Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

(Heiterkeit bei Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber doch nicht wegen der Einkaufszeit.)

Über 60.000 Menschen sind im Tourismus beschäftigt.

Ich freue mich über Ihre saloppe Art, Herr Schoenenburg, wie Sie mit dem Wirtschaftszweig Tourismus umgehen.

(Heiterkeit bei Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

15.000 bis 20.000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Saison und immerhin – und das ist wichtig für unser Land – neun Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt.

Allein auf meiner Heimatinsel Rügen – auch von Frau Kassner bereits erwähnt – wurden 5,8 Millionen Übernachtungen erreicht mit einem Nettoumsatz von immerhin über 750 Millionen DM. Doch es gilt nicht – wie bekannt – mit Zahlen zu brillieren, sondern aus der wirtschaftlichen Betrachtung politisch konsequent zu handeln. Unsere Bäderregelung war die politisch konsequente Antwort auf immerhin 6,27 Milliarden DM in gewerbliche Investitionen.

In unserer sehr stringenten Kurortegesetzgebung haben insbesondere die Seebäder enorme Investitionen ausgelöst, um den hohen Anspruch der Leistungskriterien für die Prädikatisierung zu erreichen. 13.800 Betten sind allein in der Reha-Landschaft Mecklenburg-Vorpommern entstanden. Dahinter verbergen sich 6.000 Arbeitsplätze. Diese enormen Investitionen stehen für den hohen politischen Anspruch, Dauerarbeitsplätze zu schaffen und auch die Tourismussaison in unserem Land zu verlängern, um nicht gleich übermotiviert über einen ganzjährigen Tourismus zu sprechen.

Auf der ITB am 13. März 2000, wo von uns ja viele vertreten waren, wurde das Tourismusbarometer der ostdeutschen Sparkassen vorgestellt. Die Kurkliniken und Sanatorien gelten als Stabilisatoren einer ganzjährigen Tourismuswirtschaft. Es wurde richtig erkannt, dass diese Investitionen erst dann wirtschaftliche Erfolge haben, wenn die Kernprodukte Hotelerie, Gastronomie, Dienstleistung, Handel, Kulturangebote in den hochfrequentierten Erholungsorten touristisch vernetzt werden und als wirtschaftliche Synergieketten funktionieren. Wir sprechen wie alle von den sogenannten Wirtschaftskreisläufen.

Diese bislang bestehende Bäderregelung wurde mit großer Zustimmung von Unternehmen, kommunalpolitischen Verbänden, Bürgermeistern, Landräten und dem Tourismusverband des Landes begrüßt und zu der Zeit vor allem auch von den Kirchen als tragfähiger Kompromiss akzeptiert. Im Ergebnis wurde damit einem antiquierten Ladenschlussgesetz wirtschaftliches Leben eingehaucht. Diese Bäderregelung bezieht sich im Wesentlichen auf die hochfrequentierten Bäder- und Fremdenverkehrsorte und sollte eben nicht zum siebten Einkaufstag für City-Großmärkte mutieren

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist aber neu. Ist das die Auffassung der CDU? Herr Jäger, sind Sie noch da?)

und nicht den eigentlichen Sinn...

Ja, hören Sie mal richtig hin. Ja, das lohnt jetzt nicht, Frau Gramkow, wenn Sie einen Nachhilfekurs kriegen, es geht gleich um Schwerin.

Und so wurden folgerichtig die kreisfreien Städte, insbesondere die touristisch attraktiven Innenstädte von Greifswald, Rostock, Neubrandenburg, Stralsund und Wismar, mit einbezogen. Heute stellt sich diese Entscheidung janusköpfig – zweigesichtig – dar. Durch das Entstehen von Großmärkten auf der Wiese, der sprichwörtlich modernen Stadtmauern des 20. Jahrhunderts, beklagt der Einzelhandel zu Recht ein Abwandern der Kaufkraft aus den Innenstädten auf die grüne Wiese. Die enormen Summen für Grundstücke, Immobilien und den Abkauf von Parkflächen in den Innenstädten beschleunigten diesen Prozess negativ.

(Angelika Gramkow, PDS: Ha, ha!)

Dieser Gigantismus auf der grünen Wiese, so vom Einzelhandelsverband benannt, wurde bereits 1995 beklagt, zur Zeit des Wirtschaftsministers Dr. Ringstorff.

(Heiterkeit und Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Nein, ich gebe doch bloß Fakten bekannt.

(Unruhe und Heiterkeit bei Abgeordneten der PDS – Angelika Gramkow, PDS: Billiger geht es wirklich nicht.)

Das ist doch keine Kritik, es ist doch keine Kritik. Hören Sie doch bitte mal in die Sinnhaftigkeit!

(Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Das glaube ich Ihnen sogar, denn aus Schwerin sind ja immerhin 7.000 Menschen abgezogen und haben außerhalb der Stadt Eigenheime gebaut.

(Angelika Gramkow, PDS: Dafür bin ich ja auch verantwortlich.)

Wir kommen noch zu Todsünden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Die Bäderregelung, die den frequentierten historischen Innenstädten wieder Verkaufsleben einflößte, auch der Stadt Schwerin, wurde von den Einzelhändlern begrüßt, aber auch sehr realkritisch diskutiert. Und so heißt es im aktuellen Umfrageergebnis der IHK zu Schwerin vom 3. August 1999 – und die sollten Sie sich angucken, Frau Gramkow –

(Angelika Gramkow, PDS: Ist mir bekannt.)

zum Ladenschluss und zur Bäderregelung auf Seite 5: „An den Sonntagen generell zu schließen halten 59,1 Prozent der Befragten in Einkaufszentren und immerhin 71,7 Prozent der anderen Altstadthändler für sinnvoll.“ Nach Aussage der IHK wurden 300 Unternehmer der Schweriner Innenstadt befragt. Die Händler sagen Schließen und die Käufer, die Konsumenten, sagen Aufmachen.

(Angelika Gramkow, PDS: Und warum sagen das die Händler?)

Es geht ja noch weiter.

(Angelika Gramkow, PDS: Ja, ich wollte ja nur, dass Sie das auch vorlesen.)

Noch interessanter fällt die Antwort zur Frage aus: Wer sollte die Entscheidung über die Ladenöffnungszeiten treffen? 40 Prozent sagen Bund und Land, 36,2 Prozent der Unternehmer, etwa 20 Prozent nur Gemeinde, Stadt. Damit schließt sich der Kreislauf. Die Politik ist gefordert und diskutiert über das Ladenschlussgesetz seit Jahren ergebnislos.

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)

Gutachten zur Vitalisierung der Innenstädte und Landesförderprogramme für City-Manager ersetzen einen Teil politischer Unentschlossenheit. 36,2 Prozent der Unternehmer fordern, selbst zu entscheiden, was die bisher geltende Bäderregelung freigestellt hat. Da heißt es, die Verkaufsstellen „dürfen“ geöffnet sein. In den Auflagen sind neun Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgeschrieben. Die Bäderregelung sagt eindeutig, der Unternehmer darf Dienstleister sein. Und in diese Bäderregelung kommt nun ein zweifelhafter Ruf.

Durch ein Urteil vom Verwaltungsgericht vom 9. Februar wurde den Klagen von sechs Arbeitnehmern gegen die bislang geltenden verlängerten Öffnungszeiten in den Innenstädten von Schwerin und Wismar stattgegeben. Natürlich weiß ich als Kommunal- und Landespolitikerin juristische Entscheidungen zunächst zu akzeptieren. Der dort aufgeführte Paragraph 23 des Ladenschlussgesetzes vom 28. November 1956, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 30. Juli 1996, gab uns aber hier im Land den politischen Mut, eine Ausnahmebewilligung für die Tourismuswirtschaft unseres Landes unter Vorbehalt des jederzeit möglichen Widerrufs zu erteilen. Gleicher Paragraph 23 wird im Verwaltungsurteil in seinem Inhalt meines Erachtens historisch auf das Jahr 1956 interpretiert, eben dass dieser Paragraph nur zur Beseitigung kurzfristig auftretender Versorgungsmängel herangezogen werden könne. Diese Betrachtung ist für mich total antiquiert, denn 1956 gab es sicherlich ganz andere wirtschaftliche Betrachtungen zu kurzfristigen Versorgungsmängeln, die Warendecke war noch gar nicht vorhanden

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Es gab die HO. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

und dieses Gesetz entstand elf Jahre nach einem verheerenden Weltkrieg.

44 Jahre danach stellt sich uns doch ein ganz anderes Bild dar. Dieser Paragraph hat im Jahr 2000 längst seinen Anspruch verloren. Versorgungsmängel in heutiger Zeit entstehen, wenn in hochfrequentierten Tourismusgebieten, wie zum Beispiel in Warnemünde, Tausende Kurzurlauber über das Wochenende eintreffen und vor ver

schlossenen Läden flanieren, ein Warnemünder Strom, in dem sprichwörtlich Kundenströme versiegen. 1956 vor einer Schaufensterscheibe zu stehen, wo nichts drin ist, das ist ein Versorgungsmangel. Im Jahr 2000 vor einer Schaufensterscheibe zu stehen, wo alles prall gefüllt ist, und nicht Einkaufen zu können, das ist in umgekehrter Weise ein Versorgungsmangel.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Spätestens seitdem Tankstellen, Bahnhöfe und Flughäfen zu regelrechten Supermärkten expandieren, in denen Kunden 24 Stunden am Tag einkaufen können, wissen wir, dass es illusorisch ist, die Ladenschlussbestimmungen in der bestehenden Form beizubehalten. Entsprechend den Vorstellungen der CDU könnte das Ladenschlussgesetz für Werktage bundesweit ersatzlos gestrichen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und Erhard Bräunig, SPD – Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Das nimmt auch den Druck auf die Sonn- und Feiertage. Die Läden selbst sollten an Werktagen ihre Öffnungszeiten bestimmen. Touristisch hochfrequentierte Gebiete müssen durch eine bald mögliche Novellierung des Ladenschlussgesetzes Rechtssicherheit als ausgesprochener und besonderer Dienstleister im Tourismus erhalten. Und da geht es insbesondere um den Paragraphen 10.

Unser Land hat im Übrigen auch im Landesraumordnungsprogramm 26 Erholungsgebiete ausgewiesen. Allen ist bekannt, welch ein tourismuspolitischer Forschungsund Standortvorteil unsere Bäderregelung für Mecklenburg-Vorpommern mit Blick auf ein erstarrtes Ladenschlussgesetz ist – doch korrekter ist leider bereits, war.

Und jetzt, Herr Wirtschaftsminister, zu Ihnen. Obwohl sich eine Klage durch Kritiker und Gegner abzeichnete, verharrte die Landesregierung in Kommunikationslosigkeit.

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Monate warteten die Kirchen auf ein Gesprächsangebot.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Das ist der Fakt.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ganz so hart dürfen Sie es deswegen nicht sagen.)

Ein Wirtschaftsminister müsste eigentlich der größte Lobbyist der Tourismusbranche sein und ich sehe das auch noch so. Aber er bleibt verhalten