Protokoll der Sitzung vom 12.05.2004

Rund 5.000 Menschen haben sich in zahlreichen Verbänden und Initiativen im Bereich des Umweltschutzes und des Naturschutzes engagiert. Weit mehr Menschen beteiligen sich an Aktivitäten und Demonstrationen, erinnert sei nur an die Demonstration gegen das Bombodrom. Dort geht es konkret um den Erhalt der Natur, aber es geht auch um die Gestaltung, um die weitere Gestaltung eines attraktiven Standortes für den Tourismus.

In unserem Land haben sich im vergangenen Jahr über 20.000 Menschen im Bereich der Kirchen engagiert. Ihre Tätigkeiten umfassten sowohl Jugendarbeit, Zusammenarbeit mit Migrantinnen und Migranten, Seniorinnen und Senioren, mit Menschen mit Behinderungen und eben auch Umwelt- und Naturschutzarbeit.

Anerkennung gilt auch den zahlreichen ehrenamtlichen Richtern, Schöffen und Bewährungshelfern sowie den rund 2.800 Bürgerinnen und Bürgern, die sich in den ehrenamtlichen Gremien der Handwerkskammer, zum Beispiel in den Prüfungsausschüssen, engagieren.

Eine starke kommunale Selbstverwaltung gäbe es in unserem Lande nicht ohne das Engagement von unseren 887 ehrenamtlich tätigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)

Und ohne die 604 Abgeordneten in den Kreistagen wäre vieles nicht denkbar. Allein in den Stadtvertretungen der kreisfreien Städte sind es 268 Abgeordnete, die ehrenamtlich engagiert wirken. Ich begrüße deshalb auch an dieser Stelle ausdrücklich, dass sich viele Bürgerinnen

und Bürger entschieden haben, für die bevorstehenden Kommunalwahlen zu kandidieren und sich auch in der Zukunft ehrenamtlich bürgerschaftlich zu engagieren.

Meine Damen und Herren, bürgerschaftliches Engagement findet als praktische Arbeit vor Ort statt. Bundesund Landespolitik müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dieses Engagement zu ermöglichen. Mit dem „Netzwerk freiwilliges Engagement Mecklenburg-Vorpommern e.V.“, das die Landesregierung in diesem und im kommenden Jahr mit 80.000 Euro unterstützt, verfügen alle Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren wollen, über einen kompetenten Ansprechpartner.

Das „Netzwerk“ legte Ende Oktober vergangenen Jahres eine Bestandsaufnahme ehrenamtlicher Aktivitäten vor. Dabei wurden 741 Verbände, Vereine, Initiativen in zwölf Tätigkeitsbereichen erfasst. Dieser landesweiten Institution kommt die Aufgabe zu, flächendeckende netzwerkähnliche Strukturen zu festigen, und dort, wo bisher noch keine derartigen Strukturen vorhanden sind, kann das Netzwerk mit seinen Erfahrungen beratend und unterstützend zur Seite stehen.

Der vorliegende Bericht enthält für Sie Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen. Der Bericht der Enquetekommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages hat ja die Grundlage gelegt für den Ihnen nun heute vorliegenden Bericht. Wir sollten die im Rahmen der von der Landesregierung geplanten Verwaltungs-, Funktional- und Kreisgebietsreform auch als Chance für mehr bürgerschaftliches Engagement begreifen und entsprechend nutzen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass der Antrag der Fraktionen der SPD und PDS für eine „Grundkonzeption einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung und Funktionalreform“, der ja heute noch beraten wird, auch die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements hervorhebt und würdigt. In dem gemeinsamen Antrag wird ja das Ziel formuliert, die Chancen der bürgerschaftlichen Mitwirkung und des bürgerschaftlichen Engagements zu fördern.

Vorgeschlagen wird unter anderem, die bestehenden Amtsausschüsse in von Bürgerinnen und Bürgern gewählte Amtsvertretungen umzuwandeln, die in Kommunalwahlen neben den Gemeindevertretungen und den Kreistagen unmittelbar gewählt werden sollen. Im Zuge der Änderung unserer Kommunalverfassung im Rahmen einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung und Funktionalreform sollte der Vorschlag im Bericht zum bürgerschaftlichen Engagement aufgegriffen und geprüft werden, die gesetzlich vorgeschriebenen Quoren für Einwohneranträge und Bürgerentscheide weiter herabzusetzen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, ich finde, wir alle sollten die Aussprache über den Bericht zum bürgerschaftlichen Engagement zum Anlass nehmen, allen ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes für ihren Einsatz, an welchem Ort und in welchen Bereichen auch immer, sehr herzlich zu danken,

(Beifall Karsten Neumann, PDS)

sie zu ermuntern, in diesem Sinne ihre Tätigkeit fortzusetzen. Sie gestalten unsere Gesellschaft ganz wesentlich mit. Sie prägen Werte in unserer Gesellschaft. Sie prägen die Kultur des Miteinanders. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke schön, Frau Ministerin Dr. Linke.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Prachtl von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe von der Ministerin mehr erwartet. Im zweiten Teil meiner Rede, Frau Ministerin, wird es diesbezüglich die Antworten von mir geben. Am Anfang werde ich es genauso wie Sie machen, denn man muss ja loben und alles ordentlich erwähnen. Das haben Sie auch gemacht. Wobei ich sagen muss, dass ich bei der Erarbeitung der Verfassung mit dabei war und dort eins von den Juristen gelernt habe, man muss sehr wohl aufpassen, wen man erwähnt und wen man nicht erwähnt. Ich habe aufgepasst. Die Schüsse gibt es dann nachher.

(Beifall Lorenz Caffier, CDU, und Eckhardt Rehberg, CDU – Gabriele Schulz, PDS: Das wäre doch eher eine Ergänzung. – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Jaja, die kommen schon.

Das Ding hätte Sarah Wagenknecht geschrieben haben können, wenn die im Sozialministerium gesessen hätte. Kein anderer!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, viele wichtige Leistungen werden in unserer Gesellschaft ehrenamtlich vollbracht. Ehrenamtliche Leistungen und Sozialhilfeinitiativen tauchen zwar nicht im Bruttosozialprodukt auf, sind aber dennoch von wichtiger Bedeutung für das Zusammenleben in unserem Land. Auch die beste staatliche Sozialordnung kann auf die Zuwendung und Hilfe von Menschen und auf praktizierte Nächstenliebe nicht verzichten. Verbände, Vereine und Initiativen können in der Tradition der deutschen Wohlfahrtspflege soziale Aufgaben besser und bürgernaher erledigen.

Dieses ehrenamtliche Engagement, alle, die damit zu tun haben, werden das bestätigen, das bürgerschaftliche Engagement findet natürlich meist im Hintergrund statt. Es sind oftmals bescheidene Leute, die das machen. Menschen setzen sich für Menschen ein, ohne Aufhebens um das, was sie tun. Dabei ist es in hohem Maße dieses persönliche freiwillige Engagement, das die Gesellschaft zusammenhält, das sie eigentlich erst lebendig und lebenswert macht. Bürger machen sozusagen stark.

Wir könnten uns hier die Hälfte aller Anträge sparen, wenn das in Ordnung gehen würde, was wir uns alle wünschen. Kommunen und Kirchgemeinden, Jugendarbeit und Naturschutz, Selbsthilfe und Pflege, ja auch die Politik, das darf nicht vergessen werden, darauf komme ich noch einmal besonders zu sprechen, wären ohne bürgerschaftliches Engagement ärmer und kälter. Auch den Wahlkampf, der jetzt von allen gemacht werden muss, zähle ich mit dazu. Deshalb bin ich froh, dass es so viel ehrenamtlich engagierte Bürger in Deutschland und auch bei uns in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Ich möchte, genau wie die Ministerin, von ganzem Herzen danke schön sagen für das, was geleistet wird, und zwar oftmals im Stillen. Es müsste noch viel mehr gedankt und auch viel mehr überlegt werden, wie man diesen Menschen, die

das Ehrenamt ausüben, hilft. Ich weiß, dass die Ausübung des Ehrenamtes reich macht.

Ein Bereich des Ehrenamtes ist es ja auch, weil ich mich persönlich damit befasse, für sterbenskranke Menschen da zu sein. Und viele fragen mich immer: Herr Prachtl, wie kann man das nur? Wie machen das die Frauen und Männer, die sich ambulant oder stationär wirklich mit Menschen beschäftigen, die vielleicht nur noch eine Woche zu leben haben? Und ich weiß, dass alle, die diese Arbeit machen, froher im Herzen sind als manch ein anderer.

Es ist mir deshalb wirklich ein Herzensanliegen, dass wir unseren Beitrag zur Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement und Ehrenamt leisten. In der Vergangenheit haben wir darüber mehrfach diskutiert. Ich glaube, ein wichtiger Bereich ist es auch, dass durch dieses bürgerschaftliche Engagement eine Sache, die 1989 gar nicht so da war, nämlich die Stärkung der Identität unseres Landes, auch wieder eine ganz wichtige Rolle spielt. Darüber sollte stärker nachgedacht werden.

Sie wissen, dass man auf der Insel Rügen damals noch gar nicht wusste – zumindest als die Verfassungskommission einmal dort war –, dass es Pommern ist. Da sagte der Gastwirt: Ich begrüße Sie in Mecklenburg mit den besten mecklenburgischen Speisen. Das wird es heute wohl nicht mehr geben. Sie wissen aber, dass Pommern und Mecklenburg verschwiegen wurden und dass es wichtig ist, dass wir die Identität für unser Land wiederbekommen, und dass wir alles das, was bürgerschaftliches Engagement ist, nicht als Selbstverständlichkeit hinnehmen,

(Beifall ein einzelnen Abgeordneten der CDU)

sondern dass wir zusehen und dafür sorgen, dass es ein gutes und festes Fundament bekommt. So weit die grundsätzlichen Dinge.

Frau Ministerin, die Unterrichtung durch die Landesregierung „Bericht zum bürgerschaftlichen Engagement in Mecklenburg-Vorpommern“ ist mir hingegen, ich sage es ganz vorsichtig, in einigen Punkten etwas zu kurz gefasst beziehungsweise, das muss ich auch sagen, spart gewisse Bereiche einfach aus. Ich werde Ihnen ganz zum Schluss einen äußerst peinlichen Bereich nennen, den wir alle zu verantworten haben.

(Wolfgang Riemann, CDU: Wir nicht, die Landesregierung!)

Ich habe natürlich volles Verständnis dafür, dass dieses Thema nicht bis ins letzte Detail umfassend beleuchtet werden kann, doch leider finden einige Themenbereiche eine geradezu unangemessen geringe Beachtung. Ich denke nur daran, als der Entwurf fertig war, hat der Kirchenverantwortliche gesagt: Um Himmels willen, zwei Zeilen, das muss doch mehr sein! Also da sind ja keine Deppen bei Ihnen im Ministerium, da muss doch jemand einen Entwurf gemacht haben. Stellen Sie sich mal vor, zwei Zeilen bei den Kirchen! Wie kann man so etwas machen?! Und wenn es Sarah Wagenknecht gewesen wäre, das hätte die noch besser gemacht, glaube ich, darin hätte sie mehr Punkte gehabt.

(Torsten Koplin, PDS: Die Ministerin hat die Kirchen gewürdigt. Das müssen Sie an- erkennen! – Zuruf von Gabriele Schulz, PDS)

Ich möchte jetzt auf einige Punkte kommen. Nehmen Sie auf Seite 4 den Absatz 1.1. Da steht: Es „müssen neue

Formen des bürgerschaftlichen Engagements (gefunden werden), die auf neuen Motivationen basieren“. Richtig, Frau Ministerin. Aber haben Sie uns hier einmal erläutert, wie die neuen Motivationen aussehen, was da gemacht werden kann und wie das gemacht werden soll? Sie können doch hier nicht einseitig gewisse Dinge hervorheben, die ich vorhin auch moniert habe, denn monatelang wurde an Ihrem Bericht gearbeitet. Ich muss wirklich fragen: Wo sind hier die Motivationen und was kann in Zukunft gemacht werden? Das hat mich weder im Bericht noch in Ihrer Rede befriedigt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Eine zweite Feststellung. Darauf sind Sie eingegangen, Frau Ministerin, auf die zweite Feststellung auf Seite 5 im Absatz 1.3: „Der Anteil der ehrenamtlich Aktiven verteilt sich regional unterschiedlich.“ Dazu sagt Frau Ministerin, wir haben 29 Prozent. Glückwunsch hat Sie nicht gesagt, das sage ich jetzt. Und dann sagt sie, 34 Prozent ist die Mitte und wir werden dann mal gucken, dass wir das schaffen. Nein, Frau Ministerin, im bürgerschaftlichen Engagement reicht nicht die Mitte, da müssen wir im Tourismus sagen, wir wollen ganz nach vorne!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und ganz nach vorne, das heißt 40 Prozent! Eine Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern darf hier nicht vom Mittelmaß leben. Wir müssen ganz nach vorne gehen. Liebe Freunde, es kann doch nicht sein, 29 Prozent! Ich erwarte von einer Ministerin, dass Sie hier sagt, wie wir auf 40 Prozent kommen. Das sagt doch Otto Ebnet im Tourismus genauso, auch jeder andere Minister bemüht sich, dass wir nach vorne kommen. Das muss doch Ihr Engagement sein,

(Torsten Koplin, PDS: Engagement ist doch da.)

dass Sie sagen, 10 Prozent mehr zu bekommen, das ist verdammt viel. Aber wie kommen wir dahin? Wie kommen wir dahin? Welche Gründe gibt es dafür, dass wir so niedrig dastehen?

Drittens. Auf Seite 5, Absatz 1.3 steht: „In den Bereichen des sozialen und politischen Ehrenamtes sind mit vier Prozent beziehungsweise drei Prozent deutlich weniger Bürgerinnen und Bürger tätig.“ Das muss angesprochen werden, liebe Freunde. Es kann doch nicht angehen, mit Sport brüsten sich alle, die Ministerin ebenso, auch Prachtl hat sich schon neben guten Sportlern hingestellt und ein paar Fotos gemacht. Das haben wir alle gemacht. Da sind wir alle hier für die Sporttruppen. Alle Hände hoch!

(Torsten Koplin, PDS: Das stimmt.)

Aber, Frau Ministerin, Sie sind für soziale Dinge verantwortlich. Wenn da steht, dass das nur drei Prozent sind, die sich im sozialen Bereich engagieren, dann müssten Sie doch einmal erkunden und fragen: Wie kann das verbessert werden, dass es dort mehr sind? Das kann doch nicht alle kalt lassen. Ich meine nicht nur die Ministerin, wenn ich das sage, sondern das gilt für uns alle, für mich selber auch. Warum gibt es andere Dinge, wo mehr Aktivitäten da sind? Ob ich dazu als Christ Nächstenliebe oder als Politiker Solidarität sage, das soziale Engagement und auch das politische muss da sein. Ich sage das für meine eigene Partei. Und wenn ich nachher einen Satz zu den Sozialdemokraten sage, sage ich das nicht aus Häme, denn ich sage ihn auch zu den Christdemokraten. Warum haben wir in Mecklenburg-Vorpommern so weni

ge Mitglieder? Es gibt Städte im Westen, die haben mehr Mitglieder als die Christdemokraten in ganz MecklenburgVorpommern.

Und jetzt kommt der Demokrat Prachtl. Alle, die mich kennen, werden wissen, dass ich es mit Ihnen ehrlich meine. Wenn die Sozialdemokraten in Ostdeutschland – sprich alte DDR, 16 Millionen Einwohner – weniger Mitglieder haben als die Sozialdemokraten des Saarlandes mit 1,1 Millionen Einwohnern, dann sage ich nicht mit Häme, das sind zu wenig. Ich sage ganz einfach, dass wir uns fragen müssen, woran das liegt, dass wir in den Parteien so schwach sind. Andere Parteien möchte ich gar nicht analysieren. Das sage ich als Demokrat. Ich wünsche Ihnen viel mehr Mitglieder in der Sozialdemokratie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich habe in Neubrandenburg sogar schon welche geworben.

(Siegfried Friese, SPD: Erzählen Sie doch mal! – Karsten Neumann, PDS: Jetzt nennen Sie aber keine Namen!)