Protokoll der Sitzung vom 23.06.2004

(Wolfgang Riemann, CDU: Sie haben gerade für Abwanderung gesorgt. – Glocke der Vizepräsidentin)

Sie wissen, dass mit der Wende die Anzahl der Geburten je Frau von 1,5 auf 0,8 eingebrochen ist. Jetzt können wir uns natürlich alle einmal die Frage stellen, wer damals regiert hat.

(Torsten Renz, CDU: Richtig.)

Ich möchte natürlich nicht so unseriös sein und behaupten, die Opposition hätte damals die Geburtenrate so dramatisch absinken lassen, denn so viel Einfluss besitzt nicht einmal die CDU.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei Jörg Heydorn, SPD)

Aber es ist doch immerhin so, dass jeder einsehen muss, dass es enorme Probleme in der Bereitstellung von Schule, in der Bereitstellung von Krankenhäusern

(Glocke der Vizepräsidentin)

und anderen öffentlichen Gütern in der langen Frist verursacht. Und wenn von einem Tag auf den anderen langfristig nur noch die Hälfte der Bevölkerung in bestimmten Bereichen vorhanden ist, dann schafft das riesige organisatorische Probleme.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Das zweite Problem, da möchte ich gerne mal aus der SVZ vom 17.06.2004 zitieren.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Jetzt wäre es gut, wenn Sie zuhören würden.

Ich möchte den Professor Dr. Klaus Klemm zitieren, wissenschaftlicher Beirat des PISA-Projekts. Frau Fiedler, Sie sagten ja, PISA und Schulsystem, das hätte nichts miteinander zu tun. Da fragt die SVZ: „Herr Professor Dr. Klemm, die Landesregierung M-V wirbt gern mit dem selbstbewussten Spruch ‚MV tut gut.‘, gilt das auch für das Schulsystem?“

Professor Klemm: „Das System ist von Anfang an mit der Hypothek belastet gewesen, dass es die Dreigliedrig

keit der westdeutschen Länder mehr als reproduziert hat. Ich halte das eher für eine Last als für einen Fortschritt.“ Und Herr Professor Dr. Klemm, wissenschaftlicher Beirat des PISA-Projektes, führt in diesem Interview weiter aus,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Er sagt auch, dass Ruhe besser wäre. Das sagt er auch.)

„dass das dreigliedrige Schulsystem eine erhebliche Leistungsbremse ist, weil es auf Selektion setzt und nicht auf die Förderung einzelner Schüler“.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS – Jörg Heydorn, SPD: So ist es. So ist es.)

Und jetzt können wir uns wieder fragen, wer damals regiert hat. Und ich würde sagen, mindestens diese Entscheidung hat diese erste Koalition des Landes zu verantworten. Tut mir Leid!

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Ja, das ist richtig. Sie hatten zehn Jahre Zeit. – Zuruf von Jörg Heydorn, SPD – Glocke der Vizepräsidentin)

Frau Fiedler, Sie müssen immer auf den zweiten Satz warten. Jetzt kommt der zweite Satz!

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Dass etwas Ruhe besser wäre, das sagt Herr Klemm auch.)

Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich bitte doch etwas mehr um Ruhe.

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Den zweiten Satz, Herr Prachtl, Sie müssen den zweiten Satz abwarten.

Es ist ja so, dass wir, wenn wir dort vermutlich eine Volksabstimmung gehabt hätten, 1990 eine Volksabstimmung gehabt hätten,

(Harry Glawe, CDU: Sie haben lange genug Zeit gehabt zu regieren.)

da wäre ich mir sicher, hätte die CDU/FDP-Koalition mit ihrem Vorschlag eine Mehrheit in der Bevölkerung bekommen.

(Heike Polzin, SPD: Nee, nee, damals noch nicht!)

Nehmen wir mal an, damals hätte die CDU/FDP eine Mehrheit gehabt, gehen wir es von mir aus auch mal hypothetisch durch, sie hätte eine Mehrheit bekommen.

(Torsten Koplin, PDS: 26 Prozent haben sie gehabt.)

Warum ich auf diese Überlegung komme, ist relativ einfach. Jeder von uns reist zu Schüler-, zu Lehrer- und Elternvertretungen. Und wissen Sie, was die sagen?

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Ich sage Ihnen, was gesagt wurde. Die GEW-Lehrer sagten: Bringt endlich Ruhe in den Schulsektor!

(Torsten Renz, CDU: Was sind denn GEW-Lehrer?)

Und die zweite Äußerung war: Macht endlich eine anständige Reform! Bringt ordentlich Ruhe ins Schulsystem und macht eine anständige Reform!

(Torsten Renz, CDU: Was sind denn GEW-Lehrer?)

Und daraufhin habe ich gefragt: Wie kriegen wir denn eine Reform ohne Unruhe hin? Das ist mir nicht ganz klar.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Sie haben sechs Jahre Zeit gehabt, darüber nachzudenken.)

Worauf ich damit verweisen will, ist, dass wir in Deutschland wirklich ein Problem haben. In Sonntagsreden …

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Wir alle, Frau Fiedler, alle, leider alle.

Wenn ich mit Schülern rede, dann sagen die: Lass uns doch nach Skandinavien gehen, lasst uns unser Schulsystem nach skandinavischem Vorbild umbauen.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Das sagen die Lehrer und das sagen auch viele Eltern. Und wenn man dann sagt, das bedeutet aber, dass wir was verändern müssten, dann sagen sie: Nee nee, also wir brauchen jetzt erstmal Ruhe. Zwischen diesen beiden Problemen schwanken wir hin und her.

(Heiterkeit bei Rudolf Borchert, SPD)

Wir haben in Deutschland nicht den Mut, aus den Erkenntnissen, die wir haben, auch die Konsequenzen zu ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Und insofern werden wir in der nächsten Zeit hier in diesem Land zwei Debatten führen müssen.

(Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Die erste Debatte wird sich dem dreigliedrigen Schulsystem stellen müssen.