Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

Aber der Senat muss sich darauf einstellen, dass es eine höhere Zahl sein wird. Schauen Sie sich die Flüchtlinge an, die jeden Tag am Hauptbahnhof ankommen, daran wird es doch schon deutlich. Schauen Sie sich die Situation auf der Welt an. Ein Blick nach Syrien, ein Blick nach Irak, ein Blick in die Türkei zeigt doch, dass sich die Zahlen noch einmal steigern werden. Darauf müssen Sie sich einstellen

(Beifall bei der LINKEN)

und nicht jedes Mal so tun, als seien Sie von der Situation völlig überrascht worden.

Wir sind alle sehr beeindruckt von der Hilfsbereitschaft und der Solidarität in dieser Stadt; das sehen wir tagtäglich. Aber wir haben die Situation, dass viele Ehrenamtliche schon staatliche Aufgaben übernehmen, und nicht das tun, was Ehrenamtliche eigentlich tun sollten, nämlich zusätzliche Aufgaben übernehmen. Hier setzen Sie wieder einmal das Ehrenamt mit hauptamtlichen Tätigkeiten gleich, und das können Sie nicht weiterhin so machen. Denn wenn Sie jetzt wegschauen …

(Farid Müller GRÜNE: Wir schauen doch nicht weg!)

Doch, Sie schauen weg.

(Hansjörg Schmidt SPD: Das ist eine Unver- schämtheit!)

Sehen Sie sich doch die Situation am Hauptbahnhof an. Dort stehen Ehrenamtliche, die bis zu 12 Stunden am Tag arbeiten, und niemand hilft mit. Das sind staatliche Aufgaben. Das wird alles durch Spenden finanziert, und wenn Sie so weitermachen, dann können diese Strukturen zusammenbrechen.

Wissen Sie überhaupt, was das für die Stimmung in dieser Stadt bedeutet? Nein? Dann machen Sie sich anscheinend keine Gedanken. Oder haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, Räume am Hauptbahnhof zur Verfügung zu stellen, weil Menschen dort ankommen, weil sie frieren und einen warmen Unterschlupf brauchen? Nein, das haben sie anscheinend nicht.

(Kazim Abaci SPD: Doch!)

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ist heute alles beim NDR nachzulesen!)

Klar ist, dass in allen gesellschaftlichen Bereichen umgesteuert werden muss, von der Schule über die Kita bis hin zum Thema Wohnen.

(Farid Müller GRÜNE: Steht alles in der Drucksache!)

Hier stellt sich für uns die Frage, wie Sie eigentlich langfristig mit Ihrem Drittelmix die Integration von Flüchtlingen in gesicherte Wohnverhältnisse schaffen möchten. Wie wollen Sie das in den nächsten fünf bis zehn Jahren hinbekommen?

Eines möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Es gibt viel Bereitschaft in der Stadt. Sie sollten zum Beispiel auf Privatvermieter zugehen. Ich bin von Menschen angesprochen worden, die gesagt haben, ich habe Wohnraum, den ich gern an Flüchtlinge vermieten möchte.

(Jan Quast SPD: Dann vermitteln Sie mal!)

Hier ist Potenzial. Sie müssen nur die Initiative ergreifen und auf diese Menschen zugehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Davon haben wir leider bis jetzt nichts gesehen.

Sie müssen auch auf die Wohlfahrtsverbände und die Migrantenselbstorganisationen zugehen und mit ihnen auf Augenhöhe sprechen. Auch das hat noch nicht stattgefunden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das haben wir doch gerade in der letzten Sitzung bespro- chen und mit euch beschlossen!)

Auf Augenhöhe eben nicht, Herr Dressel.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Dres- sel SPD: In der letzten Sitzung haben wir das hier beschlossen!)

Wir werden uns enthalten, weil wir die in der Drucksache aufgeführte Art der Finanzierung nicht mittragen können. In den Bereichen Arbeitsmarkt, RISE und Hilfe zur Pflege gibt es Umschichtungen, die wir nicht akzeptieren können. Deshalb haben wir alternativ den Antrag gestellt, das Finanzrahmengesetz zu ändern und auf die Steuermehreinnahmen und Haushaltsüberschüsse zuzugreifen. Denn wenn wir von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe sprechen, dann bedeutet das, dass auch die Allgemeinheit die Kosten tragen muss, und eben nicht diejenigen, bei denen man nicht kürzen sollte. Und so muss man es auch sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein letzter Satz noch zur CDU, weil ich gestern so erschüttert war über Nikolaus Haufler. Es waren nicht Sie als Fraktion, die ihn in die Sendung geschickt haben, aber Ihr Antrag – dem wir nicht zustimmen werden – hat deutlich gemacht, dass Ihre Position fast die gleiche ist. Darauf, die Abschiebehaft zu stärken, muss man erst einmal kommen. Ich war, ehrlich gesagt, so baff, dass ich erst ein

mal in einer Bibel nachgeschaut habe, was laut ihr Fluchtursachen sind:

(Dirk Nockemann AfD: Sie sollten mal ins Gesetz gucken und nicht in die Bibel!)

Armut, Krieg, Verfolgung, Hunger. Und dann spricht man von christlicher Nächstenliebe. Schauen Sie sich die Solidarität innerhalb der Gesellschaft an, das ist Nächstenliebe, die in die Praxis umgesetzt wird, und schneiden Sie sich eine Scheibe davon ab.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel GRÜNE und Nebahat Güçlü fraktions- los)

Vielen Dank, Frau Özdemir. – Das Wort hat Frau Suding von der FDP-Fraktion.

Herr Senator, begehren Sie sofort das Wort? Das Recht hätten Sie laut Verfassung. – Nein? – Dann bitte, Frau Suding.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir stehen vor einer gewaltigen politischen Herausforderung. Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, steigt stetig. Wohl mehr als 800 000, vielleicht 1 Million strömen in diesem Jahr in unser Land, viele Tausend davon auch nach Hamburg, und es ist nicht zu erwarten, dass sich Krieg und Unterdrückung, Hungersnöte und Perspektivlosigkeit in den Heimatländern bald verflüchtigen. Wir müssen also auch 2016 und darüber hinaus mit dem Anhalten dieses Zustroms rechnen. Alles andere wäre unrealistisch.

Wir meinen, Hamburg ist stark genug, um eine humanitäre Herausforderung dieser Größenordnung zu bewältigen.

(Beifall bei der FDP)

Dafür muss der Senat aber endlich entschlossen handeln und auch auf Bundesebene, wenn nicht sogar auf europäischer Ebene für die richtigen Weichenstellungen sorgen.

Wir haben uns als Fraktion sehr intensiv mit den vom Senat vorgelegten Drucksachen beschäftigt, die heute zur Debatte angemeldet sind. Wir kritisieren nicht in erster Linie, dass der Senat uns vor dem Hintergrund erheblicher Unsicherheiten heute noch nicht detailliert sagen kann, wo und wie genau die zusätzlichen Millionen ausgegeben werden. Was uns aber besorgt, sind wesentliche Teile der geplanten Gegenfinanzierung, und zwar insbesondere die Absenkung der geplanten Zinsaufwendungen. Das sind 100 Millionen Euro in diesem Jahr und sogar 140 Millionen Euro im nächsten Jahr, und das sind wahrlich keine Peanuts. Ich möchte dazu in Erinnerung rufen, dass der Zinstitel zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung be

reits im vergangenen Jahr um 100 Millionen Euro abgesenkt wurde, von 931 Millionen Euro auf 830 Millionen Euro, und in den letzten Haushaltsberatungen wurde der Titel dann noch weiter abgesenkt. Jetzt senkt der Senat den Zinstitel erneut ab, und zwar auf 629 Millionen Euro in 2015. Das sind ganze 300 Millionen Euro weniger als ursprünglich für das vergangene Jahr geplant. Damit, und das ist besorgniserregend, liegen die geplanten Zinsausgaben sogar noch 70 Millionen Euro unterhalb der Ausgaben, die 2014 tatsächlich angefallen sind, wie wir dem vorläufigen kameralen Abschluss für das Haushaltsjahr 2014 entnehmen können. Damit ignoriert der Senat die von ihm selbst thematisierten Risiken steigender Zinsen und handelt grob fahrlässig.

(Beifall bei der FDP)

Denn selbst, wenn die Zinsen nur moderat um 1 oder 2 Prozentpunkte ansteigen, dann kostet uns das kurzfristig in nur zwei Jahren zwischen 65 und 130 Millionen Euro. Diese Zahlen habe ich mir nicht ausgedacht, sie stammen aus der Antwort des Senats auf unsere Anfrage in der vorherigen Legislaturperiode, welche Auswirkung die Anhebung des Zinsniveaus auf die Zinsausgaben der Stadt habe. Das ist nachzulesen in der Drucksache 20/1474. Daher ist es fahrlässig, die Mehrbedarfe für die zu uns kommenden Flüchtlinge so wesentlich aus diesem Zinstitel zu finanzieren.

Meine Damen und Herren! Als konstruktive Opposition machen wir Ihnen einen konkreten Alternativvorschlag. Nehmen Sie unsere Anträge aus den letzten Haushaltsberatungen und streichen Sie unsinnige Projekte.

(Jan Quast SPD: Mit Anträgen?)

Allein damit lassen sich 448 Millionen Euro einsparen.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben diese Vorschläge in den letzten Haushaltsberatungen gemacht, weil es unser Ziel ist, auch in schwierigen Situationen wie dieser Ausgabensteigerungen zu verhindern. Natürlich begrüßen wir, dass sich der Senat nun einige unserer Vorschläge zu eigen macht, auch wenn es bedauerlich ist, dass es nur einige wenige sind und dass so viel Zeit verstreichen und erst eine Notsituation eintreten musste, bevor der Senat entsprechend handelt.

Ich möchte drei Vorschläge des Senats nennen, die wir für richtig halten, beziehungsweise von denen wir meinen, dass sie in die es richtige Richtung weisen. Das ist erstens die Umschichtung von 11 Millionen Euro aus dem Busbeschleunigungsprogramm. Allerdings gehen unsere Vorschläge natürlich weit darüber hinaus; bei dem unsinnigen Busbeschleunigungsprogramm hätten insgesamt bis zu 260 Millionen Euro eingespart werden kön

(Cansu Özdemir)

nen. Zweitens finden wir die Erhöhung der Ansätze der Erlöse der Justizbehörde richtig. Das hat die FDP bereits mit einem entsprechenden Haushaltsantrag im vergangenen Jahr deutlich gemacht. Es ist vernünftig, die zusätzlichen 10 Millionen Euro nun auf diese Weise zu verwenden. Und drittens freuen wir uns, dass der Senat unsere Forderung aufgenommen hat und die Zuschüsse an die HGV für Beteiligungen der Stadt um 24 Millionen Euro jährlich in den Jahren 2015 und 2016 verringern und zur Deckung der Flüchtlingskosten verwenden will. Was wir aber vermissen, ist die Auseinandersetzung des Senats mit der Frage, wie die längst überfällige Aufgabenkritik und damit der lange angekündigte, notwendige Personalabbau in der Kernverwaltung endlich vorankommen soll. Gerade vor dem Hintergrund der jetzigen Haushaltssituation ist das aktueller denn je, und die beharrliche Weigerung des Senats, auf diesen Feldern tätig zu werden,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir brauchen doch jetzt Personal!)

gefährdet die Handlungsfähigkeit der Stadt und macht uns sehr große Sorgen.