Protokoll der Sitzung vom 15.09.2010

DIE LINKE hat konsequent mit dem Stalinismus gebrochen.

Einigkeit und Recht und Freiheit,

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

ja, die Herstellung der Deutschen Einheit bot in der Tat große Chancen, die besten Konzepte und Erfahrungen aus beiden deutschen Staaten in die neue Republik einzubringen. Es gab die große Chance, dass niemals mehr die Freiheit für die Gleichheit eingeschränkt wird und umgekehrt die Gleichheit für die Freiheit. Diese Chancen, wissen wir, waren indes bald vertan. Es war keine wirkliche Vereinigung zweier Staaten, sondern es war ein Beitritt der DDR an die alte Bundesrepublik nach Artikel 23 Grundgesetz, und darin ist des Pudels Kern tatsächlich zu suchen.

Die Chancen waren vertan, denn sehr bald erfolgten schon vielfach falsche Weichenstellungen. Mit dem systematischen Abbau Ost erfolgte der Nachbau West. Sehr rasch und zunehmend wurden Leistungen und Biografien der Menschen in Ostdeutschland gering geschätzt oder gar diskreditiert. Die Industrialisierung stand auf der Tagesordnung, Angriffe auf die Bodenreform, immer wieder, auch noch heute.

(Udo Pastörs, NPD: Zu Recht. Die Bodenreform ist weg.)

Das war und ist immer noch mehr als ein Wermutstropfen. Die Brüche im Großen wie im Kleinen suchen ihresgleichen. Diejenigen, die gestern Abend im Festsaal anwesend waren, haben das anschaulich miterleben dürfen. Die geleistete Aufbauarbeit ist nicht hoch genug zu schätzen und zu würdigen. Ja, das Land hat sich verändert, auch Dank der Solidarität der Menschen aus den alten Ländern. Aufbau bedeutete aber auch, die gewonnene politische und persönliche Freiheit als Chance zu begreifen und ein demokratisches und rechtsstaatliches Mecklenburg-Vorpommern aufzubauen, und das ging und geht nur in einem friedlichen Miteinander aller demokratischen Kräfte.

In den letzten 20 Jahren, meine Damen und Herren, hat sich unser Land, haben sich die Menschen, auch wir, verändert. Aber die Frage ist doch berechtigt: Warum ist auch nach 20 Jahren – 20 Jahre nach dem Fall der Mauer – die Mauer nach wie vor in den Köpfen und in den Herzen immer noch da? Warum fühlen sich viele Ostdeutsche als Menschen zweiter Klasse?

(Michael Roolf, FDP: Weil es ihnen jeden Tag eingeredet wird.)

Warum wollen Westdeutsche die Solidarität und die Unterstützung für die neuen Bundesländer aufkündigen? Das sind Fragen, die gesellschaftlich relevant sind, die in allen Gruppen immer mal hier und da diskutiert werden.

(Michael Andrejewski, NPD: Das sind Zeitbomben.)

Zur Einheitsbilanz gehört, dass die gewonnene Freiheit durch die verlorene Arbeit vielen wenig oder nichts wert ist. Es gehört dazu, dass die Würde des Menschen auch daran gemessen wird, ob es sozial und gerecht zugeht.

(Udo Pastörs, NPD: So ist es.)

Die Generation, und auch das hat gestern Abend in der Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft eine Rolle gespielt, die den Krieg und das geteilte Deutschland mit den unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen erlebt haben, beurteilen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft natürlich mit ihren Erfahrungen. Wir wissen, was geht und was nicht geht.

Die Jugendlichen von heute wissen nicht viel über die Vergangenheit. Da haben wir einen Aufklärungsauftrag. Den Jugendlichen ist die Vergangenheit auch nicht egal, aber sie leben in der Gegenwart und sie wollen ihre Zukunft gestalten. Sie wollen eine gute Bildung und Ausbildung, eine gut bezahlte Arbeit, sie wollen sich in die Gestaltung der Gesellschaft einbringen.

Deshalb ist der im Thema der Aktuellen Stunde formulierte Anspruch, „selbstbewusst … Zukunft gestalten“, genau der Anspruch, genau die Herausforderung, vor der wir alle stehen. Und das, Herr Glawe, muss ich sagen, hat mir in Ihrer Rede heute gefehlt. Die Betrachtung von Vergangenem ist notwendig, um daraus für Künftiges zu lernen und selbstbewusst Zukunft gestalten zu können.

Und wenn wir uns die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre anschauen, dann verbietet es sich doch, ein „Weiter so!“ zu praktizieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Es gibt genügend Studien, die sich mit der Entwicklung Ostdeutschlands beschäftigt haben und die bestätigen, dass die aus dem Westen abgekupferten Rezepte für die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland nicht funktioniert haben. Der Aufbau Ost als bloßer Nachbau West ist gescheitert. Das muss man am 20. Jahrestag feststellen dürfen.

Meine Damen und Herren, ich will gerade Sie fragen: Welche Rolle spielt der Osten, spielen die neuen Länder in den Parteien? Die heutige schwarz-gelbe Koalition in Berlin hat den Osten vollends ausgeblendet

(Vincent Kokert, CDU: Ja?)

und vom Forum Ost der SPD ist auch nichts mehr zu hören. DIE LINKE vertritt seit ihrer Gründung auch die Interessen der Menschen in Ostdeutschland und setzt sich für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West ein.

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Wir finden uns nicht mit den weiterhin vorhandenen Diskriminierungen von Ostdeutschen bei Löhnen, Gehältern, Renten und in anderen Fragen ab. Die jüngsten Abstimmungen im Bundestag sprechen darüber Bände.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Minister Dr. Till Backhaus)

Und, meine Damen und Herren, bei der Großen Koalition in unserem Land, bei SPD und CDU, ist, wenn es um die Frage geht, wie denn nun weiter, eine Vorstellung, gar eine Idee, ein Konzept, wie das Land vorangebracht werden kann, weit und breit nicht zu erkennen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Dann müssen Sie mal genau hingucken, Herr Holter.)

Die große Herausforderung besteht doch darin, es trotz demografischen Wandels, trotz komplizierter Bedingun

gen der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt, trotz sinkender finanzieller Zuschüsse,

(Harry Glawe, CDU: Das müssen Sie gerade sagen.)

die Mecklenburg-Vorpommern erhalten wird, auf den Kurs eines innovativen und sozial stabilen Landes zu bringen, in dem auch junge Leute eine lebenswerte und eine attraktive Zukunft haben.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Ich kann Ihnen bloß das Beispiel von dem jüngsten Bündnis für Arbeit berichten. Das haben Sie gelesen. Da wird von einem „Pakt für Fachkräfte“ gesprochen, aber mehr als das Wort „Pakt“ gibt es nicht. Inhaltlich ist überhaupt nichts zu erfahren.

(Harry Glawe, CDU: Ja klar.)

Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, dass die Menschen in den neuen Bundesländern in der Tat einen Erfahrungsvorsprung vor den Westdeutschen haben.

(Vincent Kokert, CDU, und Michael Roolf, FDP: Oooh!)

Ja, in der Tat.

Ich bin überzeugt, dass die ostdeutschen Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre genutzt werden können, um eine Entwicklung in ganz Deutschland zu initiieren, die tatsächlich sozial gerecht und sozialökologisch genannt werden kann. Die strukturkonservierende Politik im Westen ist gescheitert und wir als ostdeutsche Länder, wir können doch eine Modellregion für ganz Deutschland werden. Es liegt an uns, die Chance beim Schopfe zu packen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Wir brauchen diesen Paradigmenwechsel, um die notwendigen Veränderungen, den notwendigen Politikwechsel als Chancen für Ost und West zu begreifen, und da geht es in der Tat um den sozialökologischen Umbau, es geht um mehr regionale Verantwortung, um mehr demokratische Teilhabe.

Wir, die LINKEN, stellen die Lebensqualität der Menschen in den Mittelpunkt. Wir setzen auf ihre Kreativität und auf Initiativen. Das ist übrigens, Herr Glawe, zu Recht eine Schlussfolgerung aus den Zeiten der DDR. Wir wollen die Chance nutzen, die die regionale, soziale und kulturelle Vielfalt unseres Landes bietet.

Und, Herr Pastörs, Migrantinnen und Migranten sind für uns eine Bereicherung, die ihren Beitrag für eine friedliche und solidarische Gesellschaft leisten können und wollen, und wir sollten ihnen diese Chance auch bieten.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Udo Pastörs, NPD)

Meine Damen und Herren, ein Land ist so innovativ wie seine Politik, und daran hapert es in unserem Land Mecklenburg-Vorpommern. Es fehlt an Schwerpunktsetzungen, an klaren strategischen Leitlinien und daher verwundert es überhaupt nicht, dass die rot-schwarze Förderpolitik sich am Bedarf von gestern orientiert und die Herausforderungen von morgen ausblendet.

(Harry Glawe, CDU: Platte Rede.)

Meine Damen und Herren, die Suche nach den besten Konzepten muss der übergreifende neue Ost-West-Maßstab sein und nicht Rentenbenachteiligung, massenhaft prekäre Beschäftigung, Hungerlöhne, Perspektivlosigkeit, besonders für den Osten, aber auch für ganze Regionen und strukturschwache Regionen des Westens. Deshalb setzen wir uns als Partei und als Fraktion für den flächendeckenden Mindestlohn ein, dass die Rente ab 67 vom Tisch kommt und dass das Solidarprinzip in der Gesundheit wieder gestärkt wird.

Meine Damen und Herren, die 20jährige Geschichte – ich komme zum Schluss – des vereinten Deutschlands beweist, dass die Politik in erster Linie Anwalt für die Benachteiligten und die Schwachen sein muss. Aber diese Menschen sitzen ja noch nicht einmal am Katzentisch der Kanzlerin. Andere wie beispielsweise Atomkonzerne werden kniefällig an den Verhandlungstisch gebeten.

In diesen Tagen, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wird viel zurückgeschaut. Wir erinnern uns und lassen die vergangenen Jahre Revue passieren und dabei wird bemängelt, dass es den Menschen an Begeisterung fehlt. Das sollten Sie von CDU, SPD und FDP mal wirklich hinterfragen. Die Zurückhaltung und Resignation vieler Menschen ist das Ergebnis Ihrer Politik. Deutschland braucht einen Politikwechsel für soziale Gerechtigkeit und für den sozialökologischen Umbau. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Vielen Dank, Herr Holter.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Gottfried Timm für die Fraktion der SPD.