Protokoll der Sitzung vom 27.11.2013

Herr Präsident, meine Damen und Herren! CDU, GRÜNE und SPD haben sich auf eine Verankerung der Sperrklausel von 5 Prozent für die Bürgerschaft und 3 Prozent für die Bezirksversammlungen verständigt. Das ist die logische Fortführung des Wahlrechtskompromisses von 2009 und deshalb auf keinen Fall hektisch und unüberlegt, wie die FDP uns heute allen unterstellt.

(Beifall bei der SPD, der CDU und bei Jens Kerstan und Farid Müller, beide GRÜNE)

Das Hamburgische Verfassungsgericht hat uns diesen Weg aufgezeigt. Berlin hat die Sperrklauseln in die Verfassung aufgenommen, und der Berliner Verfassungsgerichtshof hat die Verfassungsmäßigkeit kürzlich bestätigt. Das ist aber natürlich kein Hamburger oder Berliner Alleingang. Viele Bundesländer haben Sperrklauseln in der Verfassung, so zum Beispiel Bremen, Bayern, Niedersachsen, Thüringen. Und die Kolleginnen und Kollegen in Nordrhein-Westfalen haben sich nach unserer gemeinsamen Pressekonferenz vorige Woche danach erkundigt, wie wir diesen Weg gegangen sind. Dieser Antrag ist deshalb ausdrücklich keine Missachtung des Urteils des Hamburgischen Verfassungsgerichts.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Die Sperrklausel von 3 Prozent für die Bezirksversammlungswahlen ist in unseren Augen in einer Höhe angesetzt, die dem Grundsatz der Wahlgerechtigkeit und der Chancengleichheit aller Parteien, insbesondere der kleinen Parteien, angemessen Rechnung trägt. Wir wollen die Funktions- und Handlungsfähigkeit der Bezirksversammlungen absichern, indem sie in wichtigen Politikfeldern in dieser Stadt selbstständig entscheiden können. Bezirksversammlungen sind keine Spielwiese, kein Politiksimulationsbetrieb, und sie sind auch nicht sozusagen unsere Vorschulklasse zur Vorbereitung auf die große Politik.

(Beifall bei der SPD, der CDU und bei Jens Kerstan und Farid Müller, beide GRÜNE)

Auch wenn wir das in den vergangenen Diskussionen schon öfter gesagt haben, will ich es noch einmal wiederholen: Ohne Bezirksversammlungen und ihre Entscheidungskompetenzen gibt es keine Jugendhilfepolitik, gibt es keine Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in den Bezirken und auch keine Wohnungsbaupolitik.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Um all diese Politikfelder für die Bezirksversammlungen funktionsfähig zu halten und vor Zersplitte

rung zu schützen, ist die Drei-Prozent-Sperrklausel gedacht. Der Bundestag hat im Übrigen eine DreiProzent-Klausel für die Europawahlen auch beraten, und dabei hat die FDP mitgemacht.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Wir nicht!)

Zur Frage "Warum erst jetzt?", die uns öfter gestellt wird, können wir sagen, dass wir das Urteil aus Berlin ausgewertet haben. Es hat zudem zahlreiche Äußerungen aus den Bezirksversammlungen gegeben. Das alles hat zehn Monate gedauert und wird rechtzeitig und in angemessenem Abstand zu den Bezirksversammlungs- und Europawahlen im Mai 2014 beraten.

Zur Frage "Werden demokratische Beteiligungsmöglichkeiten eingeschränkt?" können wir eindeutig sagen: Nein. Bei einem Ranking des Vereins "Mehr Demokratie" – und die sind in vielen Bereichen sehr unverdächtig – steht Hamburg eindeutig auf Platz 1. Wir haben bezirkliche Bürgerentscheide, und wir haben mit dem Volksabstimmungsgesetz und auch mit dem Transparenzgesetz vielfältige und verbindliche Möglichkeiten für direkte Demokratie. Aber – dieser Hinweis ist mir in diesem Zusammenhang auch besonders wichtig – überall dort, wo es eine starke direkte Demokratie gibt, muss es auch eine funktionsfähige repräsentative Demokratie geben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und den GRÜNEN)

Eins geht nicht ohne das andere. Im Verfassungsausschuss wird es am 3. Dezember eine Sachverständigenanhörung geben, zu der wir Vertreter der Bezirke, Vertreter von "Mehr Demokratie" und natürlich auch Juristen eingeladen haben. Die zweite Lesung zu diesem Gesetz, das wir heute in erster Lesung beschließen werden, wird, wie üblich, in 14 Tagen stattfinden.

Zum Schluss möchte ich noch zwei Bemerkungen zu der FDP-Presseerklärung von heute machen; das muss man einfach. Ich kann Ihre Ängste vor der Drei-Prozent-Hürde sehr gut verstehen. Das ist die erste Bemerkung. In diesem Zusammenhang aber von Trickserei und Skandal zu reden, ist wirklich völlig unangemessen und wird auf Sie in dieser Debatte zurückfallen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Duden. – Das Wort hat Herr Trepoll.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich beginne meine Rede mit einem Zitat von Gerhard Schröder.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg)

Er sagte:

"Ein Wahlgesetz hat nicht nur die Aufgabe, die wichtigen Vorgänge einer Wahl zu regeln. Es hat vielmehr die Aufgabe, einer dem Bestand und der Entwicklung der parlamentarisch-demokratischen Ordnung gefährlichen Zersplitterung zu begegnen."

Das sagte nicht der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, sondern der CDU-Wahlrechtsexperte Gerhard Schröder 1953 im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der CDU – Heiterkeit bei der SPD)

Er war von 1949 bis 1980 Bundestagsabgeordneter, Verteidigungs-, Innen- und Außenminister und gilt als Vater der Fünf-Prozent-Hürde. Ich finde, seine Aussage vor 60 Jahren hat nichts von ihrer Bedeutung verloren. Es ist daher völlig richtig, dass sich SPD, CDU und GRÜNE in den vergangenen Monaten intensiv Gedanken darüber gemacht haben, wie wir eine mögliche kleinteilige Zersplitterung der Parlamente, einhergehend mit einer Funktionsstörung der Bürgerschaft und der Bezirksparlamente, abmildern können.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Zehn-Pro- zent-Hürde!)

Worum geht es eigentlich genau? Es handelt sich bei der Sperrklausel um eine Abwägung zwischen der Gleichgewichtung einer jeden abgegebenen Wahlstimme und eben der Arbeitsfähigkeit der Parlamente. Denn je größer die Zersplitterung, also die Anzahl von Kleinstgruppierungen und Einzelbewerbern in einem Parlament ist, desto schwieriger wird die Mehrheitsbildung und damit die Entscheidungsfindung. Einzelbewerber und Kleinstgruppen haben zum Beispiel kein Stimmrecht in den Ausschüssen, sodass die Entscheidungen der Ausschüsse allesamt wiederholt im Plenum diskutiert und abgestimmt werden müssten – ein Weg, der die Arbeitsfähigkeit eines Parlaments nachhaltig negativ beeinflusst.

Meine Damen und Herren! Wahlen sind kein Selbstzweck und ergeben noch keine funktionierende Demokratie. Nach einer Wahl sollten Mehrheitsbildungen für eine Regierung möglich sein. Dass dies schon heute nicht immer ganz leicht ist, kann man derzeit auf Bundesebene beobachten, wo es einige Wochen gedauert hat, bis man zusammen arbeiten konnte.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das ist ein schlagen- des Argument!)

Jedoch sollte man diese Mehrheitsbildungen nicht noch weiter erschweren. Wir haben diese Abwägung in den vergangenen Monaten vorgenommen und schlagen daher vor, die Sperrklausel für die Bezirksversammlungen auf behutsame 3 Prozent und die der Bürgerschaft wie bisher auf 5 Prozent

in der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg zu verankern.

Meine Damen und Herren! Auch für die Bezirksversammlungen galt bisher eine Sperrklausel von 3 Prozent. Im Rahmen des Wahlkompromisses zwischen den Fraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft und "Mehr Demokratie" wurde sich unter anderem gemeinsam auf eine Drei-Prozent-Sperrklausel für die Bezirksversammlungswahlen geeinigt. Diese Sperrklausel wurde daraufhin in das Gesetz über die Wahl zu den Bezirksversammlungen aufgenommen. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat diese Klausel aber verworfen und dem Parlament die Möglichkeit eingeräumt, eine erkennbare Funktionsstörung der Bezirksversammlungen im Nachhinein mit einer Sperrklausel zu korrigieren. Die Begründung des Hamburgischen Verfassungsgerichts, dass eine Funktionsbeeinträchtigung der Bezirksversammlungen keine großen Auswirkungen hätte, da der Senat per Globalanweisung und ähnlichen Evokationen dem entgegenwirken kann, teilen wir ausdrücklich nicht. Wir werden nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dabei ist für uns hilfreich, dass das Berliner Verfassungsgericht die in der Berliner Verfassung verankerte Drei-Prozent-Sperrklausel für die Berliner Bezirksverordnetenversammlung hingegen gerade erst bestätigt hat.

Meine Damen und Herren! Frau Duden hat es gesagt. Unsere Bezirke sind keine Spiel- und Experimentierwiesen. In den Bezirken wird Politik nah am Menschen gestaltet. Die Bezirke sind in den vergangenen Jahren, insbesondere unter dem alleinregierenden CDU-Senat nach der letzten Bezirksverwaltungsreform im Jahre 2006, entschieden in ihrer Kompetenz gestärkt worden. Auch wenn es unter dem jetzigen Senat an der einen oder anderen Stelle bei den Entscheidungskompetenzen für die Bezirkspolitik etwas hapert, so bleibt es dabei, dass sie wichtige Aufgaben hat. Ausdruck davon ist zum Beispiel auch die Wahl des Bezirksamtsleiters, auch wenn er dann noch vom Senat ernannt werden muss. In den Kommunen der Flächenländer wählen die Parlamente in der Regel nicht den sogenannten Regierungschef, den Bürgermeister oder den Landrat. Deshalb haben die Bezirksversammlungen bei uns schon eine starke Stellung. Einer Zersplitterung der Bezirksversammlung mit einem Schwerpunkt von Partikularinteressen und einer damit erwartbaren Funktionsstörung möchten wir daher nicht tatenlos zusehen. Diesmal kommt noch hinzu, dass die Wahlen zu den Bezirksversammlungen erstmalig zusammen mit der Europawahl durchgeführt werden und für einen Zeitraum von fünf Jahren gelten. Bisher ist nicht absehbar, wie sich dieser Schritt auf die Wahlbeteiligung auswirken wird. Es bleibt aber zu befürchten, dass diese weiter abnehmen wird. Dieses kann dann gemeinsam mit dem Fehlen einer Sperrklausel für ganze fünf lange Jahre unangenehme Folgen für

die Bezirkspolitik haben. Wir haben uns daher entschieden, nicht zu warten, bis eine Zersplitterung möglicherweise eintritt, sondern stellen jetzt diesen Antrag auf Verfassungsänderung, um vorausschauend, aber maßvoll zu handeln.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Die Kritik von "Mehr Demokratie" in diesem Zusammenhang finde ich mehr als ärgerlich. In der Demokratie steht man zu den gemeinsam gefundenen Kompromissen. "Mehr Demokratie" fordert das ständig von anderen ein, fühlt sich aber selbst anscheinend nicht daran gebunden. Die Drei-Prozent-Sperrklausel war ein, wie bereits gesagt, gemeinsam mit "Mehr Demokratie" gefundener Beschluss.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Aber das hat ja das Gericht gekippt!)

Daher sollte die Kritik an dieser Stelle besser unterbleiben. Alles andere wäre aus meiner Sicht unglaubhaft. Die Aussagen der FDP sind natürlich sehr gewagt. Das ist keine neue Diskussion, sondern eine, die wir schon lange geführt haben; es ist auch keine unbekannte Diskussion. Wir sollten nicht so tun, als ob wir die Demokratie damit abschaffen würden. Ich will nur darauf hinweisen, dass sogar ein Mehrheitswahlrecht völlig in Ordnung wäre in unserem Land, und davon sind wir doch weit entfernt. Ich glaube, das ist der Preis, den wir für die Verhältniswahl zahlen müssen, damit wir eben keine Zersplitterung und Zerfaserung in unseren Parlamenten erleben.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Hamburg ist nicht Weimar, aber die Hamburger Bezirke brauchen diese kleine Hürde, um im Sinne des Gemeinwohls vernünftig arbeiten zu können. Das ist unsere tiefe Überzeugung. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Trepoll. – Das Wort hat Herr Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gleich mit dem Mehrheitswahlrecht drohen, Herr Trepoll, würden wir nicht so gern.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das war eine Feststellung!)

Dennoch möchte ich gern etwas dazu sagen. Ich glaube, in diesem Hause weiß keine andere Fraktion als die GRÜNE diesen Wahlrechtskompromiss von 2009 so sehr zu schätzen. Wir haben damals damit abgeschlossen, das Wahlrecht zum Spielball

verschiedener Mehrheiten zu machen; das war auch alles vor dem Verfassungsgericht. Letztlich haben wir damit auch nicht stehen lassen wollen, dass damals noch ein Volksentscheid gekippt werden konnte. Das haben wir noch im Hinterkopf. Wir GRÜNEN haben deswegen den Wert eines solchen Kompromisses bei den Grundlagen der Demokratie – das ist nun einmal das Wahlrecht – als sehr hoch eingeschätzt und halten auch, was das betrifft, daran fest.

Seit Anfang des Jahres haben wir eine neue Situation. Im Wahlrechtskompromiss haben wir zum einen mit den Stimmen der LINKEN und "Mehr Demokratie" damals eine moderate Sperrklausel von 3 Prozent festgelegt, aber es ist auch festgelegt worden, dass erstmals die Bezirksversammlungswahlen von den Bürgerschaftswahlen abgetrennt werden sollen, dass sie nicht mehr in deren Windschatten stattfinden, sondern neben der Europawahl ein eigenes Gesicht der Kommunalpolitik in dieser Stadt bekommen sollen. Nächstes Jahr ist die Premiere.

Wir GRÜNE haben nun auch die durchaus reale Gefahr gesehen, dass diese Premiere zur Stärkung der Kommunalpolitik in Hamburg schiefgehen kann. Das hat damit zu tun, dass das Verfassungsgericht Anfang des Jahres eine Säule des Kompromisses, die Drei-Prozent-Hürde, gesetzlich gekippt hat. Wir stehen nun vor der Situation, dass wir auf der einen Seite die Möglichkeit einer Sperrklausel gesetzlich nicht mehr haben, auf der anderen Seite aber eine Bezirksversammlungswahl mit der Europawahl gekoppelt haben und wir davon ausgehen müssen, dass die Wahlbeteiligung nicht ganz so hoch sein wird wie bei der Bürgerschaftswahl. Beides zusammen schafft eine Situation, die diesen Effekt, den Wegfall einer moderaten Sperrklausel, noch einmal erhöht und verdoppelt. Der Landeswahlleiter hatte uns im Verfassungsausschuss im Frühsommer ein Papier gegeben, in dem er darlegt, wie es denn ohne Sperrklausel aussähe. Dort konnten wir nachlesen, dass in Hamburg-Mitte schon 1 Prozent für ein Mandat ausreicht, in Wandsbek sogar nur 0,67 Prozent – und das bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent in Wandsbek und in Hamburg-Mitte von nur 44 Prozent. Nun kann man sich vorstellen, dass bei einer niedrigeren Wahlbeteiligung dieser Effekt, der Wegfall der Sperrklausel, auch bei wenigen Stimmen die Chancen auf ein Mandat um einiges erhöht. Unterm Strich heißt das, die Chancen für eine Zersplitterung der Bezirksversammlungen in sehr viele Einzelbewerber und Kleinstparteien sind damit sehr hoch. Ist es nun weniger Demokratie, wenn wir das nicht wollen?

(Christiane Schneider DIE LINKE: Ja!)

Ich sage: Nein. Wir haben nämlich im Wahlrechtskompromiss auch vereinbart, dass es kleinere Wahlkreise gibt. Natürlich braucht man in diesen