Protokoll der Sitzung vom 14.10.2004

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Die Beibehaltung des Spitzensteuersatzes von 45 Prozent würde für 2005 eine Mehreinnahme – und jetzt mal aus Sicht des Finanzpolitikers – von insgesamt 5,9 Milliarden Euro bedeuten, für Mecklenburg-Vorpommern übrigens eine Mehreinnahme von 66 Millionen Euro im Jahr.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Das ist Geld, was wir sicherlich gut gebrauchen können angesichts der Situation unseres Landeshaushalts zur Finanzierung von Beschäftigung, von Bildung oder vielleicht auch für die Werftenhilfe.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Ich denke, Sie wollen die Kaufkraft stärken, Herr Borchert. Aber Sie entziehen den Menschen ja die Kaufkraft.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren und auch Herr R ehberg, zur Klarstellung gehört ebenfalls, dass in den letzten Wochen im Zusammenhang mit dem Spitzensteuersatz und seiner Absenkung in der Regel immer nur vom Steuereinnahmeverlust von 2,5 Milliarden Euro die Rede war. Dieses beruhte auf der Annahme, dass wie bisher die so genannte Abschneidemethode, das heißt bei der Abdeckung der Tarifkurve, zur Anwendung gebracht wird, die nur ein Einkommen von über 52.000 Euro betroffen hätte. Es stimmt, es ist jetzt vorgesehen, nicht die Abschneidemethode, sondern die so genannte Abklappmethode anzuwenden, das heißt ohne Tarifknick mit einer Abflachung der Tarifkurve, so dass nicht nur die Spitzenverdiener ab 52.000 Euro, sondern eben auch die Nichtspitzenverdiener entlastet werden. Insofern ist es korrekt, Herr Rehberg. Allerdings müssen Sie zugestehen, dass damit natürlich überhaupt nicht gesagt ist, dass die 2,5 Milliarden Euro ab 52.000 Euro entlastet werden und erst darunter dann noch mal 3,4 Milliarden Euro dazukommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zu einem zweiten Grund. Herr Rehberg, wir sind beim Thema ideologische Gründe. Ich sage Ihnen, es gibt handfeste ökonomische Gründe für eine stärkere steuerliche Belastung von oberen Einkommensschichten.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Seit 1998 werden die privaten Haushalte und die mittelständische Wirtschaft bereits um insgesamt fast 60 Milliarden Euro entlastet. Wenn ich dann noch die 70 Milliarden Euro dazuzähle, die dem Staat durch den Wegfall der Vermögensbesteuerung ab 1997 verloren gehen, dann haben wir ein gigantisches Steuersenkungspaket von 130 Milliarden Euro in den letzten circa sechs bis sieben Jahren. Der Beweis, dass diese gigantische Steuersenkungspolitik in Deutschland Wachstum und Beschäftigung gebracht hätte, fehlt bis heute.

Auch das lange umstrittene Vorziehen von Teilen der dritten Stufe der Steuerreform – wir können uns alle gut daran erinnern – hat nicht die erhofften Impulse in der Nachfrage von Konsum gebracht. Ich kann mich noch gut an diese Argumente erinnern. Wir müssen die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen, wenigstens Teile, weil wir damit den Konsum ankurbeln wollen. Wenn auch die steuerliche Entlastung von Normalverdienern unter Aspekten der Ankurbelung der Binnennachfrage, und das ist unstrittig, noch Sinn macht, sind Steuergeschenke in Höhe von 2,5 Milliarden Euro in der jetzigen Situation für Besserverdienende, meine Damen und Herren, ökonomischer Unsinn,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

denn wir wissen alle, Spitzenverdiener legen ihr zusätzliches Geld, was ihnen durch Steuergeschenke praktisch übergeben wird, in der Regel nicht auf die hohe Kante. Sie

legen ihr Geld in der Regel auf die hohe Kante und eben nicht in den täglichen Konsum. Entschuldigen Sie bitte den Versprecher!

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Sie legen ihr Geld in der Regel auf die hohe Kante und nicht in den täglichen Konsum beziehungsweise sie investieren dieses Geld in der Regel nicht. Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen niedrigem Steuersatz und hohem Wirtschaftswachstum, denn obwohl der Spitzensteuersatz ja bekanntlich seit 1998 von 53 auf 45 Prozent abgesenkt wurde, hat sich das Wachstum in den letzten Jahren nicht gestärkt, sondern weiter abgeschwächt.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Und drittens, Herr Rehberg, komme ich zu einem Grund, einem dritten Grund, der möglicherweise aus Ihrer Sicht als ideologisch zu bezeichnen wäre, aber ich glaube, das ist auch jedem selbst überlassen in der Bewertung. Es geht nämlich um die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Deutschland ist bekannterweise ein reiches Land, die Verteilung des Reichtums ist höchst ungleich und die Lücke zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Ständig erhöht sich in Deutschland die Anzahl der Superreichen. Inzwischen sind es sage und schreibe über 800.000 Millionäre und 84 Milliardäre.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Die 100 Reichsten in Deutschland haben übrigens ein Gesamtvermögen von über 250 Milliarden Euro, das entspricht etwa dem Bundeshaushalt eines Jahres.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Gleichzeitig, Herr Liskow, bei Zunahme dieses Reichtums auf der einen Seite nimmt die Verarmung von privaten und öffentlichen Haushalten ständig weiter zu. Und viele Menschen in Deutschland, ich gehöre auch dazu, kritisieren bei der aktuellen Reformpolitik vor allem die soziale Schieflage. Sie haben den Eindruck, dass die kleinen Leute die Hauptlast der Reformen zu tragen haben. Und besondere Brisanz bekommt diese Tatsache natürlich Anfang des Jahres 2005.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Insofern ist die Situation schon eine andere als im Jahr 2002, Herr Rehberg.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Etwa 75 Prozent der bisherigen 2,3 Millionen Arbeitslosenhilfebezieher bekommen zum 1. Januar 2005 keine Arbeitslosenhilfe beziehungsweise weniger als jetzt. Das bedeutet, etwa 1,6 Millionen Menschen in Deutschland werden zum Teil erhebliche finanzielle Einschnitte hinnehmen müssen. Gleichzeitig wird ein verheirateter Spitzenverdiener mit einem Bruttoeinkommen von 110.000 Euro um 1.100 Euro entlastet und ein Einkommensmillionär um 30.000 Euro. Ich kann hierzu nur dem niedersächsischen SPD-Fraktionschef Siegmar Gabriel beipflichten, der am 15. August sagte, ich zitiere: „Ich halte es geradezu für obszön, den Spitzensteuersatz zu senken und gleichzeitig die Menschen mit dem Hartz-IV-Gesetz zu belasten.“ Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Wolfgang Böhmer, CDU, sagte dazu: „Wenn die Senkung des Spitzensteuersatzes ab Januar 2005 aus dem Reformpaket herausgenommen wird, würde das an den Stimmen aus SachsenAnhalt nicht scheitern.“ Recht hat er.

Sehr geehrter Herr Rehberg, Politik, Parteien müssen den Mut und die Fähigkeit haben, sich auch korrigieren zu können. Und wenn es die Situation erfordert im Jahre 2004, dann muss man in der Lage sein, Entscheidungen aus dem Jahre 2000 im Nachhinein zu korrigieren, zu verändern oder auch neu zu justieren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und dazu gehört auch der Verzicht auf die Absenkung des Spitzensteuersatzes.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die geplante Absenkung des Spitzensteuersatzes ist erstens nicht finanzierbar, zweitens ökonomischer Unsinn und drittens ungerecht. Ich bitte um Zustimmung zum Antrag.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke schön, Herr Borchert.

Das Wort hat jetzt noch einmal die Fraktionsvorsitzende Frau Gramkow von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich finde ich es sehr schade, dass angesichts der Situation auch in Mecklenburg-Vorpommern hier die große Keule herausgeholt wird und notwendige Entscheidungen von großen Koalitionen oder rot-rot Koalitionen in der steuerpolitischen Entscheidung im Jahr 2000 heute dazu herhalten müssen, zu langatmige Erklärungen dafür abzugeben, warum wir im Jahr 2005 alles beim Alten lassen müssen, denn die CDU hätte es in der Hand, gemeinsam über den Bundesrat mit uns zu streiten. Aber sie kann es gar nicht, auch nicht mit der Methode in ihrer Steuerreform und in den Merz-Ansätzen. Vielleicht gibt es sie auch gar nicht mehr, da Herr Merz für sich erklärt hat, offensichtlich seine Funktion und Position in der CDU nicht mehr wahrzunehmen. Vielleicht kostet das auch die politischen Entscheidungen zur Steuerreform. Aber Fakt ist, dass Sie weitere Senkungen planen im Bereich des Spitzensteuersatzes, nämlich auf 36 Prozent.

(Heinz Müller, SPD: So ist es. So ist es.)

Dann kann man sich natürlich hier hinstellen und sagen, das, was Sie wollen, geht nicht, und vergessen eigentlich, dass man es selber nicht will. Aber in einer Frage hat natürlich Herr Rehberg völlig Recht. Das, was wir hier versuchen, ist eine Korrektur, die wir aus der jetzigen Sicht als notwendig ansehen im Interesse der Menschen, aber auch der öffentlichen Hand.

Dabei wissen wir alle, diese Debatten gibt es bei der CDU, diese Debatten gibt es inzwischen bei der SPD. Ich halte den Vorschlag aus Schleswig-Holstein zur Veränderung der Steuerpolitik für eine tragfähige Diskussionsgrundlage. Wir brauchen eine andere Steuerpolitik. Natürlich sagen Sie „fürchterlich“, Herr Rehberg.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Ja, eben. – Reinhard Dankert, SPD: Ja.)

Offensichtlich haben Sie nicht zur Kenntnis genommen – und müssen Sie auch nicht –, dass selbst inzwischen die PDS ein Steuerreformkonzept vorgelegt hat. Das bricht mit einigen althergebrachten Vorstellungen meiner Partei und ist ein Diskussionsangebot, was schon zu heller Aufregung geführt hat. Es ist klein und fein. Man kann es sich auch ansehen, allerdings unterscheidet es sich in einer

Frage von allen anderen Steuerkonzepten, weil wir nicht nur sagen, Steuern herunter, sondern auch mehr Geld in öffentliche Haushalte.

(Torsten Koplin, PDS: Wir kümmern uns um das Gemeinwohl.)

Das heißt, unsere Steuerreform soll gerechter, einfacher und durchschaubarer sein. Ich gestehe ein, die Ansätze von uns zur Steuerreform in Deutschland passen nicht auf einen Bierdeckel, aber ich finde, ein A4-Blatt steht uns gut zu Gesicht. Und das haben wir vorgelegt. Wir haben es getan, indem wir sagen, wir werden in Zukunft konsequent individuell besteuern, also nach der Leistungsfähigkeit eines jeden, und alle Einkunftsarten werden steuerlich berücksichtigt und nichts wird mehr privilegiert.

(Torsten Koplin, PDS: Das ist sozial gerecht.)

Ich hörte gerade von Herrn Rehberg, dass auch die CDU über solche Fragen wie Eigenheimzulage und anderes nachdenkt. Auch wir haben mit diesen Sondertatbeständen aufgeräumt, allerdings ebenfalls mit dem Ehegatt ensplitting, denn das bedeutet individuell besteuern. Wir setzen den Kinderfreibeträgen eine Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro im Monat entgegen und wir erhöhen den Grundfreibetrag und entlasten damit alle Bürgerinnen und Bürger von den jetzt circa 8.000 Euro auf 12.000 Euro. S omit entlasten wir, und das haben Sie ja eingefordert, Menschen mit niedrigen Einkommen und Familien mit Kindern um 32 Milliarden Euro insgesamt. Ist das ein Angebot? Natürlich würden wir dafür bei Beibehaltung des progressiven Steuersatzes den Spitzensteuersatz bei einem Einkommen ab 60.000 Euro wieder auf 50 Prozent hoch setzen, im Übrigen verfassungskonform.

Bei einer deutlichen Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen kann man nämlich dann auf viele steuerliche Vergünstigungen verzichten, ohne dass es wehtut. Ich finde, das macht das Steuersystem in der Bundesrepublik Deutschland um vieles einfacher. Aber ich weiß auch, dass das Tabuthemen sind und man über die Tabuthemen, also auch über die Frage von Besteuerung, von Nacht- und Sonntagszuschlägen reden muss.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Da unterliegt unser Steuerkonzept auch der glatten Kritik der Gewerkschaften.

(Rudolf Borchert, SPD: So ist es.)

Allerdings unterscheiden wir uns in einer wesentlichen Frage von fast allen steuerpolitischen Konzepten, denn wir halten eine Steuerreform ohne Vermögensumverteilung für nicht akzeptabel. Wir müssen die Vermögenssteuer wiederbeleben ab einem Vermögen von mehr als 300.000 Euro pro Person, beginnend mit einem Steuersatz von 0,7 Prozent.

Wir sind dafür, dass die Umverteilung, die gegenwärtig von oben nach unten nicht realisiert wird, durch eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer mit hohen Freibeträgen auf Betriebsvermögen, auch bei persönlichem Freivermögen wiederum reformiert wird und letztendlich geerbtes und geschenktes Vermögen ab 5 Millionen Euro hoch besteuert wird.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Kleine Vermögen werden geschont, größere verstärkt zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen. So sehen auch die Ansätze von Frau Simonis für die SPDDebatte aus.