Protokoll der Sitzung vom 14.12.2000

Das Wort hat jetzt Frau Borchardt von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Émile Zola sagte einmal: „In der Arbeit habe ich meine Freunde gefunden. Aus der Arbeit werden Wahrheit und Gerechtigkeit hervorgehen, denn der Mensch dankt ihr alles – seine geistige und moralische Kraft.“ Ich denke, diesen Ausspruch können wir alle nur bestätigen. Aber es ist und bleibt eine traurige Tatsache, noch immer werden viel zu viel Menschen von der Arbeit ausgeschlossen und insbesondere Menschen mit Behinderungen. Das gilt nicht nur für das Land MecklenburgVorpommern, sondern für die ganze Bundesrepublik.

Im Wissen um diese Situation hat nun der Bundestag rechtliche Rahmenbedingungen verändert. Das ist zu begrüßen. Ob aber die Änderungen bezüglich der Ausgleichsregelungen und der Anzahl der Beschäftigten im Betrieb sich positiv auf die Lösung des Problems auswir

ken, wage ich zu bezweifeln. Aber unabhängig davon sind wohl alle gesellschaftlichen Kräfte, alle Akteure auf dem Arbeitsmarkt gefragt, mehr zu tun als in der Vergangenheit.

Wie sieht es nun aus in unserem Land? In Mecklenburg-Vorpommern leben 137.000 Schwerbehinderte. Davon sind 70.322 im Erwerbsalter zwischen 18 und 65 Jahren. 4.279 Betroffene sind nach der offiziellen Statistik arbeitslos gemeldet – ja, 320 Betroffene mehr als noch vor einem Jahr. Mit der Gesetzesänderung wurde nun der Anspruch erhoben, berechnet auf unser Land, 1.400 Arbeitsplätze zu schaffen. Dieser Anspruch wird sich nicht von selbst erfüllen. Das ist uns sicherlich allen klar. Wir müssen uns die Frage stellen: Warum werden Schwerbehinderte in unserem Land nicht eingestellt trotz schon bestehender gesetzlicher Regelungen? Ich meine, zum einen sind die Arbeitgeber unzureichend ihrer Verpflichtung nachgekommen, gleichzeitig bestehen aber auch große Vorbehalte gegenüber der Leistungsfähigkeit der Betroffenen. Aber es liegt auch an ungenügend vorhandenen Berufsbildern für schwerbehinderte Menschen, der Qualifizierung entsprechend des Bedarfes. Hier, meinen wir, besteht ein großer Handlungsbedarf, auch eine Chance, insbesondere bei der Strukturveränderung der Gesellschaft von einer Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft.

Und auch das, glaube ich, müssen wir prüfen: Reichen die vorhandenen Plätze in geschützten Werkstätten aus? Aber – und auch das will ich an dieser Stelle sagen – wir sollten nicht meinen, mit der Erhöhung der Anzahl dieser Plätze würden wir das Problem lösen. Diese Werkstätten haben eine besondere Aufgabe, Arbeitsplätze für geistig und mehrfach behinderte Menschen zu schaffen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was sollten wir gemeinsam in den nächsten Wochen tun? Ich bin der Auffassung, dass wir im „Bündnis für Arbeit“, und zwar in allen Arbeitsgruppen, dieses Problem thematisieren und gemeinsam Lösungen suchen sollten. Das fängt an mit der Diskussion über Berufsbilder und der notwendigen Veränderung der Ausbildung. Gleichzeitig sollten wir mögliche Arbeitsfelder diskutieren und entsprechend Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen ausgestalten. Das gilt auch für alle Bereiche bis hin zur Existenzgründerförderung. Notwendig ist es aber auch, dass wir in unserem Land unserer eigenen Verpflichtung nachkommen, nämlich unserer Beschäftigungspflicht gegenüber Schwerbehinderten.

Nun höre ich oft von vielen öffentlichen Arbeitgebern, es haben sich leider keine Schwerbehinderten beworben. Das mag in dem einen oder anderen Fall möglich sein, aber das kann doch nicht heißen, dass wir uns mit dieser Situation zufrieden geben, sondern im Gegenteil. Wir sollten unsere Bedarfe ermitteln und zielgerichtet ausbauen. Ich denke, wenn wir gemeinsam dieses Problem in Angriff nehmen, werden wir sichtbare Erfolge für die Betroffenen erreichen. Stellen wir uns gemeinsam dieser Aufgabe! – Danke.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke schön, Frau Borchardt.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/1643. Wer

dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenprobe. – Danke. Stimmenthaltungen? – Danke. Damit ist der Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/1643 mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und der PDS gegen die Stimmen der Fraktion der CDU angenommen.

Ich komme noch mal zurück zum Tagesordnungspunkt 7.

Herr Abgeordneter Bräunig, Sie äußerten sich in Ihrem Redebeitrag unparlamentarisch. „Blödes Gefeixe“ gehört zu der Liste der Ordnungsrufe.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU)

Deshalb erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Erhard Bräunig, SPD: Ich nehme ihn an.)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Strukturreform der Bundeswehr, Drucksache 3/1644. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 3/1725 vor.

Antrag der Fraktion der CDU: Strukturreform der Bundeswehr – Drucksache 3/1644 –

Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drucksache 3/1725 –

Das Wort zur Begründung hat der Fraktionsvorsitzende der Fraktion der CDU Herr Rehberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Zuletzt im März haben wir uns mit dem Thema Bundeswehrstruktur und etwaigen wirtschaftlichen Folgen für das Land MecklenburgVorpommern auseinander gesetzt. Der Antrag meiner Fraktion stellte inhaltlich auf die Auswirkungen des Rückgangs der Auftragsvergabe der Bundeswehr auf Wirtschaft und Arbeitsplatzentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern ab. Seit unserem von der Koalition abgelehnten Antrag ist nun einige Zeit vergangen und auch in Bezug auf die Strukturreform ist manches in Bewegung geraten. So wurden dem Bundestag und der Öffentlichkeit am 11. Oktober diesen Jahres seitens des Bundesministeriums für Verteidigung die Ergebnisse und Entscheidungen der so genannten Grobplanung vorgestellt. Diese Grobplanung enthält jedoch lediglich grundsätzlich geplante Strukturen beziehungsweise zukünftige Umfangszahlen der Bundeswehr, deren Konkretisierung beispielsweise im Hinblick auf eine verlässliche Standortplanung in den einzelnen Bundesländern offen bleibt. Die so genannte Feinausplanung soll laut Verteidigungsministerium spätestens im ersten Quartal des nächsten Jahres abgeschlossen sein, wobei schon heute einzelne Standorte einer Überprüfung unterzogen werden. Noch ist also nichts offiziell, wenn auch schon einige Standorte gehandelt werden, die aufgegeben werden sollen.

Meine Damen und Herren, in dieser zeitlichen Entwicklung liegen sowohl Chancen als auch Gefahren für unser Land. Die Chancen bestehen sicherlich darin – und das ist auch die Intention des vorliegenden Antrages –, durch nachhaltige Beteiligung des Landes an diesem Reformprozess eine Benachteiligung für das Land und die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern durch Strukturmaßnahmen zu verhindern. Die Gefahren sind darin zu sehen, nicht mit dem Engagement zur Interessenwahrung anderer Landesregierungen in Deutschland vergleichbar zu

sein und am Ende von Herrn Scharping vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Unserer Meinung nach gilt es daher, seitens des Landes unverzüglich und nachhaltig in die bereits laufenden Verhandlungen einzugreifen.

Ich betone in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich die Anerkennung eines Reformbedarfs. Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist angesichts der völlig veränderten Sicherheitslage in Europa eine grundlegende Neuausrichtung der Bundeswehr unumgänglich. Mit dem Ende der Ost-WestKonfrontation, der Erweiterung der Nordatlantischen Allianz und dem Zusammenwachsen Europas kann die Rolle der Bundeswehr nicht mehr allein aus der Bedrohungssituation abgeleitet werden, sondern muss sich an den neuen sicherheitspolitischen Zielsetzungen orientieren.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja, wir brauchen neue Feindbilder.)

Es ist dabei nicht zu erwarten, dass der Bund Mecklenburg-Vorpommern von Strukturmaßnahmen von vornherein gänzlich ausnimmt. Deshalb gilt es, gegenüber dem Bund die besondere strukturelle Bedeutung der Bundeswehr in unserem Land hervorzuheben.

(Monty Schädel, PDS: Oder Alternativen zu suchen.)

Ein Vergleich der Strukturen...

Herr Schädel, zur Bundeswehr gibt’s keine Alternative.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Monty Schädel, PDS: Das ist dann aber sehr einseitig.)

Sehen Sie, und so, wie Sie von der PDS hier lachen, genau so wird das ankommen in Berlin bei der rot-grünen Bundesregierung.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja.)

Das ist das zentrale Problem dieser Landesregierung, dass hier eine Partei mit in einer Koalition sitzt, die sich programmatisch die Abschaffung der Bundeswehr auf die Fahnen geschrieben hat.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Jawoll.)

Da klatschen Sie noch Beifall! Sie werden sich vor die Soldaten, vor die Zivilangestellten hinstellen und erklären müssen, warum hier Hunderte und Tausende von Stellen abgebaut werden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Dafür tragen Sie die Verantwortung, auch und gerade mit Ihrem Auftreten hier und eben.

(Monty Schädel, PDS: Dann suchen wir doch nach Alternativen, nach neuen Möglichkeiten, damit wir sie nicht entlassen müssen. – Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Herr Schädel, Sie vergessen eins: Eine freiheitlichdemokratische Grundordnung muss wehrhaft sein

(Irene Müller, PDS: So, so! Das sehen sogar große Militärs anders.)

und wenn ich heute die Welt sehe mit dem Sicherheitsauftrag gerade für die NATO, muss die Bundeswehr integraler Bestandteil dabei sein.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Sie haben Ihr Sprüchlein gut gelernt, Herr Rehberg. Haben Sie noch was anderes als Formeln in Ihrem Kopf?)

Wir haben noch eine weitere Verantwortung mit und für die Bundeswehr, was die Osterweiterung betrifft. Und wenn Sie dieses alles verkennen, dann gehören Sie hier nicht her, das muss ich Ihnen sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das haben Sie aber nicht zu entscheiden zum Glück. Da können Sie so viel erzählen, wie Sie wollen, das entscheiden ganz andere.)

Wissen Sie, Herr Schoenenburg, ich bin auf die Wahlergebnisse der PDS in Bundeswehrstandorten, die von Schließungen bedroht sind und die geschlossen werden in Mecklenburg-Vorpommern, höchst gespannt,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

wenn die Leute Sie hier so argumentieren hören.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ach, Herr Reh- berg, machen Sie sich mal nicht unsere Sorgen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier muss dann klar festgestellt werden, dass wir in MecklenburgVorpommern mit circa 16.000 Soldaten viel stärker von etwaigen Maßnahmen betroffen wären, als beispielsweise ein Land wie Schleswig-Holstein mit etwa 50.000 Soldaten. Allein diese Zahlen zeigen, dass neben militärischen Aspekten auch strukturpolitische eine Rolle spielen müssen und zusätzlich die finanziellen Folgen selbstverständlich nicht ignoriert werden dürfen. Allerdings – und das betone ich auch ausdrücklich – darf das Sparen zu keiner Unterfinanzierung der Bundeswehr führen und damit die Bündnis- und Europafähigkeit Deutschlands gefährden. Dies wurde erst kürzlich in deutlicher Weise vom NATOGeneralsekretär Robertson und dem amerikanischen Verteidigungsminister Cohen in Bezug auf die Ausgestaltung des Bundeswehretats angemahnt.