Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 109. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 28: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Programm „Soziale Stadt“ mit ganzheitlichem Ansatz erhalten, Drucksache 5/3892.
Antrag der Fraktion DIE LINKE: Programm „Soziale Stadt“ mit ganzheitlichem Ansatz erhalten – Drucksache 5/3892 –
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich habe das Gefühl, wenn ich in den Saal gucke, es sind gar nicht so viele Kollegen daran interessiert,
(Harry Glawe, CDU: Doch, die Anwesenden ja. – Egbert Liskow, CDU, und Michael Andrejewski, NPD: Doch.)
Was ist das Besondere am Programm „Soziale Stadt“? Es ermöglicht neben der Förderung von baulichen Maßnahmen auch die von soziokulturellen Maßnahmen. Das Baugesetzbuch spricht von einer aufeinander abgestimmten Bündelung investiver, aber auch sonstiger Maßnahmen.
Gestatten Sie mir einen kurzen Exkurs in das Baurecht. Das Baugesetzbuch wurde im Jahr 2004 inhaltlich um Maßnahmen zum Stadtumbau und um Maßnahmen der „Sozialen Stadt“ erweitert. Seitdem sind sozialräumliche Gesichtspunkte nicht mehr nur bei baulichen Maßnahmen zu berücksichtigen. Sozialräumliche Gesichtspunkte rechtfertigen nun auch eigenständige, umfangreiche Maßnahmen investiver und nicht investiver Art. Das ist das Entscheidende.
Damit wurden neben der baulichen auch die soziale und politische Dimension Bestandteil des Städtebaurechts. Dies geschah, um die Durchführung des Programms „Soziale Stadt“ zu unterstützen. Das geht aus der Begründung zum damaligen Gesetzentwurf hervor. Gemeinsam mit dem Stadtumbau trägt es dem demografischen Wandel und den Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels Rechnung.
Das Programm „Soziale Stadt“ hat sich in den elf Jahren seit seinem Beginn zu einem Programm entwickelt, was seinesgleichen sucht. Seit 1999 hat es mit seinem ganzheitlichen und integrativen Ansatz einen bedeutenden Beitrag nicht nur zur Stabilisierung, sondern auch zur Aufwertung von Ortsteilen geleistet,
die durch soziale Missstände benachteiligt waren und zum Teil auch noch benachteiligt sind. Es ist ein lernendes Programm, weil es den vielfältigen Besonderheiten in jedem einzelnen Programmgebiet Rechnung trägt und unterschiedlichste Herangehensweisen erlaubt.
Das Ziel dieses Programms ist eindeutig: Es will die soziale Spaltung stoppen und den sozialen Zusammenhang stärken. Die Projekte und die daran Beteiligten sind äußerst unterschiedlich und vielfältig. Die Projekte zeugen von enormer Kreativität und ungeahnten Poten zialen aller Beteiligten. Sie alle, Kolleginnen und Kollegen, wissen, dass es ein mühseliger und auch ein langwieriger Prozess ist, um Imageverluste von Stadtteilen wieder aufzubessern.
Dass die schwarz-gelbe Mehrheit am 6. Oktober im Bauausschuss des Bundestages beschloss, dieses Programm künftig auf investive Maßnahmen zu konzentrieren, zeugt für mich von bemitleidenswerter Inkompetenz und vor allem auch von Ignoranz.
Wissen Sie, was Sozialkapital für die Gesellschaft bedeutet? Ich will Ihnen Sozialkapital am Beispiel von intaktem Dorfleben deutlich machen. Ein Leben in dörflicher Gemeinschaft ist geprägt von regem Vereinsleben. Dorf- und Vereinsfeste, von vielen Menschen gemeinsam und ehrenamtlich organisiert, sind immer besondere Höhepunkte.
(Beate Schlupp, CDU: In den Dörfern sind nicht viele Menschen. Wo leben Sie denn? – Egbert Liskow, CDU: In der Stadt.)
Wenn was los ist im Dorf, ist jede und jeder dabei, ob Jung oder Alt, ob Arm oder Reich, man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich.
Ja, das kann ich sehr gut einschätzen, weil ich eine Oma auf dem Dorf habe. Das kann ich sehr gut einschätzen.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig, Regine weiß das. – Udo Timm, CDU: Keine Ahnung, aber schwatzen.)
Man fühlt sich geborgen und wohl im Dorf, nur eines kann man eben nicht im Dorf sein, man kann nicht anonym sein. Und genau darauf wollte ich mich konzentrieren.
In größeren Städten sieht das natürlich anders aus. Und das wollte ich damit zum Ausdruck bringen. In Stadtteilen, in denen viele Menschen arm sind, in denen viele das Gefühl haben, versagt zu haben und nicht gebraucht zu werden, ist die Anonymität sehr verbreitet. Und da kann ich mir auch ein Urteil erlauben. Menschen scheinen hier bunt zusammengewürfelt zu sein, oftmals sind sie zugezogen, Nachbarn kennen sich kaum, ein Teil der Men
schen leidet unter Einsamkeit. Viele leben von Hartz IV, manche schon in zweiter Generation. Und das wissen Sie auch sehr gut. Oftmals leben diese Menschen nebeneinander, nicht miteinander. Sie sind gesellschaftlich ausgegrenzt, schon allein auch durch die Adresse stigmatisiert.
Wo traditionelle Beziehungsnetze wie Nachbarschaft, Freundeskreise und Vereinsstruktur nicht mehr greifen, kann die Einbindung in soziale und kulturelle Projekte die Menschen aus dieser Perspektivlosigkeit holen. Wer die Möglichkeit hat, sich zu engagieren und so Anerkennung zu erhalten, bekommt ein neues Selbstwertgefühl, traut sich mehr zu,
beispielsweise das Nachholen eines Schulabschlusses, einer Ausbildung etwa oder einen beruflichen Neustart.
Hören Sie doch erst mal zu, was ich zu sagen habe! Sie können sich dann in der Diskussion äußern, Kollege Timm.
Genau da setzt das Programm „Soziale Stadt“ nämlich an. Einwohnerinnen und Einwohner werden dazu motiviert, ihr Wohnumfeld aktiv zu gestalten, mitzugestalten beim gesellschaftlichen und kulturellen Geschehen in den Stadtteilen. Und sie können daran mitwirken, ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich wohlfühlen.
Die im September 2009 anlässlich des zehnten Programmjubiläums vom Bauministerium durchgeführte Fachtagung zeigte die Aufbruchstimmung, die das Programm in den Programmgebieten der sechs kreisfreien Städte in unserem Land erzeugt hat. Natürlich haben auch bauliche Maßnahmen zur Aufwertung des Wohnumfeldes und bei den Infrastruktureinrichtungen ihren Anteil am Erfolg des Programms. Schließlich braucht man Räume, in denen man sich treffen und auch Projektarbeit machen kann. Diese Tagung machte aber auch deutlich, wie wichtig die nicht investiven Maßnahmen sind. Und darauf will ich mich auch in meinen Ausführungen konzentrieren.
Aus dem Programm werden die hauptamtlich tätigen Quartiersmanager und die Stadtteilbüros finanziert. Dort laufen alle Fäden zusammen. Es dauert Jahre, bis sich gut funktionierende Strukturen und Netzwerke aufgebaut haben, sich die unterschiedlichen Träger und Partner zusammengerauft haben und vielfältige Projekte angeschoben wurden. Das können Stadtteilfeste, Nachbarschaftstreffs, Sprachkurse, Musik- oder Tanzprojekte, Zeichen- und Lesezirkel, Koch- oder Schneiderkurse, aber auch Bibliotheken oder Stadtteilzeitungen oder Fahrradwerkstätten sein. Die Programmgebiete konnten ihr Image verbessern, viele Menschen besuchen die Projekte und Veranstaltungen und bringen sich auch ein. Nur zweifele ich stark daran, ob sich ohne beständige und unermüdliche Arbeit der Stadtteilbeauftragten oder auch der Quartiersmanager Strukturen dauerhaft und selbst tragen können und Projektarbeit leistbar ist.
Meine Fraktion und ich sagen, das Engagement von Vereinen, Wohlfahrtsverbänden und auch das der ehrenamtlich Tätigen muss unterstützt und koordiniert werden. Einwohnerinnen und Einwohner brauchen einen Ansprechpartner, der sich um ihre Belange kümmert, jemanden, dem sie vertrauen können und der weiß, wo Unterstützung herkommen kann. Das sind die Stadtteilbeauftragten oder die Quartiersmanager. Auf die kann man nicht verzichten.
Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen genau, dass sich die klammen Kommunen Stadtteilbeauftragte oder auch Quartiersmanager nicht leisten können. Und genau deshalb muss deren Finanzierung aus dem Programm auch weiterhin gesichert werden.
Außerdem hilfreich und Ausdruck gelebter Demokratie ist auch der Verfügungsfonds. Auf den möchte ich auch noch mal verweisen. Mithilfe dieses Fonds wird unkompliziert Geld für die Projektarbeit vergeben, meistens für Material, aber auch für Öffentlichkeitsarbeit. Jenseits aller Politikverdrossenheit engagieren sich die Quartiersbeiräte nämlich ehrenamtlich, Herr Timm, um die Fördergelder sinnvoll zu verteilen. Sie erhalten dafür keine Aufwandsentschädigungen und sie engagieren sich in ihrer Freizeit. Dieser Projektfonds ermöglicht erst die Durchführung der Projekte. Es sind meistens nur wenige Hundert Euro, die ein Projekt möglich machen oder es scheitern lassen. Aber wir alle wissen, dass man ohne Zutaten nicht kochen und natürlich ohne Farbe auch nicht malen kann.
Die meisten Projektträger arbeiten für sehr niedrige Honorarsätze, dafür aber mit viel persönlichem Einsatz, und es wird großartige Arbeit für kleines Geld geleistet. Bei der Projektarbeit wird das gelebt, was Politik oftmals nicht schafft: Menschen kommen sich näher und arbeiten gemeinsam, ob sie nun Natascha oder Rudi heißen.
Man lernt sich kennen und lernt andere Kulturen achten. Man redet miteinander und man akzeptiert sich. Und auch über die Kinder, vor allem von einer Kindertanzgruppe ist das auch berichtet worden, lernen sich dann natürlich auch Eltern verschiedener Herkunft kennen. Es wäre eine völlig verfehlte Politik, wenn die Maßnahmen zur Integration von Migrantinnen und Migranten aus dem Programm gestrichen werden.
Das Programm hilft auch der lokalen Wirtschaft. Das möchte ich auch noch mal genau in Ihre Richtung bringen, meine Damen und Herren.
Die im Quartier ansässigen Geschäfte und Handwerker, die ja oft Einzelkämpfer sind, werden durch professionelle Wirtschaftsförderung unterstützt und sie haben es in benachteiligten Stadtgebieten besonders schwer zu überleben, weil natürlich die Kaufkraft auch nicht da ist. Doch ihr Verbleiben, ihre Verankerung am Standort ist besonders wichtig für eine wohnortnahe Versorgung mit Angeboten und Dienstleistungen. Das kann man doch nicht ernstlich alles aufgeben wollen, meine ich.
Zunehmende Spannungen und Probleme in unseren Städten lassen sich ohne den Einsatz von kreativen integrierten und ressortübergreifenden städtebaulichen Handlungskonzepten nicht lösen. Und genau deshalb muss das Programm „Soziale Stadt“ mit dem integrierten Ansatz weitergeführt und weiterentwickelt werden.