Protokoll der Sitzung vom 16.05.2001

(Angelika Gramkow, PDS: Dann gehen wir mal gegen die Nachfrage vor.)

Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zu dieser Problematik. Es ist auch ein finanzielles Problem für die Gesellschaft. Die Belastungen allein bei Alkoholpsychosen, bei Alkoholabhängigkeiten und Leberzirrhosenerkrankungen belaufen sich jährlich auf 70 Millionen DM allein in Mecklenburg-Vorpommern. Die Zahlen steigen. Wir haben zurzeit über 11.000 Fälle in unseren Kliniken und Einrichtungen zu behandeln.

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Auch die Rentenkassen werden belastet, die Zahlen steigen. Über 1.000 Berentungen erfolgen alleine durch Alkohol und andere Erkrankungen.

Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider jetzt zu Ende. Ich werde Ihnen nachher noch einige andere Dinge sagen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat jetzt die Sozialministerin Frau Bunge. Bitte sehr, Frau Ministerin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine ausgewogene Sucht- und Drogenpolitik muss zum Ziel haben, durch Prävention den Drogenkonsum in der Gesellschaft so gering wie möglich zu halten

(Beifall Monty Schädel, PDS)

und allen Menschen zu helfen, die durch den Missbrauch krank geworden sind.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Monty Schädel, PDS: Hilfe statt Strafe.)

Entsprechend handelt die Landesregierung und deshalb brauchen wir keine Kehrtwende, Herr Glawe.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Die Zahlen und Fakten über die aktuelle Situation in Mecklenburg-Vorpommern liegen Ihnen mit dem Bericht über Maßnahmen zur Sucht- und Drogenprävention vor, der Ihnen Anfang April zugeleitet wurde. Darin sind auch die Konzepte. Nehmen Sie nicht nur die Daten, sondern vielleicht auch mal die Maßnahmen zur Kenntnis!

Ich möchte auf einige Schwerpunkte in dieser Aktuellen Stunde hinweisen. Bei den Zahlen müssen wir davon ausgehen, dass sie weitestgehend auf Schätzungen beruhen, weil die Erfassung höchst kompliziert ist. Aber selbst diese Zahlen sind für die Gestaltung der Sucht- und Drogenpolitik hilfreich. Die Näherungsgrößen werden zum Beispiel abgeleitet aus der Zahl der zu behandelnden Erkrankungen, aus der Zahl der Reha-Maßnahmen oder aus der Zahl derjenigen, die Beratungsstellen im Land

aufsuchen. Allen bekannt ist, dass die größten Gesundheitsprobleme in Mecklenburg-Vorpommern wie überall durch Alkohol und Tabak entstehen. So konsumieren schätzungsweise 170.000 Menschen Alkohol in risikohafter Menge, 53.000 betreiben Missbrauch und 33.000 haben ein ausgeprägtes Abhängigkeitssyndrom. Auch beim Tabakkonsum haben wir erschreckende Zahlen zu verzeichnen. Untersuchungen haben ergeben, dass das Einstiegsalter beim Rauchen immer jünger wird, es liegt gegenwärtig zwischen dem 11. und 13. Lebensjahr. Studien weisen darauf hin, dass die Quote bei tabaksbedingten Todesfällen in Mecklenburg-Vorpommern bei Frauen bei 22 Prozent liegt und bei Männern sogar bei 27 Prozent.

(Herbert Helmrich, CDU: Das kann man alles nachlesen.)

Schätzungen im Bereich der so genannten illegalen Drogen sind naturgemäß noch ungenauer. Vorsichtigen Angaben zufolge werden hauptsächlich Cannabisprodukte und synthetische Drogen gebraucht, gefolgt von Kokain und Heroin. Auch wenn die Anzahl der Konsumentinnen und Konsumenten von illegalen Drogen im Bundesvergleich noch relativ gering ist, haben wir in den letzten Jahren eine Zunahme zu verzeichnen, die in der Tat zu Besorgnis Anlass gibt. So ist die Zahl der Klienten, die wegen Missbrauchs und Abhängigkeit illegaler Drogen in Suchtberatungsstellen betreut wurden, von 1.218 auf 1.561 gestiegen zwischen den Jahren 1998 und 1999. Der Anteil der jungen Konsumenten unter 18 Jahren ist mit 28 Prozent relativ hoch.

Das Gesamtprogramm der Landesregierung umfasst die Bereiche Primärprävention, Sekundärprävention und Tertiärprävention. Oberstes Prinzip des Handelns ist der Grundsatz „Hilfe vor Strafe“. Die Primärprävention ist natürlich besonders wichtig, weil sie den Konsum von Drogen von vornherein verhindern soll. Sekundärpräventive Maßnahmen wenden sich an Menschen, die bereits gesundheitliche oder soziale Folgen haben durch den Drogengebrauch und Tertiärprävention schließt die Personen ein, die in der Regel durch die Suchtkrankheit bereits chronisch mehrfach beeinträchtigt sind. Hier gilt es in der Tat, ein Netz integrativer Hilfe und Ratangebote sowie Betreuungsangebote ohne große Hürden zu installieren.

Die Suchtkrankenhilfe umfasst in Mecklenburg-Vorpommern ein vielschichtiges Angebot. Konsumenten und Abhängige werden frühzeitig erreicht. Es gelingt zunehmend besser, das auch niederschwellig zu organisieren.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle auch mit einigen Missverständnissen aufzuräumen. Es wird behauptet, ich würde für die Legalisierung weicher Drogen werben und eintreten. Dem ist nicht so.

(Harry Glawe, CDU: Haben Sie doch gesagt.)

Allerdings habe ich mich unter anderem dafür ausgesprochen, dass in der Diskussion zum Drogenmissbrauch die ideologischen Scheuklappen abgelegt werden sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und Dr. Margret Seemann, SPD)

Die Auseinandersetzung sollte vernünftig und realitätsbezogen erfolgen. Es ist doch eine Tatsache, dass in der Gesellschaft eine nahezu ungebrochene Akzeptanz herrscht,

wenn es um den Missbrauch so genannter legaler Drogen geht, hauptsächlich Tabak und Alkohol, andererseits werden Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten kriminalisiert und immer noch in unterschiedlicher Weise strafrechtlich verfolgt. Tatsache ist jedoch auch, dass das Bundesverfassungsgericht bereits vor sieben Jahren, nämlich am 9. März 1994, gefordert hat, …

(Unruhe bei Harry Glawe, CDU)

Schlecht, Herr Glawe, dass Sie jetzt nicht zuhören! Dann geht wieder Ihre Erwiderung ins Leere. Das möchte ich nur mal hier für das Protokoll sagen. Dann kann man nicht miteinander vernünftig diskutieren.

Also am 9. März 1994 hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, dass eine bundeseinheitliche Definition der geringen Menge im Sinne des Paragraphen 31 a Bundesbetäubungsmittelgesetz gefunden werden müsse. Es ist nicht nachvollziehbar, warum sieben Bundesländer, darunter auch Mecklenburg-Vorpommern, von der ihnen eingeräumten Befugnis keinen Gebrauch gemacht haben, Kleinstmengen zu bestimmen, bis zu deren Grenze Betroffene straffrei bleiben können. Weil sich die Bundesländer in den vergangenen sieben Jahren nicht auf eine bundeseinheitliche Definition einigen konnten, haben wir heute eine groteske Situation, dass beispielsweise in Berlin der Besitz von 5 Gramm Cannabis straffrei bleibt, in Schleswig-Holstein hingegen von 30 Gramm.

Wie Sie sehen, geht es mir nicht um eine Kapitulation vor dem Konsum illegaler Drogen, sondern um die Umsetzung bundesgesetzlicher Vorgaben und damit um eine Entkriminalisierung, denn die einheitliche Definition der Kleinstmenge hätte den Vorteil, die Konsumentinnen und Konsumenten aus dem Dunstkreis eines illegalen Milieus herauszuholen, das mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Kontakt mit weitaus gefährlicheren illegalen Drogen steht und die jungen Konsumentinnen und Konsumenten zwangsläufig dazu bringt.

Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Aufklärung und Prävention sind das A und O unserer Suchtund Drogenpolitik. Sie müssen so früh wie möglich einsetzen. Junge Menschen müssen auf die Gefahren des Drogenkonsums hingewiesen werden. Sie müssen umfassend aufgeklärt werden, alle Suchtstoffe sind zu berücksichtigen, die legalen wie die illegalen. Genau darauf konzentrieren sich gegenwärtig die Aktivitäten der Landesregierung neben dem weiteren Aufbau des Hilfeangebots.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dankert von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Herr Dankert.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Rede möchte ich sinngemäß wiederholen, was ich bereits in der Aktuellen Stunde am 5. März 1997 gesagt habe: So ein diffiziles Problem, wie das der Drogenproblematik, in einer Aktuellen Stunde abzuhandeln, finde ich verfehlt.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

5-Minuten-Beiträge werden diesem Thema nicht gerecht. Also werde ich jetzt auch zwangsläufig diesem Thema nicht gerecht werden können. Und wir haben es auch gehört von Herrn Glawe, die Stunde, die Fakten sind

zwar aktueller geworden, aber der Standpunkt der CDU nicht.

(Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Sie setzen nach wie vor auf Repression, Sie setzen nach wie vor auf das Gewaltmonopol, während, wie wir es eben gehört haben, PDS und SPD doch mehr auf die Prävention setzen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Man sollte lieber die vorpommerschen Schnapstrinker mehr rannehmen.)

Über die Zahlen der Schäden haben wir schon viel gehört. Ich will noch eine obendrauf packen. Nach bundesdeutschen Berechnungen beträgt der Gesamtschaden für die 1,7 Millionen Alkoholabhängigen in unserer Bundesrepublik circa 40 Milliarden DM. Das entspräche wohl umgerechnet für Mecklenburg-Vorpommern einem Schaden von etwa 2 Milliarden DM. Rund 8 Millionen Menschen sind von der Suchterkrankung eines Familienmitgliedes mit betroffen. Ich weiß, wovon ich da rede. Der Verlust von Familie, Arbeit und Wohnung infolge alkoholbedingter Krankheiten kann zur kompletten Auflösung sozialer Bindungen führen. Erhöhtes Unfallaufkommen unter Alkoholeinfluss und vermehrte Gewaltbereitschaft sind typische Begleiterscheinungen eines übermäßigen Alkoholkonsums, für unser Land leider ein besonders aktuelles Thema.

Und wiederum sind es wie immer die Kinder, die enorm unter der einhergehenden Vereinsamung und Überforderung leiden. Es ist mittlerweile unbestritten, dass sie ein erhöhtes Risiko tragen, selbst abhängig zu werden. Die Landesstelle gegen die Suchtgefahren hat auf diese Situation reagiert und eine eigene Arbeitsgruppe „Kind und Sucht“ initiiert.

Nach Meinung der DHS sind gegen die Suchtgefahr zwei Strategien dringend erforderlich, auf der einen Seite massive Öffentlichkeitsarbeit, um die Gefährdung durch Tabak und Alkohol deutlich zu machen, und auf der anderen Seite frühzeitige suchtmittelunabhängige Prävention, um den individuellen Einstieg in den Konsum hinauszuschieben oder sogar zu verhindern. Dabei fordert die DHS Chancengleichheit in den Bemühungen. Ich zitiere: „Den 1,6 Werbemilliarden der Alkohol- und Tabakindustrie muss mehr entgegengesetzt werden, als die 2 5 M i l l i o n e n DM, die Bund und Länder hier jährlich zur Verfügung stellen.“, so Jost Leune, der stellvertretende Vorsitzende der DHS. Auch die Sozialministerin des Landes – wir haben es gehört – sieht das ähnlich, wie ihre Aktivitäten in der Gesundheitsministerkonferenz zeigten.

Nach Angabe der Landesstelle gegen die Suchtgefahren lebt die überwiegende Mehrzahl aller Jugendlichen drogenfrei. Circa 75 Prozent der jungen Menschen zwischen 12 und 25 Jahren haben bislang auf den Konsum illegaler Drogen verzichtet und haben auch nicht vor, das zu ändern. So weit die gute Nachricht. Die schlechte: Einstiegs- und Durchschnittsalter der Konsumenten sinken. Auch wenn wir in Mecklenburg-Vorpommern bei den drogenkonsumierenden Jugendlichen noch nicht die Dimension der alten Bundesländer erreicht haben, so kann oder muss dennoch Folgendes festgehalten werden: In der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen hat sich das Konsumverhalten weitgehend angeglichen. Hier ist die deutsche Einheit schon vollzogen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Trotz staatlicher Sanktionen.)

Und auch beim Einstiegsalter gibt es kaum noch Unterschiede. Eine Prophezeiung, die ich hier leider schon häufig angesprochen habe, ist traurige Realität geworden.

Insbesondere wird natürlich das Thema Designerdrogen bei Jugendlichen unterschätzt. Die Uni Hamburg hat in einem Test über Ecstasykonsumenten Folgendes festgestellt, dass mehr als ein Viertel der Ecstasykonsumenten mindestens eine so genannte psychotische Störung haben. Zu diesem Krankheitsbild gehören Halluzinationen, Personenverkennung oder Wahnvorstellungen. Hinzu kommen Beziehungsideen, in denen Beziehungen zu Personen oder Gegenständen wahrgenommen werden, die nicht real sind. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass Ecstasy das Gehirn auf Dauer schädigt.

(Harry Glawe, CDU: Richtig.)

Meine Damen und Herren, zwar ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Diskreditierung bestimmter Formen der Suchthilfe zu beenden. Dies ist insbesondere der neuen Bundesregierung zu verdanken. Heute haben wir den gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Drogensüchtige in erster Linie kranke Menschen sind, denen es zu helfen gilt. Trotzdem ist die gesellschaftliche Debatte über den Konsum psychoaktiver Substanzen und deren gesundheitliche und soziale Risiken dringend notwendig, denn diese Risiken sind unabhängig davon, ob die Substanzen legal oder illegal sind. Es geht aber weder um die Überdramatisierung noch um die Bagatellisierung einiger Substanzen. Eine realistische, glaubwürdige Präventionsund Behandlungskonzeption muss von der Lebensfähigkeit der Menschen ausgehen, sonst hilft es nicht.

Bemerkenswert ist noch, dass es einen Aktionsplan zum Alkohol gibt, die Einrichtung von Schwerpunktpraxen für Sucht, das Modellprojekt des Bundes zur heroingestützten Behandlung und die Integration von Drogenberatern in die Suchtberatungsstellen. Ich denke, die beste Hilfe für Menschen, die suchtgefährdet sind, ist die Hilfe, dass diese Sucht gar nicht erst entsteht. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)