Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

Das braucht man nicht zu prüfen, das steht schon fest. Das können wir gar nicht verhindern.

(Michael Kruse FDP: Deswegen brauchen Sie keinen Staatsvertrag! – Gegenruf von Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Genau deswegen braucht man den Vertrag!)

Ich danke Ihnen für den Zwischenruf, weil er mir ermöglicht, Ihnen etwas zu erklären.

Die Verträge beinhalten die Verständigung auf ein Vorgehen, über das wir alle und die Religionsgemeinschaften in Hamburg sehr glücklich sind, nämlich dass sich die Vertragspartner darauf eingelassen haben, von dem Verlangen, einen eigenen, von ihnen selbst bekenntnisorientiert verantworteten Religionsunterricht zu haben, Abstand zu nehmen und in der Tradition des Religionsunterrichts für alle in evangelischer Verantwortung, den diese Stadt als einziges Bundesland seit Jahrzehnten hat, etwas zu entwickeln, das gleichzeitig ihre Verfassungsrechte beachtet, aber so ist, dass die

evangelische Kirche oder die jüdische Gemeinde und viele andere mitmachen können und das auch für sich selbst akzeptieren. Das ist ein so kostbarer Vorgang, dieses Einverständnis, das wir nicht verlangen können, erreicht zu haben, dass wir sehr froh darüber sein sollten, dass dieser Prozess so weit gediehen ist. Mein Dank gilt hier an allererster Stelle der dafür unverzichtbaren, großartigen evangelischen Kirche in Hamburg.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü, Dora Heyenn, beide frakti- onslos, und Christiane Schneider DIE LINKE)

Die Verträge sind, das habe ich auch schon 2012 gesagt, der Beginn einer Kooperation und nicht ihr Ende. Sie sind eine Vereinbarung zur gemeinsamen Problemlösung. Ich sage einmal voraus, dass wir immer wieder neue Probleme haben werden, die wir auch in dieser Bürgerschaft besprechen. Ich komme zu meiner Eingangsbemerkung zurück: Dass wir diskutieren, was nicht richtig läuft, und den Finger in die Wunde legen, ist absolut richtig und unverzichtbar.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Wir sind dankbar, dass wir die Religionsgemeinschaften haben, die Christen, die Muslime, die vielen, die geflohen sind, die Jesiden, die Bahá'í, wenn es darum geht, Flüchtlinge zu integrieren und diejenigen aufzunehmen, die verfolgt worden sind. Ich halte es für etwas Besonderes, zu sehen, dass es bei uns diesen Dialog gibt, während in Syrien, im Irak und an vielen Stellen der Welt Männer, Frauen und Kinder fliehen, weil religiöse Intoleranz ihr Leben bedroht hat oder sie aufgrund von Abweichung verfolgt werden – übrigens überwiegend Muslime von Muslimen. Das ist eine schreckliche Entwicklung in der Welt und Hamburg ist hier ein Beispiel für religiöse Toleranz.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Sie haben darauf hingewiesen, und ich will das unterstreichen, weil es auch meine Sicht der Dinge ist, dass es in der SCHURA Organisationen gibt, die Ansichten vertreten, die nicht in Ordnung sind – das ist die höflichste Formulierung, die man dafür wählen kann.

(Jörg Hamann CDU: Nehmen Sie doch eine deutliche Formulierung!)

Das habe ich vorhin schon. Das haben Sie sich auch gemerkt. Danke.

Trotzdem ist es doch ein Glück für unsere Stadt, dass die SCHURA aus sunnitischen und schiitischen Mitgliedsvereinen besteht, deren Muslime mit Wurzeln in der Türkei, in Afghanistan, Pakistan, Bosnien, Albanien, Iran, Irak, Marokko, Zentralafrika gemeinsam handeln und miteinander reden,

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

während es überall auf der Welt unter ihnen auch ganz anders zugeht.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü, Dora Heyenn, beide frakti- onslos, und Christiane Schneider DIE LINKE)

Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen, dass ich dem Interreligiösen Forum Hamburg sehr dankbar dafür bin, sich mit der alevitischen Gemeinde, den Bahá'í-Gemeinden, den Buddhisten, der katholischen Kirche, der evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland, den Hindus, dem Zentralrat der jüdischen Gemeinde, der SCHURA und der Akademie der Weltreligionen zu unserer Debatte geäußert zu haben. Sie alle haben gesagt, der Kern ihres Glaubens sei die Förderung und der Schutz des Lebens und nicht dessen Zerstörung. Jede Religion möchte zum Frieden und nicht zur Gewalt führen. Sie alle haben uns darum gebeten, an den Verträgen festzuhalten.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos und Christiane Schneider DIE LINKE)

Hasspredigten sind schlimm und dürfen nicht akzeptiert werden. Was gesagt wird und gegen das Strafgesetzbuch verstößt, ist auch Sache für die Strafverfolgungsbehörden. Bespitzelung verstößt gegen die Gesetze, ist eine Frage unserer Nachrichtendienste und unserer Sicherheitsbehörden und diese werden sich darum kümmern. Übrigens sind bisher keine Vorfälle aus unserem Verantwortungsbereich bekannt, aber es ist gerade Aufgabe unserer Sicherheitsbehörden, sicherzustellen, ob es nicht möglicherweise doch solche Erkenntnisse gibt. Bisher haben wir sie nicht. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass das alles dafür spricht, dass wir unseren mühseligen neuen Weg – begonnen mit den neuen Verträgen mit der evangelischen und der katholischen Kirche und der jüdischen Gemeinde und dann mit den Muslimen aus diesem Jahrtausend – jetzt nicht abrupt abbrechen, sondern die Neuerungen und die damit verbundenen Probleme annehmen. Und sehr leise bitte ich darum, dass wir uns einmal ansehen, was wir in der Welt tun und was wir für richtig halten. Wir halten es für richtig, dass die evangelische Kirche und die katholische Kirche von hier aus weltweit aktiv sind und Religionsgemeinschaften finanzieren.

(Michael Kruse FDP: Ohne Staatsverträge! – André Trepoll CDU: Aber unabhängig vom Staat!)

Wir alle, hoffe ich, protestieren gemeinsam dagegen, dass in Russland mit einem Gesetz gegen ausländische Agenten Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Hans-Seidel-Stiftung, der Stiftungen der FDP, der GRÜNEN, der LINKEN oder der Friedrich-Ebert-Stiftung als ausländische Agen

ten registriert werden, und viele Oppositionsgruppen und Minderheiten, weil ihnen irgendeine internationale Organisation ein Flugblatt bezahlt hat, mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen müssen. Wir kritisieren das Gleiche, wenn es jetzt in China stattfindet. Deshalb bin ich so sehr dafür, dass wir unseren verfassungsrechtlichen Rahmen bedenken.

Ich komme zurück zu meiner Eingangsbemerkung. Es ist richtig, dass wir solche Debatten führen, und es ist richtig, dass sich diejenigen, die wir kritisieren, auch rechtfertigen. Es ist das Ergebnis der öffentlichen Kritik und Debatte, dass DITIB sich in Norddeutschland gemeldet und gerechtfertigt hat. Das muss man nicht richtig finden, aber es zeigt, dass es Sinn macht, wenn wir plötzlich öffentlich über solche Fragen diskutieren.

(Michael Kruse FDP: Wir, die Opposition! Sie haben geschwiegen!)

Das sollten wir in ganz Hamburg und in unserem Land auch weiterhin tun. Das gehört zur Demokratie und zur Freiheit dazu. Die Freiheit und die Religionsfreiheit funktionieren, weil wir sie nicht nur für uns gelten lassen.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü und Dora Heyenn, beide fraktionslos)

Nach Paragraf 22 Absatz 4 unserer neuen Geschäftsordnung gibt es jetzt in einer weiteren Runde noch für jede Fraktion die Chance für eine Wortmeldung. – Als Erster hat Herr Trepoll von der CDU-Fraktion das Wort für drei Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Drei Minuten – meine Geschichtsstunde muss etwas kürzer ausfallen. Ich finde, das reicht aber auch aus, Herr Scholz, denn Sie haben ja sehr lange gesprochen, aber doch konsequent am Problem vorbei. Das muss man einmal festhalten.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD)

Die Frage dreht sich nicht darum, ob wir mit zum Beispiel muslimischen Religionsgemeinschaften Verträge schließen. Die Frage, die wir hier diskutieren, ist, mit wem wir diese Verträge schließen.

(Beifall bei der CDU und der AfD)

Diese Frage hätten Sie beantworten müssen und auch die Frage, ob die Türkei aus dem Jahre 2007 noch vergleichbar ist mit der Türkei, wie wir sie heute im Jahr 2017 vorfinden. Gleiches gilt für die DITIB. Dazu kann man doch nur sagen, und das wissen auch viele Experten in Ihren Reihen, dass das nicht mehr der Fall ist. Das kann man nicht mehr miteinander vergleichen.

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

(Farid Müller GRÜNE: In fünf Jahren ist es auch wieder anders!)

Unsere Hoffnungen, dass sie dichter an unsere Gesellschaft heranrücken, sind nicht erfüllt worden.

(Beifall bei der CDU)

In Wahrheit haben sie sich von uns entfernt. Wenn Sie mit Menschen sprechen, die zum Beispiel die DITIB-Moschee in Wilhelmsburg besuchen, Herr Bürgermeister, wenn Sie hören, was dort gepredigt wird und wie die Menschen missioniert werden, wenn Sie die Jugendlichen sehen, die hier geboren und somit deutsche Staatsbürger sind und die manchmal, wenn Verhältnisse in der Türkei sich ändern, auf unseren Straßen demonstrieren, dann muss man sich doch die Frage stellen, woher diese Radikalisierung kommt.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Das kann uns doch nicht gleichgültig sein. Wir können uns nicht zurückziehen nach dem Motto, man müsse weiterhin im Dialog bleiben. Ja, Dialog ist das eine, Herr Dressel, aber das reicht einfach nicht aus. Verträge werden doch geschlossen, damit man sich an die Regeln hält. Und genauso müssen sich dann auch alle Vertragspartner an die Regeln halten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Wir dürfen es nicht zulassen, dass dort ein Nährboden für Islamismus, ja sogar für Salafismus geschaffen wird. Deshalb ist es unsere Aufgabe, in der Debatte zu differenzieren, und das machen wir mit unserem Antrag.

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist doch keine Differenzierung, was ihr macht!)

Gerade bei diesen beschriebenen Entwicklungen reden wir nicht mehr über Parallelgesellschaften, sondern über Gegengesellschaften, die sich bewusst gegen unsere Gesellschaft stellen und ein anderes Modell im Fokus haben. Warum ist uns das so wichtig? Weil es eine der entscheidenden Zukunftsfragen, Herr Scholz, für unsere Gesellschaft ist, wie die weitere Integration gelingt, wie es gelingt, einen aufgeklärten muslimischen Glauben bei uns zu beheimaten, zu implementieren. Das sind doch die entscheidenden Fragen, über die wir sprechen müssen. Dazu gehört natürlich ein Blick in die Historie, aber so weit hätten Sie nicht gehen müssen. Auf die Fragen, die ich gestellt habe, hätten Sie eine Antwort finden müssen.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der FDP und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Das Wort hat Herr Wysocki von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich versuchen, am Anfang deutlich und danach versöhnlich zu werden. Das ist, glaube ich, auch die Aufgabe von religionspolitischen Sprechern. Aber man muss deutlich machen, dass Politik oftmals versucht, und leider nicht immer sehr segensreich, Religion für ihre Zwecke zu benutzen. Auch in diesem Fall findet das nach meiner Beobachtung statt. Diese Debatte ist für unsere Stadt auf der einen Seite klärend, aber wir müssen uns alle bemühen, dass sie keine Scherben hinterlässt, die wir nachher mühsam aufkehren müssen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dora Heyenn fraktionslos)

Eine Bemerkung zum Antrag der AfD und damit soll es dann auch reichen: Eine Fraktion und Partei, die es nicht fertigbringt, sich deutlich von Herrn Höckes Äußerungen zu distanzieren, hat in dieser Debatte mit ihrem Antrag nichts verloren. Und das war's auch schon.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der LINKEN)

Zum Antrag der FDP muss man mehr sagen. Ich möchte die Presseerklärung, die es dazu gegeben hat, verdeutlichen. Der Bürgermeister hat darauf hingewiesen, dass es im Moment – und das ist für eine liberale Partei äußerst merkwürdig – keinen rechtsstaatlich nachgewiesenen Grund gibt, die Verträge aufgrund dieser Erkenntnisse zu kündigen.