Protokoll der Sitzung vom 07.09.2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 63. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 63. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 63. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich unserer Kollegin Frau Gesine Skrzepski nachträglich zu ihrem runden Geburtstag herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und der Linkspartei.PDS – Heiterkeit bei Gesine Skrzepski, CDU: Ja, ein halbes Jahrhundert. – Gratulationen)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die Haushaltsjahre 2006 und 2007 und die Festlegung der Verbundquoten des Kommunalen Finanzausgleichs in den Jahren 2006 und 2007, Drucksache 4/1800, in Verbindung mit der Ersten Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006/2007, Drucksache 4/1812(neu), sowie Beratung der Unterrichtung durch die Landesregierung – Mittelfristige Finanzplanung 2005 bis 2009 des Landes Mecklenburg-Vorpommern einschließlich Investitionsplanung, Drucksache 4/1799.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes MecklenburgVorpommern für die Haushaltsjahre 2006 und 2007 und die Festlegung der Verbundquoten des Kommunalen Finanzausgleichs in den Jahren 2006 und 2007 (Erste Lesung) – Drucksache 4/1800 –

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006/2007 (Erste Lesung) – Drucksache 4/1812(neu) –

Unterrichtung durch die Landesregierung: Mittelfristige Finanzplanung 2005 bis 2009 des Landes Mecklenburg-Vorpommern einschließlich Investitionsplanung (Erste Lesung) – Drucksache 4/1799 –

Das Wort zur Einbringung hat die Finanzministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Frau Sigrid Keler.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Finanzpolitik in Mecklenburg-Vorpommern erfordert einen langen Atem, sie erfordert Stetigkeit, Glaubwürdigkeit und die Bereitschaft, unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Für alle diese Eigenschaften steht diese Regierung.

(Wolfgang Riemann, CDU: Wo?)

Wir müssen uns bewusst machen und uns darauf einstellen,

(Wolfgang Riemann, CDU: Abseits.)

dass die Einnahmen bis 2020 rückläufig sein werden. Heute verfügen wir über rund 2 Milliarden Euro mehr als die westlichen Flächenländer. Diese Mittel stehen uns aber nicht auf Dauer zur Verfügung. Das liegt erstens daran, dass die Solidarpaktmittel von zurzeit 1,1 Milliarden Euro degressiv bereitgestellt werden. Schon jetzt gehen diese Zusatzmittel leicht zurück. Ab 2009 verlieren wir jedes Jahr rund 80 Millionen Euro. 2019 erhalten wir die letzte Rate, 2020 werden die Zahlungen eingestellt. Daran wird nicht zu rütteln sein. Die Westländer werden keine Bereitschaft zeigen, die Gesetzeslage noch einmal zu unseren Gunsten zu ändern. Einen Solidarpakt III wird es also nicht geben.

Wir haben zweitens auch deshalb mehr Mittel als die Westländer, weil wir als Ziel-1-Region zurzeit rund 390 Millionen Euro aus den EU-Strukturfonds erhalten. Wir werden auch während der neuen Förderperiode ab 2007 weiterhin Ziel-1-Region bleiben. Wir müssen aber trotzdem von niedrigeren Zuweisungen ausgehen. Bisher rechnen wir mit 90 Prozent der alten Summe. Die neue EU-Förderperiode endet 2013. Danach wird es eine Auslaufphase geben mit stark reduzierten Zuweisungen.

Drittens. Der Bund zahlt neben den SoBEZ, den Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, rund 210 Millionen Euro an Mecklenburg-Vorpommern, die die alten Bundesländer nicht in diesem Umfang erhalten. Mit diesen Mitteln des so genannten Korb II des Solidarpaktes finanzieren wir unter anderem einen erheblichen Teil unserer Wirtschaftsförderung. Auch diese Zuweisungen werden nach und nach abgeschmolzen.

Viertens. Obwohl uns deutlich mehr ordentliche Einnahmen zufließen, haben wir bisher vergleichsweise mehr Schulden aufgenommen. Das müssen wir ändern, wenn wir finanz- und damit auch allgemeinpolitisch handlungsfähig bleiben wollen. Ich halte daran fest, wir können bei einer einigermaßen normalen Einnahmeentwicklung Ende dieses Jahrzehnts ohne Neuverschuldung auskommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Ergebnis: 2020 wird die Finanzausstattung unseres Landes auf das Normalmaß aller Bundesländer zurückfallen. Das seit 2005 geltende neue Finanzausgleichsgesetz bewirkt sogar, dass die Finanzkraft der finanzschwachen Länder leicht unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Für die künftige Finanzausstattung ist außerdem die Bevölkerungsentwicklung ein Faktor von immenser Bedeutung. Und, meine Damen und Herren, so hoch wie heute in der SVZ ist er allerdings nicht. Dennoch zeigt sich der Bevölkerungsrückgang deutlich in den Einnahmen.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Infolge des Rückgangs verlieren wir pro Jahr zwischen

20 und 30 Millionen Euro Steuereinnahmen. Seit 1995 hat sich der Jahresverlust auf nunmehr 260 Millionen aufgebaut. Diese Entwicklung wird sich in den Folgejahren fortsetzen. Sie gilt grundsätzlich für alle ostdeutschen Länder.

Ebenso wie die Einnahmen sind bei uns auch die Ausgaben deutlich höher als die in den westlichen Bundesländern. Das liegt vor allem daran, dass der infrastrukturelle Nachholbedarf sowie die einigungsbedingten Sonderlasten finanziert und die kommunale Finanzschwäche ausgeglichen werden müssen. Wir haben in 2004 wieder

um über 800 Millionen Euro mehr in die Infrastruktur investiert als die finanzschwachen Westländer. Auf diesem Wege wird die Infrastrukturlücke schrittweise geschlossen. Dabei konzentrieren wir unsere Anstrengungen jetzt vor allem auf die Bereiche Straßen, Hochschulen und Städtebau. Wir müssen sehen, dass wir diese Aufgaben bis 2015 im Wesentlichen abgeschlossen haben.

Auch wenn nach der Gesetzeslage ab 2005 die sonstigen teilungsbedingten Sonderlasten nicht mehr aus SoBEZ finanziert werden dürfen, müssen wir die folgenden Sonderlasten in Höhe von rund 320 Millionen Euro weiterhin finanzieren. Das sind die Kosten der hohen Arbeitslosigkeit, die Sicherung eines bedarfsgerechten Ausbildungsangebotes, Ausgaben für die Zusatzversorgung der ehemaligen DDR, Finanzierung der kommunalen Altschulden, Ausgaben im Zusammenhang mit der Regelung offener Vermögensfragen. Diese Ausgaben fallen in den Westländern nicht oder nicht in diesem Umfang an. Sie müssen gesondert betrachtet werden. Diese Lasten werden zwar nach und nach auslaufen, jetzt drücken sie uns aber noch erheblich.

Die Kommunen erhalten zum Ausgleich ihrer unterproportionalen Steuerkraft einen im Vergleich zu den Westländern sehr hohen Finanzausgleich, der auch durch die SoBEZ finanziert wird. Darüber hinaus erhalten die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern überproportionale Leistungen vorrangig für den Infrastrukturaufbau in Höhe von rund 570 Millionen Euro. Diese Mehrausgaben für den Ausbau der Infrastruktur, für die Kommunen und für einigungsbedingte Sonderlasten sind bundesweit gewollt und nicht zu beanstanden. Ich betone das an dieser Stelle, weil das Verfassungsgericht die Mehrausgaben von 2 Milliarden Euro kritisiert hat.

Die Tatsache, dass wir trotz großzügiger zusätzlicher Finanzzuweisungen vom Bund und von der EU bisher höhere Kredite aufgenommen haben als die Westländer, deutet allerdings darauf hin, dass wir auch in solchen Bereichen Ausgaben leisten, die es so bei den Westländern nicht gibt. Wo liegen diese Zusatzausgaben? Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt einigungsbedingt seit 1991 mehr Personal in der Verwaltung, bei der Polizei, bei der Forst, bei den Hochschulen und auch bei den Lehrern. Wer heute einen schnelleren Personalabbau anmahnt, darf nicht vergessen, dass die Weichen für den überhöhten Personalbestand 1991 von der damaligen CDUF.D.P.-Regierung gestellt worden sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, das wird von mir nicht kritisiert, aber man muss sich seiner eigenen Verantwortung an der heutigen Situation schon bewusst sein.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Und was sagen Sie zu der Steuererleichterung, zur Steuerreform von 2001, Frau Keler? Was sagen Sie dazu? Was sagen Sie dazu? – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Die war auch falsch.)

Herr Riemann! Herr Riemann, hören Sie mir doch mal zu!

(Wolfgang Riemann, CDU: Da hatten wir drei Umgehungsstraßen. – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Sechs Umgehungsstraßen!)

Ich habe letzte Woche nicht mitbekommen,

(Wolfgang Riemann, CDU: Dazu sagen Sie gar nichts!)

welche Unverschämtheit Sie mir zugerufen haben, als Sie gesagt haben, was dem Lebemann Recht ist, darf dem Ochs’ noch lange nicht möglich sein.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Jupiter! Jupiter! – Wolfgang Riemann, CDU: Was dem Jupiter! Was dem Jupiter! – Jörg Vierkant, CDU: Golf spielen! – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Herr Riemann, ich vermute, dass Sie sich, seitdem Sie jetzt Golf spielen,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

deshalb zu dem Jupiter oder zu den Lebemännern zählen. Aber bitte lassen Sie uns hier davon verschont.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Meine Damen und Herren, zurück zum Haushalt 2006/2007.

Bisher hat die Landesregierung die Zahl der Landesbediensteten kontinuierlich zurückgeführt. Von Anfang 1998 bis Ende 2004 sind rund 8.200 Stellen abgebaut worden. Unser neues Personalkonzept weist ein auf das Jahr 2009 hochgerechnetes Programm aus, mit dem wir uns der Personalausstattung in den westlichen Flächenländern angleichen. Unsere Hochschullandschaft ist noch zu breit gefächert und damit für ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern zu teuer. Wir arbeiten an der Restrukturierung der Hochschulen mit dem Ziel, sie zukunftsfähig zu machen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja, zuzumachen.)

Mit der Hochschulstrukturreform wollen wir zweierlei erreichen: Die Hochschulen sollen wettbewerbsfähig werden in der Konkurrenz der Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland und im nordeuropäischen Raum und sollen auf Dauer bezahlbar bleiben.

Die Verwaltungsstrukturen auf der Landes- und auf der Kommunalebene sind noch nicht hinreichend wirtschaftlich. Sie müssen schlanker werden. Das darf nicht mit ständiger Obstruktion verzögert werden. Die Landesverwaltung wird im nachgeordneten Bereich weitgehend verändert. Wir fassen viele Landesbehörden zusammen und werden nur noch wenige Landesoberbehörden haben. Die Einzelheiten sind bereits im Haushaltsplan sichtbar. Im Ergebnis werden wir die Zahl der Landesbehörden halbieren. Ein weiterer überproportionaler Kostenblock im Vergleich zu den westlichen Flächenländern findet sich in Landesleistungsgesetzen und Landesförderungen, die so und in diesem Umfang im Westen nicht bestehen. Dabei ist zu betonen, dass diese Mehrausgaben zu erheblichen Teilen Folgen politischer Prioritätensetzung sind. Ich denke nur an die Kindertagesförderung, die im Westen ihresgleichen sucht, aber auch an die Sport- und Kulturförderung.

Meine Damen und Herren, der Bevölkerungsrückgang ist nicht nur ein fiskalisches Problem, sondern eine gesamtpolitische Herausforderung sowohl für die Landes

als auch für die Kommunalebene. Der Bevölkerungsrückgang erzwingt die Anpassung unserer öffentlichen Einrichtungen an künftig veränderte und in weiten Teilen geringere Bedarfe. Diese Tatsache eignet sich nicht für polemische Attacken. Sie erfordert vielmehr eine schonungslose Analyse der Auswirkungen auf die öffentliche Infrastruktur und deren zügige Anpassung an die rückläufigen Bedarfe.

Neben dem Bevölkerungsrückgang wirkt sich die Veränderung der Altersstruktur auf die Anforderungen an die öffentlichen Leistungen aus. Dabei geht es nicht nur um die soziale Infrastruktur, wie Alteneinrichtungen, Krankenhäuser, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, es geht auch um soziale Transferleistungen, deren Schwerpunkte sich laufend verschieben, zum Beispiel Pflegewohngeld, Sozialhilfe einerseits und Kindertagesförderung, Lehrerpersonal andererseits. Dies alles führt zu Bedarfsverschiebungen auf finanzielle Art, die sozialverträglich bewältigt werden müssen.

In dieser Allgemeinheit sind die Erkenntnisse nicht neu. Unsere Haushaltsstrukturen entsprechen noch lange nicht denen der westlichen Flächenländer. Das muss uns niemand sagen, das wissen wir selbst. Strukturunterschiede habe ich hier immer wieder vorgetragen und auch begründet. Schon der Finanzplan 1996 bis 2000 hat die strukturellen Haushaltsunterschiede zwischen dem Haushalt von Mecklenburg-Vorpommern und den Haushalten der westlichen Flächenländer sichtbar gemacht. Dort wurde erstmals der so genannte Modellhaushalt veröffentlicht. Vereinfacht gesagt ist dieser Modellhaushalt unser Zielbild auf lange Sicht. Spätestens mit den Steuereinbrüchen 2002/2003, die infolge der Basisabsenkung leider fortwirken, ist der Druck zur Verbesserung unserer Haushaltsstruktur stark gewachsen. Niemand wird sich ihm entziehen können.

Die Landesregierung hatte bereits mit dem zweiten Nachtrag 2003 ein finanzpolitisches Konzept entwickelt, mit dem die Wirkungen der massiven Steuerausfälle abgeschwächt und mittelfristig abgefangen werden. Ab den Haushalten 2004/2005 setzen wir das Konsolidierungskonzept bereits um.

(Wolfgang Riemann, CDU: Verfassungswidrig.)

2006 und 2007 fahren wir die Linie wie geplant fort. Die Nettokreditaufnahme geht von 583 Millionen im Jahr 2005 auf 375 Millionen in 2007 zurück. Das entspricht der 2003 selbst gesetzten Vorgabe. Der neue Finanzplan weist für 2009 eine Kreditaufnahme von 75 Millionen Euro aus. Ich bin sicher, dass dieses Ziel erreichbar ist, vorausgesetzt wir erleben nicht erneut Steuereinbrüche wie in den Jahren ab 2002.