Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Bitte, Herr Friedrich.

Herr Holter, geben Sie mir Recht, dass Herr Molkentin in dieser Veranstaltung gesagt hat, dass Ihr Haus dieses Projekt oder diese Studie gefördert hat, und wenn ja, wie hoch war die Förderung?

(Lorenz Caffier, CDU: Das hat er schon gesagt.)

Das ist in der Tat so. Ich habe auf Bitten des Landrates eine Finanzierung dieser Machbarkeitsstudie vorgenommen, die Summe beläuft sich auf 40.000 Euro.

(Lorenz Caffier, CDU: Das hat er in der Rede gesagt.)

Das habe ich nicht gehört.

Das ist kein Problem. Es gibt auch gar keinen Anlass, nicht darüber zu sprechen, weil ich der Meinung bin, es ist besser, auch diese Alternative auf einen Landkreis herunterzubrechen, um zu Erkenntnissen zu kommen, genauso wie ich eben erklärt habe, dass ich mich entsprechenden Versuchen nicht verwehren würde.

Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Herrn Friedrich?

Nee, ich hatte keine. Ich wollte nur stehen bleiben, weil er noch gesprochen hat.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, CDU und Linkspartei.PDS – Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Danke schön, Herr Friedrich.

Vielen Dank, Herr Minister.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Klaus Mohr von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion! Um es vorwegzunehmen, wir sind von Ihrem Antrag wenig angetan. Einige Gründe für die Skepsis haben wir ja schon vom Arbeitsminister Herrn Holter gehört. Ich möchte, meine Damen und Herren, weitere Ausführungen hinzufügen, um unsere Skepsis hier noch einmal gesondert zum Ausdruck zu bringen.

Frau Strenz, Ihr Antrag schlägt als angeblich ideales Modell des Förderns und des Forderns, so der Begründungstext wörtlich, ein Kombilohnmodell vor, die so genannte Magdeburger Alternative, haben Sie gesagt. Und Antragsintention ist, Mecklenburg-Vorpommern als Modellregion für dieses Arbeitsmarktprojekt zu entwickeln. Meine Damen und Herren, ich habe das Gutachten der Professoren Schöb und Weimann aus Magdeburg sehr genau gelesen, denn letzten Endes beruht Ihr Antrag ja im Wesentlichen auf diesem Gutachten. Der Text beginnt dort auf Seite 4. Und hier direkt im zweiten und dritten Satz des Gutachtens werden bereits die beiden entscheidenden Kernthesen angeführt, auf denen alle weiteren inhaltlichen Ausführungen basieren. Dort heißt es zunächst im ersten Satz, ich zitiere: „Deutschland hat ein zweiseitiges Arbeitsmarktproblem“. Das klingt erst einmal sehr bedeutungsschwanger und macht neugierig auf die Fortsetzung. Aber dann heißt es weiter: „Die gegenwärtige Grundsicherung vernichtet die Anreize von Arbeitslosen, Arbeit zu suchen. Die zu hohen Lohnkosten verhindern, dass Unternehmen mehr Arbeitnehmer einstellen.“ Die Magdeburger Alternative setzt mit einem 4-PunktePlan an beiden Marktseiten an. Meine Damen und Herren, und genau hier beginnt meine Kritik auch, denn wenn die Kernthesen im zweiten und dritten Satz nicht stimmig sind, dann kann das Gutachten noch so lange und mit noch so vielen komplexen Berechnungen angereichert sein, dann ist, nein, dann kann dieses Ergebnis des Gutachtens gar nicht stimmig sein.

Meine Damen und Herren, nehmen wir also die erste These, die die Magdeburger Alternative unterstellt, dass es gegenwärtig angesichts des für Langzeitarbeitslose geltenden SGB II keine Anreize zur Aufnahme einer Arbeit gibt. Ich denke, diese Unterstellung ist mehr als abenteuerlich. Tatsache ist, dass die Zumutbarkeitskriterien von Arbeitsangeboten für Langzeitarbeitslose in den vergangenen Jahren

(Rudolf Borchert, SPD: Verschärft wurden.)

mehrfach verschärft worden sind.

(Rudolf Borchert, SPD: Reichlich!)

Jeder, der sich in der Arbeitsmarktpolitik auskennt, weiß, dass für einen Langzeitarbeitslosen seit dem 1. Januar 2005 gemäß Paragraf 10 SGB II praktisch jedes Arbeitsangebot, und sei es ein Minijob, zumutbar ist. Selbst ein Arbeitsentgelt, das bis zu 30 Prozent geringer ausfällt als der ortsübliche Lohn, ist dabei zu akzeptieren.

Lehnt der Hilfebedürftige das Angebot eines zumutbaren Jobs unter diesen Bedingungen ab, drohen ihm schärfste gesetzliche Sanktionen.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Wer hat das bloß alles beschlossen?!)

Im ersten Schritt muss er mit der Kürzung des ALG II um 32 Prozent rechnen, bei jeder weiteren Verweigerung gibt es weitere empfindliche Kürzungen bis auf null herunter. Das betrifft ebenfalls die Kosten der Unterkunft, zumindest bei den über 25-Jährigen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Zuverdienstmöglichkeiten, meine Damen und Herren, für Arbeitslosengeld-II-Empfänger gegenüber der ursprünglichen Gesetzesfassung spürbar verbessert worden sind. Jeder Betroffene kann jetzt auch relativ leicht anhand des einfacheren Gesetzestextes nachvollziehen, wie viel seines Zuverdienstes ihm bei Aufnahme einer Beschäftigung anrechnungsfrei verbleibt. Nicht zu vergessen ist auch, das SGB II sieht im Paragrafen 29 das so genannte Einstiegsgeld vor.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Dieses neue arbeitsmarktpolitische Instrument gibt dem zuständigen Fallmanager die Möglichkeit, dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger einzelfallbezogen mittels einer Prämie oder eines Zuschusses maximal für die Dauer von zwei Jahren einen zusätzlichen Arbeitsanreiz zur Arbeitsaufnahme zu bieten. Das Einstiegsgeld erfreut sich, wie man in Fachkreisen auch hören kann, einer immer größeren Beliebtheit, insbesondere im schwarzgelben Sachsen-Anhalt. Dort nämlich baut man intensiv auf das Einstiegsgeld.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Nur so am Rande möchte ich sagen, dass die Magdeburger Alternative in Sachsen-Anhalt eigentümlicherweise keine Rolle spielt, Frau Strenz. Das finde ich bemerkenswert.

Diese Punkte, meine Damen und Herren, muss man kennen, wenn man über angeblich mangelhafte Arbeitsanreize spricht. Und eines kommt hinzu: Aus vielen Unternehmensbefragungen ergibt sich, dass diese in aller Regel keine Schwierigkeiten haben, einfach Arbeitsplätze zu besetzen. Im Gegenteil, Unternehmen melden offene Stellen oftmals nicht der Agentur oder der Arbeitsgemeinschaft, um keine Bewerberflut zu erleben. Besetzungsprobleme betreffen also seltener die Zahl der Bewerbungen, sondern schon eher die Eignung der Bewerber, das ist wahr.

Meine Damen und Herren, ich denke, es ist deutlich geworden, dass bei Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten durch die zuständigen Arbeitsverwaltungen hinreichende Arbeitsanreize für Langzeitarbeitslose generiert werden können. Es mag unter 165.000 arbeitslosen Menschen Personen geben, die nicht wollen, auch Menschen, die sich drücken, die auf Kosten der Gemeinschaft das System ausschließlich für ihre Zwecke nutzen. Aber, meine Damen und Herren, ich behaupte, das sind sehr wenige im Vergleich zu denen, die wirklich alles geben würden, um wieder arbeiten zu können.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich komme nun zur zweiten These der Magdeburger Alternative:

Frau Strenz, die zweite These, wonach angeblich zu hohe Lohnkosten in Mecklenburg-Vorpommern die Un

ternehmen von der Einstellung von Arbeitnehmern abhalten würden, ist schlichtweg abenteuerlich und kurios. Tatsache ist doch, meine Damen und Herren, MecklenburgVorpommern ist nicht das Hochlohnland, sondern vielmehr das Niedriglohnland in Deutschland. Und Tatsache ist weiter, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern in ganz Deutschland gibt es bereits einen real existierenden umfangreichen Niedriglohnsektor, der durch weitere staatliche Eingriffe nun wirklich nicht noch unbedingt ausgedehnt werden muss.

Anders als zu Beginn der Kombilohndebatte vor mehr als zehn Jahren liegt die Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland inzwischen über dem EU-Durchschnitt. Nach aktuellen Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Technik in Gelsenkirchen, IAT, die auch Teilzeitbeschäftigte und Minijobs einbeziehen, arbeiten heute sogar 22 Prozent der Beschäftigten in Deutschland für einen niedrigen Stundenlohn im Sinne der OECD-Definition. Meine Damen und Herren, das ist praktisch jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland und das muss einmal so gesagt werden. Das heißt, diese Menschen verdienen weniger als zwei Drittel des Medianlohns, also weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns. Dieser beträgt in Ostdeutschland, um nur einmal eine Zahl zu nennen, plakativ 6,97 Euro brutto je Stunde. Insgesamt arbeiten damit rund 7 Millionen Menschen in Deutschland im Niedriglohnbereich. Hinzu kommt, ich denke, auch das ist eine bemerkenswerte Zahl, die aufhorchen lässt, dass circa 650.000 Menschen in Deutschland so wenig verdienen, dass sie einen Anspruch auf ergänzendes Arbeitslosengeld II haben, so gesehen auch ein Kombilohnmodell.

(Ute Schildt, SPD: Ja.)

All das muss man wissen, meine Damen und Herren, wenn man hier über Niedriglöhne spricht, wenn man diese Debatte führt, Frau Strenz, die Sie hier gerne anführen. Des Weiteren verweise ich auf das arbeitsmarktpolitische Instrument der Eingliederungszuschüsse, die nach dem SGB III natürlich in Verbindung mit dem SGB II Arbeitgebern für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen gezahlt werden können.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Hier in Mecklenburg-Vorpommern gibt es darüber hinaus – ich denke, das ist den meisten bekannt, sollte es zumindest – noch die so genannten Einstellungshilfen für arbeitsmarktpolitische Zielgruppen. Jedes Unternehmen, jeder Arbeitgeber hier in Mecklenburg-Vorpommern erhält bei Einstellung eines Arbeitslosen einen monatlichen Lohnkostenzuschuss von maximal 500 Euro von unserem Arbeitsministerium für die Dauer von einem Jahr unter der Bedingung einer Nachbeschäftigungsfrist von einem weiteren Jahr. Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Das, was hier mit dem Kombilohn erreicht werden soll, kann grundsätzlich, wenn man es möchte, bereits heute mit den bestehenden arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumenten des Bundes, aber auch des Landes erreicht werden.

Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist mir wichtig. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass der Staat die Lücke zwischen Arbeitslohn und lebensnotwendigem Einkommen schließt, besteht die Gefahr, dass das Lohnniveau unter Druck gerät. Hierzu, Frau Strenz, meine Damen und Herren von der CDU, sagt Ihre Magdeburger Alternative nichts, rein gar nichts.

Unbedingt notwendig wäre aber an dieser Stelle nach unserer Auffassung insbesondere eine Diskussion über existenzsichernde Mindestlöhne.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, ich meine, dass wir unsere Energie und unsere knappen finanziellen Mittel nicht dafür einsetzen sollten, den Status von Mecklenburg-Vorpommern als Niedriglohnland mittel- und langfristig noch auszubauen und zu verfestigen, sondern ich glaube, der Weg ist gerade ein anderer. Wir haben nur eine Zukunftschance, wenn wir das, was wir haben, in die Köpfe dieses Landes investieren.

(Wolfgang Riemann, CDU: Darum kürzen Sie bei den Hochschulen!)

Was wir brauchen, ist nicht Niedriglohn forever, wenn Sie so wollen, sondern Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, Qualifizierung, Herr Riemann, für unsere Menschen und auskömmliche Löhne,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

denn eins, meine Damen und Herren, sollte eigentlich unstreitig sein: Den Wettlauf um die niedrigsten Löhne, insbesondere gegen die osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU, können wir nicht gewinnen. Das ist so.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen – Frau Strenz, Sie hatten eingangs Ihrer Rede darauf hingewiesen: Es stimmt, die Bundesregierung hat vereinbart, dass Bundesarbeitsminister Franz Müntefering im Herbst Vorschläge zu Kombilöhnen machen wird, wobei klar geworden sein dürfte, dass es nicht „den“ Kombilohn gibt, sondern sehr viele, sehr unterschiedliche arbeitsmarktpolitische Instrumente, die aktuell unter der Rubrik Kombilohnmodelle diskutiert werden. Auch das muss man wissen und muss man sehen bei der Debatte. Franz Müntefering hat aber, meine Damen und Herren – und das bitte ich noch einmal zu berücksichtigen –, in diesem Zusammenhang, in dieser Debatte deutlich gesagt, dass er keinen weiteren Niedriglohnsektor will. Dies findet natürlich die volle Unterstützung unserer Fraktion und der SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Vielleicht wird es möglich sein, in den nächsten Monaten tatsächlich eine schlüssige Variante zu entwickeln, welche die Idee des Kombilohns mit unserer Forderung nach einem auskömmlichen Mindestlohn sinnvoll verbindet,

(Rudolf Borchert, SPD: So ist es.)

und vor allem auch eine Idee, eine Variante, die kompatibel ist für Mecklenburg-Vorpommern, für unser Land. Substituierung und dauerhafte Mitnahmeeffekte müssen dabei jedenfalls vermieden werden, meine Damen und Herren. Deshalb lehnen wir den CDU-Antrag ab. – Vielen Dank.