Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

Extrem belastbar, ortsungebunden, flexibel, jederzeit und überall einsetzbar – so wünscht sich die Wirtschaft den idealen Arbeitnehmer, der aus blanker Angst vor Arbeitslosigkeit nicht darum kämpft, unter würdigen Arbeitsbedingungen angemessen entlohnt zu werden.

Die etablierte Politik wünscht sich ihrerseits einen Arbeitnehmer, der sich nach getaner Arbeit vor den Fernseher hockt, dort seinen antioppositionellen Schliff verpasst bekommt und sich keine Gedanken darüber macht, was so alles mit seinem fleißig erarbeiteten Steuergeld passiert.

In Mecklenburg-Vorpommern scheint ein Großteil der Erwerbstätigen diesen Ansprüchen von Politik und Wirtschaft am deutlichsten gerecht zu werden, denn hierzulande sind die Leidtragenden der einstürzenden – statt der versprochenen blühenden – Landschaften die Mecklenburger und Pommern, die noch nicht ihre Arbeit verloren haben.

(Zuruf von Minister Dr. Till Backhaus)

20 Jahre nach dem Heilsversprechen von Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und Würde gleicht unsere Heimat einer Sonderwirtschaftszone namens Mecklenburg-Vorpommern.

(Zuruf von Minister Henry Tesch)

Heimische Arbeitnehmer sind in den Augen der Wendegewinner nichts anderes als bloßes Humankapital, das man unter Androhung von Kündigung und Entlassung gefügig machen kann. Wer noch nicht vor den hiesigen Verhältnissen flüchtete und wer noch nicht fernab von der Heimat auf die Suche nach Lohn und Brot ging, reihte sich in das beliebig verschiebbare Heer von Mecklenburg-Vorpommerns Arbeitsnomaden ein.

(Udo Pastörs, NPD: Richtig.)

Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als eine Arbeit um jeden Preis anzunehmen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Immer mehr Arbeitnehmer sind hierzulande gezwungen, immense Arbeitswege auf sich zu nehmen.

Statistiken der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit und Auswertungen des Statistischen Landesamtes belegen, dass seit Jahren die Anzahl von Tages- und Wochenpendlern wächst. Knapp 230.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte müssen ihre Heimatregion auf dem Weg zur Arbeit verlassen. Damit ist etwa jeder dritte Beschäftigte im Land gezwungen, zur Arbeit in einen anderen Landkreis oder eine kreisfreie Stadt zu pendeln.

Auf Grundlage des Mikrozensus 2008 legt jeder dritte Erwerbstätige in Mecklenburg-Vorpommern einen Arbeitsweg zurück, der länger als 30 Minuten dauert. Dabei ziehen sich die Pendlerströme auch innerhalb des Flächenbundeslandes Mecklenburg-Vorpommern über mehrere 100 Kilometer.

(Zuruf von Minister Henry Tesch)

Die Anzahl der auswärtigen Berufspendler, also Arbeitnehmer, die regelmäßig Mecklenburg-Vorpommern auf dem Arbeitsweg verlassen, stieg 2008 gegenüber dem Jahr 2004 um 29 Prozent. Fast 80.000 Arbeitnehmer pendeln in angrenzende Bundesländer mit dem Auto oder Zug, aber 150.000 Berufspendler bleiben in Mecklenburg-Vorpommern.

Unter diesen, die innerhalb von Mecklenburg-Vorpommern pendeln, befinden sich immer mehr Wochenpendler, die zu Beginn ihrer Arbeitswoche zu ihrer Arbeitsstätte fahren und erst zum Ende der Arbeitswoche den Heimweg antreten. Diese Wochenpendler benötigen für ihre Arbeitswoche eine Unterkunft in der Nähe der Arbeitsstätte. Die Anmietung einer Zweitwohnung ist deshalb unumgänglich. Wer seinen Hauptwohnsitz als Lebensmittelpunkt behalten möchte, kommt nicht daran vorbei, die Zweitwohnung gemäß Paragraf 16 des Landesmeldegesetzes als Nebenwohnsitz anzumelden. Somit sind Zweitwohnungsinhaber in besonderem Maße steuerpflichtig.

Das Kommunalabgabengesetz von Mecklenburg-Vorpommern erlaubt den Städten und Gemeinden, örtliche Aufwandsteuern zu erheben, worunter auch die Zweitwohnungssteuer fällt. Ursprünglicher Gedanke dieser Kommunalsteuer dürfte eigentlich gewesen sein, dass zum Beispiel Tourismusgemeinden mit einer hohen Anzahl an Ferienwohnungen an der Steuerkraft von zahlungskräftigen Zweitwohnsitzinhabern profitieren.

Doch nicht nur Gemeinden mit attraktiven Urlaubsangeboten erheben eine Zweitwohnungssteuer. Nicht wenige Kommunen im Land erheben ebenfalls eine Zweitwohnungssteuer, ohne über eine touristisch reizvolle Infrastruktur zu verfügen. Über die Motivation solcher Städte und Gemeinden mag man nur spekulieren können. Vielleicht ist in diesen Kommunen der Zweck einer besonders hohen Zweitwohnungssteuer, nicht nur Steuereinnahmen zu erzielen, sondern die Zweitwohnungsinhaber dahin gehend zu drängen, dass sie ihren Hauptwohnsitz ummelden.

Das Melderecht regelt klar, dass ein Bürger sich dort mit Erstwohnsitz anmelden muss, wo er seinen Lebensmittelpunkt hat, das heißt, wo er sich die meiste Zeit im Jahr aufhält. Dies trifft gezwungenermaßen für Wochenpendler zu, die sich größtenteils in ihrer Arbeitszeit am Nebenwohnsitz aufhalten. Schließlich verfolgen nicht wenige Kommunen das Ziel, die Zahl der mit Erstwohnsitz gemeldeten Einwohner zu steigern, um so mehr Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich zu erhalten.

Dem Grundgedanken der Zweitwohnungssteuer jedenfalls, zeitweilige Einwohner an der Unterhaltung der von ihnen genutzten Infrastruktur zu beteiligen, genügen vielen Kommunen längst nicht mehr. Wochenpendler unterhalten aber eine Zweitwohnung nicht aus Luxus, sondern aus beruflichen Gründen. Es ist geradezu widersinnig, hinsichtlich einer Zweitwohnung auf eine erhöhte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Zweitwohnungssteuerpflichtigen zu schließen. Gerade in der heutigen Zeit, in der Arbeitnehmern Mobilität und Flexibilität in einem sozial schädlichen Maße abverlangt werden, mutet die Heranziehung einer Zweitwohnungssteuer von berufsbedingten Wochenpendlern als Strafe an.

Die Landesregierung ist deshalb in der Pflicht, bessere Rahmenbedingungen für diese stark beanspruchten Arbeitnehmer zu schaffen. Die Befreiung von Arbeitneh

mern, die berufsbedingt einen Nebenwohnsitz unterhalten müssen, von der Zweitwohnungssteuerpflicht wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Inwiefern eine einheitliche Regelung hierfür im Kommunalabgabengesetz Niederschlag finden kann, bleibt Aufgabe der amtierenden Landesregierung.

Mit dem vorliegenden Antrag soll die Landesregierung beauftragt werden, lediglich zu prüfen, inwiefern diese spürbare Entlastung im Rahmen geltender Gesetze herbeigeführt werden könnte. Dies könnte die Landesregierung ohne Frage zeitnah und mit geringem Arbeitsaufwand bewerkstelligen.

In anderen Bundesländern wird den Kommunen die Heranziehung der Zweitwohnungssteuer bereits in einem differenzierten Maße erlaubt. Beispielsweise konnte im Juli 2008 im Bayerischen Landtag eine Regelung beschlossen werden – übrigens fraktionsübergreifend –, damit das dortige Kommunalabgabengesetz so geändert wird, dass Personen mit geringer finanzieller Leistungsfähigkeit von der Zweitwohnungssteuer zu befreien sind.

Die Landesregierung könnte aber auch ohne eine Gesetzesänderung bereits jetzt auf Zweitwohnungssteuer erhebende Kommunen im Lande einwirken, damit diese weniger schädlich bei der Zweitwohnungssteuerpflicht von Berufspendlern handeln. Bei beiden Vorgehensweisen bleibt das generelle Recht der Kommunen auf Erhebung einer Zweitwohnungssteuer grundsätzlich unangetastet. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung fände ebenso wenig statt.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Zweitwohnungssteuererhebung von Berufspendlern in Mecklenburg-Vorpommern unangemessen ist, denn einerseits verlangt man den Arbeitnehmern weitreichende persönliche Einschränkungen ab, um jedoch anderseits ihre Mobilität und Flexibilität mit Sondersteuern – wie eben dieser Zweitwohnungssteuer – zu bestrafen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat Herr Dr. Jäger von der Fraktion der CDU.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Wenn Sie Herrn Lüssow richtig zugehört haben, haben Sie ein großes Missverständnis festgestellt, nämlich das Verhältnis zur kommunalen Selbstverwaltung. Ich will das an dem Antrag mal zeigen, weil er über das hinaus durchaus einmal Einblick gibt in Denkweisen.

Die Fraktion der NPD fordert eine Prüfung, und ich zitiere jetzt aus dem Antrag, „in wie fern eine landeseinheitliche Regelung im Rahmen des Kommunalabgabengesetzes … geschaffen werden kann“ und so weiter. Also Sie wollen eine landeseinheitliche Regelung

(Udo Pastörs, NPD: Nein, wir wollen prüfen, ob das möglich ist, Herr Dr. Jäger.)

und die Landesregierung soll, die Landesregierung soll …

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Beleidigen lasse ich mich von Leuten, die keine Ahnung haben, nicht.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist nicht beleidigend. Ich habe Sie nicht beleidigt. Ich habe gesagt, verdrehen Sie nichts! – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Herr Abgeordneter Pastörs, Sie haben eben den Abgeordneten Herrn Dr. Jäger beleidigt. Ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.

Ich finde, es wäre schade, wenn wir die kostbare Zeit unserer Ministerialbeamten und anderer Mitarbeiter der Landesregierung darauf verwenden, eine eigentlich völlig klare Fragestellung beantworten zu müssen. Sie kennen die Verfahren. Deswegen werden wir uns hier mit Ihrem Antrag auch inhaltlich befassen. Ich will Ihnen auch vorwegsagen, er ist noch nicht mal das Papier wert, das Sie da beschrieben haben, das eben gerade verlesen worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wie so oft! Wie so oft!)

Gucken wir doch mal die Zweitwohnungssteuer in ihren Voraussetzungen an! Da gibt es den Artikel 105 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der gibt den Ländern die Befugnis, entsprechende Gesetze zu erlassen. Sie regeln die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern – insofern, Herr Lüssow, war das richtig, was Sie gesagt haben –, solange und soweit sie nicht grundgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Auch das ist eine Selbstverständlichkeit.

Das haben wir in diesem Land ja auch getan. Im Paragrafen 3 unseres Kommunalabgabengesetzes steht etwas drin – und deswegen sagte ich kommunale Selbstverwaltung –, nämlich diese Befugnis, das Recht, diese Steuern zu erheben, hat das Land Mecklenburg-Vorpommern im Kommunalabgabengesetz den Gemeinden und den Landkreisen übertragen. Es hat es übertragen und es hat geregelt. Danach sind die Kommunen nun berechtigt, örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern zu erheben. Generell heißt das das sogenannte Steuererfindungsrecht.

Und, meine Damen und Herren, die kommunale Selbstverwaltung, deren wesentlicher Bestandteil auch das kommunale Steuererfindungsrecht ist, ist Gott sei Dank grundgesetzlich geschützt. Und weil das so ist, hat die Landesregierung darauf nicht einzuwirken. Und deswegen ist die Adressierung an die Landesregierung schon mal einer Ihrer wesentlichen systematischen Fehler.

Aber Sie wollen ja eine Prüfung auch, ob der Landesgesetzgeber eingreifen kann. Das kann ich mit Ja beantworten, er kann. Das haben wir nämlich auch gemacht, wenn Sie mal genau gelesen hätten in der Bestimmung, die Sie richtig zitiert haben, da steht es drin, nämlich wir haben bei der Jagdsteuer gesagt, dass sie unzeitgemäß ist, und haben sie qua Gesetz, was der Landesgesetzgeber kann, insgesamt abgeschafft. Bitte merken Sie sich das Wort „insgesamt“, weil das wesentlich ist.

Und wir haben bei der Zweitwohnungssteuer gesagt, dass die Regelungen des Bundeskleingartengesetzes vorgehen, dass nämlich dann, wenn die Regelungen des Bundeskleingartengesetzes greifen für eine Behausung, die auch Wohnung sein kann im Sinne des Zweitwohnungsrechts, dass diese dann von der Zweitwohnungssteuer auszunehmen ist in der gemeindlichen Satzung.

So, meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt glauben – und da liegt Ihr großer Fehler –, dass man ganz einfach als Gesetzgeber in das Steuererfindungsrecht der Gemeinden eingreifen kann, ohne einen rechtfertigenden Grund zu haben, dann sind Sie, und das zeigt Ihr Antrag, völlig auf dem Holzweg.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das lässt doch tief blicken. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Denn Ihr Antrag geht in eine ganz andere Richtung. Er sagt nämlich: Wir wollen Arbeitnehmer von der Zweitwohnungssteuer ausnehmen, wenn die zweite Wohnung berufsbedingt genommen wird. Das ist doch der Kern Ihres Antrages.

Wenn Sie jetzt etwas tiefer geschürft hätten, hätten Sie mindestens die Hälfte des Problems als Lösung schon finden können, nämlich das gilt bereits für verheiratete Arbeitnehmer. Der verheiratete Arbeitnehmer hat nämlich seinen ehelichen Wohnsitz, und der ist qua Gesetz der Hauptwohnsitz. Und das bedeutet, ein verheirateter Arbeitnehmer, der zusammen mit seiner Familie irgendwo in diesem Lande oder sonst wo in dieser Republik wohnt und woanders berufsbedingt eine Nebenwohnung nimmt, der unterliegt eben gerade nicht der Zweitwohnungssteuer. Wenn Sie daran interessiert sind, schauen Sie mal über Juris in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts! Dort finden Sie aus dem Jahr 2005 die entsprechende Entscheidung. Seitdem wird das in dieser Republik so gehandhabt. – Hälfte des Problems gelöst.

Die zweite Hälfte, nämlich der nicht verheiratete Arbeitnehmer. Und deswegen mache ich das hier so breit, um einfach zu zeigen, dass Sie immer nur aufsatteln auf irgendwelche Stimmungen und dann irgendetwas in die Welt bringen wollen.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Genau.)

Aber leider schaffen Sie es nie, dass es fachlich auch Bestand hat. Genau das ist hier auch so.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Bei dem nicht verheirateten Arbeitnehmer gilt das allgemeine Melderecht. Das ist übrigens Bundesrecht. Und da ist ganz klar geregelt, wo der Hauptwohnsitz zu nehmen ist oder, genauer gesagt, was der Hauptwohnsitz ist und wo man sich dann anzumelden hat.