Protokoll der Sitzung vom 12.11.2003

Und ein Letztes in diesem Zusammenhang. Herr Rehberg, um eine Pressemitteilung des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern zu zitieren, dort heißt es: „Eine Kommunalisierung des neuen Leistungsrechts, wie von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einigen Ländern gefordert, lehnt der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern entschieden ab.“ Ich denke, dies macht nachhaltig deutlich, Herr Rehberg, dass das von Ihnen verfochtene Modell so klar und so überzeugend nicht ist,

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

insbesondere wenn es hier von Seiten der Fachleute in den Kommunen entsprechend dargestellt und beurteilt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kommen wir zum Punkt d). Dort machen Sie sich stark für die Einführung des besagten staatlich geförderten Niedriglohnsektors entsprechend dem Hessen-Modell. Die massive staatliche Förderung eines Niedriglohnsektors wird zu einem Rutschen des gesamten Lohn- und Gehaltsgefüges führen. Schon heute ist es in Ostdeutschland für untere Lohngruppen schwer, ihre Familie zu ernähren.

Herr Rehberg und meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion, ich frage Sie: Wie niedrig sollen die Löhne hier in unserem Land denn noch werden? Herr Rehberg, Fakt ist, Sie haben das teilweise zitiert, Sie wissen doch, wie hoch hier die Löhne sind. Gucken wir uns zum Beispiel das Gastgewerbe und den Hotel- und Gastronomiebereich an. Wir können uns den Bereich vieler Dienstleistungszweige anschauen. Wir sprechen hier ganz klar über Bruttostundenlöhne zwischen 4 Euro, 4,50 Euro und 5 Euro.

(Wolfgang Riemann, CDU: Der hat es noch nicht begriffen. Der will bezuschussen.)

Und ich frage Sie noch mal allen Ernstes: Wer soll mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von rund 800 Euro zum Beispiel eine Familie ernähren können? Das ist mir schleierhaft und dazu sind Sie eine Erklärung schuldig geblieben. Ich finde, das ist ein ganz wesentlicher Punkt in der Debatte, und das, denke ich, ist auch unstreitig.

Wir fragen letzten Endes, das will ich jetzt einmal auf die große Ebene ziehen: Was haben wir denn hier in Deutschland überhaupt auf dem Arbeitsmarkt? Wir haben letzten Endes sicherlich Know-how. Die einzige Chance wird es in Zukunft sein, hier in das Know-how der Menschen und in die Arbeitskräfte zu investieren, weil wir eben die Ressourcen nicht haben.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Ich bin der Meinung, dass wir hier gut beraten sind und wir dieses hohe Know-how, was wir ja von den Menschen abfordern, unterstützen und dokumentieren,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

indem wir auch angemessene und reale Löhne bezahlen, die es den arbeitenden Menschen hier im Land erlauben, die Existenz ihrer Familien hinreichend und ausreichend finanzieren zu können. Das, denke ich, ist ein wichtiger Punkt und das muss so noch einmal herausgearbeitet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Rehberg, ein ganz wichtiger Punkt bei diesem staatlich geförderten Niedriglohnsektor ist, mich würde hier schon einmal die Frage der Finanzierung interessieren: Wie sollen denn die Lohnsubventionen finanziert werden? Dazu sind Sie eine Antwort schuldig geblieben. Wenn ich den Gesetzentwurf von Hessen richtig gelesen habe, ist da von einer Anschubfinanzierung in einer Größenordnung von circa 3 Milliarden Euro die Rede. Wo soll das Geld herkommen? Herr Rehberg, hierzu sind Sie eine Antwort schuldig geblieben, keine Auskunft dazu von Ihnen. Der Antragstext ist an dieser Stelle ziemlich nebulös, um es vorsichtig zu sagen. Außerdem würden Arbeitgeber wahrscheinlich auch reguläre Arbeitsplätze in Niedriglohnarbeitsplätze umwandeln, das ist unsere Befürchtung, die dann staatlich subventioniert würden. So weit zum Antrag der CDU.

Die Hartz-Gesetze III und IV werden zurzeit im Vermittlungsausschuss beraten. Das ist bekannt und auch gesagt worden. Natürlich wird es dabei auf einen Kompromiss hinauslaufen, das ist auch klar. Meine Damen und Herren, dass es hier nicht ein reines Hartz-Modell und auch kein reines Hessen-Modell geben wird, das, denke ich, ist klar. Das ist auch unstreitig. Und irgendwo dazwischen, denke ich – die Finanzministerin hatte das heute deutlich gemacht und symbolisch mit dieser Glaskugel beschrieben –, trifft das hier ganz gut die Realitäten. Es wird so sein, dass wir irgendwo eine Einigung zwischen diesen beiden Modellen haben werden. Aber ich werde jetzt an dieser Stelle keine Kaffeesatzleserei betreiben, Herr Rehberg. Sie haben das so ein bisschen versucht, scheint mir,

(Rainer Prachtl, CDU: Ein Dialog oder was ist das hier?)

indem Sie hier ein ziemlich unnachvollziehbares Kompromissmodell aus Ihrer Sicht gezeichnet haben. Wie gesagt, ich habe meine Bedenken.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Der Kollege möchte nicht darauf angesprochen werden, Herr Mohr.)

Das von CDU/CSU favorisierte Hessen-Modell ist nur ein Baustein einer unsozialen Politik. Hinzu kommt die Forderung der Union, den Kündigungsschutz auszuweiten, das ist bekannt. In dem Zusammenhang muss ich das noch einmal klar und deutlich sagen, meine Damen und Herren von der CDU: Sie und Ihre Kollegen auf Bundesebene wollen ganz klar amerikanische Verhältnisse. Sie wollen amerikanische Verhältnisse, weil Sie hier den Kündigungsschutz aushöhlen wollen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Bei den Arbeitslosen- zahlen schon. Bei den Arbeitslosenzahlen schon.)

Sie berücksichtigen nicht, dass wir hier schon sehr viel getan haben und wir ja letzten Endes auch schon ein sehr flexibles Arbeitsrecht haben.

(Wolfgang Riemann, CDU: Wie viel weniger Arbeitslose hat Herr Schröder schon geschafft?! – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Herr Riemann, wenn ich Ihnen jetzt sage, gucken Sie ins Teilzeit- und Befristungsgesetz, dann werden Sie damit nicht viel anfangen können. Davon haben Sie wahrscheinlich noch nichts gehört.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Aber Fakt ist, das möchte ich hier an der Stelle noch einmal explizit zur Kenntnis geben, man hat heute die Möglichkeit, befristete Arbeitsverhältnisse zu schließen.

(Zuruf von Martin Brick, CDU)

Wir haben also die Möglichkeit, befristete Arbeitsverhältnisse ohne sachlichen Grund bis zu zwei Jahren – und wir haben für 52-Jährige und Ältere die Möglichkeit hier über zwei Jahre hinaus – mehrmalig zu befristen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Durchschlagende Erfolge.)

Wir haben, meine Damen und Herren, durch ein neues Gesetz für Existenzgründer die Möglichkeit, das ist wichtig,

(Zuruf von Martin Brick, CDU)

diese bei der Neueinstellung von Beschäftigten befristet maximal auf vier Jahre einzustellen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Das wird mit anderen Fördermitteln wieder verrechnet.)

Ich frage Sie: Ist das nichts? Insofern, denke ich, gilt es dies zu berücksichtigen, aber davon ist nie die Sprache bei Ihnen. Sie fordern knallhart: Schluss mit dem Arbeitsrecht!

(Rainer Prachtl, CDU: Wir sind alle draußen glücklich, dass Sie regieren.)

Ich kann Ihnen sagen, das Arbeitsrecht ist so weit schon flexibilisiert worden. Wir stehen hier in diesem Bereich für Willkürhandlungen nicht zur Verfügung.

(Martin Brick, CDU: Die Erfolge unterstreichen Ihre Rede.)

Ich wende mich auch gegen den Vorschlag der CDU/CSU, die Tarifautonomie auszuhöhlen. Darüber werden wir ja sicherlich noch sprechen. Damit wird der soziale Friede in Deutschland massiv gefährdet.

(Beate Schlupp, CDU: Haben wir den denn noch?)

Hinzu kommt auch die Forderung von Herrn Stoiber – ich finde das ist noch einmal ein ganz wichtiger Punkt, den es lohnt anzuhören –, bei ABM und Weiterbildung 5 Milliarden Euro zu kürzen und damit den zweiten Arbeitsmarkt an die Wand zu fahren. Ich sage das so, wie es ist. Wenn ich das heute richtig mitbekommen habe, Herr Rehberg, davon gehe ich mal aus,

(Wolfgang Riemann, CDU: Und dem Kohl haben Sie ABM-Wahlkampf vorgeworfen!)

dass ich das gut verstanden habe, dann pflichten Sie dem Kollegen Stoiber bei. Sie haben heute einmal eine Hausnummer genannt, ich glaube, es waren 19,5 Millionen Euro,

(Wolfgang Riemann, CDU: Daran kann ich mich gut erinnern.)

die Sie hier im Bereich des Arbeitsministeriums einsparen möchten, wenn es hier um öffentliche Beschäftigung oder den öffentlichen Beschäftigungssektor geht. Herr

Rehberg, ich will Ihnen sagen, Sie haben hier keine Lösungen der ganzen Problematik angedeutet.

(Beifall Detlef Müller, SPD, und Ute Schildt, SPD)

Sie sagen nur, wir ziehen in diesem Bereich Gelder ab. Sie ziehen in diesem Bereich massiv Gelder ab. Und ich sage Ihnen, Stand Oktober zum Beispiel, wenn das eintreten sollte, was Herr Stoiber hier verkündet hat, dann heißt das, dass wir über 13.000 AB-Maßnahmen sprechen und über 10.800 Weiterbildungsmaßnahmen, die es hier von heute auf morgen nicht mehr geben würde, die also gestrichen würden.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Und dann, Herr Rehberg, erzählen Sie mir einmal, was Sie mit den betroffenen 24.000 Menschen hier im Land machen und wie Sie denen erklären,...

(Wolfgang Riemann, CDU: Wer hat denn in den letzten Jahren 24.000 ABM-Stellen gestrichen in diesem Land? Wer war das denn? Wer war das denn?)

Herr Riemann, Sie können darauf gerne antworten.