Unkenntnis über die konkrete Situation muss behoben werden, damit solche Situationen wie hier im Landtag nicht mehr passieren können. – Schönen Dank.
(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Beifall bei einzelnen Abgeord- neten der PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Ihre Landrätin arbeitet gerade dagegen, aber nicht mit uns zusammen.)
Ich bitte darum, dass die Gemüter sich wieder etwas beruhigen und dass Sie jetzt dem nächsten Redner Ihre Aufmerksamkeit schenken.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Bei diesem Thema, Herr Riemann, sollten sich alle angesprochen fühlen und ich freue mich sehr, dass Sie sich angesprochen fühlen. Das ist ein Thema, das, glaube ich, keinen Demokraten ruhig und still sitzen lassen kann.
Ich persönlich halte die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus für unverzichtbar für die Zukunft unseres Landes. Es geht um die Grundwerte unseres demokratischen Gemeinwesens. Es geht um Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Wo diese Grundwerte, und
zwar besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, mit Leben erfüllt werden, haben Extremisten keine Chance.
Das ist unsere Möglichkeit zu antworten und diese Antwort müssen wir, nicht nur wir Politiker, muss die Gesellschaft geben.
Meine Damen und Herren, ich will drei Aspekte ansprechen, die für die Aussprache über die Strukturen von Bedeutung sind. Erstens will ich Ihnen ein aktuelles Lagebild zum Rechtsextremismus unseres Landes geben, zweitens einen Überblick über staatliche Maßnahmen und drittens einiges sagen zur geistigen Haltung zu der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in der Gesellschaft, zu den Grundwerten, die wir leben müssen.
Herr Ritter, ich persönlich glaube, dass diese Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten über die Grundwerte unseres demokratischen Gemeinwesens auch durch eine Klausel in der Landesverfassung nicht ersetzt werden kann.
Dies ist das Entscheidende und das nimmt uns niemand ab. Dafür, meine ich, müssen wir alle miteinander geradestehen.
(Beifall Rainer Prachtl, CDU – Angelika Gramkow, PDS: Herr Dr. Timm, wer will denn das ersetzen? Wer will das ersetzen? – Torsten Koplin, PDS: Für Sie ist nur das andere wichtig.)
Meine Damen und Herren, ich komme zum Lagebild Rechtsextremismus. Das Gesamtpotential in Mecklenburg-Vorpommern wird für das Jahr 2004 auf circa 1.200 Personen eingeschätzt. Das sind 120 weniger als im Jahr 2003. Das prägende Moment für die rechtsextremistische Szene ist die neonazistische Kameradschaftsszene besonders in Vorpommern. Wir schätzen, dass circa 320 Anhänger in acht einzelnen Kameradschaften in diese Szene hineingehören. Das sind circa 30 mehr als im Jahr 2003. Auch im Jahr 2005, also in diesem Jahr, gibt es vielfältige Propagandaaktivitäten und Demonstrationen in diesem Milieu. Das letzte Beispiel hatten wir am vergangenen Wochenende in den drei Kaiserbädern, aber auch in Pasewalk und anderswo, zum Beispiel unter dem Motto „Der Jugend eine Perspektive geben“. Damit verbunden ist eine immer weiter steigende Kampagnefähigkeit, zum Beispiel gegen die Agenda 2010 oder gegenwärtig zum 60. Jahrestag des Kriegsendes. Neonazis benutzen weiterhin Tarnbezeichnungen, wie zum Beispiel „Bürgerinteressengemeinschaft – Hanse Mecklenburg-Vorpommern“ im Großraum Rostock, um Einflüsse auf politische Prozesse nehmen zu können. Es werden Vereine gebildet, wie zum Beispiel der Verein „Inselbote-Initiative für Volksaufklärung eV“ mit Sitz in Bansin auf der Insel Usedom. Alle diese vermeintlichen zivilen Strukturen sind dazu gedacht, die äußere Erscheinung des Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern seriös wirken zu lassen. Dazu zählt eine deutschtümliche Kulturarbeit, Volkstänze, Fahnenschwingen, zum Beispiel im Kulturkreis Pommern und anderswo, um einen gewissen seriösen Anstrich zu erhalten und im Verdeckten die eigentliche Arbeit fortzusetzen.
Meine Damen und Herren, Herr Ritter hat es schon angesprochen, auch die überregionale Vernetzung der Kameradschaften nimmt zu. Wir erkennen das an den Publikationen des Rechtsextremismus und vor allem an den Internetauftritten. Das Innenministerium hat Ende September 2004 in einer öffentlichen Lageeinschätzung deutlich gemacht, dass Indizien darauf hinweisen, dass rechtsextremistische Gruppierungen gerade in ländlichen Räumen auf eine gesteigerte soziale Akzeptanz zu stoßen scheinen. Hierin sehe ich eine sehr große Gefahr, dass in diesem Sinne der Rechtsextremismus in die Mitte der Gesellschaft hineinwandert. Bestätigt findet sich diese Einschätzung durch Aussagen des Leiters der Netzwerkstelle Ostvorpommern des Bundesprogramms CIVITAS Günter Hoffmann, der von ökonomischen Strukturen im rechtsextremistischen Milieu spricht. So gebe es im dortigen Raum Dachdeckerbetriebe, Firmen im sonstigen Baugewerbe und einen Taxibetrieb, die Rechtsextremisten, ausdrücklich Rechtsextremisten, beschäftigen. Dies trage zur gesellschaftlichen Verankerung der rechtsextremistischen Szene bei. Auch seien Rechtsextremisten Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr, was ihrem Ansehen ebenfalls diene. Des Weiteren betreiben Rechtsextremisten Geschäfte mit szenetypischen Utensilien.
Der NPD gelang es 2004 verstärkt, Passanten in ihre demonstrativen Aktivitäten einzubinden. Im Mai 2004 wurde in Stralsund ein Kinderfest durchgeführt und zog nach Angaben der örtlichen Polizei mehrere hundert Teilnehmer an. Der oben bereits erwähnte Kulturkreis Pommern im rechtsextremistischen Heimatbund Pommern berichtet auf seiner Internetseite von Auftritten bei Dorfund Erntedankfesten, die beim Publikum großen Anklang gefunden hätten.
Ich beschreibe Ihnen das, damit Sie wissen, dass wir nicht über den Rand der Gesellschaft reden, sondern wir reden über bestimmte Erscheinungen, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Diese Auseinandersetzung über die geistige Haltung der demokratischen Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern über unsere eigenen Grundwerte muss gerade hier geführt werden und diese nimmt uns keiner ab. Einher geht diese Entwicklung mit einem Rückgang des Einflusses subkultureller rechtsextremistischer Skinheads. Das heißt, die Gewaltbereitschaft in dieser Szene nimmt ab, was aber gar nichts für die Qualität der Entwicklung in diesem Bereich heißt.
Die NPD hat insbesondere durch den Wahlerfolg in Sachsen wieder an Ansehen im rechtsextremistischen Lager gewonnen. Daher wird sie im Lande verstärkt mit der Neonaziszene die Zusammenarbeit suchen. Bundesweit ist nach der aus Sicht der NPD nicht erfolgreich verlaufenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein – bekanntlich weniger als zwei Prozent – die Diskussion über die Bildung der so genannten Volksfront von rechts und ihre zukünftigen Erfolgschancen wieder aufgebrochen. Die Zusammenarbeit der rechtsextremistischen Lager ist insoweit nach wie vor brüchig. Gleichwohl ist eine Überwindung der 5-Prozent-Klausel bei den hiesigen Landtagswahlen des nächsten Jahres keineswegs auszuschließen, insbesondere dann nicht, wenn es bei den bisherigen Absprachen mit der DVU bleibt, nach der die DVU in Mecklenburg-Vorpommern nicht antritt und sich das Wählerpotential sozusagen auf die verbleibende NPD konzentrieren soll. Das heißt, die Hauptgefahr sind nicht die Mitglieder der NPD, sondern die Anhänger der NPD, die möglicherweise diese Partei in die Lage versetzen
könnten, in den Landtag einzuziehen. Und das ist wiederum eine ganz zentrale Herausforderung für die Parteien, die im Wahlkampf des nächsten Jahres dies verhindern müssen.
Nach wie vor hat die rechtsextremistische Musikszene eine hohe Bedeutung. Hier gibt es bundesweit einen Anstieg, leider auch in Mecklenburg-Vorpommern. Interessant ist, dass die Vorbereitungen für diese konspirativen Musikszeneveranstaltungen, also Bandkonzerte oder auch abgespielte CDs, so sind, dass die öffentliche Hand, also Ordnungsämter und Polizei, sehr wenig Möglichkeiten haben, da einzugreifen. Häufig wird es uns erst ganz spät bekannt und dann ist es erst möglich einzugreifen, das tun wir dann auch, aber hier hat sich die Szene ein Stück weit geändert. Im Bereich der Straftaten, meine Damen und Herren, gibt es einen Rückgang, insbesondere im Bereich der Gewaltstraftaten. Hatten wir 2003 noch 32 Gewaltstraftaten, sind es 2004 21 gewesen. Das sind einige Aspekte zum Lagebild Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern.
Ich komme zu den Maßnahmen der Landesregierung und der übrigen staatlichen Maßnahmen in unserem Bundesland. Die Koalition hat sich von 1998 an die Auseinandersetzung mit diesem Rechtsextremismus auch staatlicherseits auf die Fahnen geschrieben. Wir haben in den Ressorts und vor allem auch ressortübergreifend eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen entwickelt, diese teilweise vernünftigerweise gebündelt und auf den Weg gebracht. Ich will Ihnen hierzu einige Beispiele nennen.
Wir haben das Programm der Landesregierung zur Kriminalprävention und zum Kampf gegen das Verbrechen und seine Ursachen mit einem ganz speziellen Aspekt auf den Rechtsextremismus in den Jahren 1999 und 2000 verabschiedet. Sodann haben wir den „Handlungsrahm e n Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken“ im Jahre 2001 verabschiedet. Gegenwärtig erfolgt hierzu eine Evaluation, das hat der Landtag auch so beschlossen. Dieses Programm wird im Juli 2005 durch die Landesregierung dem Hohen Hause erneut vorgelegt. Außerdem haben wir ein Analyse- und Beraterteam der Landesregierung errichtet. Dieses besteht aus Mitarbeitern des Sozial-, Bildungs- und Innenministeriums und unterstützt örtlich die Bürgermeister, Landräte und sonstige Initiativen bei der örtlichen und konkreten Auseinandersetzung mit Erscheinungen des Rechtsextremismus. Im Innenministerium haben wir bereits im Jahre 2000 einen Gesetzesantrag im Bundesrat zur Verschärfung des Versammlungsrechts auf den Weg gebracht, der glücklicherweise gerade jetzt im Jahre 2005 dazu geführt hat, dass das Versammlungsgesetz in ein Bundesgesetz geändert wurde. Allerdings in einer Form, bei der ich für das Bundesland MecklenburgVorpommern sagen muss, es nützt uns wenig, wenn symbolische Orte in Berlin in dem Gesetz aufgenommen sind,
aber die Fläche hiervon wenig hat. Ich werde demnächst im Innenausschuss vortragen, wie wir dieses Bundesgesetz im Land Mecklenburg-Vorpommern umzusetzen gedenken.
Außerdem haben wir dankenswerterweise mit vielfältiger Unterstützung des Parlamentes, also des Landtages, den ganzen Bereich Präventionsarbeit ausbauen können, auch mit finanziellen Mitteln. Wir haben im Jahre 2004 21 Projekte und 2005 20 Projekte in der örtlichen Ausein
andersetzung mit dem Rechtsextremismus finanziell unterstützen können. Weiterhin geben wir regelmäßig ein Kommunallagebild heraus. Dieses erhalten die Leiter der Polizeiinspektionen und die Landräte beziehungsweise Oberbürgermeister, um die vorhandenen Erkenntnisse für ihre eigene Gebietskörperschaft in örtlichen, kommunalpolitischen und polizeilichen Maßnahmen, die natürlich abgesprochen sein müssen, umzusetzen. Da wünschte ich mir noch ein bisschen mehr Nachdruck. Ich hatte Ihnen vor einiger Zeit mitgeteilt, dass wir diese Herausgabe machen. Der Gedanke ist der, dass Sie selbst örtlicherseits mit den Landräten, Oberbürgermeistern und PI-Leitern die Dinge auch nachdrücklich besprechen, jedenfalls überall dort, wo dieser Nachdruck erforderlich ist. Ich stelle fest, dass einige Kommunalpolitiker – ich denke jetzt zum Beispiel an die Bürgermeisterin von Ueckermünde – mit diesem Material nicht so umgehen, wie wir uns das denken. Das gehört nicht in die Schublade, nach dem Motto „Dies darf keiner wissen.“, sondern das gehört auf den Tisch der Stadtvertretung und der Öffentlichkeit in der Stadt,
(Gerd Walther, PDS: Das hat Sie doch gemacht. Da war es doch auch. Es gab einen einstimmigen Beschluss der Stadtvertretung. – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)
Weiterhin wissen Sie, Herr Walther – ich komme zu einem nächsten Beispiel –, dass wir die Mobile Aufklärungseinheit Extremismus errichtet haben. Den MAEXErlass haben wir im letzten Jahr noch einmal präzisiert und insbesondere den Bereich der Strafverfolgung hier deutlich verschärft. Das Landeskriminalamt hat eine Hotline gegen Rechts eingerichtet. Außerdem haben wir den Erlass „Ordnungsbehördliches und polizeiliches Vorgehen bei Veranstaltungen von Rechtsextremisten“ auch im letzten Jahr noch einmal präzisiert, um die Zusammenarbeit zwischen den Ordnungsämtern und der Polizei im örtlichen Bereich deutlich verbessern zu können. Sie wissen, dass das Verfassungsschutzgesetz verabschiedet wurde und die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes hier rechtlich geregelt wurde. Dies wird seitens der Abteilung V meines Hauses auch umgesetzt. Auch die Polizei und der Landesrat für Kriminalitätsvorbeugung versuchen, eine offensive Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich zu machen. Sie kennen auch das Beispiel, dass wir das Intensivtäterkonzept im Jahre 2004 mit dem Ziel, den Verfolgungsdruck auf den Kreis der rechtsextremistischen Rädelsführer und Gewalttäter zu erhöhen, weiter umgesetzt haben.
Die Beispiele aus dem Justizministerium wird Herr Kollege Sellering vortragen. Ich komme zu einigen anderen Ressorts.
Im Bildungsministerium gibt es ein vielfältiges Fortbildungsangebot für Lehrer zu den Themen Rechtsextremismus, Konfliktschlichtung, Jugendkriminalität und Gewaltprävention. Entscheidend ist hier, dass wir gerade die Kinder und Jugendlichen, die wir in der Schule vor uns haben, mit diesem Thema beschäftigen und hier auch die Auseinandersetzung ermöglichen, so dass die Jugendlichen selbst außerschulisch und im freizeitlichen Bereich gestärkt sind für diese Konfliktbewältigung. Die Gewaltthematik findet Berücksichtigung in den Rahmenplänen. Außerdem findet der Bereich Rechtsextremismus, Frem
denfeindlichkeit und Gewaltprävention in vielen Einzelprojekten an über 200 Schulen ganz konkrete schulische Ausformungen.
Im Sozialministerium fördern wir die Initiativen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung von ehrenamtlichen Mitarbeitern in der außerschulischen Jugendbildung zu den Komplexen Rechtsextremismus, Gewaltprävention und zur Förderung von Demokratieverständnis und Toleranz. Außerdem haben wir mit dem seit 2001 durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten CIVITAS-Programm in Mecklenburg-Vorpommern einige zusätzliche finanzielle Hilfen geben können, um unter anderem die mobilen Beratungsteams für Demokratieentwicklung und Extremismusverhütung zu unterstützen.
Zuletzt will ich darauf hinweisen, dass wir im Landesrat für Kriminalitätsprävention in den nächsten Tagen eine neue Broschüre herausgeben können unter dem Titel „Aus der Mitte der Gesellschaft“. Dies ist eine Fortschreibung der Broschüre aus dem Jahre 1999 unter dem Titel „Kritisch integrieren“, die diese Dinge aufgreift, weiterentwickelt und den Kommunen, den Bürgermeistern, Gemeindevertretern, den Mitarbeitern in der Jugendarbeit und all denen, die sich mit diesen Fragen zu beschäftigen haben, eine weitere Hilfestellung gibt.
Ich will noch einmal darauf hinweisen, – dann würde ich auch gern die Frage von Herrn Friedrich zulassen –, dass aus meiner Sicht die staatlichen Maßnahmen nur ein Teil der Gesamtauseinandersetzung sein können. Ein bedeutender Verfassungsrichter hat einmal gesagt, der Staat lebt hier von Voraussetzungen, die er sich selber nicht geben kann.
Und das ist der entscheidende Punkt. Die Gesellschaft muss mobilisiert werden, muss sich mobilisieren, um ihre demokratischen Grundüberzeugungen in die Waagschale zu werfen,
um dem Extremismus in diesem Lande entgegenzutreten. Da gibt es aus meiner Sicht keine Alternative. – Ich bedanke mich.
Herr Innenminister, wie bewertet Ihr Ministerium den Zeitungsartikel in der „Ostsee-Zeitung“ vom 13. April „Allein gegen Neonazis“, wo eine Frau aus Stralsund Repressalien gegen Leib und Leben befürchten muss, nicht nur sie allein, sondern auch ihre Familie,