Das sind nur einige Themen, zu denen die Datenschutzbeauftragten ihre Auffassungen, Besorgnisse und Kritiken geäußert haben. Oft allerdings mit zu wenig Resonanz. Und gerade ein zu boshafter Vorwurf an deren Adresse ist es, wenn offen oder versteckt gesagt wird, es handele sich bei den Stellungnahmen nur um Bedenkenträgerei. Nein, meine Damen und Herren, solche Vorwürfe sind, denke ich, fehl am Platze. Der Datenschutz durch unabhängige Kontrollinstanzen ist geradezu das Rückgrat für ein reales Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Daran darf aus unserer Sicht überhaupt kein Zweifel bestehen und darum geht es letztendlich auch mit der Gesetzesnovelle.
Lassen Sie mich deshalb hier vier Grundprobleme aus den Erklärungen und Stellungnahmen der Datenschutzbeauftragten benennen, die immer wieder auftauchen:
Erstens sind mit den gewachsenen technischen und kommunikativen Möglichkeiten neue, nicht unbeträchtliche Gefahren hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung entstanden, auf die auch unser Gesetzentwurf nur eine bestimmte vorläufige Reaktion sein kann.
Zweitens besteht ein lückenhafter Datenschutz im privaten Bereich. Die grundsätzlich weiter bestehende Trennung der Datenschutzkontrolle im privaten und öffentlichen Bereich ist gerade angesichts der Daten im Privaten mehr als fatal.
Drittens ist inzwischen eine informationelle Überherrschaft jenseits des Staates entstanden und sie entsteht weiter, die wie das Internet jedenfalls national weitgehend nicht kontrollierbar ist.
Viertens. Der Staat und die öffentlichen Verwaltungen rüsten informationell weiter auf. An dieser Stelle genügt es, dazu auf die fatalen Entwicklungen hinsichtlich der Lausch- und Spähangriffe zu verweisen.
Und es ist doch allzu bezeichnend, dass gerade angesichts der jüngsten Terroranschläge in den USA sofort wieder daran gedacht wird, den Datenschutz zu lockern. Auch hier hören wir bekannte Aussagen. Der Datenschutz müsse an den Stellen gelockert werden, so heißt es ganz harmlos, wo Datenschutz zu Terroristenschutz werde. Dies, meine Damen und Herren, ist aber aus unserer Sicht eine Denunziation, eine Verdächtigung und Diffamierung des Datenschutzes, die aus Sicht der PDS-Fraktion nicht gerechtfertigt ist.
Ich frage mich, gerade auch angesichts der Entwicklungen in den Sicherheits- und Ordnungsgesetzen, in den Gesetzen der Bundessicherheitsbehörden, angesichts der vielfachen Änderungen in der Strafprozessordnung und der Schaffung eines ganzen Rattenschwanzes von strafrechtlichen Nebengesetzen, wozu man schon wieder neue Kompetenzen braucht, die in die Bürgerrechte eingreifen. Absolute Sicherheit ist ohnehin eine Schimäre und mehr Sicherheit ist durch die dauernde Beschneidung und Aufopferung von Freiheitsrechten nicht zu haben. Denken wir doch gerade auch in diesen Stunden an das Wort des großen Amerikaners Benjamin Franklin: „Wer bereit ist, für die Sicherheit die Freiheit zu opfern, wird beides verlieren.“ Mäßigung in der Sache, Besonnenheit und Schlussfolgerungen für den Datenschutz sind aus unserer Sicht das Gebot der Stunde.
Meine Damen und Herren, für uns besteht das wohl größte Problem bei der Umsetzung der EG-Richtlinie von 1995 in der Gewährleistung einer qualitativ gleichwertigen Kontrolle der öffentlichen und privaten Stellen. Der Innenminister hat seine Sicht hier auch deutlich gemacht. Das ist für uns der entscheidende Ansatzpunkt der EG-Richtlinie im Artikel 28. Eine oder mehrere öffentliche Stellen, so heißt es im rechtsverbindlichen Text, sollen in den EUMitgliedstaaten beauftragt werden, die Umsetzung des Datenschutzes zu überwachen. Und wörtlich heißt es: „Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr.“
Man sollte meinen, dass dieser Satz, was bei juristischen Texten ja nicht immer der Fall ist, für sich allein genommen klar und schlüssig sowie eindeutig ist, dass es bei dieser kontrollierenden Stelle um die Unabhängigkeit von der Exekutive geht. Bei den öffentlichen Stellen geht das ohnehin völlig klar, da die Landesverfassung das ja so festlegt. Aber die Ausgangsprämisse von Artikel 37 der Landesverfassung ist dennoch umfassend, denn dort heißt es: „Zur Wahrung des Rechts der Bürger auf Schutz ihrer persönlichen Daten wählt der Landtag... den Datenschutzbeauftragten“. Es wird also, genau wie in der EGRichtlinie vorgesehen, nicht zwischen öffentlichem und privatem Bereich unterschieden. Maßstab ist kraft Verfassung die Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, nämlich, dass der Bürger sein Recht bekommt und weiter nichts. In welcher Sphäre seine persönlichen Daten rotieren, ist dabei völlig unerheblich. Der private Bereich kann doch wohl gegenüber diesem Bürgerrecht nicht immun sein und es ist ebenfalls zweifelsfrei, dass im Land agierende Private der Landesverfassung genauso unterliegen.
Nun wird allerdings die Vorschrift der EG-Richtlinie aus unserer Sicht einschränkend interpretiert. Der Innenminister hat das hier ausgeführt. Die vollständige Unabhängigkeit der Kontrollbehörde, wurde hier gesagt, bedeute Unabhängigkeit in Bezug auf den privaten Bereich im Sinne einer vom jeweiligen Privaten getrennten Behörde.
Somit könne das Innenministerium diese unabhängige Behörde sein. In der Praxis führt das dann aus unserer Sicht zur Aufsplittung der Kontrolle. Das ist die bestehende Rechtslage, die nach dem Entwurf leider weiter bestehen soll. Die unterschiedlichen Rechtspositionen sind gegenwärtig nicht anders als durch einen Kompromiss aufzulösen, wie er in den Paragraphen 30 und 44 Absatz 2 geschrieben steht.
Wir gehen davon aus, dass diese Regelung eine zeitlich notwendige Festlegung ist, dass sie aber in ihrer Bestandsfähigkeit geprüft werden muss, und vielleicht löst es dann auch Ihre Fragen, die Sie eben aufgeworfen haben, was die Arbeit nach 2004 betrifft, Herr Markhoff, auf. Unser Ziel ist es, bis zum Jahre 2004 die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Datenschutzkontrolle einheitlich in einer Hand liegt. Nach gegenwärtiger Verfassungslage kann das nur der Landesbeauftragte für den Datenschutz sein. Man mag mit der vorgesehenen Regelung aus gutem Grund hadern, aber sie macht insoweit Sinn, das Gesetz vom Eise zu bringen und Voraussetzungen, sprich Personalstellen, zu schaffen, dass die Kontrolle Privater vom Innenministerium auf den Landesbeauftragten für den Datenschutz übertragen werden kann.
Wir sind auch dafür, dass wir uns die Regelungen von Schleswig-Holstein gründlich ansehen, wo ein rechtlich unabhängiges Datenschutzzentrum mit dem Landesdatenschutzbeauftragten als Chef an der Spitze geschaffen worden ist. Auch das ist natürlich eine unabhängige Behörde, wie sie die EG-Richtlinie versteht und im Auge hat. Und, meine Damen und Herren, es gibt eine ganze Reihe von Bundesländern – meines Wissens sind es bis jetzt sechs –, die die Kontrolle der Privaten in der Regel durch Beauftragte, wie auch wir es für richtig halten, gelöst haben.
Ich will dazu auch ein paar praktische Dinge sagen. Die EG-Richtlinie unterscheidet, wie ich schon sagte, hinsichtlich der Kontrolle überhaupt nicht mehr zwischen Privaten und Öffentlichen. Eine gleichartige, völlig unabhängige Kontrolle ist der Maßstab. Mal abgesehen davon, dass das Kontrolldefizit bei den Privaten behoben werden muss, ist es doch so, dass öffentliche und private Daten vielfach gar nicht mehr zu trennen sind. Es gibt in der Sache vielfältige Vernetzungen. Denken wir doch an die vielen Fälle, in denen öffentliche Aufgaben an Private zur Erfüllung gegeben werden oder in denen Private von Öffentlichen zur Aufgabenerfüllung einbezogen werden. Wer hat denn nun den Hut auf? Im Zweifelsfall wohl beide – Innenminister und Landesbeauftragter. Muss das so sein? Und vor allem aus der Sicht des Bürgers dürfte die Konstruktion doch ein bisschen verwirrend sein. Wendet er sich an den Datenschutzbeauftragten, um etwas über seine persönlichen Daten im privaten Bereich zu erfahren, wird der das Gesuch abgeben müssen an den Innenminister. Jedenfalls kann er persönlich nicht direkt beim Privaten kontrollieren. Ein praktisches Beispiel dazu wäre folgendes: Beschweren sich Eltern darüber, dass im Schulbus ihrer Kinder mit Videokameras überwacht wird, dann wird der Datenschutzbeauftragte erst prüfen müssen, ob der Schulbus auf privaten oder öffentlichen Rädern fährt. Sind sie privat, reicht er die Bitte oder den Beschwerer an den Innenminister weiter.
Und es gibt so viele Fälle, die das Leben schreibt und bereithält, die nicht erst konstruiert werden müssen. Die Zentralisierung des Datenschutzes in einer Hand macht deshalb aus unserer Sicht Sinn und bringt Synergieeffek
te. Wir, die PDS-Fraktion, sind jedenfalls überzeugt, dass im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Landesdatenschutzes die Kontrolle aus dem Kernbereich der Exekutive herausgenommen werden sollte und in einheitliche Hände des Datenschutzbeauftragten oder eines unabhängigen Zentrums, wo sie nach unserer Auffassung sowieso gut aufgehoben wäre, gegeben werden sollte. Übrigens könnte auch ein Zentrum in Form eines Betriebes aus unserer Sicht auf kommerzieller Basis sehr gut neben der Kontrolle die privaten Aufklärungs-, Schulungsund Beratungsaufgaben leisten. Alles in allem wird es wohl dazu spannende Beratungen in den Ausschüssen geben, mit denen wir weitere Veränderungen zum bisherigen Gesetzentwurf erreichen könnten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei meiner Vorrednerin und meinem Vorredner hatte ich ein bisschen den Eindruck, dass wir uns schon im Ausschuss in der Ersten Lesung befinden, weil wir ja doch bei beiden eine Reihe von Detailfragen angesprochen bekommen haben, die in der Tat auch aus meiner Sicht im Ausschuss geklärt werden müssen. Aber ich denke, dieses ist Aufgabe des Ausschusses.
Das Thema Datenschutz, meine Damen und Herren, wir können das auch ablesen an den Äußerungen des Bundesinnenministeriums, ist im Moment aufgrund aktueller Ereignisse wieder in die Diskussion geraten und es ist nicht das erste Mal, aber es ist sicher ein besonders tiefgehender Anlass, der manche Menschen die Frage stellen lässt, ob es nicht einen Widerspruch zwischen Datenschutzinteressen und Sicherheitsinteressen gibt.
Natürlich muss man diese Diskussion führen. Ich denke, man wird ihr gerade angesichts der derzeitigen Situation nicht ausweichen können. Ich bin aber auf der anderen Seite überzeugt, verantwortungsbewusste Politik wird immer wieder darauf verweisen müssen, dass in diesem Bundesland Datenschutz den Rang der Landesverfassung genießt. Hier ist dieses Grundprinzip festgeschrieben und ich bin überzeugt davon, dass dieses gut so ist. Es ist unsere Aufgabe als Landesparlament, die konkrete Ausgestaltung dieses Verfassungsgrundsatzes hier vorzunehmen. Wir müssen uns dabei an europäisches Recht anpassen und es ist in der Tat so, dass dieses europäische Recht seit sehr langer Zeit, seit 1995 vorliegt und eine Anpassung innerhalb von drei Jahren verlangte, dass wir aber andererseits, so bin ich überzeugt, gut daran getan haben, zunächst die bundesgesetzliche Entscheidung, die grundlegende Entscheidung abzuwarten, bevor wir an die Novellierung unseres Landesrechtes gehen.
Der Innenminister hat über die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfes bereits berichtet, weswegen ich mir hier Ausführungen ersparen möchte. Ich möchte nur – der Innenminister hat ja auch darauf verwiesen –, dass wir uns nicht nur an EU-Recht anpassen, sondern dass wir uns auch an neue technische, rechtliche und politische Entwicklungen anpassen. Ich möchte nur auf die seit 1995
vollzogene Entwicklung mit einem ganz kleinen Schlaglicht hinweisen, das vielleicht dem einen oder anderen klar macht, was in der Zukunft und zum Teil schon in der Gegenwart geht und was nicht geht.
Ich habe vor nicht allzu langer Zeit bei einer Veranstaltung einen verantwortlichen Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums erlebt, der ein bisschen traurig war, dass wir die Bundestagswahlen des Jahres 2002 noch nicht per Internet durchführen können, der aber davon ausging, dass wir die Bundestagswahlen 2006 – und das wird dann auch bedeuten, unsere Landtagswahlen 2006 – per Internet von zu Hause vom Sessel aus werden machen können.
Ich glaube, für viele von uns ist dieses eine Vorstellung, die noch sehr schwer in die Köpfe hineingeht. Aber ich glaube, dieses eine Beispiel macht deutlich...
(Dr. Ulrich Born, CDU: Das muss auch nicht sein. Das muss auch nicht sein. – Volker Schlotmann, SPD: Damit würde Riemann nicht klarkommen. Dann würde er vielleicht uns wählen.)
Da sagt der eine, das muss nicht sein, und der andere fürchtet einen Irrtum, aber die Technik wird so weit sein, dass wir all dies ausschließen. Welche Folgen das für Wahlkampf und Wahlbeteiligung und vieles andere hat, das werden wir dann sehen. Sie werden sagen, das hat nichts mit Datenschutz zu tun, nun, bei der Einhaltung des Wahlgeheimnisses schon. Aber ich glaube, dieses Beispiel macht sehr schlagend deutlich, dass wir im Augenblick, ohne dass wir es uns häufig richtig bewusst machen, vor einer technischen Entwicklung stehen, in der so viele Dinge möglich sind, die vor wenigen Jahren noch für völlig ausgeschlossen galten. Da hier natürlich auch Gefahren liegen, diese technischen Möglichkeiten zu missbrauchen, setzt genau dort das Prinzip Datenschutz ein.
Der vorliegende Entwurf, meine Damen und Herren, ist mit dem Datenschutzbeauftragten Herrn Dr. Kessel abgestimmt. Der Innenminister hat dies berichtet und wir wissen, dass es in vielen Punkten Einigkeit gab, dass es aber in einigen Punkten und einem zentralen Punkt – diesen hat Kollegin Schulz bereits genannt – keine Einigkeit gab. Ich halte es für legitim, wenn ein Datenschutzbeauftragter, der seine Aufgabe ernst nimmt, hier eine andere Position vertritt als die Landesregierung, und halte es für natürlich, dass hier zwei unterschiedliche Positionen bestehen. Vielleicht wäre es sogar schlecht, wenn immer ein solcher Schutzbeauftragter hier für den Datenschutz stromlinienförmig hinter der Exekutive stünde, sondern seine Aufgabe ist es, genau das, wofür wir ihn eingesetzt haben, zu tun, und das heißt manchmal auch, unbequem zu sein. Vielleicht sollten wir die Gelegenheit nutzen, und ich würde dies gern tun, Herrn Dr. Kessel, den ich hinten im Zuschauerraum sehe, für seine Arbeit herzlichen Dank zu sagen.
Ich glaube, ich spreche im Namen vieler, wenn nicht gar aller in diesem Hause, wenn ich sage, dass er nach meinem Eindruck seine Aufgabe ganz ausgezeichnet erfüllt.
Wir werden also im Ausschuss die Aufgabe haben, diese strittige Frage der Kontrolle des Datenschutzes im
privaten Bereich zu entscheiden und hier zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Und vielleicht kann das die Kompromisslösung sein, wie sie die Regierung uns hier vorgelegt hat, denn das ist in der Tat angestrebt und mitnichten, lieber Kollege Markhoff, auf absehbare Zeit den Datenschutzbeauftragten abzuschaffen. Dieses ist keineswegs der Wille der Landesregierung und ganz sicher auch nicht unserer.
Also, meine Damen und Herren, wir stimmen der Überweisung in die vorgeschlagenen Ausschüsse zu und werden hier die strittigen Fragen klären. – Vielen Dank.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 3/2219 zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Petitionsausschuss, den Rechtsausschuss sowie den Finanzausschuss zu überweisen. Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist dem Überweisungsvorschlag einstimmig gefolgt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 7: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen.
Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-Richtlinie- Umsetzungsgesetz – Sev-II-UG M-V) (Erste Lesung) – Drucksache 3/2238 –
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 10. Juli 1976 wurde in der Ortschaft Seveso – 30 Kilometer von Mailand entfernt – bei der Herstellung von Trichlorphenol durch Überhitzung die extrem giftige Form der Tetrachlordibenzodioxine freigesetzt. Dies war einer der größten Chemieunfälle in der Geschichte der Menschheit. Seitdem kennt die Welt diese chemische Verbindung auch als Seveso-Gift und polychlorierte Dioxine stehen symbolisch für extrem toxische Stoffe. Infolge dieses Unfalls starben in der näheren Umgebung sofort Vögel und Kleintiere. Trotzdem wurde in der Firma noch circa eine Woche weitergearbeitet. In der Folge mussten circa 220.000 Menschen ärztlich untersucht werden. Dabei wurden fast 200 Fälle von Chlorakne, eine Hauterkrankung, festgestellt. 70.000 Tiere wurden notgeschlachtet. Die Häuser von 40 Familien mussten evakuiert und abgerissen werden, die oberen Bodenschichten wurden abgetragen. Der Boden wurde deponiert. Als Wiedergutmachung und Entschädigung wurden bisher mehr als 300 Millionen DM gezahlt.
Dieser schreckliche Unfall war Anlass, den Umgang mit gefährlichen Stoffen auf europäischer Ebene zu überdenken und durch Richtlinien der Europäischen Union neu zu regeln, und daher hat diese Richtlinie auch die Kurzbezeichnung „Seveso-Richtlinie“ bekommen. Allerdings mussten wir in der letzten Woche schreckensvoll zur Kenntnis nehmen, dass auch durch menschenverachtenden Terrorismus und nicht nur als Folge von Unfällen und technischen Fehlern gefährliche Stoffe in solch großer Konzentration in die Umwelt gelangen und so massiv Menschenleben bedrohen können. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die Seveso-II-Richtlinie oder gar der vorliegende Gesetzentwurf in der Lage sein werden, sichere Vorsorge und fehlerfreies Krisenmanagement auf Terroranschläge in Industrie- und Chemieanlagen leisten zu können. Dafür sind die Gesetze nicht ausgelegt und ich bezweifle, dass dieses überhaupt möglich ist. Trotzdem brauchen wir solche Gesetze, wie das Ihnen zur Beratung und zur Beschlussfassung vorgelegte.
Die Seveso-II-Richtlinie vom 09.12.1996 hat als Grundlage die Erkenntnis, dass zwar anlagentechnische Sicherheitsmaßnahmen gut etabliert sind, dagegen von den so genannten unsicheren Handlungen als Ursache oder infolge von Störfällen oder Beinahe-Störfällen große Gefahren ausgehen. Ich will als Beispiel nur nennen – das ist Ihnen sicherlich in Erinnerung – den Unfall in einer Fabrik für Feuerwerkskörper in Enschede in Holland. Dieses ist ein solcher Fall. Dieser Gefahr soll durch die Einführung entsprechender Organisationsmaßnahmen entgegengewirkt werden.
Die europäische Richtlinie musste eigentlich bis zum 03.02.1999 in nationales Recht umgesetzt werden. Leider war Deutschland als Bundesstaat und waren auch die Bundesländer einschließlich Mecklenburg-Vorpommern und auch einschließlich des Umweltministeriums säumig bei der befristeten Umsetzung dieser Richtlinien. Allerdings konnten die Bundesländer, wie es in Deutschland üblich ist, erst aktiv werden, nachdem der Bund sein Verfahren abgeschlossen hatte. Dies ist durch die „Verordnung zur Umsetzung EG-rechtlicher Vorschriften betreffend die Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen“ geschehen, die mit der Verkündung im Bundesgesetzblatt am 2. Mai 2000 in Kraft getreten ist. Dort wird in einer Artikelverordnung neben der Verordnung über Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte vor allem die 12. Bundesimmissionsschutzverordnung – diese ist auch kurz bezeichnet als Störfallverordnung im Gespräch – neu geregelt. Auf diese Störfallverordnung wird in dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf vielfach Bezug genommen und wesentliche Regelungen sollen aus dieser Störfallverordnung übernommen werden.
Daraus ergibt sich die Frage, warum es überhaupt einer landesrechtlichen Regelung bedarf, wenn wir eine Bundesverordnung dazu haben. Dazu ist Folgendes auszuführen: Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf soll die Seveso-II-Richtlinie dort in deutsches Recht, nämlich in Landesrecht, umgesetzt werden, wo es keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gibt, denn bei der Umsetzung dieser Richtlinie waren zwei Besonderheiten zu beachten:
Erstens. Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes hat der Bund auf dem Gebiet des Störfallrechtes nur die Gesetzgebungskompetenz, soweit es sich um gewerbliche oder solche Betriebsbereiche handelt, die als wirtschaftliche Unternehmen gelten. Diese bundesrechtli
chen Umsetzungen sind durch die genannte Bundesverordnung erfolgt. Wissenschaftliche Einrichtungen, beispielsweise Universitätslabore, sind davon nicht erfasst. Dies soll nunmehr mit dem Ihnen vorliegenden Landesgesetz geschehen, das sich inhaltlich eng an die entsprechenden bundesrechtlichen Regelungen hält.