Worum es allein bei den Annoncen geht, das ist die Frage: Sind sie rechtlich zulässig? Es versteht sich, dass es zwischen den Gewalten – der Legislative, Exekutive und Judikative – durchaus unterschiedliche Auffassungen und Wertungen darüber geben kann, was im Einzelnen als zulässige Öffentlichkeitsarbeit anzusehen ist und was nicht. Darum gibt es beispielsweise eine Reihe von Verfassungsgerichtsurteilen, und unabhängig davon kommt es in vielfältigsten Einzelfällen immer wieder zu Streitigkeiten mit den Rechnungshöfen. Wer wie wir das zwölf Jahre betreibt, weiß das genau.
Bestimmte Grenzen zwischen zulässiger und unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit lassen sich abstrakt – abstrakt – ganz gut ziehen. So besagt beispielsweise das Abgeordnetengesetz unseres Landes wie entsprechende Regelungen des Bundes und anderer Bundesländer, dass eine direkte, gezielte Finanzierung von Parteien durch eine Fraktion unzulässig ist. Und es sind auch ganz bestimmte Kriterien erarbeitet worden, die grob umreißen, was zulässige Öffentlichkeitsarbeit ist:
Das ist erstens die eindeutige Urheberschaft der Fraktion, die konnte man auf den Annoncen eindeutig lesen.
Das ist zweitens der Bezug zur Parlamentsarbeit, den konnte man auch – nicht ganz so eindeutig, aber immerhin – lesen.
Das ist drittens ein sachlicher Stil – darüber ließe sich heftig streiten –, und zwar ein sachlicher Stil, der auf werbende Aussagen für eine Partei verzichtet.
Das ist schließlich viertens ein erkennbarer Bezug zur Fraktion oder einzelnen Abgeordneten, was ja wohl ganz eindeutig der Fall war.
Damit ist es dann aber auch bereits mit den Kriterien und Grenzen getan. Viel mehr dürfte im Übrigen auch kaum sinnvoll und möglich sein.
Auch die Einzelbeispiele, die die Präsidenten der Landesrechnungshöfe benannt haben, die wir kennen, führen letztlich nicht aus dem Dilemma heraus. Es bleiben „Grauzonen“ und Unschärfen, die ganz einfach hingenommen werden müssen.
Und es ist doch wohl ganz und gar nicht zufällig, dass es in der jahrzehntelangen Praxis der Öffentlichkeitsarbeit sage und schreibe ein abgeschlossenes und ein nicht abgeschlossenes Strafverfahren in der gesamten Bundesrepublik zu finden sind und jeweils nur mit einem Angeklagten. Da handelt es sich – jedenfalls in dem abgeschlossenen Verfahren – um klaren Missbrauch. Da war ein Missetäter.
Umso abenteuerlicher mutet es daher an, wenn die Schweriner Staatsanwaltschaft hier frisch und forsch bei der Hand ist, Pionierarbeit leisten will und gleich 18 Abgeordnete mal schnell einsperren will.
Denn, meine Damen und Herren, man kann das Geschehen um die CDU- und SPD-Anzeigen werten, wie man will, die Entscheidung als gemeinschaftlich begangene Untreue zu qualifizieren ist sozusagen nichts weiter als ein Versuch am untauglichen Objekt. Denn die Crux ist eben, dass Parlamentsfraktionen – und das bitte ich besonders zu beachten – Parlamentsfunktionen und Parteifunktionen in sich vereinen. Parlamentfunktionen und Parteifunktionen! Sie sind Organteil des Parlaments und Repräsentation der Partei. Es gibt hier eine Fraktion der PDS, die mir besonders gut gefällt,
eine Fraktion der SPD und eine Fraktion der CDU. Alle drei haben Namen. Sie sind identisch mit den Parteien, die sie tragen – aus gutem Grund. Also, das schlägt sich in all ihren Funktionen und in ihren öffentlichen Verlautbarungen nieder. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Mittelbar kommt alles, was die Fraktion tut, der Partei zugute oder fällt, wenn die Fraktion ihre Sache schlecht macht, auf sie zurück, auf die Partei nämlich. So ist nun
mal das parlamentarische Leben. Auch von den Personen her ist Fraktions- und Parteiarbeit kaum auseinander zu halten, ob ein Mitglied der Fraktion erlaubte Öffentlichkeitsarbeit beispielsweise als innenpolitischer Sprecher ausübt oder Parteiarbeit, wenn es in Führungsgremien seiner Partei sitzt und für sie spricht.
Aber es erstaunt schon, dass die Schweriner Staatsanwaltschaft Zeit und Personal hat – bei dieser Personalknappheit, bei der oft beklagten –, sich um derartige Angelegenheiten zu kümmern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS – Beate Mahr, SPD: Richtig.)
Bei der angeblich illegalen Öffentlichkeitsarbeit ist die Staatsanwaltschaft ganz schnell zur Anklage gekommen –
erstaunlich, erstaunlich! –, während sie in bestimmten anderen Verfahren wie ein alter Jagdhund zur Jagd getragen werden muss.
Meine Damen und Herren! Der Landtag hat in den vier Beschlusspunkten seinen Standpunkt zur Öffentlichkeitsarbeit nur auf allgemeine Art und Weise gesagt. Richtig ist das. Dies entspricht der Vorgehensweise in Verfassungsgerichtsurteilen. Die Verfassungsgerichte räumen zu Recht den Parlamenten, Fraktionen und Abgeordneten einen weiten Gestaltungsspielraum für ihre Öffentlichkeitsarbeit ein und reglementieren keine konkreten Formen. Das mag natürlich irgendeine Staatsanwaltschaft bedauern oder irgendein Staatsanwalt. Bekommt sie oder bekommt er doch damit keine praktischen Maßstäbe zum Eingreifen. Dennoch ist auch dieser Beschluss des Landtages in seiner Allgemeinheit ein Fingerzeig.
Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen ist, so sagt der Beschluss, letzten Endes notwendig und legitim. Es besteht allerdings Grund zur Kontrolle, Transparenz und Rechenschaftslegung, was auch durch öffentliche Berichte, Verlautbarungen des Landtages und der Fraktionen sowie Feststellungen des Landesrechnungshofes geschieht. Diese Kontrolle ist richtig, Misstrauen dagegen vergiftet die Atmosphäre. Und ich sage mal: Was soll dann noch ein solcher Staatsanwalt zusätzlich? Ich kann nur erkennen – und insofern bedauere ich natürlich irgendwie ein wenig die Debatte –, dass es hier vor allen Dingen um Profilierungssucht geht.
Und die Grenzen, die einer der leitenden Staatsanwälte ziehen möchte? Es dürfte, so sagte er in einem Radiointerview, nur Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Parlaments, das heißt, nach innen gerichtet,
(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Beifall Dr. Manfred Rißmann, SPD – Barbara Borchardt, PDS: Das ist ja ein Widerspruch!)
stattfinden, ich wiederhole, Öffentlichkeitsarbeit nach innen gerichtet, ist nun wirklich ein Anachronismus und ein ganz alter Zopf. Also, entweder mache ich interne Arbeit oder ich mache Öffentlichkeitsarbeit. Vielleicht ist es ja dann schon Öffentlichkeitsarbeit, das muss man sich
dann auch schon überlegen, wenn die Fraktionsvorsitzende der PDS-Fraktion ihren Mitgliedern der Fraktion etwas sagt. Möglicherweise müssen sie sich dann einschließen oder sie darf nur noch flüstern,
(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Beifall Andreas Bluhm, PDS – Angelika Gramkow, PDS: Das geht nicht.)
Also, dass ansonsten seriöse Menschen – und ich rechne Staatsanwälte immer zu seriösen Menschen – zu solch absurden Feststellungen kommen können, spricht nur für eines: Sie sollten etwas weniger „Bild-Zeitung“ lesen und etwas mehr gesellschaftliche Praxis schnuppern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)
Die Verfassungsrechtsprechung ist inzwischen längst über diesen alten Zopf, über diesen Ansatz hinweg, es müsse bei Öffentlichkeitsarbeit um die inneren Koordinierungs- und Integrationsprozesse der Fraktion gehen, denn selbstverständlich ist Öffentlichkeitsarbeit auf den Wähler gerichtet. Sie will die Öffentlichkeit darüber informieren, was die Fraktion leistet, wie die Fraktion die Arbeit im Parlament sieht. Und diese Öffentlichkeitsarbeit ist besonders für die Opposition und für kleine Fraktionen geradezu lebensnotwendig und bringt für sie größere Chancengleichheit. Landesverfassung sage ich da nur, denn Öffentlichkeitsarbeit ist Selbstdarstellung der Fraktionen. Und es ist doch wohl geradezu albern – ich wiederhole, albern –, sie auf den innerparlamentarischen Raum einzuigeln.
Und wenn wir hier einen Auftrag haben als Abgeordnete, dann haben wir den Auftrag der Wähler und dafür haben sie uns gewählt. Und bei aller Beschränkung sozusagen auf das eigene Gewissen sollte doch jeder Abgeordnete und jede Fraktion die Verantwortung in sich spüren, die Wähler wissen zu lassen, was sie hier in diesem Parlament treiben. Deswegen bringt meine Fraktion zum Beispiel seit wohl zehn Jahren periodisch eine Broschüre heraus, die lautet: „Was macht ihr da im Schloss?“,
oder besser gesagt: „Was machen wir da im Schloss?“, damit die Leute wissen, was wir tun. Sollen wir das vielleicht nicht mehr tun? Ich frage mich also allen Ernstes: Lesen denn bestimmte Staatsanwälte nur die „Bild-Zeitung“ oder studieren sie wenigstens gelegentlich auch Verfassungsgerichtsurteile?
Es geht darum, dass die Fraktionen, schon da sie unterschiedlicher Couleur sind, ihren eigenen Beitrag und ihre besondere Funktion in der Öffentlichkeit darstellen. Es geht um den Dialog mit der Öffentlichkeit und mit dem Wähler. Darum heißt es in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch unmissverständlich, Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und parlamentarischen Körperschaften sei in gewissen Grenzen ein Gebot beziehungsweise ein Ausfluss des demokratischen Prinzips. Dieses Prinzip, so das Bundesverfassungsgericht, setze den Grundkonsens der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung und ihre verantwortliche
Teilhabe an der politischen Willensbildung voraus. Und ich zitiere wörtlich: „Eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes setzt voraus, dass der Einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den durch die verfassten Staatsorgane getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlägen genügend weiß, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können.“ Und was die Fraktionen betrifft, leitet sie ihre Legitimation zu einer Öffentlichkeitsarbeit aus den Aufgaben ab, die sie nach der Verfassung haben. Und an der Stelle werde ich richtig wütend, wenn ich sehe, dass hochbezahlte Staatsdiener – Staatsanwälte sind das nämlich – zwar die „Bild-Zeitung“ lesen, aber offensichtlich nicht lesen, was in Bundesverfassungsgerichtsurteilen aufgeschrieben steht
Schon ein ganz kurzer Blick in unsere Landesverfassung lenkt den Blick darauf, dass die Verfassung den Fraktionen weitgehende Autonomie gewährt. Dazu gehört auch, dass sie selbst entscheiden, ob und wie sie Öffentlichkeitsarbeit leisten und wie sie Schwerpunkte für die Ausgabe ihrer finanziellen Mittel setzen. Daran kann kein Staatsanwalt drehen und wenden!
Dies, meine Damen und Herren, möchte der Landtag mit seinem Beschluss zur Öffentlichkeitsarbeit festgestellt wissen. Das heißt, der Landtag stellt klar, was eigentlich klar ist. Er muss das leider tun, da diese Klarheit offensichtlich noch nicht bis zu jeder Staatsanwaltschaft durchgedrungen ist, offensichtlich auch nicht bis zum Generalstaatsanwalt.
Zum Problem der zulässigen oder nichtzulässigen Öffentlichkeitsarbeit habe ich mich geäußert. Ich möchte aber auch kurz sagen, was aus meiner Sicht die Botschaft der Landtagsbeschlüsse zur Immunität sind:
Erstens. Der Landtag erklärt unmissverständlich, dass er nicht bereit ist, ein Justizspektakel mitzuspielen, das von einer Staatsanwaltschaft auf dem zweifelhaften Niveau einer Provinzposse eingefädelt worden ist. Es ist eben nicht genug, Herr Thomas!
Zweitens. Mecklenburg-Vorpommern ist zwar ein armes Land, aber keine Bananenrepublik, in der Staatsanwälte sich gelegentlich einfallen lassen können, mir nichts, dir nichts 18 Landtagsabgeordnete einzusperren, ganze Fraktionen lahm zu legen und dazu auch gleich noch den Ministerpräsidenten und Landesminister, da sie zufälligerweise zugleich Abgeordnete sind, zu kriminalisieren. Gerade zu diesem Zweck gibt es die parlamentarische Immunität. Sie schützt das Parlament und den einzelnen Abgeordneten.
Bei dieser zweiten Botschaft möchte ich noch etwas verweilen. Abgeordnete des Landtages sind jeder für sich wie auch die Fraktionen ganz im Gegenteil zur Staatsan
waltschaft Verfassungsinstitutionen. Und da kann man, bevor allzu leichtfertig Vorwürfe wie Untreue und illegale Parteienfinanzierung erhoben werden, den entsprechenden Respekt erwarten. Ein Landtagsabgeordneter ist auch im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft vom Volk unmittelbar gewählter Repräsentant. Er ist Volksvertreter und man kann darum nicht mit ihm umspringen, wie man will. Und darum pochen sowohl die Beschlüsse zur Immunität wie zur Öffentlichkeitsarbeit auf die Respektierung des verfassungsrechtlichen Status der Abgeordneten und der Fraktionen als parlamentarische Gliederung. Da werden wir als Abgeordnete und Fraktionen, wie man so sagt, keine Luft heranlassen. Dazu gehört, dass wir uns auch von keiner Staatsanwaltschaft der Welt vorschreiben lassen werden, ob und wie wir gedenken, Öffentlichkeitsarbeit durchzuführen, und wofür wir im Einzelnen die entsprechenden Mittel der Fraktionen verausgaben.