Wir haben bisher der Anwendung des SOG zugestimmt. Angesichts der schnell wachsenden Zahl von Geflüchteten mussten kurzfristige Entscheidungen über Unterbringungsmöglichkeiten getroffen werden, um Obdachlosigkeit zu vermeiden – da haben Sie recht. Jetzt aber geht es um Entscheidungen für Jahrzehnte. Es geht um die Frage – und hier gebrauche ich den Begriff Getto –, ob wir die Bildung von Gettos in Kauf nehmen oder ob es realistische Alternativen gibt.
Es geht um die Frage, ob es die Möglichkeit dezentraler Unterbringung gibt und wie eine solche realisiert werden kann. An einer so grundlegenden Entscheidung sind die Bezirke und die betroffenen Stadtteile und natürlich auch die Bürgerschaft zu beteiligen. Wenn Sie in Ihrem ersten Entwurf des Zusatzantrags, den Sie dann Gott sei Dank verbessert haben, davon reden, dass die zuständigen Behörden keinen Basar über das Ob und die Größe von Unterkünften aufmachen könnten, dann spricht das Bände über Ihr Verhältnis zu demokratischen Beteiligungsverfahren.
Dann spricht das Bände über Ihr Verständnis oder Unverständnis der Frage, wie und von wem eigentlich die Arbeit der Integration geleistet wird. Die Einwände aus den Nachbarschaften der geplanten Großunterkünfte sind, zugegeben, vielschichtig. Natürlich gibt es wie überall in der Stadt auch Ressentiments gegen Geflüchtete; Hamburg ist keine Insel der Glückseligen. Es gibt die Angst, dass Flüchtlingsunterkünfte den Wert der Immobilien senken, und es gibt viele andere Ängste. Es gibt aber eben auch die von Verantwortung getragene
Kritik, dass die Konzentration von 4 000 und mehr Geflüchteten zur Bildung von Gettos führt. Durch Ihren konfrontativen Kurs verspielen Sie die breite Zustimmung. Sie laufen Gefahr, Menschen nach rechts zu treiben und Ablehnung zu erzeugen, die sich im Endeffekt natürlich gegen die Geflüchteten richtet. Und außerdem erzeugen Sie eine große Klagewelle.
Wir teilen die Kritik an der absehbaren Gettobildung. Die Gefahr liegt nicht nur in der Größe. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Großunterkünfte am Stadtrand entstehen. Das macht es den Geflüchteten extrem schwer, in dieser Stadt anzukommen. Wir wollen eine dezentrale Unterbringung.
Jetzt schreit ihr alle wieder laut. Wir hatten einen langen Antrag, den ihr abgelehnt und hinterher einige Punkte umgesetzt habt. Jetzt hört doch einfach einmal zu, vielleicht verständigen wir uns.
Wir wollen, dass die Geflüchteten inmitten der Stadtgesellschaft leben können und nicht an ihren Rand gedrängt und abgesondert werden. Das ist kurzfristig schwieriger zu bewerkstelligen, zugegeben, und teurer als die Errichtung von Großsiedlungen. Aber mittel- und langfristig sind vor allem die sozialen Kosten sehr viel niedriger.
Grundsätzlich, um das auch einmal zu sagen, erkennen wir an, dass der Senat nun von Zahlen ausgeht, die nach heutigem Ermessen realistisch erscheinen. Wenn der Mittlere Osten nicht ganz in Flammen aufgeht, sind diese Zahlen wahrscheinlich realistisch beziehungsweise zu tief gegriffen; das wollen wir alle nicht. Ebenso unterstützen wir, dass der Senat den Bau von Wohnungen und nicht die Errichtung von Container- und Modulbaudörfern plant. Die Idee, Flüchtlingsunterkünfte mit der Perspektive Wohnen zu schaffen, ist unterstützenswert. Sehr kritisch sehen wir aber die geplante dichte Belegung der Unterkünfte, die Konflikte und Gettobildung begünstigt.
Wir konnten leider keine Alternative zu Ihrem Zusatzantrag erarbeiten, weil er erst gestern gekommen ist.
Was nun den Zusatzantrag von Rot-Grün angeht, so liest sich das alles super. 25 Punkte, was will man mehr? Aber meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie haben dort kein einziges Problem,
Es ist wie bei einem Gemälde, das aus der Ferne großartig wirkt, bei dem aber bei näherem Betrachten alle konkreten Einzelheiten durch dicke Pinselstriche übertüncht sind. Es kommt aber auf das Konkrete an.
Statistisch zum Beispiel sind derzeit 27 Prozent der Geflüchteten im Kindesalter. In den von Ihnen geplanten Quartieren werden also viele Hundert Kinder leben. Wie sollen die noch nicht schulpflichtigen Kinder denn konkret in Kitas integriert werden, die bei den meisten Großstandorten am Stadtrand eben nicht dicht gesät sind? Wie wollen Sie konkret verhindern, dass sich naturwüchsig – nicht bewusst und nicht gewollt, aber naturwüchsig – eine Art Apartheidsystem, eine Trennung entwickelt, die das spielerische Zusammenwachsen verhindert?
Ähnlich stellt sich die Situation bei den Schulen dar. Sie haben doch noch nicht einmal die Konsequenzen aus dem Scheitern der Inklusion im Regelsystem gezogen und steuern mit der großen Konzentration von Geflüchteten am Stadtrand auf das nächste Fiasko für die Schulen zu. Ich habe mir die Schulstandorte angesehen. Das wird nicht reichen, um 800 Kinder aufzunehmen.
Das einzig Handfeste an Ihrem Zusatzantrag sind die 1 Million Euro, die jeder Bezirk für die – ich zitiere –
erhalten soll. Gestatten Sie die Frage: Wie weit wollen Sie denn mit dieser 1 Million Euro pro Bezirk kommen?
Wir enthalten uns bei der Abstimmung über die Drucksache 21/2308. Natürlich muss Geld bereitgestellt und auch gesichert werden, aber wir sind nicht damit einverstanden, dass es schon jetzt sichergestellt wird für ein Konzept, das wir in der Bürgerschaft überhaupt nicht erörtert haben. Deswegen werden wir uns enthalten, und wir verspre
chen Ihnen, dass wir Ihnen die Debatte über die anderen Anträge im Ausschuss nicht leicht machen werden.
Ich fange einmal mit dem Haushaltsteil an. Der Senat will 970 Millionen Euro Bürgschaften für sozialen Wohnungsbau. Diese seien notwendig, weil mangels bestehenden Planrechts und nur auf Grundlage des geänderten Paragrafen 246 Baugesetzbuch überhaupt in dieser Form Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden dürfen. Dabei halten Sie es offenbar nicht einmal für notwendig, uns als Bürgerschaft detaillierte Planungen vorzulegen. Aus der Senatsdrucksache geht nicht einmal hervor, wie viele Wohneinheiten an welchem Standort denn nun tatsächlich entstehen sollen, wenige Ausnahmen ausgenommen.
Aber statt sich auf einen Bürgschaftsrahmen für bestehende Projekte zu beschränken, bis Sie mehr Details zu den künftigen Planungen vorlegen können, wollen Sie gleich die volle Milliarde Euro. Weitere Auskünfte im Haushaltsausschuss haben Sie mit fadenscheinigem Verweis auf vermeintliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bedauerlicherweise verweigert.
Meine Damen und Herren auf der Senatsbank! Ihr Unwille zur Auskunft und das parlamentarische Verfahren bieten für uns Freie Demokraten keine Geschäftsgrundlage für das Erteilen einer Milliardengarantie.
Einen solchen Blankoscheck werden wir Ihnen deshalb auch nicht ausstellen. Selbst wenn man über die Form hinwegsehen würde, ist der Inhalt dieses Vorhabens dennoch massiv zu kritisieren. So lange die Grundstücke und Immobilien ohne Planrecht errichtet werden, ist das Risiko des Wertverlusts enorm. Diese Grundstücke und Immobilien sind mangels entsprechender Flächenwidmung nicht ausreichend beleihbar. Der Grundbucheintrag ist damit de facto nicht werthaltig. Nur deshalb sind Bürgschaften in so hohem Ausmaß zur Kompensation erforderlich. Diese Bürgschaften bergen aber auch ein signifikantes Verlustrisiko für
diese Stadt, das Sie offenbar nicht annähernd konkretisieren können. Der Senatsvertreter sprach im Haushaltsausschuss von einer zumindest nicht überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme. Meinen Sie mit einer nicht überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von Bürgschaften ein Ausfallrisiko von 10 Prozent, oder meinen Sie damit ein Ausfallrisiko von 49 Prozent? Das sollten Sie uns doch einmal klar und deutlich darlegen. Allein diese Aussage ist schon ein Grund mehr, diese massive Ausweitung städtischer Bürgschaften abzulehnen. Entweder sind Sie nicht willens, die notwendigen Auskünfte zu erteilen, oder Sie sind schlichtweg nicht fähig. Das vermag ich nicht zu beurteilen, aber beides bereitet uns Grund zur Sorge.
Ich möchte auch auf die soziale und die stadtentwicklungspolitische Dimension dieses Sammelsuriums an Drucksachen zu sprechen kommen. Dabei ist es schon bezeichnend, dass SPD und GRÜNE die Erforderlichkeit sehen, Zusatzanträge im Umfang von insgesamt 20 Seiten zu einem Senatsantrag einzureichen, der nicht einmal halb so umfangreich ist.
Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Meine Damen und Herren! Nur Frau Dutschke redet. Wenn Sie sich unterhalten wollen, machen Sie das bitte draußen. – Bitte, Frau Abgeordnete.