Protokoll der Sitzung vom 25.05.2005

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Und aus diesem Grund ist für mich, ist für die CDU politische Bildung nicht mehr unabhängig, wenn Koalitionsmehrheiten in einem Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung künftig über die inhaltliche Gewichtung der politischen Bildung in Mecklenburg-Vorpommern bestimmen sollen.

(Beifall Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Hier hat der Ministerpräsident eine sehr klare, gute und deutliche Meinung gehabt und auch wir, falls wir regieren sollten, was ja nicht ganz unmöglich ist demnächst,

(Barbara Borchardt, PDS: Na, na!)

sollten uns daran halten, dass es nicht Mehrheiten gibt, die dem einen oder anderen Lager Vorteile verschaffen.

(Heinz Müller, SPD: Toyota-Werbung. – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Das sage ich auch ausdrücklich auf das Wahljahr 2006 bezogen. Politische Bildung ist kein Privileg von politischen Mehrheiten,

(Wolfgang Riemann, CDU: Oder für.)

es ist unser aller Anliegen. Und so möchte ich begrüßen, dass die Präsidentin des Landtages gegenüber der Trägergemeinschaft der politischen Bildung betont hat, dass sie es durchaus für notwendig erachtet, dieses Thema im Landtag zu behandeln und es nicht alleine der Regierung zu überlassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, politische Bildung wurde in Deutschland seitens des Staates aus den schrecklichen Erfahrungen der NS-Diktatur heraus ins Leben gerufen und soll vor allem verhindern, dass sich diktatorische, autoritäre und menschenverachtende Systeme neu aufbauen und entwickeln können. Aber Freiheit und Demokratie gibt es nicht umsonst. Die Bürgerinnen und Bürger müssen tagtäglich von diesen Werten überzeugt werden.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Ja, auch in der DDR gab es politische Bildung, so viel politische Bildung, dass wir 1990 erst einmal den Lehrern untersagten, sich weiter politisch in der Schule zu artikulieren. Heute bedauern wir das. Das sind also auch kleine Fehler, die wir gemacht haben.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Kleine Fehler, große Wirkung! – Torsten Koplin, PDS: Kleine?!)

Wir haben die Schule völlig entpolitisiert, haben nicht bedacht, dass besonders dort politische Einstellungen geprägt werden. Nur der Sozialkundeunterricht kann das nicht bewältigen. Das hatte natürlich auch Gründe. Die Lehrer waren aus diesem Grund, den wir heute beklagen, vielfach Träger des Systems. Wer den Mut hatte, sich nicht konform zu verhalten, konnte davon berichten, wie Lebensträume junger Menschen zerstört wurden, weil Lehrer aus politischen Gründen Erfüllungsgehilfen der Staatssicherheit waren, Jugendliche mit kirchlichem Hintergrund nicht das Abitur machen durften, drangsaliert wurden, wenn sie nicht der FDJ beitraten. Ich kann mich sehr wohl daran erinnern, dass die Klassenleiterin meines Jungen bei uns zu Hause war und zu uns sagte: Herr Prachtl, wir haben zum Hass gegen die Feinde zu erziehen und auch Ihr Sohn hat sich dem zu stellen.

Politische Bildung in der DDR war geprägt von früher Indoktrination und Zwang zur Angepasstheit. Die Folgen dieser Indoktrination spüren wir noch heute bei den Menschen aller Schichten. Das merken wir auch in der Kapitalismusdebatte, die bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden fällt. Die Mechanismen, die Schlagwörter sind so tief in viele Menschen eingebrannt, dass Werte wie Freiheit, Demokratie und Eigenverantwortung als selbstverständlich hingenommen werden, aber keine Werte sind, die es gilt, tagtäglich zu verteidigen. Das zeigte die bereits zitierte Umfrage von Allensbach. Diese Debatte hat tiefe historische Wurzeln, die bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hineinreichen, und wenn solche Reflexe bedient

werden, dann muss man die historischen Zusammenhänge kennen und wissen, was diese Rhetorik in der Menschheitsgeschichte bereits ausgelöst hat.

Ich will Alexander Solschenizyn zitieren, der in seinem ersten Buch „Der Archipel Gulag“ gleich am Anfang die zahllosen Verhaftungs- und Internierungswellen in der Sowjetunion beschreibt: „Eine bequeme Weltanschauung gebiert einen bequemen, juristischen Terminus: soziale Prophylaxe. Eingeführt, angenommen ist er allen verständlich. Die Tscheka, Vorläufer des NKWD und des KGB, befahl im Jahre 1921, in Bezug auf die Bourgeoisie sind die Repressionen zu verstärken.“ Bei Solschenizyn heißt es – und da denke ich auch an den Begriff „Heuschrecken“ –, ich zitiere: „Ungeziefer waren die Genossenschaftler, alle Hausbesitzer. Nicht unbeträchtlich war die Zahl der Ungeziefer unter den Gymnasialprofessoren.“, und so weiter und so weiter.

Sehr geehrte Damen und Herren, das ist politische Bildung. Diese Reflexe gegen den Kapitalismus wurden in der DDR nach diesem Muster, nach diesen Vorbildern in Menschen von Kindesbeinen an eingeimpft. Ich halte es für unverantwortlich, dann eine derartige Debatte mit diesen Begriffen zu führen und gleichzeitig Demokratieverdruss und Politikverdrossenheit zu beklagen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben schon vor zwei Jahren betont, dass wir nicht gegen eine Neuordnung der politischen Bildung sind, um damit einmal dem Vorwurf zu begegnen, dass wir gegen alles sind. Aber dann lassen Sie uns doch noch einmal über die Essentials der politischen Bildung diskutieren. Deutschland ist scheinbar das einzige Land in Europa, das zwischen allgemeiner und politischer Weiterbildung trennt und die Förderung darauf ausgerichtet hat. Das war unter anderem der Anlass dafür, dass 2001 die Fördermittel im Arbeitsministerium umgewidmet werden mussten. Im April 2001 teilte die Europäische Kommission dem Land mit, dass eine Förderung der allgemeinen und politischen Weiterbildung aus dem Europäischen Sozialfonds ausgeschlossen sei. Seitdem partizipiert dieser Bildungsteil nicht mehr an europäischen Förderprogrammen. Das ist für mich unverständlich. Was trennt denn die allgemeine von der politischen Weiterbildung? Zeigen Sie mir ein Beispiel, wo Sie mit reiner politischer Bildung einen großen Kreis von Menschen erreichen, ausgenommen Ihre oder meine, aber auch unsere Klientelveranstaltungen.

Politische Bildung ist heute nur im Verbund mit allgemeiner und konkreter Weiterbildung machbar. Darüber sollten wir ehrlich diskutieren und uns vor allem wieder an europäischen Entwicklungen in diesem Bereich ausrichten. In Neubrandenburg zum Beispiel, wenn ich den philosophischen Gesprächskreis durchführe und wir behandeln „Faust“, kommen 120 Leute. Wenn ich ein Parteithema bringe, was noch ein bisschen lahm, zum Einschlafen ist, sind 20 Leute da. Aber bei „Faust“ …

(Unruhe und Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS – Volker Schlotmann, SPD: Das liegt an den Themen der CDU! Sie sollten andere Themen auswählen!)

Mein Lieber, Sie sollten mal von Goethe lernen! Der war Politiker und der wusste, wie das Leben ausgerichtet wird.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS – Rudolf Borchert, SPD: Bei uns ist es andersrum, Herr Prachtl! Das liegt nur an den Themen der CDU! – Zuruf von Ute Schildt, SPD)

Lesen Sie mal „Faust“, dann würde bei Ihnen viel Besseres ablaufen!

Unklar ist, wie die Absenkung der Altersgrenze auf 1 4 Jahre mit dem Weiterbildungsgesetz vereinbar ist, das andere Zugangsvoraussetzungen, wie eine abgeschlossene Berufsausbildung, der Teilnehmer definiert. Und dabei, das wurde in der Kabinettsvorlage für die Neuordnung der politischen Bildung nicht beachtet, steht der Paragraph 2 des Weiterbildungsgesetzes über dem des Paragraphen 3 und macht es schwierig, Mittel, die im Zusammenhang mit dem Weiterbildungsgesetz stehen, einer Altersgruppe zuzuführen, die nach diesem Gesetz nicht anspruchsberechtigt ist. Das ist nur eine Unstimmigkeit in den Bemühungen.

Ich will damit nicht von meiner eigentlichen Intention abkommen. An dieser Stelle denken wir als CDU auch weiter, als wir es in unserem Antrag Anfang 2003 formuliert hatten. Wir denken wirklich weiter. Es geht um eine schlichte Neuordnung – deshalb sollten wir auch noch einmal diskutieren – der Erwachsenenbildung im Zuge einer Anpassung an gesamteuropäische Normen des lebenslangen Lernens. Damit wollen wir nicht nur in den Genuss europäischer Fördermittel kommen – ich meine, das muss auch sein –, sondern vor allem ein Stück europäische Normalität demonstrieren. Dass dabei die politische Bildung eine Rolle spielen muss und soll, das bleibt unumstritten. In diesem Zusammenhang müssen selbstverständlich die Aufgaben einer Landeszentrale für politische Bildung überprüft werden. Ich traue der Landeszentrale viel zu, aber meine Achtung vor dem Kultusminister ist ebenso groß, dass ich sage, was da ordentlich angesiedelt ist, …

(Heiterkeit bei Karin Schmidt, PDS – Dr. Margret Seemann, SPD: Wir haben ein gutes Kabinett, ne?)

Ich trau ihm das ebenso zu.

Warum kann man nicht die Bündelung weiß ich wo ansiedeln? Darüber sollte wirklich auch neu gesprochen worden, wenn wir die europäischen Maßstäbe mit einbeziehen. Wie wichtig Europa ist, haben wir bei unseren Brüssel-Besuchen gemerkt.

(Beifall Detlef Müller, SPD: Sehr wohl.)

Die Diskussion um die Neuordnung der politischen Bildung ist mehr. Sie ist eine Diskussion über das lebenslange Lernen, auch im Erwachsenenalter. Diese Diskussion wurde bisher so nicht geführt. Lassen Sie uns diese Diskussion im Landtag beginnen,

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU: Sehr richtig.)

ohne uns von vornherein auf ein Ergebnis festzulegen. Aus diesem Grund haben wir heute den Paragraphen 43 der Geschäftsordnung gewählt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Geschichte zum Schluss erzählen.

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Am 9. Mai war eine Gruppe im Landtag, die von Weiterbildnern der Arbeitsvermittlung hergeschickt wurde,

und da sollten die PDS dabei sein, die SPD und die CDU. Ich will jetzt nicht über die Kollegen schimpfen, auch von der CDU ist ja mal einer nicht da. Ich kann Ihnen eins versichern: Ich habe vielleicht schon 200, 300 Gruppen im Landtag betreut, aber so eine Gruppe hier zu haben! Ich habe denen nach einer Viertelstunde gesagt, wissen Sie, jetzt spiele ich Mülleimer. Damit waren die einverstanden. Dann sind die über unser Land hergezogen, Herr Ministerpräsident, also ich habe nachher zum Schluss noch die SPD und die Regierung verteidigt.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ich war wirklich der Mülleimer. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich glaube, was da an Mecker- und an Mülleimerpotential in diesem Land vorhanden ist, ist manchmal schlimmer. Die müssen auf alle Fälle auch bekämpft werden. Aber das Meckerpotential, liebe Freunde, ist dann ein Potential für Extremisten, ob rechts oder links

(Rudolf Borchert, SPD: Richtig, das ist wahr.)

oder weiß ich, wo die hingehen. Da müssen wir aufpassen, liebe Freunde! Da sollten wir als Demokraten zusammenstehen

(Rudolf Borchert, SPD: Ja.)

und da bitte ich einfach darum, dass wir gemeinsam etwas tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Prachtl.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Schmidt von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anknüpfend an die letzten Worte von Herrn Prachtl glaube ich, dass er hier genau dargestellt hat, dass das Thema politische Bildung schon ein hochbrisantes ist. Ich glaube auch, dass die inhaltliche Ausrichtung gemeinschaftlich diskutiert werden muss, aber ich muss Ihnen an einer Stelle widersprechen. Als Sie vorhin zur Notwendigkeit der Zusammenführung allgemeiner und politischer Bildung sprachen, wählten Sie das Beispiel, dass bei einer Veranstaltung zu „Faust“, also Goethe, mehr Menschen kommen als zu einer Veranstaltung der Parteien.

(Torsten Koplin, PDS: CDU hat er gemeint. – Heiterkeit bei Gabriele Meˇsˇt’an, PDS – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Goethe hat, als er Faust seine letzten Worte hat sagen lassen, seine Vision, diese schon in der damaligen Zeit als hochpolitisch eingeschätzt, denn er hat verfügt – immerhin Minister eines Landes –,