Protokoll der Sitzung vom 13.02.2019

"Die größte Gefahr für die Gleichstellung ist der Mythos, wir hätten sie schon."

Das sagte die Gegenwartsfeministin Grethe Nestor. Dem kann ich mich auch anschließen, weil ich während der Haushaltsberatungen erlebt habe, dass es Teile in diesem Haus gibt, die dieser Auffassung sind.

Ich möchte mit den Haushaltsverhandlungen noch einmal anfangen. Die sind im Bereich Gleichstellung so verlaufen, dass wir als einzige Fraktion zu dem Schwerpunkt Gleichstellung einen Antrag gestellt haben. Dann haben wir uns noch einmal deutlich angeschaut, was wurde überhaupt noch beantragt, wie sieht es aus mit den Kennzahlen, die doch auch bearbeitet werden sollten. Ich habe mir dann aber auch noch einmal die einzelnen Protokolle angeschaut in Bezug auf das Gleichstellungspolitische Rahmenprogramm, denn das geht durch die einzelnen Ausschüsse.

Ich kann mich da Frau Dobusch anschließen. Wenn ich lese, dass beim Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien leider nur steht, dass es keinen Beratungsbedarf zur Fortschreibung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms gibt, dann verkennt das meiner Auffassung nach die Realität der Mehrheit der Bevölkerung in der Stadt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Mareike En- gels GRÜNE)

Eigentlich reicht ein Blick in unseren Alltag als Frauen, um zu sehen, dass das Gegenteil der Fall ist. Auch der faktische Blick in die einzelnen Statistiken, die uns immer wieder vorliegen, wie zum Beispiel der Gleichstellungsreport, aber auch das Gleichstellungspolitische Rahmenprogramm, über das wir heute reden, zeigt auch, dass noch wahnsinnig viel in den Behörden, in der Stadt zu tun ist. Mit 65,5 Punkten befindet sich Deutschland auf dem aktuellen Gleichstellungsindex unter dem EUDurchschnittswert und deutlich unter dem Wert anderer Wohlfahrtsstaaten wie zum Beispiel Frankreich, Großbritannien oder Schweden. Das sollte uns eigentlich zu denken geben.

Die Probleme sind altbekannte, mit denen wir uns immer wieder auseinandersetzen. Es ist Sexismus.

(Mareike Engels)

Es sind stereotype Rollenbilder. Es ist geschlechterspezifische Gewalt. Natürlich sind es auch wirtschaftliche Faktoren wie der Gender Pay Gab, das wesentlich höhere Armutsrisiko von Frauen insbesondere im Alter oder die ungleiche Verteilung von unbezahlter Fürsorge und Reproduktionsarbeit. Die Anerkennung dieser Probleme und auch die Anerkennung der Notwendigkeit einer aktiven Gleichstellungspolitik, die dieser Schieflage entgegenwirkt, sind hier bei einigen mehr, bei anderen weniger – vor allem bei den Herren, die jetzt schnacken und nicht zuhören – politischer Konsens.

Das Resultat aus dieser Einsicht war die Konzeption des GPR im Jahr 2013. Die Konsequenz war auch, dass sich alle Ausschüsse damit auseinandersetzen und nicht nur der Gleichstellungsausschuss. In den letzten fünf Jahren hat sich das Programm, das in seinem Maßnahmenkatalog zahlreiche Ungleichheiten sichtbar macht und nachhaltig ansteuert, als sinnvolles Instrument etabliert. Zumindest auf dem Papier wird die Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsaufgabe, die alle politischen Felder betrifft, auch bezeichnet und mitgedacht. In der Praxis sind den Ausschussberichten zufolge einige positive Entwicklungen zu verzeichnen, was wir natürlich begrüßen, etwa mehr Frauen in Führungspositionen, verbesserte Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit oder Männer, die vermehrt die Elternzeit in Anspruch nehmen.

Auf die Umsetzung einiger Maßnahmen warten wir allerdings vergeblich, etwa auf den Gender-Datenreport, dessen Ergebnisse Impulsgeber sein können, oder auf die Machbarkeitsstudie zum Gender Budgeting, deren Resultate jetzt endlich vorliegen, das allerdings viel zu spät, denn relevant wären sie für die nun vergangenen Haushaltsberatungen gewesen. Auch mit der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Oktober 2017 zur dritten Option wird sich hier viel zu viel Zeit gelassen.

Wir müssen aber auch unsere Strukturen kritisch reflektieren. Wir haben einen Frauenanteil in diesem Parlament von 37,2 Prozent. Damit liegen wir zwar im Bundesdurchschnitt hinter Thüringen auf Platz 2, aber in Anbetracht dessen, dass der Frauenanteil an der Bevölkerung Hamburgs über 51 Prozent beträgt, ist dies noch immer ein Armutszeugnis. Deshalb finde ich die Debatte zur paritätischen Besetzung sehr sinnvoll, und ich begrüße die Forderung der GRÜNEN und bin auch bereit, mit daran zu arbeiten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Das hundertjährige Jubiläum der Erkämpfung des Wahlrechts für Frauen erinnert daran, dass man sich das eben auch erkämpfen musste und dass es nicht immer selbstverständlich war, gleiche Rechte zu haben. Vor allem in Zeiten,

(Glocke)

in denen diese Errungenschaften infrage gestellt werden, finde ich es wichtig, auch morgen mit auf die Straße zu gehen …

(Glocke)

Frau Özdemir, Ihre Redezeit ist zu Ende.

… und gegen Gewalt an Frauen mitzutanzen.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Jetzt bekommt das Wort Frau Nicolaysen von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es steht außer Frage, dass wir alle in einer Gesellschaft leben wollen, in der jeder Mensch seine Potenziale frei entfalten kann. Deswegen bleiben wir auch bei unserer grundlegenden Einschätzung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms. Die Fortschreibung dieses Programms ist ein wichtiger Schritt dahin, allen Bürgerinnen und Bürgern die individuelle Gestaltung ihres Lebens zu ermöglichen.

(Beifall bei der FDP)

Es liegt uns fern, das Programm in seiner allgemeinen Zielsetzung zu kritisieren. Das hat sich innerhalb des Jahres, das das Programm nun in sämtlichen Fachausschüssen verbracht hat, nicht geändert. Was sich aber ebenfalls nicht geändert hat, sind die Kritikpunkte am GPR. Wir sagen weiterhin: Wenn man Geschlechtergerechtigkeit will, dann sollte man nicht verstärkt auf Quoten, sondern auf Verbesserung in den Bereichen Ausbildung und Arbeit oder schlicht auf Zugänge zu Chancen setzen. Darin liegt der Kern. Auch sehen wir immer noch große Bedarfe im Bereich Wirksamkeitsorientierung. Es sollten nur solche Maßnahmen gefördert werden, die Menschen auch nachweislich, also mittelfristig wirklich messbar, mehr Chancen ermöglichen. Wir brauchen eine ehrliche und transparente Evaluierung aller Maßnahmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Es zeigt sich an dieser Drucksache leider, dass der Senat in Bezug auf die Gleichstellungspolitik die Tendenz dazu hat, an schlechten Ideen festzuhalten und echte Innovation zögerlich anzugehen. Während die Auswirkungen und Möglichkeiten der Digitalisierung in diesem Bereich nur sehr vage besprochen werden, findet sich abermals das vollkommen missglückte Vorhaben, den gesamten Haushalt zu gendern. Diesen verqueren Ansatz

(Cansu Özdemir)

haben wir schon vor dem Durchgang durch alle Fachausschüsse kritisiert.

(Beifall bei der FDP)

Auch im Rahmen der Diskussion in den Ausschüssen konnte der Senat hier keine befriedigenden Antworten liefern. Dass der Senat hier nicht zu Ende denkt, sieht man allein schon daran, dass in den bisherigen Erwägungen nur von einer Aufteilung in Männer und Frauen ausgegangen wird, das dritte Geschlecht ist aktuell gar nicht Teil Ihrer Konzeption.

(Dirk Nockemann AfD: Das vierte und fünfte auch nicht!)

Natürlich müssen Ressourcen auch unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten eingesetzt werden. Hier aber eine absurde Bürokratie aufzubauen, die auch gänzlich geschlechtsunspezifische Bereiche gendert, das halten wir schlicht für falsch.

(Beifall bei der FDP)

Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Wir wünschen uns für die Zukunft des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms erstens, dass die Digitalisierung konkreter mitgedacht wird, zweitens, dass schlechte Ideen verworfen werden, und drittens, dass wirklich darauf geschaut wird, welche Maßnahmen wirken und welche nicht. Alles in allem bleiben wir aber, wie gesagt, bei unserer abschließenden Betrachtung: Durch das GPR wird ein wichtiger gesellschaftlicher Diskurs fortwährend geführt. Wir werden uns auch in Zukunft aktiv daran beteiligen und uns für alle Menschen aller Geschlechter einsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Herr Nockemann von der AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Dobusch, ich will Ihnen jetzt nicht unrecht tun, aber ich denke, Sie haben sich vorhin eingangs Ihrer Rede uns zugewandt und gesagt, in Artikel 4 sei die Gleichberechtigung normiert, und das klang sehr belehrend.

(Gabi Dobusch SPD: Och, wenn Sie sich an- gesprochen fühlen … Gut!)

Jetzt bestätigen Sie das sozusagen.

Ich darf Ihnen sagen, es ist mitnichten der Artikel 4, es ist der Artikel 3 des Grundgesetzes. Wenn Sie uns schon belehren, Donnerwetter, dann aber doch bitte auch richtig.

(Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Verehrte Frau Dobusch, was bleibt? – Stellen Sie eine Zwischenfrage, gern. Gehen Sie dorthin und stellen Sie eine Zwischenfrage. – Es bleibt der Tatbestand der Belehrung, als wäre die Hamburger AfD hinterwäldlerisch und würde immer noch das Prinzip "Kinder, Küche, Kirche" befürworten. Das ist mit Sicherheit mitnichten der Fall. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben in Hamburg in der AfD sehr selbstbewusste Frauen, die sagen, was sie denken.

(Glocke)

Herr Nockemann, die bestellte Zwischenfrage von Frau Dobusch wäre bereit.

Ja, gern. Ich schätze Frau Dobusch sehr.

Frau Dobusch, Sie haben das Wort.

Ich möchte gern die Kollegen und Kolleginnen und die Öffentlichkeit darauf hinweisen, dass Hamburg eine Verfassung hat. Ich habe nicht vom Grundgesetz gesprochen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Aber es ist Artikel 3 des Grundgesetzes. In Artikel 3 des Grundgesetzes steht, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind.

(André Trepoll CDU: Aber sie hat von der hamburgischen Verfassung gesprochen! Da hat sie allerdings recht! – Gabi Dobusch SPD: Er kennt sie nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sagte Ihnen bereits, unsere Frauen sind sehr selbstbewusst, sie haben durchweg einen Beruf, sie vereinbaren das sehr gut mit Kindern. Und, ehrlich gesagt, ein überzogenes Gleichstellungsgesetz, das mit Quoten agiert, brauchen wir nicht.