Protokoll der Sitzung vom 16.03.2011

Vor diesem Hintergrund kann ich persönlich oder jemand anders noch so gute Argumente haben, dass dieses oder jenes rechtlich zulässig und machbar ist, es bleibt die Rechtsunsicherheit bezüglich solcher Regelungen, wie sie beispielsweise das Land Berlin getroffen hat. Deswegen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, fordert die SPD ja übrigens auf Bundesebene immer wieder einen gesetzlichen Mindestlohn. Das wäre dann eine klare und deutliche Sache.

Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf dieses Gesetz zurückkommen. Wir haben uns tatsächlich, es ist ja nun hier auch schon ausgeführt worden, für

einen anderen Weg entschieden, einen Weg, der zwar keinen landesweiten Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen vorgibt, aber einen Weg, der jedem öffentlichen Auftraggeber im Rahmen dieses Gesetzes zumindest vor Ort die Möglichkeit eröffnet, bei öffentlichen Aufträgen ein Mindestentgelt im Rahmen der konkreten Auftragsvergabe vorzugeben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfes auf die Regelungen im Paragrafen 5 Satz 2 des Gesetzentwurfes hingewiesen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes dürfen danach für die Ausführung eines konkreten Auftrages zusätzliche soziale, umweltbezogene – oder für den Kollegen Roolf auch besonders – und innovative Anforderungen an den Auftragnehmer gestellt werden.

(Zuruf von Michael Roolf, FDP)

Voraussetzung ist allerdings, dass sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Was die Berücksichtigung dieser sogenannten, ich mag diesen Ausdruck eigentlich überhaupt nicht, vergabefremden Aspekte anbelangt, Herr Minister Seidel hat bereits darauf hingewiesen, haben wir die bundesgesetzliche Regelung des Paragrafen 97 GWB 1:1 übernommen. Es wird damit auch im Rahmen des Regelungsbereiches dieses Landesvergabegesetzes zukünftig jedem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit eröffnet, von den Bewerbern die Einhaltung ökologischer, sozialer und innovativer Kriterien zu verlangen.

Herr Kollege Roolf, das ist weit mehr als nur Gesetzestreue, um das mal ganz deutlich zu machen.

(Michael Roolf, FDP: Ach ja?! Und wer bescheinigt das, Herr Schulte? Wer bescheinigt und bewertet das?)

Damit, meine Damen und Herren, eröffnen wir den Vergabe stellen die Möglichkeiten, den Unternehmen nicht nur Vorgaben wie zum Beispiel der gleichen Entlohnung von Männern und Frauen, der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen oder eines besonderen Anteils an Auszubildenden in der konkreten öffentlichen Auftragsvergabe zu machen, wir eröffnen ihnen nicht nur die Möglichkeit, im Rahmen der Auftragsvergabe eine besondere Qualifikation der Beschäftigten zu verlangen, wir eröffnen gerade die Möglichkeit, im Rahmen der Auftragsvergabe eine angemessene Mindestbezahlung durch den Bieter zu einem Kriterium für die Vergabeentscheidung zu machen.

(Michael Roolf, FDP: Reden wir wirklich über das Gesetz?)

Wir haben dadurch, dass wir auf die bestehende bundesgesetzliche Regelung für den Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte zugreifen dürfen,...

(Michael Roolf, FDP: Ja, das glaube ich nur nicht.)

Herr Roolf, Sie müssen mir nur zuhören!

(Michael Roolf, FDP: Ich glaube Ihnen nur nicht.)

... in diesem Punkt eine gesetzestechnisch saubere, unzweifelhafte, EU-rechtskonforme und von beiden Seiten, trotz aller unterschiedlichen Auffassungen, gemeinsam getragene Lösung gefunden. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mir ist nicht bekannt, dass die bereits

seit Anfang 2009 bestehende bundesgesetzliche Regelung in irgendeiner Weise bisher europarechtlich angegriffen worden ist.

Meine Damen und Herren, wir haben damit auch eine Lösung für die Frage der Anwendbarkeit von Mindestentgelten, die einerseits keinen zusätzlichen Forderungskatalog …

(Der Abgeordnete Michael Roolf bittet um das Wort für eine Anfrage.)

Gestatten Sie eine Anfrage?

Am Ende der Rede, Herr Präsident.

… für öffentliche Auftraggeber im Vergleich zu bereits bestehenden Bestimmungen für Vergaben im Rahmen des Kartellvergaberechts mit sich bringt und andererseits den unterschiedlichen regionalen Anforderungen auch in unserem Land Genüge tut. Um es deutlich auszudrücken, auch für Sie, Herr Kollege Roolf, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, dann, meine Damen und Herren, steht es den öffentlichen Auftraggebern in diesem Land zumindest frei, bei öffentlichen Aufträgen Mindestentgelte zu fordern, sofern es nicht bereits allgemein verbindliche Tarifverträge für die betroffenen Branchen gibt.

Ob es eine Frau Kassner oder eine Frau Syrbe, ob es eine Frau Gramkow oder ob es SPD- oder CDU-Landräte oder -Bürgermeister oder die betreffenden kommunalen Vertretungen sind, wer will, der darf zukünftig auch im Bereich unterhalb der EU-Schwellenwerte Mindestentgelte im Rahmen der konkreten Auftragsvergabe vorgeben. Und wer es dann nicht tut, sehr geehrte Frau Kollegin Lück, der soll den Menschen erklären, warum er es nicht tut.

Und, meine Damen und Herren, vielleicht beantwortet sich ja dann auch die nicht gestellte Zwischenfrage, damit hier keiner denkt, der da vorne, der kann uns ja viel erzählen.

(Zuruf von Michael Roolf, FDP)

Gestatten Sie mir, aus der Bundestagsdrucksache 16/11428 vom 17.12.2008 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechtes, Bundestagsdrucksache 16/10117 –, Seite 49, zu zitieren. Das ist die damalige schwarz-rote Bundesregierung gewesen. Dort gibt der Ausschuss die Rechtsauffassung der damaligen Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen zu der nunmehr als Paragraf 97 Absatz 4 Satz 2 geltenden Regelung wieder, wie gesagt, im Wort identisch mit der Regelung dieses Gesetzes. An der Stelle heißt es, ich zitiere:

„Die Bundesregierung schlägt im Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts in § 97 Abs. 4 S. 2 GWB-E vor, öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit zu eröffnen, insbesondere soziale, umweltbezogene und innovative Aspekte bei der Ausführung eines Auftrags zu berücksichtigen. Damit werden Vorgaben der EG-Vergaberichtlinien (Artikel 26 der Richtlinie 2004/18/EG und Artikel 38 der Richtlinie 2004/18/EG) in das nationale Recht übernommen.

Diese Regelung gibt den Auftraggebern Rechtssicherheit, wenn sie zusätzlich zu Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Gesetzestreue weitere Anforderungen stellen

wollen, wie beispielsweise eine angemessene Bezahlung zur Sicherstellung der Qualifikation von Wach- oder Fahrdienstpersonal oder das Verbot von Kinderarbeit in der Lieferkette.“

Und weiter, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, heißt es dort: „Im Klartext heißt das: Von einem Unternehmen, das den Fahrdienst für den Bundestag betreibt, kann künftig verlangt werden, dass es die Mitarbeiter angemessen bezahlt, die mit der Ausführung dieses Fahrdienstes beschäftigt sind. Dabei kann eine untere Grenze der Entlohnung vorgesehen werden.“

Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dadurch, dass der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen wortgleich die Regelung des Paragrafen 97 Absatz 4 Satz 2 GWB-E übernimmt, wird zukünftig für jeden öffentlichen Auftraggeber, egal ob oberhalb oder unterhalb der EU-Schwellenwerte, die Möglichkeit bestehen, einen auf den konkreten Auftrag bezogenen Mindestlohn vorzugeben, sofern nicht bereits ein Mindestlohn über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bestimmt ist.

Das, meine Damen und Herren, auch gerade gerichtet an Sie, meine sehr verehrten Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, ist konkrete Politik, um auch über das Vergaberecht in diesem Land soziale Ausgewogenheit in unserem Land zu befördern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Herr Abgeordneter, Sie wollten noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Roolf beantworten.

Wenn er sie noch stellen möchte.

Dann haben Sie, Herr Roolf, das Wort.

Herr Kollege Schulte, ich frage das noch mal zum Verständnis: Sie sagen, der öffentliche Auftraggeber kann ein Mindestentgelt, also den Nachweis eines Mindestentgeltes vom Auftragnehmer anfordern, unabhängig davon, ob derjenige tariflich gebunden ist oder ob es über das Entsendegesetz geregelt ist. Also auch ein untarifliches oder ein nicht tariflich gebundenes Unternehmen kann ein Mindestentgelt vom Auftraggeber fordern. Das ist Ihre Interpretation. Verstehe ich das so richtig?

Herr Kollege Roolf, wenn Sie mir richtig zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass es so, wie Sie es jetzt eben ausgeführt haben, nicht zutreffend ist. Überall dort, wo es über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz festgelegte Mindestentgelte gibt,...

Klar, verstehe ich.

... kann ein öffentlicher Auftraggeber von diesen nicht abweichen. Überall dort, wo zum Beispiel ein Landesgesetzgeber, wie wir das im Bereich des SPNV oder ÖPNV vorhaben, über eine gesetzliche Regelung eine Tarifregelung vorgibt, kann ein öffentlicher Auftraggeber davon nicht abweichen.

In den Bereichen, die dann übrig bleiben, können sie über die Regelung, wenn sie im Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte sind, also sagen wir mal, bei Aufträgen VOL circa 200.000 Euro, oder 193.000 ist, glaube ich, der Schwellenwert genau, dann können sie die entsprechenden Mindestentgelte vorgeben. Wenn sie unter

halb dieser Schwellenwerte sind, werden sie es, sofern das Gesetz so beschlossen wird in diesem Haus, dann über das Landesvergabegesetz machen können. Der Hintergrund ist einfach, weil die gesetzliche Regelung identisch ist.

Ja, vielen Dank.

Danke, Herr Schulte.

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 5/4190 zur federführenden Beratung an den Wirtschaftsausschuss sowie zur Mitberatung an den Innenausschuss, an den Europa- und Rechtsausschuss, an den Finanzausschuss sowie an den Verkehrsausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Danke. Die Gegenprobe. – Danke. Enthaltungen? – Damit ist der …

(Michael Andrejewski, NPD: Enthaltung!)

Sie haben sich korrigiert?

Damit ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung der Fraktion der SPD, der CDU, der Fraktion DIE LINKE und der FDP sowie Enthaltung der Fraktion der NPD angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 11: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der SPD und CDU – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 5/4192.

Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU: Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Erste Lesung) – Drucksache 5/4192 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Borchert von der Fraktion der SPD.