Protokoll der Sitzung vom 20.09.2001

Diese Rechtslage sieht aber bereits jetzt vor, dass das Gericht bei der Urteilsfestlegung neben dem Strafmaß, das zeitlich begrenzt ist, eine darauf folgende Sicherungsverwahrung anordnen kann.

(Herbert Helmrich, CDU, und Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie unterstellen, es gäbe einen Angeklagten, der zwar die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufweise, das Gericht diese jedoch nicht erkenne

(Dr. Armin Jäger, CDU: Nein.)

und deshalb auch nicht anordne.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Er versteht das nicht.)

Das bedeutet doch in letzter Konsequenz, entweder das erkennende Gericht hat sich bewusst über die in einem solchen Fall zu erfolgende Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hinweggesetzt...

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Helmrich?

Nein. Ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Dann hätten Sie’s verstanden. – Herbert Helmrich, CDU: Das muss vorliegen zum Zeitpunkt der zweiten Entscheidung und nicht zur ersten Entscheidung.)

... oder – und das ist wohl die Konstellation, die Sie umtreibt – das Tatgericht habe die bei dem Angeklagten vorliegenden Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht erkannt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Eben. – Herbert Helmrich, CDU: Nicht erkennen können.)

Bei dieser Konstellation fragt man sich dann allerdings, und das ist der Knackpunkt Ihres Antrages, wie diese Feststellung im Nachhinein möglich sein soll.

(Zuruf von Herbert Helmrich, CDU)

Die angeklagte Tat und die Persönlichkeit des Täters sind dann nämlich nicht mehr Gegenstand einer Hauptverhandlung, denn das gesetzlich geforderte Erkenntnisverfahren ist längst beendet.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Es ist dabei allerdings auch unklar, so Sie das nachträglich ermöglichen wollen, wie das denn gehen soll.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Verweisen Sie es an die Ausschüsse, dann werden wir sehen! – Dr. Ulrich Born, CDU: Fragen Sie mal den Minister!)

Sie wollen die Rechtsstaatlichkeit und das Recht des Straftäters bis zur Rechtsprechung durch die Vollstreckungskammer absenken – knastintern. Bei allem Respekt, meine Damen und Herren, davor kann ich nur warnen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig.)

Herr Dr. Born, seien Sie ganz beruhigt, der Justizminister wird dazu auch noch deutlich Stellung nehmen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Über- weisen Sie es an die Ausschüsse!)

Meine Damen und Herren, führen wir uns doch einmal vor Augen: Bei der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung handelt es sich um die schwerste Sanktion, die gegen einen schuldfähigen Täter nach dem

Strafgesetzbuch verhängt werden kann. Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 hat der Bundesgesetzgeber die formellen Voraussetzungen dieser Maßregel mit dem erklärten Ziel erheblich abgesenkt, dadurch den Schutz der Bevölkerung vor besonders gefährlichen Intensivtätern zu verbessern. Es ist höchst bedenklich, wenn diese erheblich eingeschränkten materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung durch weitere rechtsstaatliche Einbußen beim Verfahrensrecht ergänzt werden. Jede Befugnis zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung unterläuft die strengen Voraussetzungen, an die die Strafprozessordnung eine Wiederaufnahme zuungunsten des Täters knüpft. Sie beraubt den Verurteilten zugleich der wichtigsten Garantien des strafprozessualen Hauptverfahrens, die da sind: mündliche und öffentliche Hauptverhandlung im Beisein eines Verteidigers unter Beteiligung von Schöffen, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und das durch die Möglichkeit der Revision gesicherte Beweisantragsrecht.

Soweit in der Begründung des Entwurfs für die Zulässigkeit der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung darauf abgestellt wird, dass sich im Laufe des Strafvollzugs nachträglich eine Gemeingefährlichkeit des Täters ergibt, kann auch dies keinen geeigneten Anknüpfungspunkt darstellen. Eine solche Beurteilung eines Täters während der Verbüßung einer Strafe kann entweder nur auf Straftaten während des Vollzugs oder auf solche Taten gestützt werden, die bisher unentdeckt geblieben sind. Straftaten während des Vollzugs sind nach der bisherigen praktischen Erfahrung jedoch meist vollzugsbedingt und lassen keine Rückschlüsse auf eine Gefährdung der Allgemeinheit zu. Schauen wir die Gesetzeslage an. Soweit es sich um Straftaten handelt, die bislang nicht abgeurteilt sind, kann die Sicherungsverwahrung bereits jetzt in einem Strafverfahren angeordnet werden. Der Kollege Helmrich wies darauf hin. Fälle, in denen sich eine Gemeingefährlichkeit eines Täters im Vollzug zeigt, ohne dass Straftaten vorliegen, dürften wohl kaum vorstellbar sein. Schließlich, meine Damen und Herren, wurde das gesamte Verhalten des Täters und seine Persönlichkeit vor und während der Tat im Rahmen des Strafverfahrens – jedenfalls in der Regel – von Fachmedizinern und anderen Gutachtern untersucht und beurteilt.

Ich bin daher der Meinung, dass Ihre vorgesehenen Neuerungen eher kontraproduktiv wirken, als dass sie einen Schutz der Allgemeinheit begründen könnten. Allein schon Ihre Darstellung der Mentalität von Strafgefangenen ist weltfremd. Sie behaupten, dass der Gefangene die von Ihnen postulierte Gesetzeslücke kenne und daher eine rückfallvermeidende Sozial- oder Psychotherapie verweigern würde, um seine Entlassung nach dem Strafende nicht zu gefährden. Das Gegenteil ist doch wohl der Fall.

(Herbert Helmrich, CDU: Sie waren noch nie in Bützow.)

Ich war in Bützow und ich war vor Ihnen schon in Bützow, nämlich 1991.

Ein so rational denkender Strafgefangener wird versuchen, einen kooperativen Eindruck zu vermitteln, um seine Gefährlichkeit zu verschleiern und in den Genuss des offenen Vollzugs, der Vollzugslockerung und des

Hafturlaubs bis hin zur Aussetzung seiner Strafzeit zu gelangen. Die Gefahr einer vorgetäuschten Therapiewilligkeit erscheint mir nach den bisherigen Erfahrungen weitaus größer.

Es dürfte rechtlich auch höchst fragwürdig sein, dass eine nachträgliche Entscheidung aufgrund eines Beschlussverfahrens mit bloßer mündlicher Anhörung ohne Beweisverfahren getroffen werden kann. Dass noch nicht einmal das Tatgericht herangezogen werden soll, das die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen für die Verurteilung erarbeitet und verhängt, kommt erschwerend hinzu.

Meine Damen und Herren, der entscheidende Schwachpunkt in dem Gesetzentwurf ist das von Ihnen vorgeschlagene Anordnungsverfahren. Antragsberechtigt soll die Justizvollzugsanstalt sein,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Klar.)

in der der Betroffene einsitzt, und zwar dann, wenn sich während des Strafvollzugs Umstände ergeben, die eine Unterbringung rechtfertigen. Wie hat man sich das vorzustellen, frage ich. Was sind das für Umstände? Wem fallen diese Umstände auf?

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Der Anwaltsdirektor entscheidet das.)

Und wer klassifiziert dabei überhaupt diese Umstände als solche, die Sie hier im Blick haben? Das Ihnen vorschwebende Verfahren würde doch zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass dies nur die mit dem Insassen in Kontakt stehenden Personen sind, also das Anstaltspersonal. Im Klartext heißt das, dass die einzelnen Vollzugsbeamten aufgrund von allgemeinen Beobachtungen diese eine nachträgliche Unterbringung rechtfertigenden Umstände erst einmal feststellen und dann auch noch als solche bewerten müssen, und das in Bezug auf den schärfsten Eingriff in unser Strafrecht überhaupt,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Was hat das noch mit dem Rechtsstaat zu tun?!)

nämlich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung! Das muss man sich mal vorstellen! Ich wiederhole, und, Kollege Helmrich, durchaus mit Grauen: knastintern. Da hilft es überhaupt nichts, wenn dann vor der Entscheidung über die nachträgliche Unterbringung die Gutachten von zwei Sachverständigen einzuholen sind. Was sollen diese Sachverständigen der Strafvollstreckungskammer denn im Nachhinein mitteilen? Schließlich ist nach Ihrem Entwurf an das Verhalten des Betroffenen während des Strafvollzuges anzuknüpfen. Die Sachverständigen haben doch gar keine eigenen Wahrnehmungen gemacht. Das waren doch die Vollzugsbeamten der Haftanstalt.

(Herbert Helmrich, CDU: Deswegen ja die Gutachten.)

Der Betroffene müsste doch erst einmal von den Sachverständigen begutachtet werden. Und was soll eigentlich passieren,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das muss er vorlesen und das hat ihm jemand geschrieben, der keine Ahnung hat.)

frage ich, wenn sich der Betroffene angesichts der ihm konkret drohenden Sicherungsverwahrung weigert, an dem Verfahren teilzunehmen?

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig.)

Meine Damen und Herren, all dieses macht doch überdeutlich,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Völlig an der Sache vorbei.)

wo der Haken der ganzen Problematik liegt,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Nein, das macht nur deutlich, dass Sie es nicht verstanden haben. – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Herr Born, Herr Born! Ich habe es ganz gut verstanden. – Dr. Ulrich Born, CDU: Ich habe nicht von Ihnen gesprochen. – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ich werde dazu auch noch was erzählen.)

nämlich in der Begutachtung und Prognose durch Rückschluss von dem Verhalten im Strafvollzug. Nach dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf wären der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben bisher stets den Schutz der Allgemeinheit vor Sexualdelikten und anderen Straftaten hoch geschätzt und unterstützt. Dieses wird auch weiterhin so bleiben, jedoch erscheint das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene Institut einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung in der Art und Weise, wie Sie es hier vorschlagen, nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Vielmehr wird versucht, grundgesetzlich festgeschriebene Garantien generell zurückzudrängen, ohne dass dieses erforderlich wäre. Das Prinzip der Berechenbarkeit...

(Herbert Helmrich, CDU: Der Bundeskanzler hat sich also geirrt.)

Der Bundeskanzler hat etwas ganz anderes gemeint. Er hat gesagt, Straftäter müssen gegebenenfalls zwangsläufig und lebenslänglich weggeschlossen werden. Sie wollen aber bereits tatkräftig Verurteilte durch Anstaltspersonal dann lebenslänglich wegschließen. Das ist doch ein erheblicher Unterschied. Ich verstehe nicht, wie Ihnen als Juristen dieses nicht klar wird.