Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Herr Thomas sich schon die Mühe gemacht hat, den Beginn meiner Rede zu zitieren, bin ich doch eigentlich ganz konkret bestärkt darin, dass ich mit diesem Beginn richtig liege. Und ich glaube, das Auftreten von Herrn Thomas hier in diesem Hohen Hause sowohl gestern als auch heute hat das deutlich gemacht.

Ihr heute vorliegender Antrag, liebe Kollegen der CDU, macht deutlich, dass der Ruf aus Ihrer Partei nach immer mehr Videoüberwachung unter dem Motto: „Warum sollen ehrliche Bürger Angst vor Videoüberwachung haben?“ immer lauter wird. Ich denke, das ist ein Argument, das wir in den Debatten zum großen Lauschangriff bereits oft genug gehört haben. Aber – mein Vorredner hat es eben auch schon gesagt – „Big Brother“ ist bekanntlich derzeit sowieso in, obwohl, wenn man es verfolgt, die Zahl der Bewohner, die das „Big-Brother“-Haus freiwillig verlassen, weil ihnen die ganze Sache nun langsam doch auf den Keks geht, größer wird.

Zurück zu uns in den Schweriner Landtag. Der Innenminister hat soeben ausgeführt, dass es in MecklenburgVorpommern keine neue Situation im Kriminalitätsgeschehen und in der polizeilichen Gefahrenabwehr gibt, die den Zugriff auf Videoüberwachung geradezu unabänderlich machte. Kriminalitätsbrennpunkte im öffentlichen Raum gibt es nicht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Woher wissen Sie denn das?)

Und Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben das vom Innenminister ja sogar schriftlich bekommen. Aber da hat einer was vom offenen Einsatz von Videoüberwachung gesagt und schon fühlen Sie sich veranlasst, sie bei uns einzuführen. Diesmal war es offensichtlich der Bericht einer Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz, der bei der hiesigen CDU zum Speichelfluss führte.

Aber was steht nun in dem Bericht? Nichts Sensationelles und Beachtenswertes, sondern lediglich, dass die Überwachung von öffentlichen Räumen per Video unter ganz bestimmten tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen ein Mittel sein könnte, um an bestimmten Kriminalitätsschwerpunkten einen bestimmten vorbeugenden Effekt zu erreichen, im Zweifelsfall allerdings nur denselben oder letztlich auch weniger als eine Polizeistreife. Der Bericht der Arbeitsgruppe zieht, wenn Sie ihn aufmerksam gelesen haben, sehr vorsichtige Schlussfolgerungen aus den Pilotprojekten. Aus dieser sicherheitspolitischen Mücke macht die CDU hier wieder einen Elefanten.

Dann lesen wir in der Begründung Ihres Antrages: „Videoüberwachungsmaßnahmen sind ein ganz entscheidender Beitrag zur Stärkung der kommunalen Kriminalitätsprävention und zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls an Kriminalitätsschwerpunkten, Szenentreffs extremistisch orientierter Jugendlicher und anderer Orte mit besonderer Gefährdungslage, wie z. B. die Gedenkstätte Wöbbelin.“

(Heiterkeit bei Siegfried Friese, SPD)

Donnerwetter, kann ich da nur sagen. Wenn dem so ist, sollte sich jeder Bürgermeister und Landrat möglichst schnell und möglichst viele Spähinstrumente anschaffen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die kennen Sie doch von früher noch sehr genau.)

am besten noch dazu eine ideologische Sicherheitsbrille von der CDU.

(Beifall Beate Mahr, SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Sie ken- nen sie doch noch sehr genau!)

Allerdings bin ich doch sehr überrascht,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sie waren doch dabei. – Reinhardt Thomas, CDU: Nein, zuständig war sie.)

liebe Kollegen von der CDU, welches große Interesse Sie auf einmal an der Gedenkstätte Wöbbelin haben und dass sie Ihnen auf einmal so am Herzen liegt,

(Reinhardt Thomas, CDU: Sie hat geglänzt in Hagenow.)

denn ich komme aus dem Kreis Ludwigslust

(Reinhardt Thomas, CDU: Hagenow war das früher.)

und ich habe Sie, genauso wenig wie mein Kollege aus der SPD-Fraktion, Kollege Müller, dort bisher kaum gesehen, wenn es alljährlich am 2. Mai um die Ehrung der dort bestatteten Opfer und die damit im Zusammenhang stehenden Treffen und Begegnungen mit ehemaligen Häftlingen und deren Familienangehörigen geht. Und ich finde es schon makaber, dass zur Begründung Ihres Antrages die Toten des KZ-Außenlagers Neuengamme in Wöbbelin herhalten müssen. Außerdem sollten Sie sich mit den konkreten Begebenheiten dieser Gedenkstätte vor Ort etwas genauer befassen,

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

bevor Sie gerade diese Gedenkstätte in den extremistischen Schwerpunkt unseres Landes umwandeln.

Also gut, Videoüberwachung für Wöbbelin. Herr Thomas wird sich sicher an den Monitor setzen und alles verfolgen, aber dann bitte rund um die Uhr. Für Wöbbelin wäre also vorgesorgt.

Und was machen wir, meine Damen und Herren von der CDU, mit all den anderen Gedenkstätten, Denkmalen und Grabstätten, die ebenfalls Angriffsobjekte nicht, wie Sie schreiben, irgendwelcher extremistisch orientierter Jugendlicher sind, sondern ganz konkret rechtsextremistischer Jugendlicher? Das ist doch wohl einfach zu billig, eine weitgehende Videoüberwachung auf dieser Grundlage im Land zu fordern mit dem Hinweis, antifaschistische Gedenkstätten wären zu schützen. Nein, meine Damen und Herren, ich denke, „Horch und Guck“ lassen grüßen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Na, die kennen Sie auch gut.)

Das und nichts anderes ist die Seele Ihres Antrags und Sie wollen wieder ein bisschen sicherheitspolitischen Schaum schlagen.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Was aber nun Ihr konkretes Begehren betrifft, sind wir sicher, dass der Innenminister den Bericht der Arbeits

gruppe aufmerksam gelesen hat und sehr selbständig entscheiden kann, ob und was er daraus ableitet und was er der Regierung als Maßnahmen vorschlägt.

(Zuruf von Dr. Gottfried Timm, SPD)

Im Übrigen erwecken Sie mit Ihrem Antrag den Eindruck, als wäre allerhöchste Gefahr in unserem Land in Verzug, da Sie das Konzept bereits per 31.01.2001 sehen wollen.

(Reinhardt Thomas, CDU: Nein, weil Sie schon seit Mai Zeit hatten.)

Sie hätten es doch auch gleich morgen fordern können. Immer ruhig mit den jungen Pferden, kann ich da nur sagen. Denn es gibt, selbst wenn man Videoüberwachung an einigen wenigen öffentlichen Orten vornehmen möchte, doch wohl ein paar sehr ernst zu nehmende Fragen vorab zu durchdenken.

Wenn Sie sich beispielsweise die Ergebnisse der Fachkonferenz „Grenzen und Risiken der Videoüberwachung“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

vom 7. und 8. November in Schwerin genau ansehen,

(Reinhardt Thomas, CDU: Da haben wir uns an den anderen orientiert.)

werden Sie feststellen, dass das Echo der Experten beispielsweise zu den Pilotprojekten, wie Sie ja zitiert haben, in Leipzig oder Regensburg sehr skeptisch ist und, was die Beurteilung der tatsächlichen Effektivität betrifft, sehr zwiespältig ist. Dass es immense Einwendungen unter dem Blickwinkel des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gibt, kommt hinzu, was Sie freilich offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben.

Die Pilotprojekte Leipzig, Regensburg, Halle und der Bahnhof Zoo in Berlin sind das eine. Wer Videoüberwachung fordert – das ist das Fazit – sollte zumindest sagen und begründen, wo er einen Kriminalitätsschwerpunkt oder eine konkrete Gefahrenlage sieht.

(Dr. Gottfried Timm, SPD: Wöbbelin, haben sie ja gesagt, Wöbbelin sollen wir überwachen.)

Insofern wäre es also ein Antrag gewesen, dass Sie dazu eine Aufforderung gemacht hätten, das neu zu bestimmen.

Und dann kommen Sie in der Begründung und in Ihrem Antrag dummerweise auch noch auf Großbritannien zu sprechen. Ich glaube, das ist ein völlig untauglicher Hinweis, denn dort erfolgt die Videoüberwachung inzwischen fast flächendeckend. Vorhandene 300.000 Kameras sollen auf eine Million aufgestockt werden. Das Ganze kostet nur 900 Millionen DM. Wollen Sie da ernstlich hin, meine Damen und Herren von der CDU?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das hat keiner gesagt.)

Haben Sie nicht auf der Konferenz in der vergangenen Woche vernommen, dass Polizeispezialisten wie Datenschutzexperten einhellig gesagt haben, so etwas wie in Großbritannien kann für uns überhaupt nicht in Frage kommen?

(Reinhardt Thomas, CDU: Das hat keiner gesagt. Da haben Sie nicht richtig zugehört.)

Das war auf der Schweriner Konferenz einhellige Meinung wie auch in der Bundestagsanhörung in diesem Sommer.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Vielleicht haben Sie nicht gehört, was der Chef des LKA letzte Woche gesagt hat, als er feststellte, dass seit 1998 in einem Fall Videoüberwachung durchgeführt worden ist.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist doch was ganz anderes. Das ist doch was ganz anderes.)

Sage und schreibe, meine Damen und Herren, in einem Fall! Heimliche Videoüberwachung ist im Übrigen, so hat es auch Herr Weitemeier gesagt, nicht vorgesehen. Es geht somit allenthalben um eine offene, das heißt für den Betroffenen übersehbare Bildüberwachung im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja. Nur davon reden wir.)

Nehmen wir als Beispiel den Bahnhof Rostock – der hier ja auch schon zitiert worden ist –, wenn Herr Thomas gerade den Zug nach Schwerin besteigen möchte, um zur nächsten Landtagssitzung zu gelangen. Das visuelle Auge würde dann auf ihm ruhen und er hätte lesen können, dass er überwacht wird. Dafür allerdings, für eine solche Einzelmaßnahme braucht man weiß Gott keinen Riesenpapiertiger in Form eines Konzepts.