Protokoll der Sitzung vom 14.10.2010

Arbeitslosigkeit ist kein persönliches Versagen, aus dem man durch Beratung, Information, Anleitung wieder herauskommen kann. Arbeitslosigkeit der Eltern heißt ja nicht a priori bildungsfern, auch nicht sozial schwach, heißt jedoch sozial benachteiligt. Denn Langzeitarbeitslosigkeit geht einher mit finanzieller Armut und einer Ausgrenzung aus dem aktiven gesellschaftlichen Leben. Die Betonung liegt bewusst auf „aktiv“. Denn fehlende Möglichkeiten der Eltern, aktiv ihr Leben auf der Grundlage von Arbeit zu gestalten, diese fehlenden Möglichkeiten können nicht durch Beratungen, Anleitungen und Unterstützungen und wie auch immer zum richtigen Umgang mit Geld, wie Sie es ja auch in Ihrem Bericht ausführen, kompensiert werden.

Ich finde, es ist überhaupt ein Unding, dass in so einer Unterrichtung mitgeteilt wird, dass man die Eltern anleiten soll, wie sie mit dem Geld umgehen. Also, ich sage mal, ich kann mir nicht vorstellen, dass Höherverdienende sich das besonders gefallen lassen würden.

Aber wie gesagt, diese fehlenden Möglichkeiten der Eltern, aktiv zu sein, haben natürlich Auswirkungen auf deren Kinder. Und das zeigt der Bericht sehr deutlich. Hier gegenzusteuern, Kindern Chancen zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit, also ihrer persönlichen Stärken und Fähigkeiten einzuräumen, ihre Entwicklung durch eine anregungsreiche, strukturierte Freizeitgestaltung zu befördern, das ist eine wesentliche Schlussfolgerung, die die Autoren des Berichtes ziehen, auf die seitens der Landesregierung jedoch in der Unterrichtung gar nicht oder nur sehr unverbindlich – und dieses Unverbindliche möchte ich an dieser Stelle besonders betonen – eingegangen wird.

Wir erinnern uns: Im Rahmen der Anhörungen zum Kindertagesförderungsgesetz wurde gerade diese Forderung unisono erhoben, also Verbindlichkeit und Stärkung der Fähigkeiten der Kinder. Herr Ministerpräsident hat gestern wiederholt, dass seit 2003 die Mittel der Kindertagesförderung zum Beispiel von 77 Millionen Euro auf 133 Millionen Euro erhöht wurden. Das ist gewiss eine große Leistung der Steuerzahler, auch eine begrüßenswerte Prioritätensetzung bei der Steuermittelvergabe durch die Politik.

Wir wissen aber auch, dass es immer noch – und das ist auch sehr gut –, 20 Jahre nach der Wende im Land eine gute Infrastruktur im Bereich der Kindertagesförderung gibt. Aber reicht das? Sind Mitteleinsatz und technische Infrastruktur tatsächlich eine Garantie für den pädagogischen Erfolg? Man muss klar sagen, es sind Voraussetzungen, die für sich genommen jedoch keine Erfolge garantieren, wie auch die Analyse in dem Bericht zeigt. Fraglich bleibt schließlich immer noch, wofür wird das Geld eingesetzt? Ja, worauf kommt es an?

Warum werten Sie, verehrte Kollegen von der Landesregierung, die Entlastung von 9.000 Eltern von den Elternbeiträgen als einen Beitrag zu einer qualitativ hochwertigen Kindertagesförderung? Die hierfür eingesetzten 7 Millionen Euro könnten tatsächlich zur Qualitätssteigerung eingesetzt werden, nämlich zur Verbesserung des Betreuungsschlüssels. Die Experten, die den Bericht der Bildungskommission vorgelegt haben, haben gerade das gefordert: Verbesserung der Qualität über eine Stärkung der Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten und nicht über die Befreiung von einigen Eltern im Land von den Elternbeiträgen.

Der Ministerpräsident sagte gestern, und ich zitiere wortgemäß: Kinder mit Problemen brauchen Hilfe und Unterstützung. Diesen Gedanken haben Sie mit dem neuen Kindertagesförderungsgesetz umgesetzt. Dieser Grundgedanke durchzieht auch die Unterrichtung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, die Beseitigung von Entwicklungsdefiziten in den Mittelpunkt des politischen und pädagogischen Handelns zu stellen, drückt ein autoritäres und Passivität beförderndes Bildungsverständnis aus, wie es in Deutschland, leider auch jetzt in Mecklenburg-Vorpommern gang und gäbe ist, international und auch von moderner Pädagogik in Deutschland aber abgelehnt wird. Moderne Pädagogik fordert, Stärken von Kindern und Jugendlichen zu befördern, um – wie auch die LIGA zum Beispiel immer in ihren Stellungnahmen festhält – Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Richtig.)

Ja, verehrte Landesregierung, Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag aus der Zeit der rot-roten Landesregierung eine Reihe von Vereinbarungen übernommen, die auch von den Autoren des Berichtes aufgegriffen und als Schlussfolgerungen Ihnen für die Kinder- und Jugendpolitik anempfohlen wurden, von Ihnen aber in der Unterrichtung vollkommen ausgeblendet wurden. Das betrifft das Kinder- und Jugendprogramm sowie die Weiterentwicklung der vorschulischen Bildung. Und ich sage jetzt mal Stichwort „Bildungskonzept“ – die umstrittenen Debatten im Bildungsausschuss sind uns ja alle noch sehr gegenwärtig. In der Koalitionsvereinbarung wurden daneben auch das Landesprogramm der Jugend- und Schulsozialarbeit, und zwar als Stärkung der Jugend- und Schulsozialarbeit,

(Regine Lück, DIE LINKE: Genau.)

aber auch Prora 06 als Event von der Jugend für die Jugend aufgenommen.

Ihre Unterrichtung sagt nicht aus, wie auf der Basis der Analyse eine chancengleiche Entwicklung der Kinder mit Leben erfüllt werden soll, auch bei Beachtung der Erfahrungen aus den von mir hier genannten Programmen.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Und vor dem Hintergrund der Inklusion gleich gar nicht.)

Inklusion – das Thema haben wir überhaupt noch nicht gehabt. Das kommt ja noch.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Sie betonen also ausdrücklich, auch die Autoren des Berichtes, dass die Fachkraft-Kind-Relation in den Kindertageseinrichtungen gesenkt werden müsse und in den Schulen eine bessere, gezielte individuelle Förderung erforderlich ist, was eine Forderung nach einer besseren Personalschulausstattung ist. Schul- beziehungsweise Kita-Standorte mit den hier verfügbaren geistig kulturellen, mit den sportlichen Angeboten und den dort tätigen Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern müssen gestärkt werden. Ganztagsplätze in den Kitas, Ganztagsplätze in den Schulen müssen verstärkt etabliert werden.

Und hierzu hätte man sich natürlich in der Unterrichtung nicht nur blumige Ausführungen gewünscht, sondern ein paar konkrete mit Namen und Hausnummer genannte Festlegungen, was Sie als Landesregierung tun wollen. Diese Angebote, die ich eben noch mal nannte, müssen viel stärker in eine familienpolitische Strategie des Landes und der Kommunen einbezogen werden. Und das fehlt eben vollkommen in der Stellungnahme, wie man das, was hier im Bericht an analytischem Material vorgelegt wird, so verändern will, dass es eben durch konkrete Maßnahmen untersetzt ist und auch der Erfolg sichtbar wird.

Ja, was geschieht? Sobald man die Bevölkerung des Landes als passive Größe betrachtet, der man mit Autorität und – ich sage noch mal – mit Unverbindlichkeit begegnet, zeigten die Anhörungen zum Kindertagesförderungsgesetz in den vergangenen Jahren ebenso wie die kürzliche Anhörung zum Konzept der vorschulischen Bildung im Bildungsausschuss: Man erfährt Ablehnung.

Das zeigte aber auch auf dramatische Weise ein Ereignis, bei welchem die Verantwortung klar zu benennen ist und der Misserfolg nicht uminterpretiert werden kann: das Jugendevent Prora im September 2010. Prora 06 wollten Sie gemäß Koalitionsvereinbarung evaluieren, um über dessen Fortführung zu befinden. Nun, Sie haben über die Fortführung befunden. Ich erinnere daran, Prora 06, daran waren immerhin 7.000 Jugendliche mit unterschiedlichsten geistig-kulturellen Projektarbeiten beteiligt. In diesem Jahr waren vielleicht 200 junge Menschen anwesend, von denen einige auch noch vorzeitig abgereist sind.

Die Landesregierung sollte tun, was wir als Fraktion getan haben, also die Ergebnisse des von ihr in Auftrag gegebenen Berichtes anhand der Selbstverpflichtungen in der Koalitionsvereinbarung messen und daraus zielführende Schlussfolgerungen ableiten, um wenigstens im fünften Jahr der Regierungsführung einige der im Bericht genannten Defizite zu beseitigen. Ihren selbst gewählten Anspruch, ich zitiere noch einmal die Koaliti

onsvereinbarung: „mit einer mutigen Familienpolitik“ in den fünf Jahren der Regierungszeit „zum familienfreundlichsten Land“ Deutschlands zu werden, werden Sie nicht annähernd erreichen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Dr. Linke.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Grabow für die Fraktion der FDP.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Der Bericht zur Lebenssituation von Haushalten mit Kindern in Mecklenburg-Vorpommern gibt sehr detailreich Ausblick auf die kommenden sozialpolitischen Aufgaben für Mecklenburg-Vorpommern. Ebenso ausführlich führt die Landesregierung in ihrer Unterrichtung ihre eigenen Erfolge aus. Das federführende Sozialministerium sucht die Gründe negativer Entwicklungen bei der Bundesregierung.

Sehr geehrte Frau Ministerin, so einfach mache ich Ihnen das nicht. Ich möchte Ihnen gern an zwei Beispielen zeigen, dass Sie sehr wohl hier im Lande viel mehr Handlungsmöglichkeiten gehabt hätten. Als erstes Beispiel sei hier die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt. Nach dem Bericht der Prognos AG muss diese dringend verbessert werden. In der Novellierung des KiföG hatte sich die Gelegenheit dazu ergeben. Die FDP-Fraktion hat mit ihrem Änderungsantrag zu einer Ausweitung der Kita-Öffnungszeiten einen konkreten Vorschlag für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gemacht. Sie haben diesen Vorschlag abgelehnt.

(Egbert Liskow, CDU: Aha!)

Besonders belastet sind unsere im Land lebenden Alleinerziehenden.

Mein zweites Beispiel für die liegen gelassenen Handlungsmöglichkeiten der Landesregierung: Vor allem alleinerziehende Mütter haben es schwer, Erziehung und Erwerbsleben unter einen Hut zu bekommen. Aber ihre Bereitschaft dazu ist sehr groß. Die Prognos-Studie empfiehlt dafür für alle eine Verknüpfung von Hilfsangeboten. So können Alleinerziehende schneller und leichter Unterstützung erhalten. Im Januar dieses Jahres haben wir Liberalen einen Antrag zur Vernetzung von Hilfsangeboten für Alleinerziehende gestellt. Auch diese konkreten Vorschläge zur Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden hat die Landesregierung abgelehnt.

Sie hätten genug Möglichkeiten gehabt, die Situation von Haushalten mit Kindern in Mecklenburg-Vorpommern zu verbessern. Stattdessen sucht das Sozialministerium lieber nach vermeintlichen Fehlern in der Bundesregierung. Ich fordere Sie auf, endlich Ihre Arbeit für uns zu tun und uns nicht eine halbe Stunde immer nur vom Bund zu erzählen, sondern auch das zu erzählen, was hier im Lande läuft. Und ich sage es mal, es fällt ja nun schon fast jedem hier im Hause auf.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Da läuft aber viel bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ja, aber wir haben vorher erst wieder alles vom Bund gehört und, finde ich, viel zu wenig über das, was wir hier im Land regeln wollen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Vielen Dank, Herr Grabow.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Mantei für die Fraktion der CDU.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will es in Anbetracht dessen, was hier schon gesagt worden ist, und auch wegen der Redebeitragslänge aus der Landesregierung kurz machen. Ich dampf mal ganz schnell meine Rede hier vorn zusammen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Koalitionsvereinbarung vom 6. November 2006 zwischen SPD und CDU wurde unter Ziffer 245 vereinbart, einen Bericht zur sozialen Lage im Land erarbeiten zu lassen. Dazu wurde der Auftrag zur Erarbeitung im Dezember 2008 an die Prognos AG vergeben. Der Bericht wurde im Mai 2009 vorgelegt. Ziel dieses Berichtes war es, Erkenntnisse über Erscheinungsformen von Armut und deren Ursachen zu gewinnen. Es sollte die Lebenssituation von Familien, Kindern und Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern betrachtet werden. Im Ergebnis des Berichtes wurden vom Auftragnehmer, der Prognos AG, Handlungsempfehlungen an die Landesregierung abgeleitet.

Der Bericht zeigt auf der einen Seite, dass in Mecklenburg-Vorpommern eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist, das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt, die Bevölkerungszahlen weiter sinken, die Bevölkerung altert und die Gesundheitsrisiken für einige Teile der Bevölkerung steigen.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das wissen wir alles.)

Weiterhin kommt er zu dem Ergebnis, dass Haushalte von Alleinerziehenden und Mehrkindfamilien über die niedrigsten Einkommen verfügen. Das ist alles bekannt.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Genau. – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Die insgesamt niedrigen Einkommen sind Ursache für das hohe Armutsrisiko in unserem Land.

Auf der anderen Seite – und das gehört auch dazu – zeigt der Bericht, dass Mecklenburg-Vorpommern für Familien und ihre Kinder attraktive Rahmenbedingungen bietet. So verfügt das Land über eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur der Kindertagesförderung. Mit den flächendeckenden Angeboten der frühkindlichen Bildung, der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern und dem Ausbau von Ganztagsschulen liegt das Land auch bundesdurchschnittlich teilweise auf überdurchschnittlichem Niveau.

(Egbert Liskow, CDU: Hört, hört!)

Eine positive Bewertung erfolgt auch hinsichtlich der bestehenden Freizeitangebote und der Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum. Bezug nehmend auf die im Bericht dargestellten Lebenslagen wurden abschließend Handlungsansätze und Empfehlungen dargestellt.

(Egbert Liskow, CDU: Jawohl.)

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Zuruf von Angelika Peters, SPD)