2020 noch zunehmen. Wir haben steigende Schülerabgangszahlen. Im Jahr 2020 werden wir ungefähr 32 000 Menschen mehr im erwerbsfähigen Alter haben. Danach nimmt die Zahl ab. Es gibt unterschiedliche Szenarien, was die Zuwanderung angeht, aber wir gehen zurzeit davon aus, dass es 120 000 bis 140 000 bis 2040 sind. Darauf bezogen sich, Frau Föcking, meine Aussagen. Wir wollen nicht warten, aber wir haben eine Chance, weil das Erwerbspersonenpotenzial zurzeit stabil ist. Wir müssen sofort anfangen und diese Zeit nutzen, in der die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und das Erwerbspersonenpotenzial gut sind, so dass uns die Zeit nicht durch die Finger rinnt, sondern wir sie vernünftig nutzen, damit später, wenn es schlechter wird und wir weniger werden, alles so aufgestellt ist, dass es funktioniert.
Ich will Ihnen sagen, wie das geht. Man muss die einzelnen Zielgruppen, die die Kollegen schon genannt haben, durchgehen. Wir dürfen keinen zurücklassen. Wir haben die Jugendberufsagentur in fünf von sieben Stadtteilen gegründet, damit an der schwierigen Nahtstelle von der Schule in den Beruf weniger verloren gehen, am besten kein einziger. Einige zweifeln, dass Neues in diesem Fachkräftekonzept steht. Diese Jugendberufsagentur gibt es in keiner anderen Stadt in Deutschland, sie ist neu. Das ist eine Erfindung dieses Senats und der SPD-Fraktion.
Die zweite Gruppe bilden die Frauen. Für die Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine gerechte Entlohnung, Teilhabe an Karriere, frühzeitige Rückkehr in den Beruf braucht es eine vernünftige soziale Infrastruktur mit ausgebauter Kindertagesbetreuung von der Krippe über die Elementarerziehung bis zur ganztägigen Betreuung an Schulen. In Hamburg wird es Ende dieses Jahres bis auf sehr wenige Ausnahmen nur noch Ganztagsschulen geben. Und wir sind beim Krippen- und Kita-Ausbau sowohl in der Qualität wie in der Quantität spitze. Das ist auch etwas Neues, was dieser Senat und diese SPD-Fraktion auf den Weg gebracht haben.
chen würde, dann hätten wir in Hamburg ein Erwerbspersonenpotenzial von 58 000 jungen Frauen. Dafür lohnt es sich wirklich, sich anzustrengen. Wenn es uns weiter gelingt, die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen von 66 Prozent um 10 Prozent zu erhöhen, dann entspricht das 18 000 Menschen, die zusätzlich erwerbstätig sind. Auch hier haben wir etwas Neues gemacht. Wir haben das Deutsche Demographie Netzwerk nach Hamburg geholt, damit Unternehmen von Unternehmen Best-practice-Beispiele kennenlernen und ihre Arbeitsbedingungen demografiefest gestalten, sodass zum Beispiel eine höhere Zeitautonomie für ältere Kolleginnen und Kollegen gegeben ist. Das ist neu, das gibt es hier nicht.
Wenn wir bei Menschen mit Behinderung die Erwerbstätigenquote nur um 10 Prozent steigern könnten – das soll doch wohl gehen –, dann wären das 5000 zusätzliche Erwerbspersonen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden.
Auf Menschen mit Migrationshintergrund ist hingewiesen worden. Hier ist die Erwerbstätigenquote von 55 Prozent auf 59 Prozent gestiegen, aber das reicht nicht. Wenn es uns gelingen würde, eine Angleichung der Erwerbstätigenquote von Migrantinnen und Migranten an die von Menschen ohne Migrationshintergrund hinzubekommen, und das halte ich für möglich, dann hätten wir weitere 41 000 Menschen, die heute schon Hamburgerinnen und Hamburger sind, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könnten, sich selbst besser helfen könnten und den Wohlstand der Stadt mehren würden. Zusammengenommen sind das allein schon 122 000 Menschen, die bereits heute in Hamburg leben, aber nicht arbeiten.
Ich weise an dieser Stelle auf das Anerkennungsgesetz hin. In der vergangenen Woche haben wir die Bilanz vorgestellt. Wir haben 800 Anerkennungsverfahren durchgeführt und bei 400 Verfahren eine vollständige Anerkennung ausgesprochen. Auch das ist neu. Es gibt nirgendwo in Deutschland einen Beratungsanspruch im Bereich von Anerkennungsgesetzen. Wir sind auf einem Weg, diese Erwerbspersonenpotenziale gemeinschaftlich mit den Kammern, den Arbeitgebern, der Stadt und der Agentur für Arbeit zu heben, Zielgruppe für Zielgruppe, Person für Person. Das ist nicht einfach, aber einen anderen Weg gibt es nicht. Den haben wir jetzt eingeschlagen.
Dass es am Ende des Tages noch eine Lücke gibt, will ich nicht ausschließen. Ich weiß auch, dass es in einzelnen Branchen schwierig ist, bei den Sozial- und Erziehungsberufen, den MINT-Berufen und so weiter. In diesen Zahlen, die ich eben vorgetragen habe, ist keine Zuwanderung und keine Produktivitätssteigerung enthalten. Wenn man das da
zu nimmt, dann geht der Senat davon aus, dass es in manchen Branchen schwer wird, aber wir werden in Hamburg in keine generelle Fachkräftelücke steuern. Wer überall darüber redet, der schadet dem Standort Hamburg; lassen Sie das.
(Beifall bei der SPD – Christiane Schneider DIE LINKE: Wenn wir nicht alle ausweisen würden, hätten wir noch mehr!)
Wir haben das Fachkräftenetzwerk konstituiert; die verschiedenen Projektgruppen arbeiten. Ich will auf zwei Dinge hinweisen. Frau Föcking hat die Frage der Auszubildendenwohnungen benannt. In diesem Fachkräftenetzwerk, bei dem Arbeitgeber, Gewerkschafter, Behörden gemeinschaftlich arbeiten, gibt es nun eine Arbeitsgruppe, um hierzu eine Lösung zu finden. Im Wirtschaftsausschuss ist in der vergangenen Woche vorgetragen worden, wo wir stehen, und wir sind weiter, als von manchen der Eindruck erweckt wird. Wir beschäftigen uns als Erstes mit der Frage der Durchlässigkeit von Bildungsgängen. Es gibt vielfach die Situation, dass junge Menschen eine Ausbildung beginnen, die dann nicht die richtige ist. Es ist aber nicht geklärt, was von einer begonnenen Ausbildung oder einem begonnenen Studium angerechnet werden kann. Es geht um Anrechenbarkeit, um Durchlässigkeit. Es geht um die Frage, wenn junge Menschen beispielsweise ihr Studium abbrechen, was sie davon mitnehmen können, wenn sie dann eine Ausbildung machen. Auch hier gilt das Motto des Senats "Niemand bleibt zurück", aber man muss besser darauf achten, dass die verschiedenen Ausbildungsgänge, sei es Hochschule, Schule oder die beruflich-duale Ausbildung, in einer Weise aufeinander abgestimmt werden, dass man das Gelernte in einen neuen Ausbildungsgang mitnehmen kann und keinesfalls ein Ausbildungsabbruch zum dauerhaften Status des Ungelernten führt. Daran arbeitet zum Beispiel dieses Fachkräftenetzwerk.
Ich finde, wir sind auf einem recht guten Weg. Ich finde es auch richtig, dass wir das im Sozialausschuss noch einmal ausführlich erörtern, denn das Thema hat es schon verdient. Mein Eindruck ist, dass wir auch im bundesweiten Vergleich unter den Bundesländern mit dieser Fachkräftestrategie, eben weil sie eine gemeinsame Strategie der Stadt ist, gut dastehen und auch Erfolg haben werden. – Vielen Dank.