Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat sich heute vordergründig aufgrund zweier Anträge der Koalitionsfraktionen erneut mit dem Prozedere rund um die vom Landtag eingesetzte Enquetekommission auseinander zu setzen. Zum einen liegt Ihnen auf Drucksache 3/2120 ein Antrag der Koalitionsfraktionen zur Veränderung der Zusammensetzung der Enquetekommission vor. Hintergrund ist, dass das bisher stimmberechtigte Mitglied, nämlich der Landrat des Landkreises Mecklenburg-Strelitz, Herr BerndMichael Kautz, schriftlich die Niederlegung seiner Mitgliedschaft in der Kommission erklärt hat.
Der Ihnen vorliegende Antrag sieht vor, dass dafür zukünftig der Landrat des Landkreises Bad Doberan stimmberechtigtes Mitglied in der Kommission werden soll. Wir sehen Landrat Thomas Leuchert – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sich die Kommission demnächst auftragsgemäß mit der Stadt-Umland-Problematik beschäftigen wird – insbesondere dafür geeignet, da er seine Erfahrungen mit der Stadt Rostock hier als Landrat einbringen kann und wird. Ich hoffe, dass wir zu dieser Personalfrage zwischen den Fraktionen einen breiten Konsens herstellen können.
Bevor ich auf den Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 3/2118 eingehe, will ich noch einmal mein Wort „vordergründig“ aufrufen. Ich sagte „vordergründig“ deshalb, weil die Koalitionsfraktionen hier, ich möchte sagen, tätig werden mussten, da das Landesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Mai dieses Jahres den Landtag verpflichtet hat, dafür Sorge zu tragen, dass Vorsitz und Stellvertretung der Enquetekommission baldmöglichst neu bestimmt werden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass hier und heute nicht die alten Auseinandersetzungen wiederholt werden sollten, die wir nun wirklich zur Genüge ausgetragen haben. Deshalb will ich nicht darauf eingehen, dass die CDU vor dem Landesverfassungsgericht insoweit Recht bekommen hat, dass eine so weite Übertragung der Geschäftsordnungsbefugnis auf die Enquetekommission nicht in Ordnung war. Ich will nicht weiter darauf eingehen, dass die CDU nicht voll vor dem Landesverfassungsgericht obsiegt hat, denn vor allem ihre Angriffe auf den Landtagspräsidenten waren erfolglos und ihr Versuch, feststellen zu lassen, dass die CDU einen Anspruch auf den Kommissionsvorsitz hat, ist gescheitert. Das haben Sie alsbald, meine Damen und Herren von der CDU, ja selber auch bemerkt und deshalb Ihren Antrag insoweit zurückgenommen. Ich will auch nicht weiter darauf eingehen, welche Debatten in diesem Zusammenhang noch geführt worden sind. Nein, das alles will ich nicht. Das entscheidende Wort, warum ich auf all das nicht weiter eingehen möchte, ist wie gesagt das Wort „zurückblicken“. Ich glaube, dass der Versuch, aus zurückliegenden Ereignissen jetzt politische Erfolge zu erzielen, für jede Seite fehlschlagen wird, denn zum einen hat uns das Landesverfassungsgericht – uns allen, nicht nur den Koalitionsfraktionen – ins Stammbuch geschrieben, alsbald dafür Sorge zu tragen, dass Vorsitz und Stellvertretung der Kommission neu bestimmt werden. Das Gericht hat dabei Wege aufgezeigt, ohne allerdings einen dieser Wege zu präferieren.
Die Koalitionsfraktionen sind es, die dem Auftrag des Landesverfassungsgerichts umgehend nachkommen und dem Landtag heute eine entsprechende Beschlussvorlage vorlegen. Dabei gebührt es die Achtung vor dem Landesverfassungsgericht, einen vom Gericht aufgezeigten Weg aufzugreifen. Daher sieht die Ziffer 1 des Antrages vor, neues Geschäftsordnungsrecht zu schaffen, indem ein neuer Paragraph 8 Absatz 6 in die Geschäftsordnung eingefügt werden soll. Dieser sieht vor, dass die Kommission ihren Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden selbst wählen soll. Außerdem sieht die vorgeschlagene Regelung das neue, das genaue Verfahren vor, mit dem der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende von der Kommission zu wählen sind. Die Regelung lässt
mithin der Kommission keinen Spielraum, mit Ausnahme der Wahlen selbstverständlich. Damit kommen wir der Forderung des Landesverfassungsgerichtes nach, keine unbestimmte und unbegrenzte Ermächtigung an die Kommission zu erteilen. Der Landtag wird mit dieser neuen Vorschrift das von der Kommission einzuhaltende Verfahren selbst und eindeutig regeln.
Meine Damen und Herren von der CDU, ich erwarte schon Ihre Vorhaltungen, dass die Anhörung des Rechtsausschusses aus der vergangenen Woche zum Untersuchungsausschuss- und Enquete-Kommissions-Gesetz ergeben habe, dass die Vorsitzendenfrage zwischen ständigen Ausschüssen und Kommissionen nicht unterschiedlich geregelt werden darf. Hierzu will ich Ihnen sagen, dass ich vor allem bei diesem Punkt sehr aufmerksam zugehört habe, was die Experten dazu sagten. Vor allem der von Ihnen benannte Experte sagte, dass er es als – und jetzt zitiere ich ihn wörtlich – „zweckmäßig ansehe, die Regularien in der Vorsitzfrage zwischen ständigen Ausschüssen und Kommissionen gleich auszugestalten“. Weder der von Ihnen benannte Experte noch einer der übrigen Experten haben auch nur mit einer Silbe ausgeführt, dass es rechtswidrig sei, die Vorsitzfrage von Enquetekommissionen abweichend vom sonst üblichen Zugriffsverfahren hier durch Wahl zu regeln.
Sie können und werden möglicherweise hier gleich wieder Ihre Bedenken dagegen vortragen. Ich kann Sie nur bitten, nein, ich möchte Ihnen auch dringend empfehlen, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, nicht länger zurückzublicken, sondern angesichts der landesweit geführten inhaltlichen Diskussion die Arbeit in der Kommission aufzunehmen und sich nicht weiter außerparlamentarisch, sondern in den vorgesehenen Gremien einzubringen.
Und, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, gestatten Sie mir noch den Hinweis: Als die Landkreisreform in diesem Land Anfang der 90er Jahre durchgeführt wurde, war es parteiübergreifende Übereinkunft und Zielstellung, dass eine solche gewaltige Reform nur im Einvernehmen mit dem gesamten Parlament gefunden werden kann. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie die Regierungsfraktionen seinerzeit auf die SPD zukamen und um Unterstützung bei diesem Vorhaben gebeten haben. Ich appelliere an die CDU-Fraktion, ihre Rolle als Opposition auch in der Frage der Gemeindestrukturreform wahrzunehmen und aus der Rolle des Neinsagers herauszukommen und sich in diese Reform einzubringen.
Sie laufen sonst, meine Damen und Herren, Gefahr, Verhinderer zu sein, und wir, die Regierungskoalition, tragen dann den Stempel derer, die schwierigen Entscheidungen, die aber für die Modernisierung des Landes notwendig sind, alleine schultern zu müssen. Ich fordere Sie auf: Geben Sie die Haltung der Verhinderer auf und arbeiten Sie in der Enquetekommission aktiver mit als bisher! – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich kann Ihnen nicht ersparen, als Geschäftsführer einen kleinen Geschäftsordnungsdiskurs zu machen. Ich halte es auch nach wie vor für wichtig, dass wir die Geschäftsordnung umsetzen, und insofern werde ich noch mal auf die Entstehung der jetzigen Situation zurückkommen. Gerade die jetzige Landtagssitzung hat uns ja auch gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir die Geschäftsordnung einhalten. Die Geschäftsordnung ist das eine, Inhalte, über die man berät, das andere.
Die Gesetzgebung ist an das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und an die Landesverfassung gebunden, dies besagt der Artikel 4 der Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommerns. Ich bedauere, dass die Einhaltung dieses Verfassungsgrundsatzes für die Mehrheit aus SPD und PDS in diesem Hause offensichtlich, was diesen Fall betrifft, nicht selbstverständlich ist. Erst nachdem das Landesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 30. Mai 2001 die Verletzung des Artikels 29 der Landesverfassung durch die Mehrheit des Landtages festgestellt hatte, lenkten die Kolleginnen und Kollegen von SPD- und PDS-Fraktion ein und erkannten an, dass das Vorgehen bei der Besetzung des Vorsitzes der Enquetekommission verfassungswidrig war.
Meine Damen und Herren, wir stehen dadurch durchaus vor der Situation, dass eine Kommission, deren Arbeit ich nicht beurteile, sich fast ein Jahr ohne Rechtsgrundlage mit einem für das Land ohne Zweifel – das will ich ganz deutlich herausstellen – wichtigen Thema beschäftigt hat. Ohne rechtswirksame Besetzung eines Vorsitzenden kann eine Kommission nicht konstituiert werden. Wenn das nur Formalien sind, wie es in der Presse verlautbart wurde, deren Einhaltung unwichtig ist, dann bräuchten wir gar keine Verfahrensregeln mehr. Dann könnten wir die Geschäftsordnung des Landtages, die Verwaltungsvorschriften, die Zivilprozessordnung, die Strafprozessordnung und andere Verfahrensordnungen abschaffen – alles nur unwichtige Formalien. Ich glaube, darüber sind sich alle einig, dies wollen auch alle nicht.
Meine Damen und Herren, Verfahrensregeln dienen der Rechtssicherheit und sind als Teil des Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes genauso wichtig wie alle anderen Rechtssätze. Wie wichtig Verfahrensregeln sind, können Sie an dem Antrag „Veränderung in der Zusammensetzung der Enquete-Kommission“ ersehen. Der Einsetzungsbeschluss regelt die Zusammensetzung der Enquete-Kommission wie folgt:
je ein Vertreter des Städte- und Gemeindetages und des Landkreistages, die von den kommunalen Landesverbänden benannt werden
onsbezeichnung, wie zum Beispiel der Oberbürgermeister von Greifswald Herr von der Wense und der Landrat von Mecklenburg-Strelitz Herr Bernd-Michael Kautz
Hinsichtlich dieser namentlich aufgeführten Mitglieder ist kein Benennungsrecht geregelt. Der Landrat Herr
Kautz – Herr Friese führte das ja aus – hat sein Mandat in der Enquetekommission niedergelegt. Woraus ergibt sich eigentlich hier das nun ausgeübte Vorschlagsrecht der SPD- und PDS-Fraktion, die den Landrat Herrn Leuchert als Mitglied der Kommission benennen? Hinsichtlich dieser Namen – ich sage ausdrücklich, das Vorschlagsrecht, ich rede nicht über die fachlichen Qualifikationen der Kolleginnen und Kollegen, sondern nur über das Vorschlagsrecht –, hinsichtlich dieser namentlich benannten Mitglieder ist auch nicht geregelt, anhand welcher Kriterien sie als Mitglieder der Kommission benannt wurden. Falls sie als Vertreter bestimmter Gebietskörperschaften benannt wurden, wäre es dann nicht angebracht, statt des ausscheidenden Landrates Herrn Bernd-Michael Kautz nunmehr den neu gewählten Landrat Herrn Schaubs nachrücken zu lassen? Und müsste dann der vormalige Oberbürgermeister Herr von der Wense nicht ausscheiden, um den neu gewählten Oberbürgermeister Herrn König nachrücken zu lassen? Falls es bei der Benennung im Einsetzungsbeschluss allerdings auf die höchstpersönliche Sachkunde der Ausgewählten ankam, dann wäre es durchaus vertretbar, bei Ausscheiden eines Mitgliedes gar keine Neubenennung mehr vorzunehmen. Der Einsetzungsbeschluss regelt nämlich nicht, dass die Zahl der namentlich benannten Mitglieder sechs sein muss. Es sind nur zufällig sechs benannte Mitglieder.
An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig es ist, Verfahrensregeln aufzustellen, bevor man anfängt, sachlich zu arbeiten. Nichts anderes hatten wir vor der Einsetzung der Enquetekommission gefordert. Aber da es weder Verfahrensregeln hinsichtlich des Vorschlagsrechts der namentlich benannten Mitglieder gibt, noch ein Nachrückverfahren bei Ausscheiden namentlich benannter Mitglieder vorgesehen ist, kann mit Fug und Recht die Auffassung vertreten werden, dass bei Ausscheiden eines namentlich benannten Mitgliedes kein neues Mitglied aufzunehmen ist. Wir werden daher diesen Antrag ablehnen und sind gespannt, wie sehr sich die Mehrheit diesmal an die Verfassung des Landes gebunden fühlt.
Denn auch in diesem Fall ist die Verfassung des Landes zu beachten, die hinsichtlich der Besetzung der Ausschüsse in Artikel 33 regelt: „Zur Vorbereitung seiner Verhandlungen und Beschlüsse setzt der Landtag Ausschüsse ein, deren Zusammensetzung dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zu entsprechen... hat.“
Entsprechend diesem Verfassungsgrundsatz findet sich sowohl in der Geschäftsordnung des Bundestages als auch in der Geschäftsordnung der Bundesländer die Regelung, dass die Mitglieder der Enquetekommission entweder einvernehmlich festzulegen sind oder nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen benannt werden. Diese Regelung betrifft auch die Benennung der Nichtparlamentarier, die Mitglied der Kommission werden sollen.
Da das Verfahren – Einvernehmen oder Benennung nach Stärkeverhältnis – aber bei der Einsetzung der Enquetekommission zu bestimmen ist und hinsichtlich der namentlich aufgeführten Personen Einvernehmen erzielt worden war, kann dieses Verfahren unseres Erachtens nach nun nicht wieder geändert werden.
Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Nun zu Ihrem Antrag auf Drucksache 3/2118. Der Paragraph 8 Absatz 6 der Geschäftsordnung des Landtages soll eine neue Formulierung erhalten. Die Enquetekommission soll in geheimer Wahl aus der Mitte ihrer stimmberechtigten Mitglieder den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter wählen.
Man kann ja erst einmal darüber streiten, ob dies nun eine Neuregelung eines bisher nicht geregelten Zustandes ist oder eine Änderung der bestehenden Geschäftsordnung darstellt. Wenn es eine Änderung der bisherigen Geschäftsordnung ist, die über den Einzelfall hinausgeht, wäre nach Paragraph 61 Absatz 2 der Geschäftsordnung ein Beschluss des Landtages erst nach Prüfung durch den Rechtsausschuss zulässig und möglich. Das hieße, dass heute nicht abschließend entschieden werden kann, sondern der Antrag in den Rechtsausschuss zu überweisen wäre.
Das Landesverfassungsgericht hat sich zu der Frage nicht geäußert, ob die Geschäftsordnung des Landtages eine Regelung über die Vorsitzfrage enthält. Die Frage, ob die Geschäftsordnung des Landtages bei der Vergabe des Vorsitzes eingehalten wurde, hat das Verfassungsgericht nicht entschieden.
Die Entscheidung geht davon aus, dass der Landtag das einzuhaltende Verfahren klar und eindeutig regeln muss, wenn ein in der Geschäftsordnung nicht vorgesehenes Verfahren angewendet werden soll.
Dies gilt sowohl für den Ausschuss als auch für den Landtag, das gilt ebenfalls für alle zukünftigen Ausschussmitglieder. Wir haben in diesem Landtag nur eine Geschäftsordnung, die sowohl für die Ausschüsse als auch für den Landtag gilt.
Aber diesen gesamten Streit will ich hier gar nicht erneut aufmachen. Nach den bisherigen Entscheidungen des Rechtsausschusses gibt es zu dieser Frage zwei sich widersprechende Auslegungen: die veröffentlichte Auslegung...
Ja, ich werde sie beide zitieren. Ich sage ja, die veröffentliche Auslegung des Rechtsausschusses geht davon aus, dass die Geschäftsordnung die Frage des Vorsitzes zugunsten des Zugriffsverfahrens regelt. Die nichtveröffentlichte Fassung geht davon aus, dass die Geschäftsordnung die Frage des Vorsitzenden gar nicht regelt.
Nun gut, unterstellen wir, dass die Geschäftsordnung keine Regelung für die Enquetekommission enthält.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die politische Dimension einer derartigen Geschäftsordnungsänderung im Sinne des Antrages beleuchten. Wenn in Zukunft alle Kommissionsvorsitzenden durch Wahl bestimmt werden, dann heißt das, dass die jeweilige Minderheit niemals den Vorsitz einer Kommission überneh
men kann, auch nicht, wenn es zwei oder fünf Kommissionen, wie zum Beispiel derzeit im Bundestag, in einer Legislaturperiode geben sollte,