Protokoll der Sitzung vom 12.11.2003

Dies sind also, meine Damen und Herren, die zentralen Punkte, die bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss berücksichtigt werden müssen. Es sind Forderungen im Interesse der Länder und der Kommunen, aber vor allem auch im Interesse der arbeitslosen Menschen in diesem Land. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Danke, Herr Mohr.

Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Herr Timm von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Das gegenwärtige Nebeneinander zweier staatlicher steuerfinanzierten Fürsorgesysteme, zum einen der Arbeitslosenhilfe und zum anderen der Sozialhilfe, ist neben der Tatsache, dass es nicht mehr finanzierbar ist, auch noch ineffizient, intransparent und vor allem wenig bürgerfreundlich. Für die Bezieher von Arbeitslosenhilfe, für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger gibt es trotz vergleichbarer Lebenslagen keine arbeitsmarktpolitischen Hilfsangebote aus einer Hand. Daneben steht in der Praxis in beiden Systemen zu oft die passive Leistung im Vordergrund und nicht das Hauptziel, die Überwindung der Arbeitslosigkeit. Und über alle politischen Lager hinweg besteht über eine hieraus resultierende Vielzahl von Problemen Konsens. So ist es, dass gerade die arbeitslosen Menschen, die Leistungen aus beiden Systemen beziehen, von den Integrationsbemühungen oftmals vernachlässigt werden, weil jeder Träger den anderen zunächst für vorrangig zuständig hält.

Die arbeitslosen Menschen stehen also nicht mehr im Vordergrund, sondern die finanziellen Lasten werden zwischen Sozialhilfeträgern und der Bundesanstalt für Arbeit verschoben. Und deshalb, da sind wir uns ja auch einig, müssen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfebedürftige – und das möchte ich hier noch einmal betonen, Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfebedürftige – zusammengeführt werden. Das zentrale Ziel muss dabei

sein, die Eingliederungschancen der Leistungsempfänger in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern, insbesondere durch intensive Beratung und Betreuung. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist wichtig und unerlässlich.

(Regine Lück, PDS: Aber nicht auf Sozialhilfeniveau.)

Und genau zu diesem Thema liegen ein Gesetz und ein Gesetzentwurf auf dem Tisch: zum einen Hartz IV oder, genauer gesagt, das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt der Bundesregierung und auf der anderen Seite das EGG, der Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Existenzgrundlagen, das Existenzgrundlagengesetz, welches in erster Linie den Gedanken des Hessen-Modells zusammen mit einer Grundgesetzänderung aufgreift.

Eben genau um diese beiden Reformvorhaben geht es. Das ist aus Ihrem Antrag „Zu den Arbeitsmarktreformen des Bundes“ – ich will ihn deshalb auch als Notantrag bezeichnen, das ist aber nicht böswillig – gerade nicht zu erkennen. Aber genau deshalb haben wir ja unseren umfangreichen, substantiellen und konstruktiven Antrag zur Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe erarbeitet, um so einen Reformkompromiss für strukturschwache Regionen, wie Mecklenburg-Vorpommern eine ist, zu erarbeiten.

In Mecklenburg-Vorpommern waren im Monat Oktober insgesamt 165.325 Frauen und Männer arbeitslos, 44,9 Prozent von ihnen, also genau 74.167 langzeitarbeitslos. Gerade hier zeigt sich die dramatische Entwicklung zum Oktober des Jahres 2002. Dort waren in dieser Kategorie 59.435 Menschen einzuordnen. Und betrachtet man dazu das Verhältnis von offenen Stellen zu möglichen Bewerbern im letzten Monat, wird auch dem Allerletzten klar, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern kein Vermittlungs-, sondern ein Beschäftigungsproblem haben. Die hohe Arbeitslosigkeit und die geringe Zahl der offenen Stellen in strukturschwachen Regionen Deutschlands, zu denen Mecklenburg-Vorpommern gehört, erfordert eine differenzierte Handhabung bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Deshalb ist es unsere Pflicht, einen geeigneten Reformkompromiss aus beiden Papieren herauszuarbeiten und dass wir es uns gerade nicht so einfach machen, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, wo die positiven Seiten des einen und nur die negativen Seiten des anderen Entwurfes herausgestellt werden, natürlich ohne den jeweiligen konkreten Zusammenhang.

Wo genau das hinführen wird, hat auch der letzte Arbeitsmarktbericht des Monats Oktober gezeigt. Schon jetzt zeigt sich, dass die seit Jahresbeginn steigenden Arbeitslosenmeldungen im Vergleich zum Vorjahr zugenommen haben, weil auch die Neuzugänge, insbesondere aus dem Bereich der Arbeitnehmerüberlassung, im letzten Monat sprunghaft auf 1.200, also 48 Prozent gestiegen sind. Hier bestätigt sich unsere Befürchtung zum Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, dass die staatlich alimentierte Arbeitnehmerüberlassung PSA oder auch Personal-Service-Agentur die bestehende Zeitarbeit zerstören wird. Solche und ähnliche Fehler können und wollen wir nicht dulden. Und genau deshalb gehen wir mit den Konzepten unseres Antrages auch mit unserem Bundesvorstand ins Gebet, denn unser Antrag stellt gerade nicht nur Positives heraus, sondern einen tragfähigen Reformkompromiss.

Aus unserer Oppositionsrolle heraus ist es selbstverständlich nicht zu leisten, aus zwei mehrere hundert Seiten umfassenden Papieren eins zusammenzuschreiben. Daher haben wir vier für die Menschen in MecklenburgVorpommern wesentliche Aspekte herausgegriffen.

Mit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen die Verschiebebahnhöfe zwischen den Kommunen als Träger der Sozialhilfe und der Bundesagentur für Arbeit als zuständige Instanz für die Arbeitslosenhilfe abgeschafft werden. Und es ist äußerst wichtig, dass diese Reform nicht zu neuen Verschiebehahnhöfen führt. Sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch die Gemeinden werden trotz Übergansphase mit der alleinigen Betreuung überfordert. Und genau dieses haben beide Seiten mehrfach betont.

Für uns stehen bundesweit 4,3 Millionen Empfänger der neuen Hilfeleistung inklusive der 2,2 Millionen Menschen, die als Familienmitglieder der Bedarfsgemeinschaft angehören, im Mittelpunkt. Da, wie bereits gesagt, die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt das primäre Ziel ist, müssen alle erwerbsfähigen Hilfeempfänger im Rahmen der Vermittlung in Arbeit von der Bundesagentur für Arbeit vor Ort betreut werden. Gleichzeitig begleiten die Kommunen diesen Prozess als gleichberechtigte Partner, indem sie ihr Know-how aus der bisherigen Leistungserbringung als Sozialhilfeträger mit einbringen. Doch dazu muss die Zusammenarbeit vom Gesetzgeber eindeutig institutionalisiert werden, denn dies ist in dem vorliegenden Gesetz gerade nicht der Fall.

Der Bund darf keinesfalls aus der Verantwortung für die Bekämpfung der Massenlangzeitarbeitslosigkeit entlassen werden, da dort allein die Weichen in der Wirtschaftsund Steuerpolitik gestellt werden. In Mecklenburg-Vorpommern fand in den letzten Jahren ein massiver Abbau an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen statt. Von einst über 600.000 waren es Ende Juli 2003 gerade einmal noch 526.300 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Land.

Wir brauchen also Reformen für mehr Beschäftigung. Arbeiten Sie deshalb mit uns zusammen an einem Reformkompromiss, den wir gemeinsam tragen und jeder für sich in seiner Bundespartei verteidigt! Ziehen Sie Ihren Antrag zurück und geben Sie uns Ihre Stimme! Denn wie heißt es? – Wenn die Worte falsch sind, gelingen die Taten nicht.

Ich möchte dazu noch abschließend bemerken, wenn ich in einer Pressemitteilung des Ministeriums für Arbeit und Bau nachsehe, wo es unter anderem auch heißt: „Die CDU hat sich Gedanken über ein Existenzgrundlagengesetz gemacht. Darin berücksichtigt sie die hohe Zahl von Arbeitslosenhilfeempfängern in Ostdeutschland.“, das beweist einen gewissen Realitätssinn. Das ist beachtlich für mich. Und: „Die CDU-Fraktion des Landtages schlägt die Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Kommunen vor. Diesen Vorschlag“, sagt Minister Holter, „möchte ich unterstützen, denn die Bündelung der Kompetenzen unter einem Dach erleichtert die Betreuung.“

Sehr geehrter Herr Minister, ich würde uns gerne gemeinsam dazu auffordern, diese Hände zu reichen, sie anzunehmen und uns gemeinsam zu bemühen, diese missliche Situation in diesem Land zu verbessern. Ich will es tun, ich hoffe, Sie tun es auch. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Timm.

Im Ältestenrat wurde eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Lück von der Fraktion der PDS.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich dem Antrag der CDU zuwenden. Sie beginnen damit, die Zahl der Arbeitslosen im Land zu nennen, dann das Verhältnis von offenen Stellen zu den Bewerbern mit 1:25 zu beziffern. Das ist der erste, aber kleinere Fehler, der Ihnen unterlaufen ist. Denn seit einiger Zeit werden in der Statistik auch die sofort zu besetzenden Stellen ausgewiesen. Von den 7.612 Ende Oktober an die Bundesanstalt für Arbeit gemeldeten freien Stellen waren ganze 1.757 sofort zu besetzen. Das macht ein Verhältnis von ungefähr 1:97 aus. Auch wird ausgewiesen,...

(Udo Timm, CDU: Ich nehme ja gerne eine Zahlenberichtigung hin, das ändert aber nichts am Problem.)

Herr Timm, ich war so nett und habe Sie ausreden lassen, seien Sie doch auch mal nett zu mir!

(Beifall Torsten Koplin, PDS, und Gabriele Schulz, PDS – Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU)

Auch wird ausgewiesen, dass im vierten Quartal 2002 laut einer Umfrage angeblich nur 36,3 Prozent des gesamten Stellenangebots bei der Noch-Bundesanstalt für Arbeit gemeldet waren. Ich frage mich, warum. Die PDS fordert zum Beispiel seit Jahren eine Meldepflicht für freie Stellen, auch um die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Richtig ist, das ist einer der wenigen Punkte, in denen ich mit Ihnen übereinstimme, es gibt vordergründig kein Vermittlungs-, sondern ein Beschäftigungsproblem. Richtig ist auch, dass in erster Linie die Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen kann und, ich ergänze, muss. Und um die Argumentation fortzusetzen: Arbeitsmarktpolitik sollte und kann lediglich eine Brückenfunktion ausüben, aber das sollte ihr dann auch zukünftig zugebilligt werden. Dafür sollte sie angemessen ausgestattet und qualifiziert werden. Das aber ist unsere Position und nicht die Ihre, auch nicht die der Bundesregierung, leider.

Alle Vergünstigungen, und damit zurück zur Wirtschaft, alle Zugeständnisse an die Wirtschaft, ob Steuervergünstigungen, Abschreibungen, Fördergelder oder moderate Tarifabschlüsse, all dieses hat jedoch in den vergangenen Jahren nicht dazu geführt, dass der Arbeitsplatzabbau gestoppt oder sogar umgekehrt wurde.

(Beifall Karsten Neumann, PDS)

Die Zahl der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern in der gesamten Bundesrepublik in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Eine Folge dieser Steuerund Wirtschaftspolitik, die auch Sie schon zu verantworten haben, Herr Rehberg und Herr von Storch, ist,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Was?! Was?! – Zuruf von Dr. Henning von Storch, CDU)

dass die Staatseinnahmen zurückgegangen sind und auch der Staat Personal und Leistungen abbauen musste.

(Kerstin Fiedler, CDU: Also jetzt wird’s ja wohl!)

Da wir hier zum Glück bisher relativ hohe Standards hatten, erfolgte dies jedoch nicht so rigoros, wie Sie es gefordert haben, seit Sie in der Opposition sind.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das find ich gemein.)

Neben der Wirtschaft – und das vergessen Sie meistens – gibt es nämlich noch einen zweiten und einen dritten Sektor, den Staat, das Gemeinwesen und den so genannten Non-Profit-Bereich. Der dritte Sektor ist in Europa übrigens derjenige, der in den letzten Jahren Arbeitsplatzzuwächse zu verzeichnen hatte und hat. Jeder vernünftige Ökonom weiß, dass es einer makroökonomischen Betrachtung bedarf, um unsere Gesellschaft wirklich zukunftsfähig zu machen, und das geht nur sozial gerecht. Und das schließt ein, dass man die Arbeitslosigkeit bekämpft, und nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitslosen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Bei der so genannten Gesundheitsreform, die Entscheidungen der jüngsten Zeit, die alle so bezeichnet wurden und werden, verdienen diese Bezeichnung also nicht. Und ich finde es auch nicht in Ordnung, dass dieses Wort „Reform“ hier immer strapaziert wird im Parlament. Bei der so genannten Gesundheitsreform also haben Sie sich gegen tatsächlich gerechte und soziale Lösungen ausgesprochen,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Was?!)

die den Zugang zur medizinischen Versorgung für alle sichergestellt hätten. Sie haben sich stattdessen für die Interessen der Pharmaindustrie entschieden.

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU)

Nein, und das ist Ihr grundsätzlicher und auch Ihr gröberer Fehler. Ihr gesellschaftspolitischer, Ihr steuer- und wirtschaftspolitischer und damit Ihr beschäftigungspolitischer Ansatz ist falsch.

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU und einzelnen Abgeordneten der PDS – Glocke der Vizepräsidentin)

Teile Ihrer Kritik an der Finanzierung und Ausgestaltung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – auch dieser Terminus ist ja genau genommen eine Irreführung, denn es geht um die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe als Leistung,

(Torsten Koplin, PDS: So ist es.)

die an ein früheres Einkommen gekoppelt war –, also Teile Ihrer Kritik kann ich nachvollziehen, doch als Wolf im Schafspelz müssen Sie den Leuten nicht vormachen wollen, hier etwas Gutes zu tun.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sind Sie nicht Unternehmerin, Frau Kollegin?)

Sie fordern in Ihrem Antrag die Einführung eines geförderten Niedriglohnsektors,