Protokoll der Sitzung vom 08.03.2001

ganz egal, was sie dann noch dazupacken will!

… Landesinteressen zu wahren und nicht ausschließlich darauf zu schielen, ob die gute Wetterstimmung nach Berlin anhält.

(Ministerin Sigrid Keler: Sehr richtig.)

Vielen Dank, dass von der Regierungsbank die Bestätigung kommt, obwohl von dort ja eigentlich nichts nach vorne dringen sollte.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na ja, das Wet- ter muss in Vorpommern gut sein, nicht in Berlin.)

Aber trotzdem, in diesem Fall sage ich es, damit es das Hohe Haus auch hört. Die Finanzministerin hat gesagt, sehr richtig.

Bei der Entscheidung über die Schließung der Bundeswehrstandorte haben Sie es doch eindeutig gesehen, über unsere Probleme vor Ort müssen wir uns hier selber kümmern. In Berlin hat man dafür kein Verständnis. Und dass Sie sich um die Probleme im Land zu kümmern haben, sind Sie schließlich und nicht zuletzt auch den Bürgern in diesem Lande schuldig.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber, Herr Dr. Born, das wissen wir doch.)

Und hier sind wir bei einem weiteren Reizwort der Zivilprozessreform. Die schreibt sich auf die Fahnen, dass sie mehr Bürgernähe vermitteln will. Aber bitte schön, was soll die geplante Zivilprozessreform mit mehr Bürgernähe zu tun haben? Nehmen wir allein die räumliche Komponente. Wenn jemand beispielsweise von der Insel Rügen ein aus seiner Sicht falsches Urteil des Amtsgerichts Bergen erhalten hat, dann müsste er künftig, will er dagegen Berufung einlegen, Frau Kollegin Skrzepski, in der höheren Instanz zur mündlichen Verhandlung nach Rostock zum Oberlandesgericht,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Nein, das wird nicht sein.)

statt wie bisher zwar auch aufs Festland, aber nur nach Stralsund zum Landgericht zu fahren.

(Unruhe bei Gesine Skrzepski, CDU)

Ich will jetzt nicht noch entferntere Orte und noch abstrusere, aber dann sehr wirklichkeitsnahe Beispiele aufzählen. Sie wissen ja hoffentlich, wie groß das Land Mecklenburg-Vorpommern ist!

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na ja.)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen mit dem Antrag vor allem verhindern, dass hier eine Entwicklung begonnen wird, die wir, wenn wir jetzt nicht aufpassen, später nicht mehr stoppen können, so dass wir dann mit den Konsequenzen leben müssen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Eine Konzentration der Gerichte haben Sie ja schon organisiert in den vergangenen Jahren.)

Statt mehr Bürgernähe …

Ja, ich ja nicht, das wissen Sie ja!

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Da waren Sie mit dabei.)

Nein, nein, Sie wissen ja ganz genau,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Sie haben die notwendige Mehrheit beschafft.)

Sie wissen ja ganz genau, was ich hierzu in der Ersten Lesung gesagt habe. Und ich habe ja vorhin eingangs, als Sie leider nicht da waren, darauf hingewiesen, dass leider das alles eingetreten ist, was wir damals prophezeit haben,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Was wir gesagt haben! Was wir gesagt haben!)

dass das alles teurer geworden ist und nicht billiger! Aber ich kann das jetzt nicht wiederholen, nur weil Sie etwas später gekommen sind, sonst geht’s von meiner Redezeit ab.

Aber, meine Damen und Herren, diese ZPO-Novelle, die hier in Gang gesetzt werden soll, bringt nicht mehr Bürgernähe, sondern mehr Bürgerferne. Das Verfahren für Normalbürger wird kaum noch nachvollziehbar. Auf Kosten materieller Gerechtigkeit wird es um formalisierte vordergründige Rechtssicherheit gehen. Die mündliche Verhandlung, die ein wesentliches Element der Rechtsbefriedung von Prozessen ist, wird weiter zurückgedrängt. Nicht nur die Ferne zu den Gerichten wird mehr Bürgerferne bedeuten, sondern vor allen Dingen auch die Entfernung zum Zivilprozess aus der Sicht des ganz normalen Recht suchenden Bürgers. Die Ausweitung des Einzelrichterprinzips ist schlicht falsch. Wer sich einmal mit der Praxis befasst, wird dem kaum widersprechen können.

Und, meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines zum Schluss sagen, da werden Sie hoffentlich alle mit mir übereinstimmen: Der Vorteil unserer Ausschussberatungen gegenüber so manchen Plenardebatten besteht ja gerade darin – und das gilt ja eigentlich fraktionsübergreifend hier als Allgemeingut –, dass in den Ausschussberatungen doch gelegentlich, manchmal überwiegend, in manchen Ausschüssen sogar hauptsächlich sachlich beraten wird, die Auseinandersetzungen sehr schnell zum Kern der Sache führen und man dann auch tatsächlich sich kritisch mit Gesetzentwürfen auseinander setzt. Und deshalb – das ist im Bundesrat nicht nur nicht anders, sondern eher noch stärker der Fall als bei uns im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern – lassen Sie mich aus den Empfehlungen des federführenden Rechtsausschusses des Bundesrates zitieren, die er zu dieser Gesetzesnovelle an den Bundesrat gerichtet hat, die Gegenstand unseres heutigen Antrages ist. Ich zitiere aus dem Beginn der Empfehlungen:

„Erstens. Für die vom Entwurf angestrebte tiefgreifende Umstrukturierung des Zivilprozesses besteht kein Bedürfnis. Das Reformgesetz würde mit negativer Wirkung in ein insgesamt gesehen gut funktionierendes Prozessrechtssystem eingreifen, in dem die vorhandenen und nicht vermehrbaren Personalkapazitäten sehr effektiv eingesetzt sind. Die vorgesehene Konzeption würde die Leistungsfähigkeit des Zivilprozesses schwächen. Die Ziele der Bürgernähe, Transparenz und Effizienz, würden weitgehend verfehlt. Eine grundlegende Stärkung der ersten Instanz und dabei insbesondere der Amtsgerichte ließe sich mit dem vorhandenen Personal nicht erreichen. Die Kosten einer zur Verwirklichung der Zielsetzungen des Entwurfs erforderlichen Verstärkung der Amts- und Oberlandesgerichte wären angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte nicht verkraftbar.“ So weit das Zitat.

Und, meine Damen und Herren, wenn Sie sich das dann insgesamt ansehen, was der Rechtsausschuss des Bundesrates hierzu gesagt hat, das Urteil könnte vernichtender nicht sein! Und wie gesagt: Das sind die Experten der deutschen Bundesländer, die in erster Linie dann ein solches Gesetz nachher handhaben und umsetzen müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das hohe Gut des Rechts ist zu wertvoll und zu kostbar, als dass es auf dem Altar ehrgeiziger, ideologisch verbohrter Reformeiferer geopfert werden darf. Ein bisschen von der Gesetzgebungskunst, der Gesetzgebungsmütter und -väter aus dem Jahre 1877, nur ein bisschen davon, und der Spuk dieser ganzen ZPO-Novelle ist beendet! Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, dass hier die Einsicht in diesem Hohen Hause groß genug ist, um jetzt und rechtzeitig gegen dieses verfehlte Reformvorhaben auf Bundesebene anzugehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Justizminister Herr Sellering. Bitte sehr, Herr Minister Sellering.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Reform des Zivilprozesses, die vorgeschlagen worden ist, ist etwas, das seit 20 Jahren, vielleicht seit 30 Jahren von allen Seiten übereinstimmend gefordert worden ist. Die Probleme bei derartigen Reformen treten selbstverständlich immer dann auf, wenn konkret etwas vorliegt, weil dann plötzlich jeder zurückweicht und sagt: Nein, diesen Teil habe ich nicht gewollt.

Niemand kann, glaube ich, ernsthaft bezweifeln, dass es sinnvoll ist, unseren Zivilprozess zu verbessern, in Richtung auf schnellere Verfahren, schnelleren Rechtsfrieden, in Richtung darauf, mehr Bürgernähe zu schaffen. Ich denke, in diesen Zielen sind wir uns einig. Die Frage ist dann natürlich, wenn man weiß, dass dieser Zivilprozess, der, wie Sie richtig vorgetragen haben, ja schon lange nach diesen Regeln abläuft: Wie kann man diesen Zivilprozess verbessern?

Es handelt sich beim Zivilprozess um ein sehr kompliziertes, ich will mal sagen, Räderwerk, wo verschiedenste Elemente ineinander greifen. Und wenn ich jetzt versuchen will, ein besseres Ergebnis zu erreichen, muss ich an den verschiedenen Rädern hier einen Zacken, dort zwei, vielleicht da drei weiterdrehen. Und dann entsteht ein Gesamtwerk. Vielleicht kann man es ja auch mit einem Mosaik vergleichen. Das Wichtigste ist, dass wir nicht an der einen Stelle überdrehen und an der anderen Stelle zu wenig tun, sondern wir müssen ein Gesamtwerk schaffen. Das ist sehr schwer, weil das wirklich eine komplizierte Materie ist. Deshalb ist es wichtig, dass man sich austauscht, dass man Argumente hört, dass man auch Interessenvertreter – das müssen wir auch ganz klar sagen, am Zivilprozess sind ja auch verschiedene Interessengruppen beteiligt, die ihre Interessen durchsetzen wollen – hört. Deshalb kann es bei so einem Reformwerk nur darum gehen, dass jemand einen vernünftigen Entwurf macht, und dass dann dazu sehr sorgfältig Experten gehört wer

den und darüber diskutiert wird. Das passiert seit nahezu zwei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und wir nehmen selbstverständlich als Land Mecklenburg-Vorpommern an diesem Diskussionsprozess teil.

Das Justizministerium hat sich mit den verschiedenen Vorschlägen lange befasst, hat dazu Stellungnahmen abgegeben. Selbstverständlich – ich glaube, das leuchtet jedem ein, wenn Sie dieses Bild von dem Räderwerk sehen – kann es nicht so sein, dass, wenn eine Reform vorgelegt wird, auch wir als Land sagen: Jawohl, das ist in allen Punkten richtig. Sondern selbstverständlich beschäftigen wir uns auch damit und sagen, in diesem Bereich sind vielleicht Landesinteressen berührt, in diesem Teil müssen wir vielleicht überlegen, dass wir nicht zu weit gehen. In dem anderen Teil wollen wir vielleicht weiter gehen. Diese Dinge bringen wir selbstverständlich in den Diskussionsprozess ein. Aber, keine Frage, hinter der Zielrichtung und hinter den Intentionen dieser Reform steht diese Landesregierung, stehe ich auch persönlich. Es ist unbedingt nötig, dass wir alle Chancen nutzen in einem eigentlich immer währenden Prozess, dass wir den Zugang der Bürger zu den Gerichten verbessern.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS)

Ein ganz wichtiger Punkt ist doch der zu überlegen – das ist das Hauptziel der Reform –, die erste Instanz zu stärken. In meinen Gesprächen, in Diskussionen höre ich immer wieder, dass wenig Verständnis dafür herrscht, dass man in der ersten Instanz nach fünf, sechs Monaten ein Urteil bekommt, es dann noch in die zweite Instanz geht und dann vielleicht anders entschieden wird. Da lohnt es sich doch, darüber nachzudenken, wie wir die erste Instanz so stärken können, dass wir vielleicht in der Mehrzahl der Fälle schon durch das Urteil der ersten Instanz Rechtsfrieden herstellen. Wir würden sehr viel an Zeit gewinnen.

Auf diese Überlegungen ist sehr viel an Kreativität verwandt worden und wir haben einzelne Elemente in die Reform eingebracht, zum Beispiel auch die Frage, dass ja der Zivilprozess, anders als andere Prozessarten, dadurch gekennzeichnet ist, dass der Prozess von zwei Parteien betrieben wird und der Richter mehr so ein Schiedsrichter ist, dass er selbst nicht eingreift, keine Hinweise gibt. Und da höre ich in meinen Diskussionen im Land von Unternehmern, von Handwerkern, dass man sagt, da muss eigentlich der Richter auch ein bisschen mehr Verantwortung zeigen, ein Stückchen mehr helfen. Deshalb sind in der Reform Hinweispflichten verankert, deshalb ist in der Reform eine sehr frühe Güteverhandlung verankert – alles positive Dinge.

Aus Sicht des Landes ist es problematisch, wenn wir über Bürgernähe sprechen, da haben Sie völlig Recht. Wir sind ein großes Flächenland, dünn besiedelt. Wenn wir sämtliche Berufungen an das OLG geben würden, dann müssten in der Tat alle Bürger im Berufungsfalle nach Rostock fahren. Das ist nur ein Teil der Reform. Wenn die Reform es erreicht, dass wir die Zahl der Berufungen ganz erheblich absenken, dass wir in der zweiten Instanz nur noch Rechtsfragen haben, dann muss eigentlich auch kein Bürger mehr reisen. Auch diese Überlegung muss man anstellen.

Insgesamt und unterm Strich muss ich sagen: Es ist ein schwieriger Prozess, in dem man sich austauschen muss, in dem ich als Justizminister in vielen Diskussionen, auch

mit der Bundesjustizministerin, mit den anderen Kollegen, unseren Standpunkt darlege und versuche zu erreichen, dass man zu Kompromissen kommt. Da sind wir auf einem guten Wege.

Hier will ich mal einen Strich machen. Das ist die Darlegung, wie ich die Reform sehe, wie ich die Handlungsweise der Landesregierung sehe. Und wenn ich dann zurückkomme, wir reden ja heute über einen konkreten Antrag, dann muss ich mich fragen, was soll dieser Antrag? Wenn Sie beantragt hätten, dass sich die Landesregierung um diese Reform ausgiebig kümmert, sich damit auseinander setzt und versucht, in allen Gremien so Stellung zu nehmen, dass die Interessen des Landes gewahrt werden, dann könnten wir sagen, das ist obsolet, das tun wir. Sie machen aber etwas anderes. Sie haben einen Antrag gestellt, der zwölf verschiedene Elemente der Reform aufführt. Das sieht aus wie eine sachliche Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Punkt der Reform.

(Angelika Gramkow, PDS: Das sieht aber nur so aus.)

Das sieht aber nur so aus.

Das ist eigentlich nur eine Ablehnung in Bausch und Bogen. Das finde ich ein bisschen schade und ein bisschen schwach.

(Dr. Klaus-Michael Körner, SPD: Sehr dünn.)

Und dann muss ich ganz ehrlich sagen, Herr Dr. Born, fahren Sie denn nicht durchs Land? Reden Sie nicht mit Unternehmern, mit Handwerkern und diskutieren mit denen darüber, welche Erfahrungen die vorgelegt haben? Da ergibt sich in jedem einzelnen Gespräch, dass Sie konkrete Vorschläge kriegen, wo etwas verbessert werden kann.

Ich hätte mir gewünscht, dass auch in Ihrem Antrag das zum Ausdruck kommt, was zugegebenermaßen in Ihrer Rede zum Ausdruck kam an mehreren Stellen, dass Sie nämlich an einem sachlichen Dialog interessiert sind. Nur in dem Augenblick, wo Sie Schluss machen und sagen, jedes Element, das auch nur denkbar ist, jedes Zahnrad, da soll überhaupt nichts angefasst werden, es soll alles bleiben wie 1877,