Protokoll der Sitzung vom 11.05.2016

Ich möchte die Debatte nicht unnötig in die Länge ziehen, aber vier Anmerkungen seien gestattet. Erstens: Es ist richtig, dass Hamburg bei den internationalen Vergleichsstudien als Bundesland in der Regel in der unteren Hälfte, häufig im unteren Drittel liegt. Das ist ein Problem, mit dem wir uns ernsthaft auseinandersetzen müssen. Aber, Herr Wolf, was gibt Ihnen die Sicherheit, dass das ein entscheidender Baustein ist? Das Problem unserer vielen Bildungstests ist, dass wir gar nicht genau wissen, was nun eigentlich der Grund dafür ist, dass ein Land vorn und ein Land weniger weit vorn liegt. Deswegen sage ich ganz offen: Vorsicht vor Schnellschüssen. Wir könnten eine ganze Reihe von Verschiedenheiten zu Bayern, aber auch zu Finnland feststellen, aber wir können nie sicher sein, dass es das ist, was zu einem höheren Lernzuwachs führt. Deswegen rate ich zu Vorsicht und nicht dazu zu sagen, die Bayern hätten einen Aufnahmetest, die Bayern seien beim Abitur besser als Hamburg, also brauche man auch einen Aufnahmetest. Es kann viele andere Dinge geben. Hier brauchen wir in der Tat eine seriöse, aber auch vorsichtige Debatte.

(Dr. Bernd Baumann AfD: Wie erklären Sie sich das denn dann?)

Der zweite Punkt ist die Frage, ob es in Bayern dadurch besser läuft. Ich habe schon beim letzten Mal, vor 14 Tagen, hier vorgetragen, dass in München und in Nürnberg mehr Kinder nach Klasse 4 aufs Gymnasium gehen als in Hamburg, weil das dortige Aufnahmesystem mit großer Wucht, wie Frau von Berg es dargestellt hat, mit Nachhilfeunterricht und flankiert mit allen möglichen Dingen schon ab Klasse 3 dazu führt, dass trotzdem sehr viele Eltern für ihre Kinder das Gymnasium wählen. Also den Effekt, den Sie damit versprechen, gibt es in dem Sinne auch in Bayern nicht. Auch das bitte ich zu berücksichtigen. Dass die Vergleichstests jede Menge Probleme aufwerfen und diese Eingangstestungen schwierig sind, daraufhin

wurde dankenswerterweise von vielen Seiten hingewiesen. Ich will es deshalb nicht unnötig lang machen. Ich selbst musste übrigens so einen Eingangstest absolvieren.

Es gilt auch zu berücksichtigen, dass gerade kleine Kinder am Dienstag klasse sind und am Mittwoch schlecht, am Donnerstag unaufmerksam und am Freitag plötzlich rechnen können. Ein einziger Test an einem einzigen Tag, der über die gesamte Schullaufbahn entscheidet, ist zu einem großen Teil eine Lotterie. Eine Lotterie ist übrigens auch, was der Test abfragt, denn wenn man drei, vier Jahre zur Schule gegangen ist, dann kann ein Test nur eine bestimmte Sektion von Wissen abfragen. Da hat man manchmal Glück; wir kennen das alle von Klassenarbeiten: Dieses Mal ist das drangekommen, was ich kann, beim letzten Mal nicht. Deswegen kann es sein, dass ein Test Hinweise gibt, ihn aber sozusagen als einziges Richtschwert einzusetzen, ist aus meiner Sicht vollkommen unangemessen, wenn man weiß, wie Tests funktionieren.

Ich weise, wie dankenswerterweise eine Reihe von Rednern vor mir, darauf hin, dass auch wir in Hamburg irgendwann tatsächlich die Schleuse haben, die nach Klasse 6 bewirkt, dass ein Übergang aufs Gymnasium nicht möglich ist. Dafür gibt es klare Vorschriften, es müssen bestimmte Noten gewährleistet sein, sonst kommt man nicht in die siebte Klasse. Was Sie vorschlagen ist ein Vorverlagern. Man kann zwar über alles reden, aber es ist in der Sache nicht sinnvoll, weil man schon ab Klasse 6 nicht genau weiß, welche Schullaufbahn ein Kind einzuschlagen hat. Aber nach Klasse 4 einzuschätzen, was aus einem Kind wird, das ist aus meiner Sicht überaus schwierig. Bildungswissenschaftler sagen immer pauschal, bei 20 Prozent könne man sagen, das werde auf jeden Fall etwas, bei 20 Prozent könne man sicher sein, das werde nichts, und bei 60 Prozent werde geraten. Je länger man wartet, desto sicherer ist eine Prognose. Deswegen ist eine so frühe Entscheidung aus meiner Sicht auch in der Sache nicht richtig.

Zum Schluss möchte ich auf einen wichtigen Gesamtaspekt eingehen. Ein wenig zähneknirschend wird von allen gesagt, na ja, das Elternwahlrecht sei nun einmal da.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Nein, gar nicht!)

Aber ich will offen dafür werben, dass das auch als ein Schatz begriffen wird. Und wenn Sie das nicht glauben, dann sehen Sie sich einmal die Praxis in anderen Ländern an, mit wie viel rechtsanwaltlichem Beistand, mit wie viel Tricks dort gearbeitet wird, um die Sanktionen zu unterlaufen. Das allein ist schon ein Grund, so einen Unsinn gar nicht erst anzufangen. Wissen wir, dass Lehrer und Eltern, beide irren? Aber warum glauben so viele in diesem Haus, dass die Lehrer die Klügeren sind?

(Dora Heyenn)

Warum glauben Sie das eigentlich? Ich nenne dazu ein Beispiel. Sie haben gesagt, viele Kinder ohne Gymnasialempfehlung gingen vom Gymnasium ab. Das stimmt. Aber 25 Prozent ohne Gymnasialempfehlung fangen in Klasse 5 an, und zwei Drittel dieser Kinder bleiben auf dem Gymnasium und schaffen es dort sogar bis zum Abitur, obwohl die Lehrer vorher glaubten, sie schafften das nicht. Das muss man auch sehen. Wenn man das alles weiß, wenn man weiß, wie sehr Lehrer sich dabei irren und verhauen können, dann ist es auch eine politische Frage, ob wir nicht besser sagen: diejenigen, die es ausbaden müssen, diejenigen, für die es Lebensentscheidungen sind, haben das letzte Recht, darüber zu entscheiden, und diese Entscheidung werden wir nicht durch eine genauso geratene Glücksentscheidung nach Klasse 4 bevormunden. Hier werbe ich sehr dafür, das Elternwahlrecht als einen Schatz zu begreifen, der die Akzeptanz des Schulsystems sichert und die Möglichkeit schafft, dass Eltern selbstbewusst und durchaus kritisch selbst entscheiden können, wie es mit ihrem Kind weitergeht. Das ist für das Hamburger Schulsystem sicher der bessere Weg. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Dann können wir zur Abstimmung kommen.

Wer zunächst einer Überweisung der Drucksachen 21/4226 und 21/4390 an den Schulausschuss folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das Überweisungsbegehren abgelehnt.

Wir stimmen in der Sache ab und beginnen mit dem Antrag der CDU-Fraktion aus der Drucksache 21/4390. Diesen möchte die FDP-Fraktion ziffernweise abstimmen lassen.

Wer sich den Ziffern 1 und 4 des CDU-Antrags anschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit sind die Ziffern 1 und 4 abgelehnt.

Wer dann noch den Ziffern 2 und 3 folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit sind auch die Ziffern 2 und 3 abgelehnt.

Dann kommen wir zum Antrag der AfD-Fraktion aus der Drucksache 21/4226. Hier möchte die FDP-Fraktion gern die Ziffer 1 separat abstimmen lassen.

Wer nun also zunächst die Ziffer 1 des AfD-Antrags annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer dann noch den übrigen Ziffern seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Hand

zeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit sind auch die übrigen Ziffern abgelehnt.

Wir kommen zum Punkt 49, Drucksacke 21/4252, Antrag der Fraktionen der GRÜNEN und der SPD: Perspektiven für die Zukunft – Potenziale von Existenzgründungen für Beschäftigung und Integration fördern.

[Antrag der Fraktionen der GRÜNEN und der SPD: Perspektiven für die Zukunft – Potenziale von Existenzgründungen für Beschäftigung und Integration fördern – Drs 21/4252 –]

Die AfD-Fraktion möchte diese Drucksache an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Herr Schmidt von der SPD-Fraktion.

(Vizepräsidentin Christiane Schneider über- nimmt den Vorsitz.)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hamburg ist eine Ankunftsstadt und wird für viele Flüchtlinge als Ausgangspunkt für ein neues Leben nach Krieg, Flucht und Vertreibung gesehen. Die Ankunft dieser zigtausend Flüchtlinge stellt diese Stadt vor große Herausforderungen. Es vergeht keine Bürgerschaftssitzung, bei der wir dies nicht debattieren. Nach Organisation der Ankunft und Unterbringung geht es um die Integration der hier Bleibenden. Wir alle wissen, was dies für ein großer Kraftakt sein wird. Aber unsere Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger haben diese Aufgabe angenommen. Hamburg nutzt dabei die Erfahrung aus jahrhundertealter Migrationsgeschichte und zeigt eine großartige Performance.

(Beifall bei der SPD)

Bis auf die Dauernörgler aus dieser Ecke sind die Hamburgerinnen und Hamburger mehrheitlich gewillt, die Integrationsbemühungen zu unterstützen, und wir sind dankbar und stolz auf diese Unterstützung, ohne die so vieles nicht möglich wäre.

(Beifall bei der SPD)

Wir arbeiten auf allen Ebenen an Maßnahmen zur Integration. Hamburg hat die Kapazitäten der Kitas erhöht, neue Lehrstellen für Unterricht geschaffen, und gemeinsam mit Kammern und Betrieben kümmern wir uns um die Ausbildung und berufliche Integration der Zuwanderer. Denn die wirtschaftliche Teilhabe wird einer der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration sein, und Hamburg hat die besten Voraussetzungen, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

(Senator Ties Rabe)

(Beifall bei der SPD)

Um Arbeit und Integration von Flüchtlingen kümmert sich beispielsweise das Projekt W.I.R. – "work and integration for refugees". Das Projekt läuft seit einigen Monaten. Erste Einschätzungen zur Qualifikation der Geflüchteten sind bei aller Vorsicht durchaus vielversprechend. Aber es gibt nicht nur den Weg in ein Angestelltenverhältnis; Unternehmensgründung und Selbstständigkeit sind ebenfalls Erfolg versprechende Optionen zur wirtschaftlichen Integration. Migrantische Existenzgründungen sind ebenfalls kein neues Thema für die Kaufmannsstadt Hamburg. Schon unter der ersten und noch mehr unter der zweiten Generation der Einwanderer nach dem Krieg gab es viele, die diesen Weg gegangen sind. In meiner Schulklasse gab es einen Sohn eines serbischen Tankstellenbetreibers, den Sohn einer türkischen Schneiderin, und ein türkischer Klassenkamerad von mir betreibt mittlerweile in dieser Stadt ein paar Dutzend Schulkantinen. Diese Lebensläufe stehen exemplarisch für Tausende migrantische Existenzgründer in dieser Stadt. Sie zahlen den Angestellten ihre Löhne und dem Staat seine Steuern. Sie sind Mitglieder der Handelskammer und bringen sich auch sehr häufig in das Stadtteilleben ein. Und was besonders wichtig ist, sie schaffen damit nicht nur für sich selbst einen Job, sondern in der Regel schafft eine Unternehmensgründung bis zu fünf Arbeitsplätze schon beim Start.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Aus eigener Erfahrung weiß ich, was es heißt, ein Unternehmen aus dem Nichts zu erschaffen. Viel zu wenig wird über die Lebensleistung der migrantischen Existenzgründer gesprochen. Deshalb auch einmal an dieser Stelle Lob und Anerkennung für diese Leistung.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Wir Sozialdemokraten fragen nicht, woher jemand kommt, sondern wohin er will. Wenn jemand in seiner Heimat erfolgreich ein Restaurant betrieben hat, dann wird er es auch in Deutschland schaffen. Es macht einfach keinen Sinn, diese Leute in ein Praktikum für einen Job zu vermitteln, bei dem sie nicht ihr volles Leistungspotenzial ausschöpfen können. Wir sollten ihnen vielmehr die besonderen Anforderungen der deutschen Bürokratie und Gesetzgebung erklären und ihnen zeigen, wie sie ihre unternehmerische Kraft in Deutschland einsetzen können.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Blö- meke GRÜNE)

Gezielte Beratungsangebote sind hierfür der Schlüssel, und wir wollen auf die bereits bestehenden Angebote zurückgreifen und diese ausbauen, denn es gibt bereits sehr viele sehr gute Angebote

in dieser Stadt. Eine Existenzgründung kostet natürlich auch Geld. Diese Menschen haben aber häufig nichts anderes als das, was sie am eigenen Leibe tragen. Banken verlangen Sicherheiten für Kredite. Eher unvorstellbar, dass sich die normale Hausbank an der Ecke um dieses Thema reißt. Das tun sie doch nicht einmal bei den soliden und alteingesessenen Unternehmen in ihrem Viertel. Aber zum Glück hat dieser Senat die Investitionsund Förderbank gegründet.

(Beifall bei der SPD)

Wir reden hier nicht über große Summen. Häufig geht es zum Beispiel um die Erstausstattung eines Ladens. Durch den sehr erfolgreichen HamburgKredit der IFB wissen wir, dass häufig nicht mehr als 20 000 Euro benötigt werden. Wenn wir also den Fokus dieses Kleinstkreditprogramms auf die Geflüchteten erweitern und diese Kredite niedrigschwellig anbieten, werden wir auch hier erfolgreiche Geschichten hören.

(Beifall bei der SPD und bei Martin Bill GRÜ- NE)

Ein Blick über den großen Teich zeigt, welches Potenzial Unternehmensgründungen von Einwanderern haben. 40 Prozent der Fortune-500-Unternehmen in den USA sind von Migranten gegründet worden. Ich hatte neulich in meinem Abgeordnetenbüro einen 17-jährigen Schüler, der aus der Schule heraus ein IT-Unternehmen gründen wollte. Ich habe nicht gefragt, woher er kommt, aber sein Name ließ auf afghanische Wurzeln schließen. Wer weiß, wohin sein Weg noch führen wird. Deshalb zum Abschluss noch eine Bitte an die immer besorgten Dauerschlechtgelaunten von der einen Ecke: Wenn Sie das nächste Mal Ihre Ressentiments in Ihr iPhone tippen, bedenken Sie, dass auch Steve Jobs der Sohn eines syrischen Flüchtlings war. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schmidt. – Jetzt hat Herr Ovens von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schmidt, vielen Dank für diese emotional mitreißende Rede über die Hamburger Gründerszene, die mich zutiefst bewegt hat, vor allem Ihr letztes Beispiel mit Steve Jobs, der quasi direkt aus dem syrischen Bürgerkrieg geflüchtet sein muss, beziehungsweise sein Vater,

(Jan Quast SPD: So ein Müll! Respektlos!)

bevor er sich dann mit einem heute weltweit führenden Unternehmen in den USA erfolgreich bewiesen hat.

(Beifall bei Carl-Edgar Jarchow FDP)

(Hansjörg Schmidt)