Protokoll der Sitzung vom 09.10.2003

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Sehr energisch, nahezu wütend, Herr Glawe, haben Sie hier eben noch einmal betonen wollen, dass der in Rede stehende angehörte Gesetzentwurf hier mit Pauken und Trompeten durchgefallen wäre.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ist er doch.)

Da muss ich Ihnen einfach widersprechen, denn es ist nicht so. Es ist nicht so. Malen Sie nicht schwarzweiß! Positiv wurde bewertet, auch wenn Sie das nicht machen, möchte ich das hier an dieser Stelle betonen,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

dass die Bildungs- und Erziehungsziele ausgeformt wurden. Es war ein Wunsch der Erzieherinnen, ein Wunsch der Eltern, der Elterninitiative und der Träger, vergleichbare Bildungsstandards zu erhalten. Das wird positiv bewertet.

(Harry Glawe, CDU: Dafür dürfen die Eltern aber mehr bezahlen.)

Positiv bewertet wird die Ausweitung des Rechtsanspruches und insbesondere wird großer Wert darauf gelegt, dass der berufliche Status der Eltern nicht mehr ein Ausschlussgrund für die Inanspruchnahme des Rechtsanspruchs in der frühkindlichen Bildung und Erziehung ist. Weitestgehend positiv bewertet wurde das Wahlrecht der Eltern, und zwar die Einrichtungen zu nutzen, die sie für ihr Kind am zweckmäßigsten und am besten halten. Positiv wurde bewertet, dass es erstmalig in dieser Art und Weise Gesundheitsziele in einem Gesetzentwurf gibt. Positiv bewertet wurden die Ausweitung und die Stärkung der Fachberatung und ebenfalls die Berücksichtigung der Vorund Nachbereitungszeiten sowie die verpflichtende Weiterbildung für die Erziehung. Das sind alles Dinge, die Sie hier nicht unterschlagen sollten, Herr Glawe.

(Harry Glawe, CDU: Das ist doch heute schon alles möglich. Das ist doch schon in den Regelkosten erfasst. Lesen Sie das nicht? Haben Sie das nicht erkannt, Herr Koplin?)

Was ich aber gerne sagen möchte, ist, dass wir Ihren Antrag ablehnen. Sie beginnen Ihren Antrag – ich komme zu allen drei Punkten – mit einem Blick in die Glaskugel, indem Sie anfangen zu spekulieren, dass vom 01.07.2004 an dieses und jenes nicht möglich wäre, und wollen uns dafür gewinnen, diese Spekulation mit zu betreiben. Ein neues Gesetz ist aber in seiner Gesamtheit zu betrachten. Sie haben selbst gesagt, wir müssen es sorgfältig und seriös in den Ausschüssen beraten und erst wenn wir es beraten und alle Dinge bedacht haben, sind wir in der Lage, den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes beziehungsweise einzelne seiner Bestandteile entscheiden zu können. Alles andere an dieser Stelle, Herr Glawe, wäre unseriös.

Zu Ihrem zweiten Antragspunkt. Der Antrag suggeriert den unverzüglichen Handlungsbedarf. Jetzt komme ich

auf diesen Kritikpunkt, Herr Glawe. Die Rechtslage ist eine andere als die, die Sie hier darstellen.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Nach Paragraph 16 Absatz 1 des geltenden Gesetzes wird verlangt, dass jährlich die durchschnittlichen Regelkosten zu ermitteln sind. Jährlich heißt, einmal im Jahr und nicht kalendarisch alle zwölf Monate. Und nach der Erfassung von mehr als 150.000 Einzeldaten im vergangenen Jahr wurden die gültigen Regelkosten am 1. Februar 2003 erlassen. Das heißt, sie gelten auch über den Jahreswechsel hinaus. Da gibt es insofern nicht diesen akuten Handlungsbedarf,

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU: Ja, ja, ja, ja.)

den Sie hier attestieren und geltend machen. Und dann kommt noch hinzu, Herr Glawe, Sie selber haben die Regelkosten auch, genauso wie Ihre Fraktion und wie viele in diesem Land, immer wieder kritisiert. Wir müssen weg von diesen Regelkosten. Die Frage ist: Wie kommen wir weg von diesen Regelkosten? Festbeträge sind eine Alternative. Regelkosten wurden als ungerecht empfunden und insofern ist es schon sehr, sehr widersprüchlich, wenn Sie sich jetzt sozusagen zu den Verfechtern der Regelkosten aufschwingen möchten. Sie haben gestern bereits bewiesen, dass Sie mit Ihren Erkenntnissen auf dem Stand der 90er Jahre stehen geblieben sind.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Und noch ein letzter Punkt. Der dritte Punkt Ihres Antrages, und zwar die Landesregierung aufzufordern geltendes Recht einzuhalten, erübrigt sich an dieser Stelle.

(Harry Glawe, CDU: Ah ja, ah ja! Kennen Sie dieses Schreiben?)

Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz besagt, dass jedes Verwaltungshandeln dazu verpflichtet,

(Harry Glawe, CDU: Kennen Sie dieses Schreiben?)

auf Rechtsgrundlagen zu arbeiten und zu wirken. Deshalb ist auch an dieser Stelle Ihr Antrag überflüssig. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke, Herr Koplin.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/804. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Danke. Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/804 mit den Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion der PDS bei Zustimmung der Fraktion der CDU abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Entschließung zur Gemeindefinanzreform, Drucksache 4/812(neu).

Antrag der Fraktionen der PDS und SPD: Entschließung zur Gemeindefinanzreform – Drucksache 4/812(neu) –

Das Wort zur Begründung hat die Fraktionsvorsitzende Frau Gramkow der Fraktion der PDS.

Meine Damen und Herren! Auf einer Veranstaltung im September dieses Jahres in Braunschweig erklärte Bundesfinanzminister Hans Eichel, ich zitiere: „Wir müssen die finanziellen Spielräume der Kommunen erhöhen, damit sie mehr Raum für Investitionen bekommen. Und zwar schnell und dauerhaft! Denn kommunale Investitionen sind ein Fundament für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung …“ Zitatende. Das können wir, meine Damen und Herren, dick unterstreichen. Und wir werden die Bundesregierung hier beim Wort nehmen. Wir werden sie beim Wort nehmen müssen, denn die Situation ist bitterernst. Vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 2001 sind die Gewerbesteuereinnahmen abgestürzt. Das ging 2002 weiter und auch für dieses Jahr muss mit weiteren Gewerbesteuerrückgängen gerechnet werden. Das liegt auch daran, dass zwischen Unternehmen und Tochtergesellschaften Gewinne und Verluste verrechnet werden können. Es liegt ebenso daran, dass ab 2002 Gewerbesteuerfreiheit von Veräußerungserlösen eingeführt worden ist.

Die letzte Steuerschätzung zeigt, das Gewerbesteueraufkommen 2003 und in den Folgejahren wird um mehr als 30 Prozent, meine Damen und Herren, unter den Schätzungen vom Mai 2000 liegen. Auch in MecklenburgVorpommern haben die Städte, Gemeinden und Landkreise mit dieser Situation umzugehen und das trifft insbesondere die kreisfreien Städte. Die Kassenstatistik der Kommunen vom Jahr 2003 verzeichnet erneut eine Mindereinnahme bei der Gewerbesteuer. In der gleichen Situation explodieren die kommunalen Sozialausgaben, vor allem die Sozialhilfe und die Jugendhilfe. Sie sind der sozialen Situation im Land geschuldet.

Der Fehlbetrag in den kommunalen Kassen wird in diesem Jahr einen Höchststand erreichen, deutschlandweit sage und schreibe 10 Milliarden Euro. Und nach den Aussagen des Innenministeriums hatten die kreisfreien Städte und Kreise unseres Landes im September dieses Jahres Fehlbeträge von 143 Millionen Euro in ihren Kassen zu beklagen. Das hat zur Folge, dass die Investitionstätigkeit der Kommunen drastisch zurückgeht. Auch in diesem Fall wird in diesem Jahr ein Rückgang von zehn Prozent erwartet. Städte und Gemeinden müssen deshalb auf eine Vielzahl von so genannten freiwilligen Aufgaben verzichten. Trotz aller Sparbemühungen und dem Verkauf großer Teile ihres Tafelsilbers ist es vielen Kommunen kaum mehr möglich, ihre Haushaltspläne auszugleichen. Weil die Einnahmen nicht ausreichen, müssen sie immer mehr laufende Ausgaben etwa für Sozialhilfe und Personalkosten dauerhaft über Kassenkredite finanzieren. Die kommunalen Kassenkredite summieren sich weiter nach oben.

Die Fakten zeigen in aller Schärfe, dass die kommunale Ebene sich in einer schier aussichtslosen Situation befindet und deshalb dringend auf finanziell feste und sichere Füße gestellt werden muss. Nur bei einem stabilen kommunalen Steueraufkommen kann auch die Wirtschaft, vor allen Dingen die kleinen und mittelständischen Unternehmen des Landes, wieder mit langfristig gesicherten Aufträgen rechnen.

(Minister Dr. Gottfried Timm: Richtig.)

Und deshalb begrüßen wir es, dass diese Bundesregierung, die rot-grüne Bundesregierung, auf die Situation reagiert.

Ich darf noch einmal den Bundesfinanzminister zitieren: „Die Reform der Gemeindefinanzen hat für die Bundesre

gierung höchste Priorität. Trotzdem braucht es entsprechende Vorarbeiten, um zu einer tragfähigen Konsenslösung zu kommen. Ich bin mir sicher, dass wir am Ende dieses Prozesses bei einer erneuerten, einer zukunftssicheren Gemeindefinanzierung landen werden.“ Auch diesem Zitat ist nichts hinzuzufügen.

Und deshalb hat die Bundesregierung im Mai 2002 eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen einberufen, die einen einvernehmlichen Reformvorschlag erarbeiten sollte. Wie sich jedoch sehr schnell zeigte, liegen Welten zwischen dem Vorschlag der Industrie dieses Landes und dem Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände. Eine einvernehmliche Lösung ist nicht zustande gekommen. Nahezu alle Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder hatten sich zunächst auf das Kommunalmodell bei der Gewerbesteuer geeinigt. Sie hatten sich dafür ausgesprochen. Heftige Kritik hagelte es bei diesem Vorschlag, gewinnabhängige Besteuerungselemente einzubeziehen, und zwar insbesondere von Minister Clement und von den Vertretern der Wirtschaft, auch der Wirtschaftsverbände in unserem Land, und wie wir gestern in der Aktuellen Stunde ja auch drastisch von Herrn Rehberg gehört haben.

Die Bundesregierung hat daraufhin im August dieses Jahres einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, aus ihrer Sicht ein Kompromiss zwischen den Interessen der Kommunen und der Wirtschaft. Aber dieser Kompromiss scheint nicht tragfähig. Der Entwurf befindet sich jetzt im Verfahren. Dabei hat die Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages Ende September wenig Beifall auf Seiten der kommunalen Spitzenverbände gefunden. So sei es nicht zu akzeptieren, wenn die Wirtschaft nur noch zu einem Drittel und nicht mehr zur Hälfte zu den kommunalen Steuern beitragen würde. Die geplante Gemeindewirtschaftsteuer, die sich ausschließlich auf den Gewinn bezieht, würde nur zu instabilen und wenig verlässlichen Einnahmen für die Kommunen führen.

Wir haben inzwischen wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass es bei den Regierungsfraktionen des Bundes, bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Absichten gibt, Änderungen zugunsten der kommunalen Ebene doch noch vorzunehmen. Wir würden uns freuen, wenn diese Bemühungen auch von Erfolg gekrönt sind.

Meine Damen und Herren, weil die Situation so brisant ist, haben die Koalitionsfraktionen von SPD und PDS den Ihnen vorliegenden Antrag heute eingebracht, in dem wir uns klar für eine Gemeindefinanzreform aussprechen und wo wir formulieren, welche Ziele wir berücksichtigt sehen wollen. Erstens, mit dieser Gemeindefinanzreform müssen die Kommunalfinanzen stabilisiert und gesichert werden. Das ist das grundlegende Ziel. Wir unterstützen dabei weitgehend das Modell der Kommunalen Spitzenverbände.

Für die Stärkung der Einnahmen ist die reformierte Gewerbesteuer unabdingbar. Wir sprechen uns klar dafür aus, dass der Kreis der Gewerbesteuerpflichtigen auf die Freiberuflerinnen und Freiberufler ausgeweitet wird. Alle ortsansässigen Wirtschaftseinheiten sollen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einen Beitrag für die Finanzierung der Standortgemeinde leisten. Die Bemessungsgrundlage muss verbreitert werden, indem, und das hat ja besonders Herrn Rehberg gestern erregt, ertragsunabhängige Elemente wie Zinsen und Finanzierungsanteile, Pachten und Leasingraten zum Gewerbeertrag hinzugerechnet wer

den. Dies stärkt und stabilisiert das Gewerbesteueraufkommen und sorgt für Finanzierungsneutralität.

Eine Verbreiterung und eine Verstetigung dieser Bemessungsgrundlage halten wir für gerechtfertigt, weil die Gewerbesteuer nicht wie bisher zu Lasten einzelner Unternehmen gehen darf, sondern die Belastung leistungsgerecht auf eine möglichst große Anzahl von Unternehmen verteilt werden muss, gerechtfertigt auch deshalb, weil es ermöglicht wird, größere Freibeträge für die Steuerpflichtigen zu verankern und somit die Belastungen des Einzelnen durch die Gewerbesteuer zu verringern.

Der Vorwurf, dass kleine und mittlere Unternehmen und Selbstständige übermäßig beziehungsweise sogar existenzbedrohend belastet würden, ist so pauschal nicht aufrechtzuerhalten, was unter anderem die Modellberechnungen zum vorliegenden Gesetzentwurf belegen. Dennoch ist genau zu prüfen, ob Existenzgründerinnen und Existenzgründer sowie kleine und mittlere Unternehmen nicht zusätzlich belastet würden, denn gerade in den neuen Ländern müssen sie vielfach mit einer großen Eigenkapitalschwäche umgehen. Das haben wir ja gestern angesichts der Debatte zur wirtschaftlichen Situation in Mecklenburg-Vorpommern festgestellt. Und auch diesen Hinweis, und zwar dieses genau zu prüfen, finden Sie in unserem Antrag.

Meine Damen und Herren, wir hoffen sehr, dass es auf der Bundesebene zu einer Gemeindefinanzreform kommt, die die wesentlichen Ziele, die ich formuliert habe, enthält. Das erklärte Ziel ist, möglichst die Einnahmen zu verbessern und Entlastungen für die Kommunen zu erreichen. Diese sind unabdingbar, weil wir aus eigener Kraft in Mecklenburg-Vorpommern nicht in der Lage sind, die gegenwärtige finanzielle Situation der Städte, Gemeinden und Landkreise zu heilen. Mit dem hier vorgelegten Entschließungsantrag möchten die Landtagsfraktionen von SPD und PDS ihre Unterstützung für so eine Gemeindefinanzreform auf Bundesebene ausdrücklich bekräftigen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Gabriele Schulz, PDS)

Danke schön, Frau Gramkow.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Innenminister Herr Dr. Timm.