Protokoll der Sitzung vom 09.11.2016

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Der Kollege Tjarks hat zu Recht schon darauf verwiesen, dass ein Drittel der Gründungen – so viele sind es laut KfW – aus fehlender Erwerbsperspektive erfolgen. Insofern ist der Rückgang von Gründungen eigentlich auch ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass unsere Volkswirtschaft eine stabile Basis hat, dass die Menschen in gesicherte Arbeitsverhältnisse kommen.

Wer Gründungen ermöglichen will, der muss an den Rahmenbedingungen auch für die Gründerinnen und Gründer arbeiten, damit diese dann bei einem Scheitern nicht auf Dauer stigmatisiert werden in dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Das heißt, wir brauchen eine Grundsicherung für alle Menschen in der Republik, damit man nicht ins Bodenlose fällt. Wir brauchen einen Umbau der Gewerbesteuer, damit alle gleichberechtigt daran teilnehmen und die kleinen Unternehmen und die

(Dr. Anjes Tjarks)

Existenzgründer entsprechend entlastet werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man das Gründungsbarometer der Handelskammer sieht, dann ist das doch nur eine Show-Nummer. Ein Schelm, wer nicht an Scheinselbstständigkeit denkt, bei dem, was darin steht. Das sind Zahlen, die zeigen eigentlich, was in dieser Wirtschaft schiefläuft. Wenn dort der Akustik- und Trockenbau die Branche ist, die am besten abschneidet, dann muss man diese Zahlen von dem Gründungsbarometer grundsätzlich abziehen und sich überlegen, welche Gesamtstrategie man eigentlich für diese Stadt haben will. Der Kollege Tjarks hat an dieser Stelle schon richtig darauf hingewiesen, dass wir eigentlich woanders als Basis hinwollen. Wir müssen eine Hauptstadt werden, ja: die Hauptstadt von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen mit guten Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Gert Kek- stadt SPD – Glocke)

Herr Jersch, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Sie haben eben auf die Akustik hingewiesen. Das war ein guter Hinweis. Es ist zu laut.

Wenn wir es schaffen, eine solche Hauptstadt in Hamburg zu verwirklichen, und darüber hinaus die Hauptstadt der Gründungen werden können, wäre das natürlich ein guter Nebeneffekt. Aber für die Menschen ist es primär wichtig, in gesicherte Verhältnisse zu kommen, und das heißt, gesicherte Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig in dieser Freien und Hansestadt zu schaffen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Professor Kruse von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Formulierung der FDP-Anmeldung klingt gut; vermutlich kann dem jeder zustimmen. Hamburg auf der Überholspur finden wir alle toll, und wer lebt nicht gern in einer coolen Gründerhauptstadt? Auf Deutschland bezogen kann sich die Überholspur allerdings nur auf Berlin beziehen, der einzigen deutschen Stadt, die diesbezüglich noch vor Hamburg liegt. Aber so provinziell wollten die FDP und Sie, Herr Kruse, vermutlich nicht sein. Ich nehme einmal an, Sie denken global. Aber wie macht man das, global auf die Überholspur zu kommen? Denn das möchte natürlich jeder Bürgermeister überall auf der Welt und jeder verantwortliche Politiker.

Und dazu haben wir leider von Ihnen, Herr Kruse, so gut wie nichts gehört.

(Beifall bei der AfD)

Ich will Ihnen einmal einige wenige Hinweise geben. Wenn man im Weltmaßstab denkt, schauen wir vor allem nach San Francisco beziehungsweise in das Silicon Valley, wo zahlreiche Weltinnovationen durch Start-ups gestartet wurden und dann um die Welt gegangen sind. Wir fragen also: Was haben die, was wir nicht haben oder nicht so gut haben? Wenn wir nach den Erfolgsfaktoren für das Silicon Valley fragen, kommen wir auf die gleichen beiden zentralen Faktoren, die schon den kommerziellen Erfolg von Hollywood, 350 Meilen südlich, möglich gemacht haben.

Der erste Faktor ist die regionale Verfügbarkeit von hochqualifiziertem beziehungsweise hochtalentiertem Personal beziehungsweise dessen sektorspezifische regionale Agglomeration. Das heißt heute vor allem: die Existenz von exzellenten Universitäten und entsprechenden Absolventen. Die regionale Bindung von Top-Talenten ist auch heute noch, trotz ausgebildeten Flugverkehrs, ein ganz wesentlicher Faktor. Dazu gehört auch, dass die Gründer in der zweiten Stufe reichlich hochqualifiziertes spezifisches Personal in der Nähe finden oder leicht anlocken können beziehungsweise dass die entsprechenden personalen Netzwerke regional bestehen. Wichtig sind hier vor allen Dingen auch die Softfaktoren der Lebensqualität. Diesbezüglich ist zum Beispiel für Silicon Valley die Nähe zu San Francisco von elementarer Bedeutung für die Attraktivität bei hochqualifiziertem Personal.

Bei Betrachtung von Faktor 1 sehen wir, dass Hamburg hier eigentlich alle Chancen hat: gute Softfaktoren der Lebensqualität und im Prinzip auch gute Universitäten, obgleich das noch sehr, sehr ausbaufähig wäre. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass im neuen Haushalt sehr viel mehr für Forschung und Entwicklung, für Universitäten in Hamburg ausgegeben werden würde. Das würde diesen Faktor deutlich verbessern. Aber immerhin: Das ist kein Faktor, wo wir sagen, damit können wir gar nicht klingeln. Wichtig ist natürlich auch – das muss ich einmal kritisch sagen –, dass die Klasse nicht in der Masse versinken darf, wie das an Universitäten leider häufig der Fall ist. Exzellenz ist elitär, ob uns das nun passt oder nicht.

Der zweite wichtige Faktor ist ein adäquater Markt für riskante Unternehmensfinanzierungen. Dazu müssen wir uns vor Augen halten, dass die meisten Start-up-Finanzierungen für die Investoren ein finanzielles Fiasko sind, ebenso wie die meisten Hollywood-Filme nicht einmal ihre Kosten decken oder allenfalls nach Jahren und Jahrzehnten so gerade eben. Aber dafür kann man mit einzelnen Blockbustern Millionen verdienen, und die reißen das mehr als raus, denn die durchschnittliche Rentabilität für Filmfinanzierung ist überdurchschnittlich

(Stephan Jersch)

hoch, ebenso wie die durchschnittliche Rentabilität von Start-up-Finanzierungen. Aber klar ist natürlich: Das ist kein Markt für Omas Sparbuch, sondern für Leute, die der Verlust einer Million Dollar nicht mehr schmerzt als das Verschütten eines Bechers Kaffee auf die eigene Hose. Davon gibt es in San Francisco eine Menge und das ist einfach hier ein Problem, daran können wir nichts ändern, glaube ich. Hollywood hat es in all den Jahren geschafft, dies durch Portionierung der Investitionen an risikofreudige Investitionen so zu managen, dass immer genug Investitionskapital für Filmfinanzierungen, auch sehr große, verfügbar war. Auch in den letzten Jahren sind darunter viele sehr, sehr teure Flops gewesen, und trotzdem gibt es weiterhin genügend Investitionskapital für diese riskanten Investitionen. Das ist im Grunde auch bei Startups der Fall, insbesondere im IT-Bereich, wenngleich es dort aufgrund der extremen Skalierung speziell von Softwareprodukten auch andere Geschichten zu erzählen gibt.

Das ist in Hamburg nicht so ohne Weiteres zu kopieren, wenngleich es natürlich auch hier Venturecapital-Firmen gibt. Es ist einfach viel schwieriger, aus verschiedenen Gründen, die mit Steuern zu tun haben und anderen Dingen.

Letzter Punkt.

(Glocke)

Eigentlich letzter Satz, nicht letzter Punkt.

Die Frage ist, ob da nicht mal eben der Staat einspringen kann. Da würde ich sagen: Nein, ganz bestimmt nicht. Das ist nur eine Frage für private Investoren.

(Glocke)

Man zockt nicht mit dem Steuergeld.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt Herr Schmidt von der SPD-Fraktion für verbleibende knapp drei Minuten.

Frau Präsidentin! Nachdem ich ein paar Mal persönlich angesprochen wurde, nur einmal ein paar Punkte.

Also: Die SPD kümmert sich nicht erst seit 2011 um das Thema Existenzgründungen und Digitalbranche in dieser Stadt.

(Zuruf von Carsten Ovens CDU)

Hamburg@work, mein lieber Carsten, ist von Thomas Mirow, damals Wirtschaftssenator der SPD, um die Jahrtausendwende gegründet worden.

(Beifall bei der SPD)

Das damals sehr erfolgreiche Format der onlineKapitäne war eines der ersten Netzwerke in Deutschland auf einer sehr hohen Ebene der Stakeholder in diesem Thema. Dass Sie das vielleicht nicht ganz so auf dem Zettel haben, kann ich verstehen; vielleicht waren Sie damals nicht onlineKapitän, sondern Leichtmatrose.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist er immer noch!)

Aber das können wir an anderer Stelle klären.

(Beifall bei der SPD)

Hamburg@work ist damals ein Vorbild für zahlreiche Initiativen in der gesamten Bundesrepublik und darüber hinaus gewesen. Und was hat die CDU in den zehn Jahren ihrer Regierungszeit damit gemacht? Sie haben die Start-up-Szene verwaltet

(Carsten Ovens CDU: Ah ja!)

und sie nicht weiterentwickelt. Insofern geht Ihre Kritik an dieser Stelle wirklich ein wenig ins Leere.

(Beifall bei der SPD)

Und noch ein Satz zu Ihrem Antrag. Sie haben ihn nicht zur Debatte angemeldet, stellen sich dann aber ein wenig mimosenhaft hier hin, dass das nicht debattiert werde. Das ist nicht mein Problem, aber ich nenne Ihnen trotzdem einen Punkt, warum wir diesen Antrag ablehnen: Sie wollen Kapazitäten zur Finanzierung bündeln. Das haben wir bereits getan, und zwar 2013 mit Gründung der Investitions- und Förderbank, die Sie wiederum abgelehnt haben mit zum Teil fadenscheinigen Argumenten. Sie haben gesagt, die IFB ist eine Lösung für ein Problem, das wir gar nicht haben. Also was denn nun? So kann man auf jeden Fall nicht seriöse Politik machen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Anjes Tjarks GRÜNE)

Wir haben jetzt noch zwei Wortmeldungen, die von Herrn Ovens und die von Herrn Kruse. Die verbliebene Redezeit liegt bei unter einer Minute. Ich weiß nicht, wer dieses Wagnis auf sich nehmen will. Herr Ovens von der CDU-Fraktion? – Dann haben Sie das Wort.

Vielen Dank, Frau Vorsitzende. Mir wurde gesagt, ich solle in 30 Minuten alles sagen, was wichtig ist.

(Zuruf: Sekunden!)

Sekunden.

Lieber Hansjörg Schmidt, in der Tat war ich in den Neunzigern und 2000 noch nicht im Parlamentsbetrieb, sondern brav in der Ausbildung und habe die Schulbank gedrückt. Aber ich glaube, ich habe in den letzten Jahren so viel dazugelernt, dass ich