Protokoll der Sitzung vom 30.09.2015

Zum Schluss möchte ich Ihnen sagen, was die Alternativen zu diesem Gesetz sind und welche Er

wartungen die FDP-Fraktion an den Senat hat. Statt eines übers Knie gebrochenen Gesetzesvorhabens hätten wir uns Konzepte des Senats gewünscht, auf welche Weise die Tausenden neuen Mitbürger in das Bildungssystem, in den Arbeitsmarkt und in unsere freiheitlich demokratische Gesellschaft integriert werden sollen. Dazu hören wir von den Senatoren Rabe und Horch erschreckend wenig, nämlich gar nichts. Wir fordern Sie seit über einem Jahr auf, endlich die Beteiligten an einen Tisch zu holen. Verbände, Vereine, Initiativen aus Flüchtlingshilfe, Wohnungswirtschaft und Unternehmen setzen sich mit der Politik an einen Tisch und bündeln ihre Kräfte. Das wäre ein gutes und wichtiges Symbol für die Stadt. Machen Sie das endlich, Herr Bürgermeister, und verstecken Sie sich nicht weiter.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Aufgabe des heute aus dem Amt scheidenden Sozialsenators Scheele wäre gewesen, mit seinen Kollegen aus den Nachbarländern über freien Wohnraum zu verhandeln.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das hat er alles getan!)

Hamburg als flächenmäßig begrenzter Stadtstaat hat mit größeren Problemen bei der Unterbringung zu kämpfen als die umliegenden Flächenländer, aber dafür hatte der Senator offenbar keine Zeit mehr.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Doch, das hat er gemacht mit dem bekannten Ergebnis!)

Die Antwort auf die Flüchtlingskrise darf nicht sein, den Rechtsstaat infrage zu stellen. Wir müssen seine Regeln den Neubürgern, den Flüchtlingen nahebringen, auch durch eine rechtsstaatlich einwandfreie Unterbringung. Das vorliegende Gesetz will das genaue Gegenteil. Wir bitten Sie darum, ihm nicht zuzustimmen. Falls es heute doch beschlossen wird, darf ich Ihnen ankündigen, dass die FDP-Fraktion prüft, ob und wie gegen das Gesetz Klage möglich und erfolgreich ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und vereinzelt bei der AfD)

Vielen Dank, Frau Suding. – Das Wort hat Herr Nockemann für die AfD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, ich beobachte es zunehmend mit einer gewissen Faszination, wie sich bei Ihnen nicht nur die politischen Schwerpunkte verändern, nicht nur das Entscheidungsverhalten, sondern mittlerweile auch die Begrifflichkeiten. Sehr geehrte Frau Möller, Sie sprachen vorhin

(Katja Suding)

von einem Zustrom von Flüchtlingen. Oha. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass Sie diese Begrifflichkeit in den Mund genommen haben. Als wir vor einigen Wochen davon gesprochen haben – mit Blick darauf, was in Deutschland alles passieren kann, mit Blick auf die Flüchtlingsströme, die außerhalb von Europa warten –, waren wir für Sie die Inkarnation des Bösen in diesem Parlament. Jetzt endlich kommt Ihre Einsicht, leider aber zu spät. Das ist auch der Grund dafür, dass wir diese Situation haben. Sämtliche Altparteien haben die Situation in den Flüchtlingslagern und die internationale politische Situation völlig falsch eingeschätzt und sich über Monate, ja sogar über Jahre geweigert, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

Deutschland befindet sich mittlerweile im Ausnahmezustand. In den vergangenen drei Wochen sind über 230 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, teilweise auch in Sonderzügen nach Deutschland geholt worden. Mittlerweile werden sie auch mit Ryanair oder easyJet ohne Visum nach Europa eingeflogen. Die Inkonsistenz der Flüchtlingspolitik dieser Bundesregierung insgesamt – mal Visa ja, mal Visa nein, mal Sachleistung, mal Geldleistung, dann wieder zurück zu Sachleistung, keine konsequente Linie – ist mit eine der Ursachen dafür, dass wir heute vor dieser wirklich üblen und teilweise auch peinlichen Situation stehen.

(Beifall bei der AfD)

Das Verhalten der Bundeskanzlerin ist mehrfach angesprochen worden, allerdings mit einer völlig falschen Bewertung dieses Verhaltens. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion, ohne Rücksprache mit politischen Partnern, ohne Rücksprache und Abstimmung mit den Bundesländern, mit den EUPartnern, wurden plötzlich Grenzen geöffnet, entgegen den Maßgaben des Dubliner Übereinkommens. Sämtliche ausländerrechtlichen Regelungen wurden über Nacht außer Kraft gesetzt. Frau Merkel ist mit verantwortlich für das Asylchaos, das wir zurzeit erleben.

Wir – insbesondere war es der Kollege, der dort vorn sitzt, Herr Dr. Baumann – haben vor einigen Wochen davon gesprochen, wir müssten wieder Grenzkontrollen einführen. Daraufhin hieß es von Ihrer Seite, wir würden damit einen Sprengsatz an Europa legen, und Sie alle würden freie Grenzen wollen. Wenn Frau Merkel heute gegen den Willen vieler europäischer Partnerländer fordert, dass dort Flüchtlinge aufgenommen werden sollen, diese Partnerländer das aber nicht wollen, dann ist das eine Form von moralischem Imperialismus seitens der Frau Merkel,

(Beifall bei der AfD)

der andere europäische Partner überfordert und damit auch zum Sprengsatz für dieses Europa

wird. Der Sprengsatz sind nicht wir, die wir vernünftige Regelungen fordern, sondern das sind die Altparteien.

Frau Merkel hat in dieser Nacht-und-Nebel-Aktion eigentlich sämtliche Erfahrungswerte, über die ein Chefkrisenmanager verfügen sollte, sie hat auch sämtliche Prinzipien, über die ein Bundeskanzler verfügen sollte, über Bord geworfen. Sie hat nämlich nicht Ratio, Vernunft und Verstand obwalten lassen, sich die Folgen ihres Handelns überlegt und darauf Rücksicht genommen, sondern sie hat aus Bauch und Herz entschieden. Das mag der eine oder andere für richtig halten, ich halte es für fehlerhaft, denn sie hat damit eine politische Entwicklung in Gang gesetzt, derer sie jetzt nicht mehr Herr wird. Wenn auf einen deutschen Politiker die Figur des Zauberlehrlings zutrifft, der die Folgen seines Handelns nicht mehr beherrschen kann, dann ist das unsere Bundeskanzlerin.

(Beifall bei der AfD)

Nicht umsonst spricht der bayerische Ministerpräsident von einer der größten politischen Fehlleistungen der letzten Jahre.

(Gerhard Lein SPD: Der nun gerade!)

Ich halte ihn für einen absolut fähigen Mann, jedenfalls fähiger als die Masse der normalen Politiker.

Wenn Herr Neumann davon spricht, dass die innere Sicherheit auf ein tieferes Level kommt, weil auch die Bundespolizei mittlerweile mehrfach Grenzdienste absolvieren muss, dann ist das die eine Sache. Jawohl, der Bereich der inneren Sicherheit leidet. Aber es kommt noch hinzu, dass Tausende, Zehntausende von Personen sich in Deutschland aufhalten, die nicht registriert sind, von denen man gar nicht weiß, was das für Zeitgenossen sind. Teilweise gibt es den Hinweis darauf, dass es sich auch um IS-Terroristen, vielleicht sogar aber auch um Kriegsverbrecher handeln könnte. Dass man einen Zustand schafft für ein Land, in dem es offene, unkontrollierte Grenzen gibt, ist einfach absolut unverantwortlich. Der saarländische Innenminister Bouillon hat davon gesprochen, man könne mittlerweile in NRW oder Baden-Württemberg gar nicht mehr sagen, ob sich dort 200 000 oder 250 000 Flüchtlinge aufhalten. Was ist aus unserem schönen Deutschland nur geworden?

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Foto der Dame gesehen, der man ihre Mietwohnung gekündigt hat; eine nette Dame, der ich durchaus zutraue, dass sie auch in den nächsten Bahnhof rennt und dort Flüchtlinge willkommen heißt. Ist das nun der Dank für die Willkommenskultur, dass man deutsche Bevölkerung aus ihren Wohnungen entmietet?

Hamburg ist als Stadtstaat in dieser Situation natürlich gefordert. Das verkenne ich auch nicht. Ohne den wirklich aufopferungsvollen Einsatz der Verwaltung, zahlreicher freiwilliger Helfer und der Hilfsorganisationen hätten wir mittlerweile nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Bereichen eine humanitäre Katastrophe, wie man sie allgemein nur aus den Ländern der Dritten Welt kennt. Wenn ich mir diese Situation ansehe und dann vergleiche, wie es gestern Abend im Innenausschuss zuging, muss ich sagen, das war eine absolut peinliche Veranstaltung. SPD und CDU haben sich permanent gegenseitig die Verantwortung für die katastrophalen Zustände zugespielt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Nur die AfD trägt keine Verantwortung!)

Ich stelle fest: Sie sind alle dafür verantwortlich, ausnahmslos, weil Sie permanent die Konsequenzen Ihres Handelns ausblenden und weil Sie immer nur Gutes wollen, am langen Ende aber nie etwas Gutes dabei herauskommt.

(Beifall bei der AfD)

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten alle Maßnahmen zur Absenkung von Standards, zur Veränderung des Baurechts wohlwollend mitgetragen, weil wir gesehen haben, dass man dort etwas machen muss. Wo man vor zehn Jahren hätte Flüchtlinge unterbringen können, kann man sie heute nicht mehr unterbringen. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass Deutschland überreguliert ist. Niemand hat etwas gegen eine vernünftige Regulierung – deswegen kommen viele Flüchtlinge auch hierher, weil wir sicher sind und weil wir geordnete Zustände haben –, aber es ist doch ein Treppenwitz der Geschichte, dass man dort, wo man vor zehn Jahren Flüchtlinge unterbringen konnte, sie heute nicht mehr unterbringen kann, weil man sagt, da stimmen irgendwelche gesetzlichen Vorgaben nicht mehr. War es damals wirklich alles so verkehrt? War es damals alles unwürdig mit der Unterbringung?

(Jörg Hamann CDU: Damals war nicht alles schlecht! – Heiterkeit im Plenum)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem Grundrechte, insbesondere Artikel 13 und 14, eingeschränkt werden, überschreiten Sie tatsächlich eine rote Linie. Sie gehen ans Eingemachte. Man hat mittlerweile die Angst und die Befürchtung, dass Sie in dieser Hinsicht überhaupt keinen Halt mehr kennen, dass sozusagen alles, was Ihnen bei Ihrem Unterbringungsvorhaben im Wege steht, rechtlich einfach dem Boden gleichgemacht wird. Dieses Verfahren, mit dem Sie das Gesetz durchboxen, ist ein ziemlich einmaliger Vorgang. Ich habe gestern im Innenausschuss verschiedene Äußerungen von Ihnen gehört, die mich wirklich daran zweifeln lassen, ob das, was man Grundrechte nennt, bei der SPD und den GRÜNEN so richtig zu

Hause ist oder ob Sie da nicht vielmehr ein bisschen Nachhilfe brauchen.

Herr Tjarks, gerade sagten Sie, es gäbe kein Grundrecht auf Eigentum an leeren Hallen – Entschuldigung, Sie haben gesagt, auf Besitz an leeren Hallen. Dass Sie Besitz sagten, rechne ich der Tatsache zu, dass Sie kein Jurist sind, es heißt eigentlich Eigentum. Doch ich muss Sie korrigieren: Es gibt ein Grundrecht auf Eigentum, auch an leeren Hallen.

(Zuruf aus dem Plenum: Aber er hat ja Be- sitz gesagt!)

Aber er meinte Eigentum.

(Zurufe aus dem Plenum)

Dann ist gestern auf eine Aussage von Karl-Heinz Warnholz hin gesagt worden, es ginge nur um schnöden Verdienst. Nein, es geht nicht um Verdienst, es geht in der Tat um das Grundrecht auf Eigentum, und das verkennen Sie.

Es ist eine weitere absurde Äußerung gemacht worden, in der Art, wir sollten das doch nicht so hoch hängen mit dem Begriff Grundrechtseinschränkung, das gesamte Polizeirecht sei im Prinzip eine Grundrechtseinschränkung.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Sie sind doch sonst auch für die Ausweitung des Polizei- rechts!)

Auch dabei verkennt man, dass das normale Polizeirecht sich an den Störer wendet und nicht an einen unbeteiligten Dritten, den man für staatliches Versagen in Anspruch nimmt.

(Beifall bei der AfD)

Wenn ich in Rechte Dritter eingreife, wenn ich Grundrechte Dritter beschränke, dann kann ich das nur machen, wenn es wirklich das absolut letzte Mittel ist. Die SPD sagt, sie stünde unter Zeitdruck und die Zahlen des BAMF stimmten schon lange nicht mehr. Das war aber allen Beteiligten klar. Es gab schon im Frühjahr Schätzungen seitens der Bundespolizei, die darauf hingewiesen haben, dass die Zahl von 300 000 Flüchtlingen in diesem Jahr bereits damals Makulatur war und dass man mindestens mit 600 000, 700 000 hätte rechnen müssen. Und das, liebe verehrte Kollegen von RotGrün, haben Sie einfach schleifen lassen, fahrlässig schleifen lassen. Sie haben sich gegen diese Erkenntnis gewendet. Sie haben nichts unternommen. Und heute kommen Sie her und sagen, weil die Zeit dränge, müssten jetzt Grundrechte eingeschränkt werden. Das ist in meinen Augen völlig unverhältnismäßig.

Noch einmal zurück zum Grundgedanken, dass es das allerletzte Mittel sein muss, in Rechte Dritter einzugreifen.

(Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Meine Damen und Herren! Nur Herr Nockemann redet.

Ja, auch wenn das dem einen oder anderen nicht gefällt.

Wir haben in Hamburg über 27 Jahre Wohnschiffe für die Unterbringung von Flüchtlingen gehabt. Ich will gar nicht behaupten, dass das alles ein optimaler Zustand gewesen ist; ich habe selbst in meiner Zeit in 2002/2003 erlebt, dass es auch manche fürchterliche Entwicklung gegeben hat. Aber noch einmal: Wir müssen doch abwägen zwischen dem Komfort der Unterbringung auf der einen und dem Eingriff in Grundrechte auf der anderen Seite.

(Nebahat Güçlü fraktionslos: Was ist die Al- ternative?)