Protokoll der Sitzung vom 13.11.2003

Sie haben aber ständig was von sozialer Gerechtigkeit gesagt. Kollege Rehberg, soziale Gerechtigkeit beinhaltet aber auch genau die Tarifautonomie und die Eigenständigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen. Die Union stellt die Verbindlichkeit von Tarifverträgen in Frage. Das kommt mit uns nicht in Frage. Wir lehnen gesetzliche Eingriffe in die Tarifautonomie ab,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

auch, und das sei unbestritten und das gehört zu dem hoffentlich neuen Klima in diesem Hause, wenn ich zugeben muss, dass wir als SPD zurzeit natürlich Differenzen mit den Gewerkschaften haben, aber wir sind eben keine Vorfeldorganisation der Gewerkschaften. Trotzdem achten wir das Grundgesetz und sagen, bestimmte Grundpositionen müssen Bestand haben und dafür treten wir ein. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie vernünftige Regelungen zur Sicherung von Beschäftigung treffen. Ich vertraue darauf, dass sie das auch in Zukunft so tun. Und ich richte dringende und mahnende Worte an die Politik: Politik hat sich gefälligst aus der Tarifautonomie herauszuhalten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke, Herr Schlotmann.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Born von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer in der derzeitigen dramatischen wirtschaftlichen Situation Klassenkampfparolen verbreitet,

(Angelika Gramkow, PDS, und Gabriele Schulz, PDS: Oh! – Heinz Müller, SPD: Ach du liebes bisschen!)

anstatt sich darum zu bemühen, wirklich alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um bestehende Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen, der versündigt sich an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Arbeit haben, und an denen, die Arbeit haben wollen.

(Beifall Egbert Liskow, CDU, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diejenigen Betriebsräte, die Betriebsvereinbarungen abgeschlossen haben – und wir haben in rund 35 Prozent der Betriebe im Land mittlerweile Betriebsvereinbarungen –,

(Volker Schlotmann, SPD: So ist es.)

die müssen es geradezu als Schlag ins Gesicht verstehen, ja, als Zynismus empfinden, wenn anstatt notwendiger Anpassungen hier künstlich eine Betonwand aufgebaut wird und sie an den Rand der Legalität gedrängt werden. Denn das ist genau der Fall, wenn man ihnen nicht die klare gesetzliche Grundlage gibt, damit sie solche Vereinbarungen im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die sie Verantwortung tragen, abschließen können.

Und, Herr Kollege Schlotmann, ich finde es mittlerweile wirklich bedenklich, wie leichtfertig hier Begriffe verwandt werden, mit denen ganze Bevölkerungsgruppen in einer Weise belegt werden, die einfach im Landtag nicht hingenommen werden können. Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, im Zusammenhang mit einem Verfassungsorgan, dem Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag, das Wort „türkischer Basar“ zu verwenden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Beate Mahr, SPD)

Dies ist völlig unangemessen,

(Heinz Müller, SPD: Unangemessen ist das Verhalten mancher Leute dort.)

dies ist völlig unangemessen und ich bitte doch wirklich, dass das nicht...

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Ich bitte doch wirklich, dass es...

(Unruhe bei den Abgeordneten – Glocke der Vizepräsidentin)

Ich bitte doch wirklich, dass wir bei einer solchen Problematik hier nicht mit solchen Ausdrücken arbeiten. Das ist nicht angemessen und ich hoffe, Herr Kollege Schlotmann, dass Sie das in Zukunft unterlassen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Gestatten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Schlotmann?

Bitte schön.

Bitte, Herr Schlotmann.

Kollege Born, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie mit Ihrer Äußerung gerade meine Äußerung zum Vorhaben der CDU/CSU und FDP, den Vermittlungsausschuss womöglich zu einem Basar zu machen, mit dem Begriff der Zwangsarbeit von gestern in einen Zusammenhang bringen wollten?

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)

Herr Kollege Schlotmann, Sie haben eben die Vorgehensweise

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

im Verfassungsorgan Vermittlungsausschuss mit einem türkischen Basar gleichgesetzt. Und ich frage Sie, was Sie damit bezwecken wollen.

(Beifall und Unruhe bei Abgeordneten der CDU)

Das stimmt nicht.

Und ich erlaube mir die Feststellung, dass ich solche Vergleiche für unangemessen halte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Rainer Prachtl, CDU: Ja. – Volker Schlotmann, SPD: Wir halten einiges für unangemessen. Das ist eine Frechheit! – Angelika Gramkow, PDS: Eine Frechheit sonder- gleichen! – Heiterkeit bei Heinz Müller, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Überreglementierungen sind ein wesentliches Hindernis für Einstellungen und Existenzgründungen. Deshalb müssen alle Maßnahmen ausgeschöpft werden, die die Möglichkeiten zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen verbessern. Nur wenn Beschäftigungshürden abgebaut und Unternehmergeist gefördert werden, kann es gelingen, den Arbeitsmarkt wieder zu beleben. Ich denke, einer solchen Aussage kann niemand ernsthaft widersprechen, dem es wirklich darum geht, die derzeitige dramatische Situation zu entschärfen und dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass Arbeitsplätze erhalten werden können und neue geschaffen werden können. Das ist die zentrale Frage und alles andere führt in die Irre.

(Volker Schlotmann, SPD: Also mehr hire and fire als Arbeitsplätze schaffen.)

Vor diesem Hintergrund wirkt der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen. Und das, was Herr Kollege Schlotmann eben dazu gesagt hat, ist in Teilen zumindest anachronistisch. Ich betone, in Teilen.

(Volker Schlotmann, SPD: Was für Begriffe Sie verwenden!)

Natürlich hat die Tarifautonomie eine tragende Bedeutung in der Demokratie und natürlich will niemand ernsthaft den Verfassungsrang in Frage stellen oder gar das Grundgesetz in Artikel 9 ändern.

(Volker Schlotmann, SPD: Aha!)

Ich kann mich in diesem Punkt voll dem ehemaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts und Richter am Bundesverfassungsgericht Thomas Dieterich anschließen, der in einem Beitrag in der „Frankfurter Rundschau“ kürzlich die Tarifautonomie als notwendigen Bestandteil einer grundrechtlichen Freiheit, nämlich der Koalitionsfreiheit bezeichnet hat. Aber die Frage ist doch folgende: Wollen wir mit einer rein rückwärts gewandten Diskussion allen Erfordernissen einer sich rasend verändernden Arbeitswelt gegenübertreten und alle Veränderungen von vornherein störrisch ablehnen? Dann liefen wir sehr schnell Gefahr, dass man uns entgegenhalten würde, entweder wir ändern uns oder wir werden verändert.

Und, meine Damen und Herren, die Praxis hat längst den Erfordernissen der Zeit Rechnung getragen. Ich habe darauf hingewiesen, rund 35 Prozent der Betriebe haben bereits Betriebsvereinbarungen.

(Angelika Gramkow, PDS: Auf gesetz- licher Grundlage, nach Tarifvertrags- gesetz. – Volker Schlotmann, SPD: Deswegen ist es Unsinn.)

Sich gegen jedwede Änderung – Frau Kollegin Gramkow, auch wenn Sie mir so freundlich zuwinken – der Tarifautonomie und des Flächentarifvertrags zu wenden

(Heinz Müller, SPD: Ich glaube, das hat er jetzt missverstanden.)

und keinerlei moderne zukunftsweisende Komponente im Antrag zu nennen, kann meine Fraktion selbstverständlich nicht mittragen. Dies hilft den Arbeitnehmern auch in keiner Weise, sondern das Gegenteil wird damit erreicht. Was wir brauchen, ist eine tarifliche Flankierung zur Erweiterung des Spielraums für betriebliche Bündnisse für Arbeit. Neben Lohn und Arbeitszeit müssen auch die Beschäftigungsaussichten in den Günstigkeitsvergleich einbezogen werden.

Ich sage aber auch ganz deutlich, dass den Tarifparteien zur Sicherung der Tarifautonomie ein begründetes Einspruchsrecht bleiben muss. Gleichzeitig müssen aber die gerade für mittelständische Betriebe kostentreibenden Teile der Schröder’schen Reform des Betriebsverfassungsgesetzes zurückgenommen werden. Dabei gilt es auch, die Größe der Betriebsräte und die herabgesetzten Schwellenwerte für freigestellte Betriebsräte zu überprüfen.