Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Nehmen wir als Beispiel den Bahnhof Rostock – der hier ja auch schon zitiert worden ist –, wenn Herr Thomas gerade den Zug nach Schwerin besteigen möchte, um zur nächsten Landtagssitzung zu gelangen. Das visuelle Auge würde dann auf ihm ruhen und er hätte lesen können, dass er überwacht wird. Dafür allerdings, für eine solche Einzelmaßnahme braucht man weiß Gott keinen Riesenpapiertiger in Form eines Konzepts.

Wenn man derartig begrenzte Einsätze von Videoanlagen vorsieht – und um mehr kann es aus unserer Sicht ja nicht gehen –, dann braucht man mit einiger Gewissheit nicht gleich drei Pilotprojekte in Mecklenburg-Vorpommern einzuführen. Allzu viel Videoüberwachung ist nach unserer Überzeugung ungesund, meine Damen und Herren. Wir sollten nicht der Versuchung unterliegen, über so genannte Pilotprojekte eine Sache zum alltäglichen Dauerzustand zu machen.

Aber ich entnehme natürlich Ihrem Antrag, dass Sie mehr wollen. Sie wollen schlicht und einfach ganz frontal in die Videoüberwachung nicht nur im Rahmen der Strafverfolgung, was ja schon möglich ist, sondern auch im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr einsteigen. Sie wollen offensichtlich, dass aus dem Spähangriff, den Sie uns 1998 in das Sicherheits- und Ordnungsgesetz implantiert haben, der freilich bisher dort nur auf dem Papier steht, etwas wird, das endlich auch polizeilich gefahrenabwehrend gespäht wird. Nur, meine Damen und Herren, auch hier wäre es angezeigt gewesen, bevor Sie Ihren Antrag stellten, sich mit der Rechtsgrundlage für Spähangriffe genau zu befassen. Der Verweis auf allgemeine polizeiliche Gefahrenabwehr dürfte nämlich kaum dem Bestimmtheitsgebot für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entsprechen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Dass Sie das auch schon merken?!)

Und im Übrigen sind Bild- und Tonüberwachungen gemäß Paragraph 33 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes nur unter strengen Bedingungen einer möglichen Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig, nicht jedoch aus irgendwelchen allgemeinen präventiven Absichten oder auch um so genannte Randgruppen aus dem Weichbild der Stadt oder vom Bahnhofsvorplatz zu vertreiben. Herr Landowsky, Ihr Parteifreund aus Berlin, sprach bekanntlich in diesem Zusammenhang von Ratten und Schmeißfliegen. Und dass der heimliche Spähangriff in und aus Wohnungen zumindest in demselben Umfang verfassungswidrig ist wie der große Lauschangriff, dürfte in diesem Zusammenhang ebenfalls klar sein.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Das Landesverfassungsgerichtsurteil vom 18. Mai diesen Jahres lässt ganz einfach keine andere Deutung zu. Das alles sollten Sie bedenken, meine Damen und Herren der CDU, bevor Sie uns mit der Videoüberwachung beglücken wollen.

Und schließlich möchte ich Ihnen empfehlen, nicht immer nur das zu lesen, was Ihnen gerade in den Kram passt, sondern neben dem Material der Innenministerkonferenz, das Sie für Ihre Argumentation allerdings ganz schön verzerrt ausgeschlachtet haben, gibt es beispielsweise eine Entschließung der 59. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Daraus möchte ich Ihnen einige Sätze zitieren: „Mit der Videoüberwachung sind besondere Risiken für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden. Weil eine Videokamera alle Personen erfasst, die in ihren Bereich kommen, werden von der Videoüberwachung unvermeidbar völlig unverdächtige Menschen mit ihren individuellen Verhaltensweisen betroffen. Erfassung, Aufzeichnung und Übertragung von Bildern sind für die Einzelnen in aller Regel nicht durchschaubar. Schon gar nicht können sie die durch die fortschreitende Technik geschaffenen Bearbeitungsund Verwendungsmöglichkeiten abschätzen und überblicken. Die daraus resultierende Ungewissheit, ob und von wem sie beobachtet werden und zu welchen Zwecken dies geschieht, erzeugt einen latenten Anpassungsdruck. Dies beeinträchtigt nicht nur die grundrechtlich garantierten individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, sondern auch das gesellschaftliche Klima in unserem freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesen insgesamt.“

(Dr. Armin Jäger, CDU: In „unserem“ haben Sie gesagt?)

„Alle Menschen haben das Grundrecht, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, ohne dass ihr Verhalten durch Kameras aufgezeichnet wird.“

Und ich denke, damit stehen wir auch mit dieser Auffassung im Kontext zur Pressemitteilung unseres Landesdatenschutzbeauftragten, heute nachzulesen, dass bei Videoüberwachung umfangreiche Transparenz nötig ist. Das Mindeste ist, so heben die Datenschützer hervor, die strenge Zweckbindung, eine genaue Abstufung der Beobachtungsmaßnahmen, die Transparenz der Überwachungsmaßnahmen für den Betroffenen. Und soweit kriminalitätspräventiv beobachtet werden soll, müssen tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass an dem Ort zukünftige Straftaten zu erwarten sind, wobei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist. Das ist alles ganz übersichtlich und klar. Dazu brauchen wir im Land keine Pilotprojekte, ja nicht mal ein einziges.

Nennen Sie uns einen konkreten Raum, wo ein Kriminalitätsschwerpunkt besteht, wo die Kamera wirklich Sinn machen würde oder besser gesagt vorbeugend wirkt, und der Innenminister wird entscheiden, ob und wie sie zum Einsatz kommt,

(Dr. Gottfried Timm, SPD: Das macht die Polizei ganz allein. Da brauche ich nichts zu sagen.)

und zwar unter strikter Beachtung der Rechtsvorschriften. Dazu ist aber Ihr Antrag nicht nötig. Er ist in keiner Weise hilfreich und wird deshalb von meiner Fraktion abgelehnt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Jäger von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Jäger.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Frau Kollegin Schulz, von diesem Pult darf man sehr vieles sagen. Aber ich denke, es wäre sehr sinnhaft, wenn mancher, der hier spricht, überlegt, wie frisch denn sein Bekenntnis zu bestimmten Grundrechten ist, die Sie hier besonders hervorgehoben haben.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU, und Reinhardt Thomas, CDU)

Mancher darf das und mancher sollte es nicht tun.

(Peter Ritter, PDS: Sie verlangen es doch von allen.)

Doch, ich meine schon, dass das angebracht ist. Ich sage Ihnen, Frau Schulz, es ist nicht sehr …

(Peter Ritter, PDS: Sie können es sich doch nicht aussuchen.)

Ja, ich kann es mir nicht aussuchen, aber Sie können es sich aussuchen, ob Sie …

(Peter Ritter, PDS: In einer Woche beklagen Sie, dass das Bekenntnis fehlt, in der anderen sagen Sie etwas anderes. Was wollen Sie denn?)

Nein, nein, es ist immer eine Frage, ob jemand glaubwürdig ist, der früher bestimmte Funktionen mit bestimmten Dingen zu verantworten hatte und der sich hier dann als Verfechter der Grundrechte aufspielt. Das tut weh.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Aber, meine Damen und Herren, weh tut auch, dass eine Diskussion über ein Thema, das die Innenministerkonferenz über lange Zeit beschäftigt hat, hier offenbar gar nicht gewollt ist, sonst wäre der beißende Hohn, dass es keine Kriminalitätsschwerpunkte in unserem Lande gibt und dass deswegen die Sorge der Bürger so unberechtigt sei, hier ja wohl doch nicht vertropft worden. Was wir eigentlich wollen – und da, Herr Innenminister, muss man leider sagen,

(Wolfgang Riemann, CDU: Der hört nicht mal zu.)

Hausaufgaben nicht gemacht –, ist die Aussage. Mit ein bisschen semantischer Auslegung unseres Antrages – ich weiß, dass Sie da als Theologe besser sind als ich – und dem Vorlesen von Rechtsvorschriften ist es leider nicht getan. Was wollen wir eigentlich mit unserem Antrag? Sie haben ihn nicht verstanden. Wir wollen eigentlich nur eins: Wir wollen erinnern und einen Anstoß zum Handeln geben,

(Reinhardt Thomas, CDU: Damit er seinen Job macht.)

denn im Gegensatz zu dem, was bisher hier von Ihnen vorgetragen wurde, ist es doch so, dass die Innenministerkonferenz am 5. Mai dieses Jahres sich – und ich weiß, dass das Einstimmigkeitsprinzip dort gilt –

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

einstimmig für den offenen Einsatz von Videotechnik – und jetzt – im Rahmen eines jeweils den spezifischen Gege

benheiten Rechnung tragenden Konzeptes ausgesprochen hat. Was wir wollen, ist ein spezifisches Konzept für unser Land. Kann sein, dass der Innenminister uns vorträgt, derzeit eignet es sich nicht, aber auf eine Kleine Anfrage zu antworten, es gibt keine Kriminalitätsschwerpunkte in unserem Lande, ist erstens unzutreffend und wird auch nicht dadurch besser, dass es dauernd wiederholt wird,

(Siegfried Friese, SPD: Nennen Sie doch mal einen! – Zurufe von Wolfgang Riemann, CDU, und Minister Dr. Gottfried Timm)

und ist zweitens …

(Unruhe bei Siegfried Friese, SPD, und Wolfgang Riemann, CDU)

Lesen Sie denn, Herr Kollege Friese, als Vorsitzender unseres Innenausschusses nicht die PKS? Also ich muss mich sehr wundern.

(Wolfgang Riemann, CDU: Bad Kleinen zum Beispiel, Herr Friese.)

Meine Damen und Herren, das Ganze ist nicht eine Erfindung von, wie Sie uns glauben machen wollen, irgendwelchen Scharfmachern, sondern es ist das Ergebnis einer langen Diskussion von Fachleuten auf der Ebene der Polizei, aber auch der Datenschützer. Und ich darf hier, es ist zitiert worden, die 59. Konferenz der Datenschutzbeauftragten noch mal erwähnen. Sie hat gesagt, es ist eine grundsätzliche Akzeptanz auch aus der Sicht des Datenschutzes da, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen – eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Körner?

Am Schluss meiner Ausführungen, Herr Präsident.

Übrigens, es liegt genügend Erfahrungsmaterial vor. Also seit dem 5. Mai hätte in unserem Lande schon daran gearbeitet werden können. Wir wollen ja eigentlich nur erreichen, dass die Untätigkeit aufhört. Das Ergebnis können wir dem Innenminister nicht vorgeben. Unser Vorschlag ist, dass er das für drei Projekte einmal prüft.

Wir sind uns einig, Videoüberwachung ist sicherlich kein Allheilmittel gegen Kriminalität, das hat auch niemand behauptet, aber wir wissen, dass sie einerseits ein Element ist zur Stärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls des Bürgers – das wird ja immer so toll von uns hier gesagt, von Ihnen ja auch – und dass zweitens die Unterstützung der Strafverfolgung durchaus ernst zu nehmen ist. Und schließlich wissen wir auch, dass wir keinen der Orte in unserem Lande etwa mit dem Breitscheidplatz in Berlin vergleichen können. Sie wissen, dass ich das durchaus noch aus früherer Zeit beurteilen kann.

Aber Sie haben sich so mokiert. Sie haben gesagt, dann müssten wir ja an jeder Gedenkstätte eine Videokamera, so sinngemäß, aufhängen. Meine Damen und Herren, es ist Zeit, wirklich Zeit, höchste Zeit, dass wir uns nicht immer nur in Sonntagsreden dazu verständigen, was wir alles tun könnten und möchten. Wir müssen versuchen, die Dinge auch wirklich aufzugreifen, die als Instrumentarium nach einer doch einheitlichen Auffassung aller Innenminister der Polizei zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Reinhardt Thomas, CDU: Richtig, richtig.)

Und hier genügt es nicht, hier genügt es eben nicht, wenn, wie der Innenminister mit Recht stolz hier vorgetragen hat, dass bei den begangenen Straftaten die Polizei diese sehr schnell aufgeklärt und auch Täter festgenommen hat. Ich sage, prima, gefällt uns allen und wir sind stolz darauf, aber, meine Damen und Herren, wir wissen alle, dass es dem Ansehen unseres Landes sehr gut tun würde, wenn wir erreichen könnten, solche Straftaten so weit wie irgend möglich im Vorfeld zu verhindern. Und nur da geht unsere Richtung hin. Ich denke schon, dass bei einem präventiven Einsatz der Videotechnik auch gerade im Bereich jüdischer Friedhöfe und Synagogen – als Schweriner weiß ich sehr wohl, wovon ich rede – durchaus Überlegungen angebracht sind.

Meine Damen und Herren, wir haben am 9. November teilweise gemeinsam an bestimmten Orten in diesem Lande gestanden und gesagt, es darf sich alles das nicht wiederholen. Aber, meine Damen, meine Herren, an einem solchen Abend irgendwo stehen und etwas sagen und etwas tun sind offenbar zwei verschiedene Dinge.