Protokoll der Sitzung vom 30.09.2015

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU und der AfD)

In einer solchen Situation, liebe FDP und CDU, befindet sich die Stadt momentan.

(André Trepoll CDU: Nein!)

Deshalb halte ich es für unverantwortlich, zu sagen, man wolle den Leerstand nicht nutzen, weil sich dann Wirtschaft oder Industrie nicht entwickeln können.

(Michael Kruse FDP: Das hat doch über- haupt niemand gesagt!)

Doch, das haben Sie gestern im Ausschuss gesagt, und ich finde dieses Zeichen wirklich fatal,

(Beifall bei der LINKEN)

auch gegenüber der Zivilgesellschaft, die hier konkrete Vorschläge macht.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Özdemir. – Das Wort hat Frau Suding von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Heute überschreitet Rot-Grün eine rote Linie, die in dieser Form in den vergangenen Jahrzehnten noch nie überschritten wurde.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist die rote Linie der Achtung vor Immobilieneigentum. Mit diesem Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung in Privatgebäuden überschreitet Rot-Grün eine rote Linie der rechtsstaatlichen Achtung und des grundgesetzlich festgeschriebenen Respekts vor der Unverletzlichkeit von Haus und Hof.

(Beifall bei der FDP und bei André Trepoll CDU)

Um es gleich vorweg zu sagen, Herr Dressel, dafür gibt es keinen plausiblen Grund. Den haben weder Sie in Ihrer Rede genannt noch Herr Tjarks, der hauptsächlich mit Zahlen um sich geschmissen hat.

(Dr. Monika Schaal SPD: Wenn Sie die Oh- ren aufgemacht hätten, hätten Sie das ge- hört!)

Es ist nämlich schlichtweg falsch, wie Sie uns glauben machen wollen, dass es nur die Alternative zwischen der Unterbringung in Schulsporthallen auf der einen Seite und der Beschlagnahmung privater Gebäude auf der anderen Seite gibt.

(Beifall bei der FDP, bei André Trepoll und Karin Prien, beide CDU – Zuruf von Dr. An- jes Tjarks GRÜNE)

(Cansu Özdemir)

Damit streuen Sie den Hamburgerinnen und Hamburgern Sand in die Augen, und das wissen Sie ganz genau, und das beweise ich Ihnen jetzt auch.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wie Herr Trepoll schon angesprochen hat, saßen wir als Vertreter der Fraktionen vor zwei Wochen mit den Vertretern der muslimischen Verbände zusammen. Sie wollten nämlich wissen, wo und wie sie in der Flüchtlingskrise helfen können. Sie, Herr Dressel, haben dabei darum gebeten, man möge doch Vorschläge für geeignete Unterkünfte machen, was eigentlich überhaupt keine schlechte Idee ist.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Nein, finde ich auch!)

Schlecht ist aber, dass diese Vorschläge von unseren Gesprächspartnern schon vor Monaten gemacht, aber vom Senat ignoriert wurden. Das hat man uns sehr deutlich in dem Gespräch gesagt. Das war natürlich eine sehr unangenehme Situation; das kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber – und das ist das Schlimme – dies ist längst kein Einzelfall. Überall, in der ganzen Stadt, in zahlreichen Gesprächen mit Bürgern unserer Stadt hören wir, dass Leerstand angeboten wurde oder auch noch angeboten wird, der Senat das aber ignoriert.

(Dennis Gladiator CDU: Hört, hört! Das war jetzt ein Beispiel, das hilft uns eine halbe Woche!)

Das zeigt uns ganz eindeutig, dass Sie auch hier schlampig gearbeitet haben, dass der Senat eben noch längst nicht alle Mittel ausgeschöpft hat und dass es sehr wohl eine Alternative zwischen der belegten Schulturnhalle und der Obdachlosigkeit von Flüchtlingen gibt.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Wer einen so gravierenden Eingriff in die Grundrechte der Bürger zulässt, ist auch bereit, andere rote Linien zu überschreiten. Schon deshalb darf dieses Gesetz nicht erlassen werden. Es ist aber auch in jeder anderen Hinsicht völlig inakzeptabel, erstens juristisch, weil Sie damit in unverantwortlicher Weise ins Eigentumsrecht eingreifen, das bekanntlich durch unser Grundgesetz geschützt ist, zweitens politisch, weil Sie mit einer solchen Maßnahme Ressentiments gegen Flüchtlinge und ihre Unterbringung schüren, und drittens auch strategisch, weil das Gesetzesvorhaben die Hilf- und Planlosigkeit des Senats offenbart, die mit dieser drastischen Notmaßnahme offenbar kaschiert werden soll.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Der Senat und die Fraktionen von SPD und GRÜNEN wollen uns jetzt damit beruhigen, dass die Im

mobilienbeschlagnahme gar nicht zur Anwendung kommen soll und wenn doch, dann würden nur gewerbliche, aber keinesfalls private Immobilien beschlagnahmt werden – das habe der Bürgermeister höchstpersönlich zugesichert. Wen wollen Sie denn damit zum Narren halten? In was für einem Land, glauben Sie eigentlich, leben wir? König Olaf gibt sein Wort, und deswegen ist es völlig egal, welche Gesetze erlassen werden und was drinsteht?

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich nehme Ihnen nicht eine Sekunde lang ab, dass Sie hier zwar ein höchst umstrittenes Gesetz schaffen wollen, es aber gar nicht anwenden wollen. Auch Ihre Beteuerung, keine privat genutzten Gebäude zu beschlagnahmen, ist gar nichts wert, wenn das im Gesetz ausdrücklich zugelassen wird. Von einer Unterscheidung zwischen privat und gewerblich genutzten Immobilien steht im Gesetzestext nämlich nichts. Das wäre ja wohl das absolut erwartbare Minimum gewesen in Zeiten, in denen Gemeinden anderswo in Deutschland ihre Mieter nach zehn oder zwanzig Jahren aus ihren Wohnungen kündigen wollen, um dort Flüchtlinge unterzubringen.

(Milan Pein SPD: Aber nicht in Hamburg!)

Das passiert in Deutschland, das ist ein Signal, das Sie ernst nehmen sollten.

(Milan Pein SPD: Aber nicht in Hamburg, Frau Suding!)

Das habe ich auch nicht gesagt.

(Milan Pein SPD: Ja eben, dann nehmen Sie das mal zur Kenntnis!)

In Deutschland und gerade auch in Hamburg erleben wir eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft. Hamburger spenden Kleidung, Spielsachen und Geld. Sie engagieren sich ehrenamtlich, viele von ihnen bis zur Erschöpfung und weit darüber hinaus. Sogar US-Präsident Barack Obama lobte Hamburg dafür vor der UN-Vollversammlung in New York. Aber genau diese Freiwilligkeit, das große Wohlwollen der vielen Hamburgerinnen und Hamburger wird durch Zwangsmaßnahmen, wie Sie sie heute vorschlagen, konterkariert. Doch ohne die ehrenamtliche Hilfe, ohne die vielen Freiwilligen würde das gesamte System der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung binnen kurzer Zeit zusammenbrechen. Sie nehmen gern hin, dass vom Ehrenamt Strukturen geschaffen und aufrechterhalten werden, was eigentlich staatliche Aufgabe wäre. Ich denke – und da spreche ich sicherlich für die meisten im Hause –, dafür sind wir alle auch unglaublich dankbar. Das gibt Ihnen aber noch längst nicht das Recht, diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer nicht diese Hilfsbereitschaft zeigen, die eine leer stehende Immobilie

aus welchen Gründen auch immer nicht an die Stadt vermieten wollen, mit Ihrem neuen Gesetz dazu zu zwingen.

(Beifall bei der FDP, der CDU, bei Karin Prien und Dennis Gladiator, beide CDU)

Damit untergraben Sie das Vertrauen in den Rechtsstaat und in Ihre eigene Handlungsfähigkeit und das erst recht, wenn der schnöde Hintergedanke vielleicht nur ein finanzieller ist. Schließlich können Sie karge Entschädigungen viel günstiger haben als frei ausgehandelte Mieten.

Ich möchte noch ein paar Worte zum parlamentarischen Verfahren sagen. Das Schnellverfahren, mit dem Sie heute einen solch grundlegenden Eingriff in unsere Eigentumsrechte durchpeitschen wollen, ist eine absolute Zumutung. Herr Dressel, mir ist es wirklich absolut schleierhaft, wenn Sie da von Verzögerung der Opposition sprechen. Das ist wirklich ein Witz.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vor gerade einer Woche haben die Abgeordneten dieses Hauses das erste Mal davon gehört, aber nicht einmal über eine ordentliche Drucksache, sondern über die Medien. Ausgewählte Journalisten wurden in einem Pressegespräch von Bürgermeister Scholz und Justizsenator Steffen exklusiv informiert. Die Abgeordneten blieben außen vor. Sie erhielten den Senatsantrag, der heute nicht einmal auf der Tagesordnung steht, erst einen Tag später.

(Jörg Hamann CDU: Der König und sein Knappe!)

Den Zusatzantrag von SPD und GRÜNEN, über den wir heute abstimmen werden, bekamen die Abgeordneten der Opposition erst gestern zwei Stunden vor der Sondersitzung des Innenausschusses. Diese wurde mit wenigen Tagen Vorlauf so kurzfristig angesetzt, dass sicherlich längst nicht alle Abgeordneten, die sich gern informiert hätten, daran teilnehmen konnten. Ein Protokoll zum Nachlesen kann in der Kürze der Zeit natürlich noch nicht vorliegen. Es gibt Momente, in denen man von einer Sternstunde des Parlaments spricht. Heute erleben wir genau das Gegenteil: Wir erleben einen Tiefpunkt parlamentarischer Unkultur, von Rot-Grün verschuldet.

(Beifall bei der FDP, der CDU und vereinzelt bei der AfD)

Daher werden wir heute eine zweite Lesung verweigern und haben eine namentliche Abstimmung beantragt. Hier kann und darf sich keine Abgeordnete, kein Abgeordneter aus der Verantwortung ziehen.

(Farid Müller GRÜNE: Keine Sorge!)