Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Das ist etwas ganz Neues in Mecklenburg-Vorpommern. Das gibt es in allen 16 Bundesländern nicht.

(Egbert Liskow, CDU: 15. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Wir sind Vorreiter in der Hinsicht und wir haben die einmalige Chance, auch wirklich Vorreiter hier zu sein. Wir sprachen über Gesundheitswirtschaft. Wir können auch auf anderen Gebieten Vorreiter sein und wir sollten es sein.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Genau, zum Beispiel mehr Bildung, zum Beispiel mit Sprach- förderung, Migrantenförderung und so weiter.)

Ich werde immer wieder gefragt: Warum kümmerst du dich um die Migranten, das sind doch nur so ein paar?

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Sie haben Recht, es sind nur 1,7 Prozent im Land. Dazu kommen unsere Aussiedler, zwar mit einer anderen kulturellen Herkunft, aber sie gelten als Deutsche, haben also einen anderen Rechtsstatus. Das sind noch einmal ungefähr 1,7 Prozent. Aber ich denke, hier geht es nicht um Prozente. Hier geht es um jeden einzelnen Menschen, den wir haben, den wir als Mensch zu akzeptieren haben, der von mir aus schwarz, gelb, lila oder rosa ist.

(Egbert Liskow, CDU: Lila müssen Sie mir noch mal zeigen!)

Dieses Konzept und auch die Arbeitsgruppe, die es erarbeitet hat, machen deutlich, dass es nicht unbedingt die Migranten sind, die sich hier zu integrieren haben, sondern dass wir als Deutsche vielleicht einen anderen Blick auf sie haben sollten. Die interkulturelle Kompetenz, die unsere Bürger hier im Land besitzen, ist noch relativ wenig ausgebildet. Alle, die am Prozess, dieses Konzept zu schreiben, beteiligt gewesen sind, wünschen sich, dass besonders im öffentlichen Dienst Dinge nachgeholt werden und dass Pädagogen genau die gleiche Kompetenz haben. Die Ministerin hatte es schon gesagt, vom Kindergarten bis zu Schule und Berufsbildung wird interkulturelle Kompetenz einmal eine große Möglichkeit haben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Das Ziel für Migranten ist die Schaffung von gleichberechtigten Rahmenbedingungen zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Was heißt das? Sobald sie einen deutschen Pass haben, davon haben wir auch welche, dürfen sie wählen, sonst nicht. Aber wir können sie zum Beispiel in den Kommunalparlamenten mit in die Ausschüsse einbinden. Sie können ihre eigenen Probleme besser darstellen, wenn wir sie mit in die Arbeit einbeziehen. Leider gibt es aber in der Hansestadt Rostock nur einen einzigen Ausländerbeirat, die RAA in Rostock. Ich denke, es sollten mehr werden, damit Migranten auch ihre eigenen Interessen selbstbewusst darstellen und auch verändern können. Für mich ist Integration erst abgeschlossen, wenn wir gar nicht mehr darüber reden müssen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS und Dr. Gerhard Bartels, fraktionslos)

Wann das sein wird, weiß ich leider nicht. Im Moment ist es notwendig, dass wir darüber reden.

Ich möchte der Arbeitsgruppe noch einmal Dank sagen, die sich ganz doll bemüht hat, Dinge in die Konzeption hineinzuschreiben, die für uns sehr, sehr wichtig sind.

Die Ministerin hat gesagt, es soll bis zum 31. März nächsten Jahres ein Beirat gebildet werden, der vor allem auch aus Migranten besteht, denn sie sollen ihre eigenen Probleme darstellen und sagen können, wie sie sie gerne umgesetzt haben möchten.

(Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Egbert Liskow, CDU)

Aber eins fehlt mir: In dem Entwurf für die Konzeption war außer dem Beirat eine Koordinierungsstelle geplant.

(Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Jawohl.)

Das hatte die Arbeitsgruppe angeregt, weil man gesagt hat, die Koordinierungsstelle soll für die Migranten die Möglichkeit sein, in vielseitiger Hinsicht auch mit den Ministerien klarzukommen.

(Egbert Liskow, CDU: Das ist schwer.)

Das heißt, der Beirat wird im Sozialministerium eingesetzt. Aber es gibt trotzdem Probleme im Ministerium für Kultur und Bildung oder es gibt Probleme, wenn Migranten sich selbstständig machen wollen, im Arbeitsministerium oder im Wirtschaftsministerium, sodass man sagen, kann eine Stelle,

(Egbert Liskow, CDU: Können Sie das bitte mal genauer erklären?!)

die das alles ein bisschen unterfüttern würde und mit dem Beirat

(Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Besser sein.)

gemeinsam Dinge anschieben könnte, wäre günstig gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, Linkspartei.PDS und Dr. Gerhard Bartels, fraktionslos)

Es ist leider aus finanziellen Gründen aus dem Konzept herausgefallen.

Ich möchte Sie trotzdem noch einmal darauf aufmerksam machen, 2007 gibt es vom ESF-Fonds ungefähr 13 Millionen zusätzlich für Migranten und ganz bewusst für Netzwerkbildung. Ich habe schon einmal versucht, nachforschen zu lassen, ob wir dann eine Planstelle statt „Koordinierungsstelle“ „Netzwerkstelle“ nennen und sie aus einem Fonds speisen können, der hier im Haushalt überhaupt keine Probleme macht. Ich möchte darum bitten, dass die Kollegen, die hinterher dafür zuständig sind, sich darum kümmern.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS, Rudolf Borchert, SPD, und Dr. Gerhard Bartels, fraktionslos)

In der Konzeption sind einige Schwerpunkte benannt worden. Das sind die vorschulische Bildung und Erziehung, die schulische Bildung und Erziehung und die Berufsförderung von Jugendlichen. Das sind Schwerpunkte, die herausgeholt worden sind. Weitere Aussagen sind trotzdem gemacht worden zu Familie, zu Gesundheit, zu Senioren, zur Religion und zur Arbeitsmarktpolitik. Sie sehen, es ist sehr umfangreich. Ich denke, es war wichtig, erst einmal Schwerpunkte zu setzen, um zu sagen, dort gehen wir heran, da stellen wir uns bestimmte Ziele.

Ich habe vorhin schon gesagt, vielleicht wäre es wichtig, sich das nach zwei oder zweieinhalb Jahren noch einmal genau anzugucken und zu fragen: Sind wir bei diesen

Schwerpunkten weiter vorangekommen oder müssen wir möglicherweise etwas ändern? Bei Kitas läuft es vielleicht super und wir brauchen das gar nicht mehr als Schwerpunkt, aber wir haben mehr Senioren und dort gibt es Probleme. Also sollten wir die Schwerpunkte möglicherweise im Lauf der Zeit ändern. Dazu wäre es wichtig, dass man das zeitnah überprüfen würde.

Ich möchte die drei Schwerpunkte, die in der Konzeption genannt werden, noch einmal genauer beleuchten, vor allem die vorschulische Bildung und Erziehung. Es ist allen klar, je jünger die Kinder sind, je einfacher ist die Integration, je einfacher ist der Spracherwerb und je einfacher ist auch die Kommunikation mit der Familie. Wenn Eltern ihre Kinder in eine Kindereinrichtung bringen, wird ihnen diese oder jene Sache gesagt. Sie müssen mit der Erzieherin kommunizieren, sie müssen verstehen, was für ihr Kind das Wichtigste ist. In diesem Prozess stellen wir immer wieder fest, dass Kinder sehr viel schneller Deutsch lernen und ihren Eltern bei der deutschen Sprache helfen.

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

Damit ist die Chance gegeben, dass wir gleichzeitig mit den Kindern auch die Eltern erreichen.

Aber es gibt ein Problem und das ist auch genau aufgezeigt worden. Die interkulturelle Kompetenz der Kollegen ist leider nicht so ausgebildet, wie ich es mir zum Beispiel wünschen würde.

(Egbert Liskow, CDU: Welcher Kollege?)

Der Kollegen, Männer und Frauen.

(Egbert Liskow, CDU: Ja, welcher Kollegen denn?)

Es gibt Dinge, die in der Arbeit bei den Erziehern auf Probleme gestoßen sind, nur weil man nicht weiß, wie man mit dem Problem umgehen soll. Meine Herren und Damen, ich würde Ihnen gerne ein Beispiel nennen.

(Karin Strenz, CDU: Ja, jetzt ein Beispiel.)

Wir hatten in einer Kindereinrichtung eine Familie mit zwei Kindern aus den arabischen Ländern. Wie das so üblich ist bei uns in Deutschland hatte die Kollegin die Mutti eingeladen zu einem Gespräch und einen Stuhl ins Büro gestellt, damit sie sich dort hinsetzen kann. Wer kam, waren Mutti und Vati.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Und Mutti musste stehen? – Heiterkeit bei Beate Schlupp, CDU)

Er war zunächst erstaunt, dass kein Stuhl da war. Das Problem war relativ schnell geklärt. Es kommen ja auch bei uns Väter und Muttis, die sich um ihr Kind kümmern. Aber dort ist es besonders üblich. Jetzt hat aber die Kollegin einen groben Fehler gemacht. Sie hat die Mutti angesprochen und nach einigen Dingen gefragt, die sie vom Kind wissen wollte. Das ist in unserer Kultur relativ normal, aber in einer arabischen Kultur nicht. Der Migrant ist ganz entsetzt aufgestanden. Die Kollegin hat es noch schnell abbiegen können und wir haben das Problem erledigen können. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass solche Kleinigkeiten notwendig sind. Ein bisschen von einer anderen Kultur zu wissen hilft manchmal, Problemen aus dem Weg zu gehen und die Kontakte zwischen Eltern, Kind und Erzieher besser zu überbrücken.

Ein Problem ist bei unseren Vorschulkindern immer noch – und das sage ich nicht nur für Migrantenkinder, wir werden uns morgen noch einmal mit der Verzahnung von Jugendhilfe und Schule beschäftigen – der Übergang dieser Kinder in die Schule. Wir haben Kinder, die in Förderschulen müssen, weil es einfach nicht geschafft worden ist, diese Kinder in dem frühkindlichen Förderbereich aktiv mit einzubeziehen. Es gibt dafür Ursachen, die kulturell unterschiedlich sind. Und da muss man einfach einmal genau gucken, wie das zum Beispiel in einer anderen Kultur möglich oder notwendig ist.

Bei der schulischen Integration stoßen wir ganz besonders auf das Problem Sprache. Wenn wir Kinder haben, die nicht über den Prozess eines Kindergartens in die Schule kommen oder in der 6. Klasse eingeschult werden müssen, dann haben diese natürlich ganz große Probleme mit der deutschen Sprache. Das heißt aber nicht, dass diese Kinder dumm sind. Nun überlegen Sie doch bitte einmal, ihnen, den Kindern, wird in der 5. Klasse ein mathematischer Text vorgelegt, in dem steht, wie eine mathematische Berechnung zu erfolgen hat. Das passiert in den höheren Klassen in Chemie und Physik überall, aber die Kinder können das nicht lesen. Sie sind nicht dumm in Mathematik, sie verstehen nur dadurch, dass sie die Sprache nicht beherrschen, diesen Text nicht. Diese Kinder haben dann in Mathematik natürlich schlechte Noten. Das, denke ich, muss genau beobachtet werden. Man muss beobachten, ob das Kind wirklich den Förderbedarf für Mathematik oder möglicherweise den ganz speziellen Förderbedarf für die deutsche Sprache hat.

Aber ich denke, trotzdem sollte Wert auf die eigene Muttersprache gelegt werden. Es kann nicht sein, dass wir Kinder und Erwachsene so integrieren, dass sie ihre eigene Muttersprache nicht mehr sprechen können. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir in unserem Schulgesetz viele Sprachen als Zweitsprache anerkannt bekommen, sodass unsere Kinder nur eine Sprache dazulernen müssen. Das ist für die Kinder schon ein großer Fortschritt. Genauso notwendig ist aber auch – wie ich das bei den Erziehern gesagt habe –, dass die interkulturelle Kompetenz einfach eine größere Rolle spielen muss, ebenso das interkulturelle Lernen.

Meine Damen und Herren, die Rahmenrichtlinien für die Schulen lassen das längst zu. Aber es ist ja ein bisschen schwierig, von dem Satz des Pythagoras der alten Griechen nun auf die Überlegung zu kommen, es gebe auch noch neue Griechen.

(Detlef Müller, SPD: Sehr richtig, Angelika. Sehr richtig, Angelika.)

Das ist zwar machbar, man würde es möglicherweise mit interkultureller Kompetenz hinbekommen – es sind so viele Dinge machbar, die gar nicht viel Aufwand bedeut e n –, aber man müsste seinen Unterricht ein bisschen anders gestalten. Und da müssten die Kollegen möglicherweise mit Fort- und Weiterbildungsaufgaben noch mal ein wenig getriezt werden. Das muss ich so sagen.