Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Das lasse ich jetzt erst einmal so stehen. Das war 1913, und es sind nur zwei Beispiele für die rhetorischen Anfeindungen, die die Frauen, die Vorkämpferinnen, die Helden von 1918 und 1919, haben erleiden müssen neben vielen anderen Widerständen, die überwunden werden mussten, neben Rückschlägen und Ablehnung. Einige sind sogar bespuckt worden auf dem Weg zu Versammlungen, wo sie versucht haben, andere Frauen davon zu überzeugen, zur Wahl zu gehen. Ich mache das so deutlich, nicht weil ich jetzt noch einmal alles wiederholen will, was eben gesagt wurde an einzelnen Etappen und Meilensteinen, sondern weil ich in der Tat glaube, und das ist eben auch angeklungen, dass wir uns wieder in einer Zeit, in einer Phase bewegen, in der wir es sehr ernst nehmen müssen, welchem Rollback wir eigentlich gerade entgegensehen.

Es sind Länder genannt worden in Europa, die Europawahlen stehen vor der Tür, und es geht schon darum, ob wir zurück in den Nationalismus gehen oder weiter solidarisch, freiheitlich und gemeinsam das europäische Projekt gestalten.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos – Glocke)

Ich möchte keine Zwischenfrage, Frau Präsidentin.

Sie gestatten keine Zwischenfrage?

(fortfahrend) :* Keine Zwischenfrage.

Es geht darum, wie wir das europäische Projekt gestalten. Was ich Mut machend finde in diesen

Tagen – und das passt wieder zum Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht, denn es waren mutige Frauen, die vorgekämpft haben, die vieles erreicht haben –, das sind die Bewegungen, die wir in den USA erlebt haben letzten November. Eine bunte, eine mutige Truppe von Frauen, die aufgrund der politischen Lage und rhetorischer Anfeindungen gesagt haben: Wir stehen auf und wir kämpfen. In den Zwischenwahlen waren sie erfolgreich, sie haben viele Demokratinnen jetzt dort sitzen. Und vor eineinhalb Wochen ist in Chicago die erste schwarze lesbische Bürgermeisterin gewählt worden, die gesagt hat, jetzt nehmen wir diesen Wind auf und machen daraus eine neue Bewegung. Genau das ist es, was wir brauchen, diese ermutigenden Signale für vollständige Gleichberechtigung und für vollständige Gleichstellung in dieser Welt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Es ist eben zu Recht gesagt worden, wir feiern nicht nur 100 Jahre Frauenwahlrecht, sondern auch 70 Jahre Grundgesetz und ebenso Artikel 3, Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Aber schon damals waren Verfassungswunsch und Wirklichkeit sehr weit auseinander. Das damalige Ehe- und Familienrecht hat dem Mann die Verfügungsgewalt über Frau und Kinder gegeben. Wir haben eben auch gehört, bis in die Siebzigerjahre hat es gedauert, dass die Frau ohne Erlaubnis des Mannes arbeiten gehen konnte, und erst seit knapp 20 Jahren steht die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe.

Ja, heute sind Frauen rechtlich gleichgestellt, sind auch beruflich in Männerdomänen vorgedrungen und leben unterschiedlichste Lebensmodelle. Ja, für Frauen in Deutschland ist alles möglich, aber es ist noch lange nicht alles erreicht. Gleichberechtigung vor dem Gesetz, ja, aber echte Teilhabe und Parité noch lange nicht. Deshalb finde ich die aktuellen Diskussionen und Debatten einfach wahnsinnig ermutigend. Es sind viele junge Frauen, die sich zusammenschließen, die sich solidarisieren mit denjenigen, die auch für uns vorgekämpft haben, was die Zusammensetzung der Parlamente angeht, Führungspositionen, die Lohnlücke, die wir eben schon angesprochen haben, sicherlich auch, dass immer wieder adressiert wird die Doppelbelastung Beruf und Familie oder Pflege und Beruf und auch, Herr Nockemann, Entscheidung für Berufe, die schlechter bezahlt werden. Das hat nichts damit zu tun, dass man Freiheiten und Lebensentscheidungen einschränkt, aber auch Wege aufzeigt, die perspektivisch nicht in die Altersarmut führen. Und dazu gehört auch, dass man sich das gesamte Berufsspektrum tatsächlich anschaut.

Immer noch strukturelle Diskriminierung, festgeschriebene Geschlechterstereotype; wir können hier in Hamburg ansetzen und haben schon viel

(Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank)

gemacht und getan. Das Kita-Angebot ist großartig, wir haben Ganztagsschulen, an den Hochschulen finden Gleichstellungskonzepte immer stärker Eingang, auch bei Berufungen und Besetzungen, sodass der Frauenanteil die letzten Jahre stetig gestiegen ist. Wir haben mit dem Gremienbesetzungsgesetz erreicht, dass bei öffentlichen Unternehmen die Vorstände und Aufsichtsgremien mindestens zu 40 Prozent mit Frauen besetzt sind. Ich finde die Debatte über die paritätische Repräsentanz in unseren Parlamenten im Land, aber auch auf der bezirklichen Ebene richtig und ich hoffe, dass wir da noch einen weiteren Schritt vorankommen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Ich will noch ein Thema ansprechen, weil das etwas ist, wo wir jetzt etwas tun können, hier und im Bund und in Europa. Das ist das Thema Digitalisierung. Das große Thema Digitalisierung, bei dem ich die große Sorge habe, dass die strukturelle Benachteiligung, die wir jetzt schon haben, sich gerade 1:1 überträgt auf die digitale Welt, auf den digitalen Raum. Wir sehen das bei Gründungen, wir sehen das in der Frage von Programmierungen, wir sehen es bei Frauen und Start-ups, das sind noch absolute Männerdomänen im Tech-Bereich, und da müssen wir etwas tun, da können wir etwas tun hier in Hamburg, gemeinsam, behördenübergreifend, damit die Frauen Digitalisierung aktiv mitgestalten, nicht nur die technische Dimension, sondern auch das ganze gesellschaftliche Abbild.

(Beifall bei Uwe Giffei SPD)

Wir müssen dranbleiben jeden Tag. Nehmen wir uns ein Beispiel an den mutigen Frauen von damals und nehmen wir uns ein Beispiel an all denjenigen, die im Moment hier in Deutschland, Europa und der Welt aktiv sind und für die Sache der Frau streiten. Wir brauchen es, denn Frauenrechte sind Menschenrechte.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, verein- zelt bei der FDP und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion bekommt jetzt Frau Heyenn das Wort in der zweiten Runde für drei Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Keine Demokratie ohne allgemeines Wahlrecht. Bei jedem Befreiungskampf treibt die Forderung nach freien Wahlen die Menschen protestierend auf die Straße, und so auch um die Jahrhundertwende. Am 16. März 1919 beginnt in Hamburg die Demokratie. Es war das erste Mal, dass Frauen Sitz und Stimme hier im Hamburger Rathaus hatten, 17 Frauen an der Zahl. Das ist

nicht einfach vom Himmel gefallen. Das Wahlrecht musste von den Frauen genauso eingefordert und erkämpft werden wie das allgemeine Wahlrecht für die männlichen Bürger. Doch der Weg dahin war für die Frauen deutlich härter und deutlich länger und es gab immer wieder Rückschläge.

14 Jahre nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts gab es in Hamburg keine freien Wahlen mehr, keine Demokratie mehr und die Bürgerschaft wurde aufgelöst, das Ende der parlamentarischen Demokratie bis 1946.

Im nächsten Monat feiern wir 70 Jahre Grundgesetz und 25 Jahre Artikel 3 Absatz 2, der dem Staat die Aufgabe der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen zuweist. Es ist offenkundig, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen bleibt eine ständige Verpflichtung. Die Politik hat erkannt, solange die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie nicht beseitigt ist, wird es keine Gleichstellung der Geschlechter geben, auf Bundesebene zum Beispiel mit dem Elterngeld für Mütter und Väter und auf Landesebene zum Beispiel mit den kostenlosen Kitas und dem Hamburger Gleichstellungsgesetz, das in seiner Novellierung am 1. Januar 2015 in Paragraf 7 festlegt – das hat die Senatorin eben schon angesprochen –, dass alle Arbeitsplätze als teilzeitgeeignet auszuschreiben sind, auch Funktionen mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Die Gesetzgebung ist das eine, die Umsetzung das andere. 82 Prozent der Frauen gingen bei der Wahl am 19. Januar 1919 an die Urne, in Hamburg sogar über 90 Prozent. Bei der letzten Bürgerschaftswahl 2015 lag die Wahlbeteiligung noch bei 56,5 Prozent, dem niedrigsten Wert seit 1949. Meine Damen und Herren, wir müssen etwas tun.

Die Schulbehörde hat gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung in 2018 den Plakatwettbewerb "100 Jahre Frauenwahlrecht – Frauen und Mädchen geht wählen!" für alle Hamburger Schülerinnen und Schüler der Klasse 9 aufgelegt. Den zweiten Platz erhielt die Klasse 10c des Heilwig Gymnasiums. Auf dem Plakat ist zu lesen – ich zitiere –:

"Endlich Frauenwahlrecht! Jetzt reden wir! Geh zur Wahl! Nutze deine Stimme!"

Den ersten Platz erhielt die 10d der Klosterschule mit dem Slogan:

"Geht wählen, Männer und Frauen"

Damit soll ausgedrückt werden, dass Gleichstellung von Frauen eine Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter bleibt. Recht haben sie.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

(Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank)

Frau Engels hat noch einmal das Wort für die GRÜNE Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren ist Erfolg vieler Jahre heftigen Kampfes der Frauenbewegung, sie war ein Meilenstein in der Demokratiegeschichte, und die Zeit war damals mehr als reif. Fast 90 Prozent aller Frauen haben im Januar 1919 ihre Stimme abgegeben. Was für ein Fest der Gleichberechtigung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – André Trepoll CDU: Gleiche Rede wie eben!)

Und ein deutliches Zeichen dafür, wie wichtig die Frauen ihr Wahlrecht genommen haben. Wir haben bald wieder Wahlen, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, alle Hamburger und vor allem alle Hamburgerinnen zur Wahl aufzurufen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Gerade bei den Europawahlen geht es auch sehr zentral um die Rechte von Frauen. Europäische Politik hat schon häufig die Gleichstellung der Geschlechter vorangebracht. Ohne EU-Richtlinien, ohne die Charta für die Gleichstellung auf lokaler Ebene hätten wir einige Fortschritte nicht erzielt. Beispielhaft steht die Frauenquote in der Privatwirtschaft. Ohne den Druck der EU, bestehende Übereinkommen und Ziele endlich besser zu erfüllen, wäre diese sicherlich immer noch nicht Gesetz. Bei der Europawahl geht es aber auch darum, sich für ein besseres, ein stärkeres und vor allen Dingen ein gemeinsames Europa einzusetzen. Wir wollen und müssen mehr denn je die Demokratie gegen Angriffe von rechts verteidigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Mit dem stärker werdenden Rechtspopulismus in Europa gewinnen auch antifeministische Positionen an Rückhalt. Es ist im Interesse von uns Frauen, nicht zuzulassen, dass rechte Positionen im Europaparlament vertreten sind. Ein aktuelles Beispiel

(Zuruf: Zum Thema!)

sind die politischen Freunde der AfD in Italien. Sie wollen Scheidungen erschweren und das Recht auf Unterhalt abschaffen. Welch ein Rückschritt wird da vorbereitet.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Deswegen werden wir GRÜNE – und ich gehe auch davon aus, viele Demokratinnen und Demokraten dieses Hauses – uns noch lauter und vehe

menter für Demokratie und Gleichberechtigung einsetzen. Für uns ist es ein politisches Selbstverständnis, dass die Hälfte der Macht den Frauen gehört, ob vor Ort, im Bezirk oder in der europäischen Politik. Wie gut, dass bald Europawahlen sind, die den Frauen in Europa die Möglichkeit bieten, für demokratische und gleichberechtigte Strukturen zu stimmen,

(André Trepoll CDU: Warum haben Sie in Wandsbek keine Frauen aufgestellt?)

damit Europa und somit auch Deutschland und Hamburg feministischer werden. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Arndt hat das Wort für die SPD-Fraktion.