Protokoll der Sitzung vom 21.09.2000

Ich bitte Sie herzlich – und da greife ich den Appell von Herrn Schlotmann gerne auf –, lassen Sie uns doch nicht das Schaubild geben, dass wir nicht in der Lage sind, da, wo wir ein Riesenproblem für dieses Land sehen, uns gemeinschaftlich zu verhalten und zu zeigen, wir Politiker

sind uns einig gegen den Rechtsextremismus. Und wenn Sie diesem Vorschlag folgen, Sie verzögern, nein, Sie gewinnen – Sie verlieren einen knappen Monat, Sie wissen, wann wir die nächste Landtagssitzung haben –, Sie gewinnen eine Einheitlichkeit der Demokraten zu ganz konkreten Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus. Ich hoffe, dass es Ihnen wert ist, und bitte Sie noch mal, beide Anträge in die Ausschüsse zu verweisen, damit wir einen und dann konkreten daraus machen können. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat der Justizminister Herr Sellering. Bitte sehr, Herr Minister.

(Siegfried Friese, SPD: Glück auf!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns einig in dem Erschrecken und in der Abscheu über die Gewalttaten der letzten Monate, egal ob diese Hass- und Gewaltexzesse nun von rechtsextremer Ideologie oder von einer sonst menschenverachtenden Haltung gesteuert sind. Für unser Land Mecklenburg-Vorpommern liegt darin auch ein schwerer Ansehensverlust, ein politischer, sogar ein wirtschaftlicher Schaden. Auch wenn ich erkenne und an dieser Stelle ausdrücklich betonen will, dass vergleichbare Erscheinungen nicht ein Problem des Ostens oder der neuen Länder sind, sondern an vielen anderen Orten der Bundesrepublik Deutschland ebenso vorkommen, so haben wir doch allen Grund, das Problem des Rechtsradikalismus in unserem Land nicht klein zu reden. Wir müssen uns diesem Problem mit aller Entschlossenheit und mit aller Tatkraft stellen. Die aus dem Kreis rechtsextrem oder fremdenfeindlich eingestellter Straftäter begangenen Gewalttaten, das Maß an Ablehnung von Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder weil sie obdachlos oder behindert sind, fordern zu einem entschlossenen politischen Handeln heraus.

Meine Damen und Herren! Unabhängig von Prävention und Erziehung – wozu hier mehrere Vorredner gesprochen haben, der Rechtsstaat, für den ich als Justizminister eine besondere Verantwortung trage – sind diese Taten mit Nachdruck, Konsequenz und Härte zu verfolgen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Es ist mir besonders wichtig, an dieser Stelle Folgendes festzuhalten: Die Justiz hat diese Aufgabe mit großer Ernsthaftigkeit, mit Nachdruck, mit großem persönlichen Einsatz bewältigt, immer in dem Bemühen, der Tat die Strafe auf dem Fuße folgen zu lassen. Für diese bisher geleistete Arbeit möchte ich den Staatsanwälten und Richtern sowie ihren Mitarbeitern ausdrücklich danken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Die diesen Tätern von den Gerichten auferlegten Strafen sind in der Öffentlichkeit auf breite Zustimmung gestoßen. Diese Strafen haben Signalgebung und die eindeutige Botschaft lautet: Der Rechtsstaat weicht vor der Gewalt nicht zurück. Vollzugsdefizite bei der Anwendung des geltenden Rechts brauchen wir uns nicht vorhalten zu lassen. Diese gute Arbeit allein reicht aber nicht aus. In der Verantwortung für den Schutz der Bürger vor brutaler Gewalt müssen wir darüber nachdenken, ob das Instru

mentarium, das uns das Strafrecht bietet, zu verbessern ist. Meine Damen und Herren, das will gut überlegt sein. Gerade wegen der Qualität der Bedrohung durch rechtsextremistische Gewalttaten müssen wir sehr genau analysieren, an welcher Stelle Verbesserungen möglich und notwendig sind. Es reicht nicht aus, noch einmal das vorzuschlagen, was schon in den letzten Jahrzehnten in Deutschland diskutiert, mit guten Gründen abgelehnt worden und dann in der Mottenkiste verschwunden ist. Deshalb, meine Damen und Herren von der CDU, führt Ihr Antrag nicht weiter.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Nach meiner Überzeugung brauchen wir Gesetzesänderungen, die deutlich machen, dass Straftaten aus Hass und Menschenverachtung gegen Ausländer oder Randgruppen besonders verwerflich und besonders verabscheuungswürdig sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, PDS und Dr. Armin Jäger, CDU)

Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, solche Straftaten härter zu bestrafen, als das bisher möglich war.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Okay.)

Mit den Strafen, die wir für einzelne Taten und für Täter gesetzlich vorsehen, zeigen wir sehr deutlich, ob wir ein bestimmtes kriminelles Verhalten weniger schwer oder eben ganz besonders schwer bewerten. Hier müssen wir ein Zeichen setzen.

(Beifall Dr. Armin Jäger, CDU)

Ich weiß mich einig mit meinem Amtsvorgänger Ministerpräsident Dr. Ringstorff, dass es an der Zeit ist, entsprechende Maßnahmen und Initiativen zu erarbeiten, die auf einer soliden Basis stehen und wirklich eine Antwort auf die aktuellen Probleme geben. Diese Konzepte werde ich Ihnen in Kürze vorstellen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass das am zweiten Tag meiner Amtszeit nicht möglich ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Eckhardt Rehberg, CDU: Ich denke, es ist schon alles fertig.)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schädel von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Schädel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Durchsicht meiner letzten Rede an dieser Stelle zum Thema „Rechtsextremismus im Land Mecklenburg-Vorpommern“ stellte ich fest, dass ich eigentlich alles das, was ich hier sagen könnte, schon gesagt habe. Allerdings war ich auf die Reden der CDU gespannt, denn die hatte beim Thema Rechtsextremismus beim letzten Mal vom Steine werfenden Minister Fischer, von der PKK, dem Linksextremismus, von Chaostagen in Hannover gesprochen. Ihr heutiger Antrag ist ein großer Fortschritt. Deshalb werden wir ihn in die Ausschüsse mit überweisen.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Herr Schädel, bei aller Liebe, Ihre Einschätzung brauchen wir nicht, Ihre wahrlich nicht!)

Ich denke, dass wir darüber diskutieren sollten. Sie haben, denke ich, sehr gute Ansätze.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Ihre wahrlich nicht!)

Leider muss ich jedoch auch feststellen, dass sich seitdem im Land nicht so sehr viel verändert hat.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Wer die linke Gewalt bejubelt, dessen Einschätzung brauchen wir nicht.)

Das heißt nicht, …

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Herr Schädel ist genauso ein Abgeordneter wie Sie, Herr Rehberg. – Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Barbara Borchardt, PDS)

Meine Damen und Herren, ich bitte, die Ausführungen des Redners zu beachten und auch zu achten. Es ist wichtig, dass wir aufeinander hören, sonst kommen wir in die politische Diskussion nicht hinein.

Bitte, Herr Schädel.

Ich musste leider auch feststellen, dass sich seitdem im Land aus meiner Sicht noch nicht so sehr viel bewegt. Das heißt nicht, dass ich die Bemühungen der Behörden der Landesregierung, der vielen Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren, gering schätzen möchte, dass ich diesen Menschen vorwerfe, dass sie sich nicht bemühen darum.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Das ist schon hanebüchen! Das ist wirklich hanebüchen!)

Ihnen in den Bündnissen gegen Rechts, in antifaschistischen Gruppen, in den Vereinen und Verbänden, in den Behörden, Gewerkschaften, Parteien, Schulen gebührt unser Dank. Hätten sie nicht immer wieder auf das Thema aufmerksam gemacht – noch bevor andere plötzlich und unerwartet zu Antifaschisten geworden sind – und darauf hingewiesen, dass Faschisten in den öffentlichen Raum drängen, und wären sie nicht so mutig gewesen, sich den Nazis in den Weg zu stellen und ihnen öffentliche Räume nicht kampflos und widerspruchslos zu überlassen, müssten wir heute vielleicht von noch katastrophaleren Bedingungen in unserem Land ausgehen. Diesen Menschen gilt unser Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich werde nicht weiter auf diese Erscheinungen eingehen. Das haben meine VorrednerInnen bereits getan. In der Einschätzung der beiden vorliegenden Anträge schließe ich mich meinem Kollegen Peter Ritter an. Ich möchte nur nochmals wiederholen, was ich bereits in meiner Rede vor einigen Monaten hier im Haus sagte: Das Hauptproblem sind nicht die gewalttätigen Nazis und die anderen Gewalttäter, die gegen andere vorgehen. Es sind meiner Meinung nach die vielen stillen, duldenden, zuschauenden AnhängerInnen des politischen Extremismus. Es sind der alltägliche Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit, die sich in kurzen Bemerkungen auf der Straße, in Geschäften, im Nichteingreifen, in den Juden-, Türken-, Russen-, Polen-, Schwulenwitzen ausdrücken oder in Parolen wie „Kinder statt Inder“ gipfeln, die die Gesellschaft der Bundesrepublik durchsetzt haben und leider von der Mitte der Gesellschaft zu oft mitgetragen oder widerspruchslos hingenommen werden.

Trotz aller gegenteiliger Bekundungen gibt es in der Gesellschaft der Bundesrepublik eine permanente Angst

vor dem und den Fremden. Bis in die Mitte der Gesellschaft, in allen sozialen Schichten und in allen Altersgruppen gibt es diese Sympathie für diejenigen, die umsetzen, was sie und andere denken. Die einen denken und sagen „Das Boot ist voll.“ und die anderen schlagen diejenigen tot, die in dieses trockene Boot reinwollen. Die einen grübeln über und reden von „Sozialbetrügern“ und die anderen schlagen diese „Betrüger“ eben tot. Die einen erlassen diskriminierende Asyl- und Ausländergesetze, die anderen diskriminieren AsylbewerberInnen und Ausländer. Die einen unterscheiden zwischen „nützlichen und anderen AusländerInnen“, die anderen verprügeln die „Unnützen“.

Ich rechtfertige hier keineswegs Gewalttaten. Doch wie soll diese Gesellschaft, die bereits dadurch ausgrenzt, dass sie nur Starke, Gesunde und Leistungsfähige benötigt, und wo die Heuchelei es zu besonderen Blüten bringt, wie soll diese Gesellschaft für ein friedliches Miteinander aller werben, wenn sie so bleibt, wie sie ist? Es bringt doch nichts, sich vor so einem Hintergrund damit auseinander setzen zu wollen, dass sich in dieser Gesellschaft Strukturen entwickelten, die darauf aus sind, „minderwertiges“ Leben auszusondern und nur noch „reinen“ zu wollen. Bildung und das Erleben menschlicher Verhältnisse und Umgangsformen sind notwendig.

(Beifall Götz Kreuzer, PDS, und Heike Lorenz, PDS)

Dafür müssen dann auch einige Mittel mehr zur Verfügung gestellt werden als die, die bisher in allen Haushalten eingeplant sind. Dazu muss investiert werden, wie auch in andere Zukunftsbereiche investiert wird. Vom Reden allein kommt noch nicht viel.

Der Landesjugendring hat in seinem offenen Brief vom Februar des Jahres an die Landesregierung sehr ausführlich verschiedene Betätigungsfelder aufgezeigt. Nochmals brachten sich Jugendliche im Frühjahr und Sommer mit ihren Vorstellungen in Schriftform sowie mit der Demokratie-Tour und der StrandGut-Tour auch mit Handlungen für Demokratie und Toleranz in unserem Land ein. Vor 14 Tagen ist die gelungene Veranstaltung „Jugend im Landtag“ gelaufen. Jugendliche machen was!

Jetzt hat der Landesjugendring ein umfassendes Landesprogramm für Demokratie und Toleranz in Mecklenburg-Vorpommern vorgelegt – ein Programm, das nicht darauf aus ist, Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit einzuengen, ein Programm, das sich an den erprobten und durchgeführten Programmen „Tolerantes Brandenburg“ und „Weltoffenes Sachsen-Anhalt“ orientiert und die dort gemachten Erfahrungen berücksichtigt, ein Programm, das einen gesellschaftlichen Ansatz vertritt, einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, das Politik und Schule, Wirtschaft und Ehrenamt zusammenholt, das mobilisierend und initiierend wirken soll, das Information, Prävention, Repression und Opferschutz beinhaltet, das akzeptierende Jugendarbeit nur dann zulassen will, wenn sie qualifiziert und wissenschaftlich begleitet wird, ein Programm, das Bildung, Beteiligung und Integration zum Ziel hat, das AusländerInnen und die sie unterstützenden Gruppen nicht als Gegner, sondern als Verbündete gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sieht, das MecklenburgVorpommern nicht nur helfen will, sich für die ausländische Wirtschaft zu öffnen, sondern den hier lebenden Menschen auch einen Weltblick ermöglichen soll, das Schule, Ausbildung und Arbeit zu lebenswerten Orten umgestalten will, das den Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zur Chefsache der Landes

regierung und des Ministerpräsidenten macht und in die Zukunft gewandt ist.

Versuche in diese Richtung wurden ja bereits unternommen – ich ging darauf vorhin schon mal ein und einige Vorredner taten es auch –, zum Beispiel im „Für Demokratie und Toleranz in Mecklenburg-Vorpommern e. V.“, von der Landesregierung unterstützt. Doch über den Versuchsstatus ist mensch dabei leider nicht hinausgekommen, denn für Arbeit gegen Rechtsextremismus reicht guter Wille der Beschäftigten nicht mehr aus. Wenn Stellen nach arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten in diesem Verein wie in vielen anderen des Landes besetzt werden und nicht zuerst nach der fachlichen Qualifikation geschaut wird, dann wird es unmöglich, sich auch einmal externen Sachverstand nach Mecklenburg-Vorpommern zu holen, dann bleibt es bei einem Versuch.

Die Tageszeitung (TAZ) titelte gestern „Billig gegen Rechts“ in Bezug auf diesen Versuch in unserem Land. Wer in den Kampf gegen Rechtsextremismus für Demokratie und Toleranz investiert, investiert in die Zukunft. Er zeigt jungen Menschen eine Zukunftsperspektive in unserem Land auf. Nehmen Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Landesregierung und KollegInnen Abgeordnete, die Idee der Jugendlichen ernst und greifen Sie dieses Programm auf! Wer unter diesen Bedingungen bei diesem Thema immer noch von Sparen oder haushaltsneutralem Agieren redet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und sorgt letztlich dafür, dass weiter faschistische und rechtsextremistische Auswüchse verharmlost werden. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Bildungsminister Herr Professor Kauffold. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Entschließung, der Antrag und die Aussprache behandeln eine komplexe Problematik, die uns alle beunruhigt, betrifft, beschäftigt. Ich gehöre auch zu denen, die meinen, dass diese Problematik nicht geeignet ist für die gegenseitige Profilierung der im Landtag vertretenen demokratischen Parteien, dass sie Gegenstand von Sorge ist und von Aufeinanderzugehen und Zusammenarbeit auch unter der Überschrift „Tun wir überhaupt genug, kann man hier überhaupt genug tun?“, so, wie sich die Situation abzeichnet. Und so habe ich auch den Ministerpräsidenten verstanden, den ich nun seit langem kenne und dessen Bereitschaft zur Polemik Sie auch kennen. Und diese Polemik habe ich heute völlig vermisst. Ich meine, wir müssen hier aufeinander zugehen.

Ich möchte mich auf die Aspekte beziehen, auch wenn sie vielleicht allgemeiner sind, die mit der Praktikabilität, mit der Umsetzbarkeit zu tun haben. Dazu gehört natürlich, dass das gesamtgesellschaftliche Problem auch gesamtgesellschaftliche Anstrengungen erfordert. Keine einzige Kraft wird das allein in den Griff kriegen – keine. Natürlich ist das Bildungs- und Erziehungssystem besonders angesprochen und hat besonders wichtige Aufgaben bei der Prävention von Gewalt und politischem Extremismus, der uns hier als Rechtsextremismus entgegensteht, aber es wird es alleine nicht schaffen. Das müssen wir wissen und das wissen Sie ja auch. Wenn Verbände, Vereine, Kirchen, Wirtschaft, Politik, Parteien, Medien, Eltern, Leser, Schüler hier nicht zusammenwirken, dann wird das