Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

guten Aufenthalt bei uns und auch interessante Gespräche.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der PDS hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zum Thema „Innovation – eine Chance für Mecklenburg-Vorpommern“ beantragt.

Aktuelle Stunde Innovation – eine Chance für Mecklenburg-Vorpommern

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende Frau Gramkow von der Fraktion der PDS. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der Warnung, dass Ostdeutschland auf der Kippe steht – Sie erinnern sich vielleicht an diesen Ausspruch von Herrn Thierse im Januar 2001 – sind mehr als zwei Jahre vergangen. Die Lage hat sich dramatisch zugespitzt, aber mit Hartz-Gesetzen und auch mit der Agenda 2010 wird weiter an den neuen Ländern vorbeigedacht.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

In der öffentlichen Debatte, glaube ich, kommt der Osten nur noch als eine Problemregion vor, als Experimentierfeld für den Sozialabbau.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Man kann gewiss geteilter Meinung sein, ob die 35-Stunden-Woche momentan zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland werden sollte. Aber ich halte es für unerträglich,

(Karin Strenz, CDU: Wir auch.)

wenn in diesem Zusammenhang Unternehmerinnen und Unternehmer darüber nachdenken, ob sie überhaupt noch Arbeitsplätze im Osten ansiedeln sollten. Der Osten – auch Mecklenburg-Vorpommern – ist längst ein lebendiges Beispiel dafür, was geht und was nicht geht. Wenn es nach Niedriglöhnen und Länge der Arbeitszeiten ginge, müssten wir doch längst eine boomende Region sein, eine blühende Wirtschaftslandschaft.

(Beifall Dr. Gerhard Bartels, PDS, und Karsten Neumann, PDS)

Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern die niedrigsten Durchschnittseinkommen und mit Sachsen-Anhalt vergleichsweise die höchsten Arbeitslosenzahlen. Also müssten wir doch dagegenhalten, Sonderregelungen Ost, ja, aber nicht so, wie sie gegenwärtig gefahren werden! Es vergeht doch kaum ein Tag, an dem nicht eine Sonderwirtschaftszone Ost als tarif- und arbeitsrechtlich deregulierter Landstrich gefordert wird.

Wir, meine Damen und Herren, wir wollen Innovationen in die Gesellschaft, vor allen Dingen natürlich in die Wirtschaft. Wir wollen Unternehmensansiedlungen begünstigen und Gründungswilligen selbst eine Chance geben. Wir rollen doch allen, die in Mecklenburg-Vorpommern und in Ostdeutschland investieren wollen, den roten Teppich aus. Und deshalb setzen wir gegen Arbeitslosigkeit, Abwanderung und soziale Auszehrung ein Innovationsprojekt Ost, das die PDS-Minister und die PDS-Landtagsfraktion vorschlagen, das auch ein breites Bündnis für Arbeit, Ansiedlung und Aufträge bedeuten soll. Wir wollen, dass wir hier im Osten zum Ausgangspunkt für innovative

Veränderungen werden, die den Namen Reform auch wirklich vertragen.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Und hier ist nicht nur der Reformdruck höher als im Westen, sondern auch noch die Bereitschaft, Reformen einzugehen.

(Beifall Karsten Neumann, PDS)

Das haben doch die Bürgerinnen und Bürger und wir alle in den letzten 13 Jahren bewiesen. Wir schlagen deshalb für die neuen Länder einen Weg vor, der sowohl frei ist von Separatismus Ost als auch von Denkblockaden West. Und seine Hauptrichtungen für dieses Innovationsprojekt lauten:

1. Innovation statt Billiglohn

2. Eine Modellregion Ost für modernes Verwaltungshandeln, statt wilder Deregulierung

3. Aktive Beschäftigungspolitik, statt passiver Sanierung

Meine Damen und Herren, wir fragen nicht zuerst danach, was der Bund und Europa noch für uns, für Ostdeutschland tun könnten. Das Innovationsprojekt Ost fordert nicht mehr Geld für den Osten, sondern wir wollen es anders verteilen, wir wollen es investieren. Wir brauchen hier einen neuen Schub, eine neue Kraftanstrengung. Und ich sage es noch mal: Es geht nicht um mehr Geld, sondern um Langzeitwirkung des Geldes, was bisher in den Osten geflossen ist und was weiter in unseren Landstrich fließen wird.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Wir fragen zuerst, was wir selbst in die Hand nehmen können, um erstens die heimischen wirtschaftlichen Potentiale, die wir haben in unserem Land, noch besser zur Entfaltung zu bringen, und zweitens ostdeutsche Regionen und damit auch Mecklenburg-Vorpommern für Ansiedlungen und Investoren interessanter zu machen als andere Regionen in Deutschland. Das Innovationsprojekt Ost heißt auch, das Gemeinsame zwischen den fünf ostdeutschen Flächenländern und Berlin in den Mittelpunkt zu rücken. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass das vor allen Dingen auch heißt, bereits vorhandene Sonderregelungen nicht zu verkürzen, sie nicht auszuhöhlen und schon gar nicht zuzulassen, dass sie insgesamt abgeschafft werden. Denn Ostdeutschland ist eine strukturschwache Region, aus der einige stärkere Gebiete herausragen, während es in Westdeutschland doch genau umgekehrt ist. Und deshalb werden die Gesetze zur modernen Dienstleistung am Arbeitsmark dem Osten leider einen schlechten Dienst erweisen. Druck auf Arbeitslose und raschere Vermittlung von Arbeitslosen auf freie Arbeitsplätze müssen doch hier scheitern, denn es gibt keine Arbeitsplätze.

(Wolfgang Riemann, CDU: Wo bleibt denn Holters Sonderkomponente für Hartz?)

Was soll ein kreditfinanziertes Infrastrukturprogramm, wenn über den Kommunen der „Pleitegeier“ kreist und ihnen verwehrt wird, neue Schulden überhaupt aufzunehmen? Für die Kommunen steht die Frage doch anders, denn sie sind gar nicht in der Lage, die Kredite in Anspruch zu nehmen.

Meine Damen und Herren, von der wirtschaftlichen Entwicklung hier bei uns müssen doch Impulse für die wirt

schaftliche Dynamik der Bundesrepublik und auch Europas ausgehen. Deshalb müssen wir auf Innovation setzen. Die Mittel und Förderprogramme werden auf Wissenschaft, Forschung und Entwicklung konzentriert und ausgerichtet, um den Sprung in wissensbasierte Wertschöpfungsketten zu erleichtern. Ich nenne nur das Stichwort Biotechnologie. Innovationsorientierte Entwicklung heißt nicht nur, High-Tech-Regionen für technologische Neuerungen zu entwickeln. Das heißt auch, die damit verbundenen Weichen so zu kulturellen Standortbedingungen zu entfalten. Wichtig sind deshalb soziale Innovationen, soziale Problemlösungen für die kommenden sozialen Umbrüche, vor denen wir alle stehen, aber auch die, die sich im Osten bereits abzeichnen.

Und, meine Damen und Herren, die neuen Länder und auch wir in Mecklenburg-Vorpommern brauchen eine Kultur der Selbständigkeit und des Unternehmergeistes. Es fehlt jedoch nicht an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern es fehlen uns doch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Politik und Staat können hierfür Voraussetzungen schaffen, Transparenz herstellen, Schwellen abbauen, bürokratische Gängeleien beseitigen, Grenzen überwinden helfen, auch Grenzen überwinden bezüglich der Grenzgebiete zu den neuen EU-Mitgliedsländern. Modellregion Ost heißt deshalb für uns auch, dass wir in den neuen Ländern zum bundesweiten Modell für modernes Verwaltungshandeln werden.

(Wolfgang Riemann, CDU: Oh, oh! Da bringe ich Ihnen nachher gleich noch sehr schöne Beispiele, Frau Gramkow.)

Überflüssige Regelwerte aus den Zeiten der Industriegesellschaft, die nach Ostdeutschland exportiert wurden, werden abgeschafft, Antragsteller wo nur möglich von Nachweis- und Genehmigungspflichten entlastet, moderne Regelwerke entwickelt, etwa in Beteiligungsverfahren.

Wir könnten uns doch den Ruf erwerben, dass unsere Verwaltung auch hier in unserem Land nicht nur schneller, problemorientierter und unbürokratischer handelt, sondern dass ihre Bescheide auch in hohem Maße von unterschiedlichen Interessengruppen akzeptiert werden, dass sie bestands- und rechtssicher sind. Eine Offensive zur Modernisierung des Verwaltungshandelns würde auch signalisieren, dass wir alles tun, um hemmende Vorschriften abzuschaffen, zielführend zu handeln, mit den Mitteln sorgsam und effizient umzugehen und dann auch noch real Kosten einzusparen.

Und weil das so ist, gibt es innerhalb des Innovationsprojektes Ost auch die klare Aussage, dass wir entschieden Konzepte ablehnen, die Ostdeutschland als Niedriglohngebiet mit hohem Armutsrisiko ausbauen. Ein solcher Wettbewerb, meine Damen und Herren, den können wir mit den Nachbarstaaten nicht gewinnen. Investitionen in moderne Produktionsweisen und Niedriglöhne gehen – das zeigt die Erfahrung in Europa – nirgendwo zusammen. Warum sollte dies in Mecklenburg-Vorpommern so sein? Wir setzen deshalb auf aktive Beschäftigungspolitik gegen unanständige passive Sanierung. Für uns bleibt der Einsatz dafür, Menschen in Lohn und Brot zu bringen, Arbeitsplätze zu schaffen, doch der Kern im Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit. Wo Arbeitsplätze fehlen, hilft die beste Vermittlung nicht weiter.

Wir werden die Bundesregierung deshalb nicht aus der Pflicht entlassen können, die von ihr versprochene Initiative „Kommunale Infrastruktur Ost“ gut auszustatten und

sie rasch zu realisieren, denn nur wenn die ostdeutschen Kommunen wieder zu Auftraggebern werden, haben viele kleinere Unternehmen und Handwerksbetriebe eine Chance in der Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

In diesem Zusammenhang eine weiteres klares Wort. Die PDS ist für ihren Gedanken eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors immer wieder scharf kritisiert worden. Die Wiedereinführung der Planwirtschaft, das war noch der freundlichste Vorwurf.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Jetzt redet sogar Nürnberg von einem ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt, allerdings auf Sozialhilfeniveau.

(Harry Glawe, CDU: Sie reden ja noch von einem dritten Arbeitsmarkt.)

Die PDS wird sich entschieden dagegen wehren, dass aus den arbeitslosen Menschen die Mittel herausgespart werden, die für eine Haushaltskonsolidierung gebraucht werden. Druck auf Arbeitslose, auf Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger durch verschärfte Zumutbarkeitsregelungen, Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld und so weiter und so fort, sie werden gerade hier bei uns im Osten einen Verarmungsschub auslösen. In Mecklenburg-Vorpommern, so hat der Erwerbslosenbeirat des Landes ausgerechnet, droht zwei von drei Arbeitslosen der sofortige Abstieg in die Sozialhilfe. Unterdessen sind ein Drittel bis zur Hälfte der Arbeitslosen in Mecklenburg-Vorpommern langzeitarbeitslos.

Deshalb bleibt es notwendig, dass wir über aktive Beschäftigungspolitik reden, eine Politik, die gemeinwohlorientiert und unternehmensnah ist. Und deshalb halten wir an einem öffentlich geförderten, aus Steuergeldern finanzierten Beschäftigungssektor fest. Er ist notwendig, denn schon die Einschnitte bei ABM und SAM haben sich als gefährlich für den sozialen Zusammenhalt ganzer Regionen erwiesen.

Meine Damen und Herren, Vorbild West – Abziehbild Ost, dieses Muster hat ausgedient,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Reinhardt Thomas, CDU: Das ist ja hammerhart!)

Ich denke, lassen Sie uns beginnen, um Vertrauen zu werben und für die Gestaltung letztendlich dafür zu sorgen, dass wir unsere Stärken stärken und die Schwächen schwächen, denn Aufbruch beginnt bei den Köpfen. Lassen Sie uns hier beginnen!

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Danke, Frau Gramkow.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Petters von der Fraktion der CDU.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema heißt ja „Innovation – eine Chance für Mecklenburg-Vorpommern“. Ich habe lange überlegt, was ich damit anfangen soll.