Protokoll der Sitzung vom 15.12.2010

jedes Land nach eigenen Regeln, mit eigenen Konzepten und abhängig von der jeweiligen Finanzkraft. Die Kultus

ministerkonferenz als das Koordinierungsorgan erweist sich zunehmend zur Problemlösung als ungeeignet. Der kleinste gemeinsame Nenner ist zu wenig, um nachhaltigen bildungspolitischen Fortschritt zu schaffen.

Ich will ein Beispiel nennen aus der jüngsten Vergangenheit. Da geht es um die Schaffung eines vergleichbaren Abiturs. Immer wieder wird darüber diskutiert, ob es denn richtig ist, dass in den einzelnen Ländern eigene Regeln und damit Kriterien für das Abitur bestehen. Nun haben die SPD-geführten Bundesländer Berlin und Brandenburg ein gemeinsames Abitur eingeführt und wie wir jüngst aus der Presse entnehmen konnten, haben sich die CDU-Bildungsminister in Bayern, BadenWürttemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und aus Mecklenburg-Vorpommern darauf verständigt, ab 2014 ein Gleiches zu tun.

Hier erkennt man doch den bildungspolitischen Irrsinn. Je nach parteipolitischer Ausrichtung werden unterschiedliche Regelungen geschaffen. Es bleibt folglich abzuwarten, wie das dann mit der gegenseitigen Anerkennung wird. Es ist schon spannend, ob die CDU-Bildungsminister dann das SPD-Abitur anerkennen werden und die SPD-Bildungsminister das CDU-Abitur. Hier wird sehr deutlich, dass in einem modernen Industriestaat Bildungsföderalismus ein Anachronismus ist. Wir sind damit weit zurückgegangen in das 19. Jahrhundert. Dazu kommt das Kooperationsverbot des Bundes bei der frühkindlichen und schulischen Bildung.

(Udo Pastörs, NPD: Das haben uns die Alliierten 1945 aufgegeben, dass das so gemacht wird.)

Es zeigt sich immer deutlicher, dass diese Grundgesetzänderung, die vor allem durch die CDU-geführten Länder massiv eingefordert wurde, ein gravierender Fehler war. Die vermeintliche Sicherung der Länderautonomie geht hier zulasten der Zukunft der jungen Generation und damit zulasten der gesamten Gesellschaft.

Nur am Rande sei vermerkt, dass die mit viel Getöse angekündigten Maßnahmen des Bildungsgipfels der Kanzlerin bei den herrschenden Temperaturen wohl gleich mit eingefroren sind.

Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Bei der diesjährigen PISA-Studie gibt es keine Auswertung der Daten bezogen auf einzelne Bundesländer. In Mecklenburg-Vorpommern haben drei – ich will das noch mal unterstreichen –, drei Schulen an der PISA-Studie teilgenommen. Herr Reinhardt ist im Einzelnen darauf eingegangen.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist ein Witz!)

Damit ist eine Einschätzung der aktuellen Lage an den Schulen unseres Landes wohl schwer möglich, besser gesagt gar nicht möglich.

(Udo Pastörs, NPD: Richtig.)

Trotzdem sieht unser Bildungsminister Erfolge und vor allem sieht er sich in seiner bildungspolitischen Schwerpunktsetzung bestätigt, selbst dann, wenn die einzelnen Maßnahmen mit den Ergebnissen der PISA-Studie nicht viel zu tun haben. Ihre Ergebnisse basieren auf den Daten des Jahres 2009. In einer Presseerklärung verweist Herr Tesch im Kern auf zwei Maßnahmen:

Erstens. Herr Reinhardt hat schon darüber gesprochen, über den zusätzlichen Leseunterricht für die Grundschülerinnen und Grundschüler, der mit jährlich 1,2 Millio

nen Euro gefördert wird. Diesen zusätzlichen Leseunterricht gibt es in der Tat seit 2008, also, Herr Reinhardt, das haben Sie vergessen zu sagen, ein Jahr vor der Studie. Insoweit ist die Ergebnisrelevanz höchst fraglich.

Was allerdings verschwiegen wird, ist, dass dieses Geld aus dem ESF, dem Europäischen Sozialfonds kommt und nur bis 2013 zur Verfügung steht.

(Stefan Köster, NPD: Das kostet aber deutsche Steuergelder.)

Dies gilt auch für die zusätzlichen Mittel, die für die Einführung der Selbstständigen Schule bereitgestellt wurden. Die kommen ebenfalls aus dem Europäischen Sozial fonds und werden mit jährlicher Reduzierung nach 2013 auslaufen. Folglich, beide Maßnahmen sind temporär befristet und offen bleibt – und das beantwortet die Koalition zurzeit nicht –, wie es denn nach 2013 hier weitergehen soll. Dass die Maßnahmen notwendig sind, darüber gibt es ja wohl keinen inhaltlichen Dissens.

(Marc Reinhardt, CDU: Dazu haben wir den Doppelhaushalt.)

Meine Damen und Herren! Herr Tesch! Ein Bildungssystem und Bildungspolitik sind zwingend auf Kontinuität angewiesen, auf Kontinuität in den Inhalten, in den Strukturen und natürlich auch bei der Finanzierung. Was Schulen brauchen in Mecklenburg-Vorpommern, ist tatsächlich Planungssicherheit. Diese ist aber mit der gegenwärtigen Situation keinesfalls gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Ein Einsatz zeitlich begrenzter Finanzmittel für zeitlich unbegrenzte Maßnahmen sichert da keine Kontinuität, sondern ist einfach ein ungedeckter Scheck für die Zukunft.

Zur zweiten Maßnahme: Bei den Ergebnissen in den MINT-Fächern gibt es tatsächlich Fortschritte. Sie werden allerdings durch den geringen Zuwachs an Lesekompetenz nicht voll wirksam. Das Lesen und Verstehen von Texten ist eine grundlegende Voraussetzung. Das weiß doch jeder, der im Mathematikunterricht Textaufgaben lesen müsste. Deswegen ist es hier tatsächlich als Erstes wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler die Fragestellung, die Aufgabe als solche erfassen, um dann an die mathematisch-naturwissenschaftliche Lösung heranzugehen.

Das sind aber alles, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, deutschlandweite Befunde. Es gibt dafür keine Befunde für Mecklenburg-Vorpommern. Und wenn 90 Schülerinnen und Schüler aus einem Jahrgang teilgenommen haben, dann sind das von circa 12.000 nicht sehr viele und es ist auf keinen Fall repräsentativ.

Meine Damen und Herren, die vom Bildungsminister dargestellten Ergebnisse der Schwerpunktsetzung zeichnen ein Bild, das nicht vollständig ist. Zum Problem der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit freut ihn, und ich darf hier zitieren, „dass Deutschland bescheinigt wird, die Bildungsungerechtigkeiten weiter abgebaut zu haben.“

Das mag für die Bundesrepublik zutreffen, für Mecklenburg-Vorpommern sicherlich nicht, denn die Bertelsmann Stiftung hat festgestellt, dass in unserem Land die höchste Anzahl von Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss leben. Damit wird sehr deutlich, dass 17,9 Prozent ohne Abschluss die Schule verlassen.

Ich darf daran erinnern, im Bundesdurchschnitt sind es 7,5 Prozent. Hinzu kommt, dass wir bundesweit den höchsten Anteil an Förderschülern haben, das sind nämlich 12 Prozent.

Ich darf daran erinnern, dass sich die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen in Ziffer 172 ihres Koalitionsvertrages aus dem Jahre 2006 – ich darf daran erinnern – dazu verpflichtet haben, auch hier ein Zitat, „… die Anzahl der Schüler ohne qualifizierten Schulabschluss signifikant zu senken, die berufliche Ausbildungsreife zu verbessern“

(Udo Pastörs, NPD: Bla, bla, bla!)

„und die Zahl der vergebenen Abschlüsse ,Berufsreife‘ und ,Mittlere Reife‘ zu erhöhen.“ So weit das Zitat aus dem Koalitionsvertrag von SPD und CDU.

Davon sind wir jetzt – am Vorabend des Jahres 2011 – noch meilenweit entfernt. Keine Verbesserung, sondern eine stetige Verschlechterung seit 2006, das will ich Ihnen ins Stammbuch der Koalition schreiben.

Immer wieder wird durch den Bildungsminister die individuelle Förderung als Lösung beschworen. Das ist zunächst aus pädagogischer Sicht vollkommen richtig. Laut Schulgesetz haben die Lehrkräfte individuelle Förderpläne zu erarbeiten. Auch das ist richtig, aber neue wie laufende pädagogische Maßnahmen brauchen entsprechende Rahmenbedingungen. Und genau hieran fehlt es, daran hapert es.

Mit der sogenannten Selbstständigen Schule wurden eine Vielzahl neuer Aufgaben an die Schulen übertragen, die dafür notwendigen Stunden für die Lehrkräfte allerdings nicht. Die schülerbezogenen Stundenzuweisungen erlauben keine kleineren Klassen und sie haben keine Spielräume für eine individuelle Förderung. Die Selbstständigkeit der Schulen hat nicht mehr Freiheiten gebracht, sondern wird durch eine Vielzahl bürokratischer Vorschriften eingeengt. Die Arbeitsbelastung der Schulleitung und der Lehrkräfte hat ein bisher unbekanntes Ausmaß erreicht. Motivierte und engagierte Lehrkräfte sind aber die Grundbedingung für gute Leistungen der Schülerinnen und Schüler sowie für eine erfolgreiche Schule.

Insoweit, meine Damen und Herren, die positiven Signale aus der PISA-Studie, die wir jüngst zur Kenntnis genommen haben, sind mager. Die Chancen sind in der Vergangenheit nicht genutzt worden. Die Herausforderungen sind größer denn je. Es gibt aus unserer Sicht also keinen Grund für eine positive Bilanz. Bildungspolitisch ist Deutschland weiterhin Mittelmaß und unser Land Mecklenburg-Vorpommern ist das untere Ende in dieser Skala.

(Marc Reinhardt, CDU: Man muss das Land aber nicht schlechtreden.)

Meine Partei und meine Fraktion treten tatsächlich für eine Schule für alle mit einem inklusiven Bildungssystem ein. Wir treten ein für wirklich selbstständige Schulen. Dazu bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen und einer Entbürokratisierung, damit die Eigenverantwortung an den Schulen auch wahrgenommen werden kann. Die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte müssen deutlich verbessert werden und es muss eine moderne anforderungsgerechte Lehrerbildung eingeführt werden. Und selbstverständlich abschließend brauchen wir eine flächendeckende Schulsozialarbeit und wir brauchen in der Tat Ganztagsschulen, die auch den Namen „Ganztagsschule“ verdienen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Holter.

Ums Wort gebeten hat jetzt der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Tesch.

(Udo Pastörs, NPD: Auch das noch!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Dienstag voriger Woche wird um die Deutungshoheit über die nun vorliegenden Ergebnisse der internationalen Schulleistungsvergleichsstudie PISA aus dem Jahre 2009 gestritten. Und heute: Ich freue mich über diese Ergebnisse für Deutschland und gleichwohl bin ich nicht zufrieden. Und ich will auch sozusagen auf die Studie eingehen und weniger eine Wahlkampfrede halten.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Udo Pastörs, NPD: Ho! Ho! – Zuruf von Dr. Marianne Linke, DIE LINKE)

Wie schon bei PISA 2000 stand auch diesmal die Lesekompetenz im Fokus der Untersuchung.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Diese Tatsache erleichtert einen vergleichenden Rückblick und der fällt – und darüber kann man jetzt sozusagen in den Nuancen streiten – vornehmlich positiv aus. Und die erreichten Ergebnisse sind bei Weitem keine Schande, wie das jüngst aus anderer Richtung behauptet wurde. Man kann natürlich auch alles schlechtreden, damit wird jedoch den Lehrerinnen und Lehrern, den Schülerinnen und Schüler sowie den Eltern jede Motivation genommen.

(Regine Lück, DIE LINKE: Es geht nicht um Schlechtreden, es geht um Ausbilden.)

Hinter der Steigerung um jeden Prozentpunkt stecken große Anstrengungen aller Beteiligten um die Verbesserung der deutschen Bildungspolitik und dies gilt natürlich auch für uns in Mecklenburg-Vorpommern.

(Udo Pastörs, NPD: Die Lehrer laufen eh schon weg.)

Und Deutschland gehört zu den sieben OECD-Staaten, in denen sich die Lesekompetenz von PISA 2000, nur deshalb können wir es ja vergleichen, zu PISA 2009 signifikant verbessert hat,

(Irene Müller, DIE LINKE: Es war ja auch schlecht genug.)

und sie liegt nunmehr mit 497 Punkten im Mittelfeld der OECD-Staaten.

Und wenn Sie dazwischenrufen, Frau Müller, sie war schlecht genug, dann fragen Sie doch einfach, wo es herkommt.