Seitens der PDS sehen wir in einer Armuts- und Reichtumsberichterstattung ein Instrument für die Zukunftsgestaltung unseres Landes. Mit dem dann vorhandenen Wissen um Fakten und Zusammenhänge gilt es, Instrumente zu benutzen, um verfassungsrechtliche Grundsätze zu verwirklichen, so das Recht auf die Würde des Menschen, das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit.
Für uns demokratische Sozialisten ist eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung erklärtermaßen Mittel zum Zweck. Das Mittel ist der Bericht selbst. Zweck ist es, durch organisiertes Vorgehen allen Bewohnern unseres Landes die Mittel für ein selbstbestimmtes Leben und zur freien Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu sichern, und das in stets wachsendem Maße.
wissen Sie, das macht mich so betroffen. Wir müssen uns gemeinsam bemühen, Arbeitslosigkeit abzubauen.
Wir müssen uns gemeinsam bemühen, der Armut Herr zu werden, die Armut zu bekämpfen. Das ist unser gemeinsames Anliegen.
Alles schlägt fehl, wenn wir dahin kommen, dass wir uns an solchen Sachen, nämlich auf dem Rücken der Betroffenen, derartig auseinander setzen. Das treibt mich einfach um.
Also, zum einen ermöglicht eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung konkrete Aussagen zur Lebenssituation von Menschen in sozialer Notlage.
(Harry Glawe, CDU: Sie können sich hinstellen und in der Regierung alles abstim- men. Dann brauchen Sie sich hier im Parlament nicht hinzustellen. – Heike Lorenz, PDS: Das mussten Sie aber auch schon.)
Uns allen ist wohl schon die landläufige Auffassung begegnet, dass dort, wo es Armut gäbe, dieselbe offenkundig wäre und dort, wo es Reichtum, sprich auch Kapital, gäbe, es scheu wie ein Reh sei. Ich denke, dem ist nicht so. Eine solche Auffassung ist viel zu einseitig. Armut ist viel mehr als auffällige Erscheinung wie ungepflegtes Äußeres, schlechte Zähne, üble Gerüche, verwahrloste Kleidung und so weiter. Ich behaupte, dass Armut auch als Resignation, als Rückzug auf das Fernsehprogramm als gesellschaftliches Ereignis, als Einsamkeit, Krankheit oder Aggressivität daherkommt. Armut hat also viele Facetten, sichtbare wie verschämte.
Reichtum wiederum wird als Kontrast zur Armut betrachtet. Einkommens- und Vermögensreichtum sieht, wer offenen Auges durchs Leben geht. Symbole von Reichtumskarrieren sind durchaus erkennbar.
Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt seit 1993 im Landtag die verschiedensten Bestrebungen, ein Instrument zu erhalten, das als Grundlage für fundierte Schlussfolgerungen zur Entwicklung in unserem Land dienen kann. Damals entschied man sich für eine Sozialberichterstattung über ausgesuchte Problemlagen, das heißt für eine qualitative Berichterstattung. Die Quantitäten einzelner Tatbestände stehen dem interessierten Politiker schließlich in zahlreichen Quellen zur Verfügung. Aber zielgerichtete Politik erfordert ein regelmäßig eingesetztes Beobachtungsinstrument, das nicht nur punktuell, sondern lebenslagenorientiert widerspiegelt, das nicht auf der Grundlage veralteter Daten nur Analysen längst vergangenen Handelns bietet, sondern das echtes, vorausschauendes Agieren und damit Politik im wahrsten Sinne des Wortes möglich macht.
In einer Einschätzung zur bisherigen Landessozialberichterstattung durch das Sozialministerium heißt es – und auch das ist eben ein Grund, warum wir das hier zur Sprache bringen wollen:
„Wichtige politische Entscheidungen werden auf einer empirischen Basis getroffen, die nicht notwendigerweise die Problemlage im Land widerspiegeln. So werden Verteilungsmaßstäbe für Fördermittel im sozialen Bereich aufgrund einer Pro-Kopf-Verteilung ausgereicht, ohne eine tatsächlich proportionale Verteilung der Problemlagen nachgewiesen zu haben, territoriale Disproportionen und Disparitäten bleiben unbeachtet.“
Es muss unser gemeinsames Ziel, Herr Glawe, sein – aller politischen Ebenen, vom ehrenamtlichen Bürgermeister bis zum Mitglied des Landtages –, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an einem Strang zu ziehen und in eine Richtung. Bisher scheint es jedoch zuweilen an einer einheitlichen Sprache zu mangeln. Anders kann ich mir eine kürzlich ausgesprochene Ablehnung des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern am Mitwirken des Zusammentragens von Sozialdaten nicht erklären.
Anliegen eines Armuts- und Reichtumsberichtes für unser Land ist es eben nicht, neue Datenfriedhöfe zu schaffen, noch mehr Arbeitskraft in ungelesenes Papier zu verschwenden. Ganz im Gegenteil, es geht uns darum, die auf den unterschiedlichen Ebenen vorhandenen Datensammlungen dergestalt zusammenzuführen, dass wiederum alle Ebenen auch einen Nutzen für ihre Aufgaben daraus ableiten können. Schließlich ist es doch so, dass es ohnehin in den meisten Kommunen – wenn auch nicht eine systematische Sozialplanung, so doch nach gesetzlichen und kommunalpolitischen Vorgaben – eine Vielzahl von Datenerfassungen gibt, für die kein zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt werden müsste.
Ergebnis einer Abstimmung der zu erfassenden Daten könnte auch sein, dass Kommunen bisher nicht zentral erfasste Daten dem Land zur Verfügung stellen und im Gegenzug dafür zum Beispiel der jährlich durchgeführte Mikrozensus auch auf die kommunale Ebene bezogen ausgewertet werden kann. Bisher erfolgt dieses nur für das Land selbst und für die Großstädte, denn gerade im
Rahmen des Mikrozensus, deswegen sage ich das, werden solche Angaben erhoben, zu denen Kommunen sonst keinerlei Zugang haben, wie zu Angaben zu Haushaltsund Familienzusammenhängen, Renten- und Pflegeversicherung, Quellen des Lebensunterhaltes, der Wohnsituation, der Gesundheit und vieles andere mehr. Es kann beispielsweise für die Kommunen nicht uninteressant sein zu erfahren, wie sich die Kaufkraft in ihrem Zuständigkeitsbereich entwickelt, ob durch den so genannten Speckgürteleffekt und dessen Umkehrung auch für die Städte unseres Landes Tendenzen der Verarmung drohen. Bisher liefert lediglich die Sozialhilfestatistik Anhaltspunkte, die auf bundesweit einheitlicher Basis erhoben wird, aber auch nur eine Stichtagserhebung zum 31. Dezember eines Jahres darstellt.
Ich denke, sehr geehrte Damen und Herren, dass daran deutlich wird, wie komplex die Betrachtung zu einer Armuts- und Reichtumsberichterstattung sein muss. Das politisch Wertvolle besteht darin, dass eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung sowohl im Bund, woran ja ebenfalls gearbeitet wurde, Frau Dr. Seemann nannte es, als auch in unserem Land etwas in seiner Umfänglichkeit Neuartiges darstellt. Für die PDS ist dieser Umstand ein Aspekt einer neuen, einer anderen Politik, die sich von der der Vorgängerregierung bewusst abhebt.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit Blick auf die aktuelle Diskussion über die Steuergesetzgebung sehen wir seitens der PDS im Zusammenhang mit dem Thema Armut und Reichtum den Umstand als kritisch an, dass die Absicht besteht, neben dem Eingangssteuersatz und einer Erhöhung des Existenzminimums, was wir ausdrücklich begrüßen, allerdings noch für zu gering halten, auch den Spitzensteuersatz zu senken. Es wird auch gewollt, große Unternehmensverkäufe nur halb zu versteuern, während der kleine Bäcker um die Ecke, ich nehme mal dieses Beispiel, im Fall der Unternehmensveräußerung voll besteuert werden soll. Diese Vorhaben verstärken aus unserer Sicht Mechanismen, die bewirken, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen keine merkliche Minderung ihres Schicksals erfahren.
Insofern bleibt der Zustand bestehen, dass die Reichen in unserem Land mit staatlichem Wohlwollen keinen adäquaten Anteil an der so notwendigen Solidarität leisten, ganz zu schweigen davon, dass das Verfassungsgebot des Artikels 14 des Grundgesetzes nicht erfüllt ist, in dem es heißt „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich“ – und ich betone das „zugleich“, denn es heißt „zugleich“ und nicht „später“ oder „irgendwann“ – „dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Sehr geehrte Damen und Herren, der Armuts- und Reichtumsbericht soll ein differenziertes Bild der sozialen Lage unter Verteilung materieller Ressourcen im Land zeichnen und damit für alle Entscheidungsebenen eine kompetente Grundlage liefern.
Lassen Sie mich abschließend auf den Sozialwissenschaftler Dr. Rosenbrock verweisen. Er belegte im vergangenen Dezember auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ in Berlin anhand empirischer Untersuchungen, dass arme Menschen eine um etwa sieben Jahre kürzere Lebenserwartung haben als reiche Menschen. Ein Zustand, der aufgrund der sozialen Stellung bewirkt, dass beispielsweise ein Professor eine um sieben Jahre höhe
re Lebenserwartung hat als ein Sozialhilfeempfänger, ist inhuman, verfassungswidrig und unseres Landes unwürdig.
Eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung muss Hilfsmittel zur gezielten Bekämpfung von Armut sein. – Ich danke Ihnen für das Interesse.
Herr Kollege Glawe, ich habe zwar vernommen, dass Ihre Fraktion dem Antrag nicht zustimmen will, aber die Gründe konnte ich beim besten Willen Ihrer Rede nicht entnehmen. Ich möchte aber vorneweg gleich betonen, dass die Fraktion der SPD eine Abstimmung in der Sache hier heute im Parlament und keine Überweisung in den Ausschuss haben möchte.
Meine sehr gehrten Damen und Herren, ein Problem der Armutsberichterstattung ist die unterschiedliche konzeptionelle Anforderung. So wird in den meisten Fällen erwartet, dass auch praktische Konsequenzen und notwendige Handlungskonzepte in die Berichterstattung einbezogen werden. Dazu könnte die Formulierung von Handlungszielen, die Definition von Indikatoren, das hatte ich vorhin schon gesagt, aber auch die Erfolgskontrolle von Maßnahmen gehören. Ein solches Vorgehen wird vor allem auch in der Gesundheitsberichterstattung in den Ländern erörtert.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat zum Beispiel für die Gesundheit bereits die Definition von Politikzielen vorgenommen und eine Berichterstattung auf der Basis von Indikatoren begonnen. Entscheidend für die Konzeption einer Armutsberichterstattung ist meines Erachtens aber auch die Berücksichtigung der Lebenslagen der mutmaßlich von Armut oder sozialer Benachteiligung betroffenen Personen und Familien. Herr Koplin ist darauf ja auch schon eingegangen. Allein mit statistischen Indikatoren lässt sich die Situation nur unzureichend beschreiben. Jede statistische Darstellung, meist auf der Basis der Erhebung zu einem bestimmten Zeitpunkt, muss gegenüber dem alltäglichen Leben und den Übergängen zwischen akuter Armut, Armutsgefährdung und potentieller Armut abstrakt bleiben. Vor diesem Hintergrund wird das gesellschaftlich und politisch sensible Thema Armut zwangsläufig immer wieder zum Gegenstand häufiger Kontroversen über Datengrundlagen und Definitionen. Aus diesem Grunde plädiere ich für die Verbindung von klar bestimmter quantitativer Analyse mit einer wissenschaftlich sauberen deskriptiven Analyse, aus der Handlungsleitlinien für unterschiedliche politische und gesetzgeberische Maßnahmen abgeleitet werden können.
Meine Damen und Herren, eine Armutsberichterstattung, die der Entwicklung und Realität von Armut und sozialer Benachteiligung möglichst nahe kommen will, kann sich aber nicht allein auf die Wiedergabe verfügbarer statistischer Daten oder aktueller Forschungsbefunde beschränken. Was Armut heute bedeuten kann und welche Schlussfolgerungen für politisches Handeln sich daraus ergeben, sollte zudem durch verschiedene Wege der
Wahrnehmung ergründet werden. Individuelle Armut wird unabhängig von amtlich gesetzten Werten gefühlt und erlebt. Nicht selten reicht das Erlebnis einer alleinstehenden Mutter, dem Kind den Schulausflug aufgrund der anfallenden Kosten zum Beispiel nicht ermöglichen zu können. Aus der theoretischen Armutsdiskussion abgeleitete und für die empirische Forschung operationalisierte Armutsgrenzen müssten weit über die Dimension der Einkommen hinaus Prozesse sozialer Ausgrenzung einbeziehen.
Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Armut kein rein finanziell-materielles Problem ist, sondern vor allem ein sozial-strukturelles und sozial-psychologisches. Dementsprechend sollte der Aspekt der Dynamik von Armut mit untersucht werden, denn qualitativ ist eine Armutssituation mit einer Dauer von wenigen Monaten etwas völlig anderes als jahrelanges Verharren in einer als arm zu klassifizierenden Lebenslage. Diese Anforderungen sind derzeit in der empirischen Forschung kaum umsetzbar. Sie machen jedoch deutlich, dass Armut vermutlich mit einer einfachen Armutsgrenze kaum adäquat zu erfassen sein wird. Die Notwendigkeit der Verfeinerung empirischer Messinstrumente zur Erfassung von Armut wird auch in Expertenkreisen diskutiert. Die eigentliche Schwierigkeit besteht jedoch darin, eine der Komplexität des Problems gerecht werdende Lösung zu finden.
Meine Damen und Herren, in unserer Gesellschaft ist die zunehmende Armut vieler Menschen immer noch ein verdrängtes Thema. Herr Glawe, und den Eindruck hatte ich bei Ihnen auch, wenn wir das mal still und heimlich im Ausschuss beraten sollen.
Existentielle Nöte von Frauen, Männern, Jugendlichen und immer mehr Kindern gehören zu den Tabus unserer Zeit, an die sich kaum jemand traut. Wir mussten in den letzten Jahren zur Kenntnis nehmen, dass die Armut als Massenerscheinung wieder Einzug in Deutschland gehalten hat. Statt zu verschleiern, Herr Glawe, müssen wir uns diesem Problem widmen und konkrete Lösungen entwickeln. Dafür brauchen wir ein Zusammenwirken der verschiedenen Politikbereiche und die Kooperation aller gesellschaftlichen Gruppen.
Meine Damen und Herren, die CDU-geführte Bundesregierung hatte mit ihrer Politik der Umverteilung zur Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung beigetragen. Reiche wurden überdurchschnittlich begünstigt und Arme zunehmend an den Rand verwiesen. Als Ergebnis hatten wir am Ende der Regierungszeit Kohls eine soziale Lage, in der Sprengstoff lag. Ich hoffe, meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben daraus gelernt, und vielleicht überlegen Sie sich ja doch, Herr Glawe, diesem Antrag zuzustimmen, denn was wir heute versäumen, lässt sich morgen nur schwer nachholen.
Meine Damen und Herren, wir wollen keine Armutspolitik im Blindflug à la Kohl. Ein Armuts- und Reichtumsbericht ist dafür die Voraussetzung. Es ist wohl heute auch in der Debatte deutlich geworden, dass schon allein die Entwicklung des Verfahrens zur Armutsberichterstattung sehr aufwendig und kompliziert ist. Deshalb haben wir dies auch der Armuts- und Reichtumsberichterstattung als Antrag vorangestellt. Ich hoffe, dass der Zeithorizont dabei ausreichend sein wird.
Ich bitte nochmals um Zustimmung heute hier im Parlament und nicht zur Überweisung und bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit. – Danke.