Protokoll der Sitzung vom 17.03.2011

(Irene Müller, DIE LINKE: Sie haben die Jahre davor vergessen. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

auch heute wieder haben Sie den immer gleichen Antrag, nur wenig umformuliert, um die gleichen ideologischen Forderungen zu politischem Kapital zu machen. Wie bereits bei den letzten Anträgen ausgeführt, werden Ihre Argumente durch ständige Wiederholung weder besser noch erfolgreicher.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Ihre auch nicht.)

Lassen Sie mich deshalb dieselben Argumente wie bei den letzten Anträgen kurz und knapp formulieren, um Ihnen wiederholt die Ablehnung des immer gleichen Antrags zu erläutern.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu den Regelsätzen nach dem SGB II eine neue, transparente Ermittlungsmethode gefordert.

(Dr. Armin Jäger, CDU: So ist es.)

Diese wurde auf Bundesebene ausgearbeitet, durchgeführt

(Irene Müller, DIE LINKE: Ah ja?)

und die Ergebnisse sind in die Verhandlungen zum jetzigen Hartz-IV-Kompromiss eingeflossen.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Die jetzigen Regelsätze sind also auf Grundlage dieser Berechnungen erzielt worden. Insofern sind die von Ihnen in der Begründung genannten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ermittlung der Regelsätze nicht nachvollziehbar. Daran ändert auch nichts, dass Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften von Anfang an eine entgegenstehende Meinung vertraten.

Auch in den letzten Anträgen habe ich mehrfach detailliert erläutert, wie die Berechnungsmethode funktioniert und warum sie damit den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts vollumfänglich nachkommt. Daran hat sich nichts geändert. Insofern ist auch hier zum wiederholten Mal darauf hinzuweisen, dass eine Normenkontrollklage weder Sinn macht noch zielführend ist.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Angst haben Sie davor.)

Nun haben wir endlich einen gangbaren Kompromiss in dieser Frage gefunden. Lassen Sie uns diesen nun zügig umsetzen, damit den Betroffenen die höheren Regelsätze zugute kommen!

Um es noch einmal zusammenzufassen: Aus den gleichen Gründen wie auch schon bei den ersten drei Anträgen lehnen wir auch Ihren erneuten Antrag zu einer Normenkontrollklage bezüglich der Regelsätze im SGB II ab. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Danke schön, Herr Rühs.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Ermittlung sachgerechter und grundgesetzkonformer Regelsätze benötigt man erst einmal qualifiziertes Personal. Die Damen von der Leyen und Schwesig sind alles andere als das. Im Fernsehen wirken sie wie Mutter und Tochter aus einer Adelsserie à la „Die Guldenburgs“, die sich darüber stritten, mit welcher Sorte Kaviar man wohl die Pferde füttern sollte.

Was wissen die denn schon von Armut! Auf welcher Grundlage wollen diese Prinzessinnen auf der Erbse denn einschätzen können, welcher Regelsatz für HartzIV-Empfänger zu einem halbwegs menschenwürdigen Dasein notwendig ist? Dafür müsste man die einzig ernst zu nehmenden Experten heranziehen, nämlich die Betroffenen selber. Und die sind auch nicht alle doof, genauso wenig wie die Reichen.

Warum hat man denn nicht gleich zu Beginn von Hartz IV Freiwillige gesucht, die – begleitet von den zuständigen Behörden – ein Haushaltsbuch geführt und Berichte darüber angefertigt hätten, wie sie zurechtkamen, was sie benötigten und was sie sich von dem, was sie benötigten, leisten konnten? Dafür hätte man ihnen natürlich einen kleinen Obolus geben müssen, der nicht auf die Leistung angerechnet worden wäre. Hätte man das so gemacht, würde man über vernünftiges Datenmaterial aus der Praxis verfügen und selbst die Theoretiker in den Ministerien oder im Statistischen Bundesamt hätten eine Ahnung davon, zumindest eine schwache, wie karg und unsicher es sich mit dem jetzigen Regelsatz lebt.

Aus der Praxis würde ich den notwendigen Regelsatz auf circa 400 Euro einschätzen, plus 100 Euro im Monat für notwendige Anschaffungen, denn Sie können auch von 400 Euro nichts ansparen, notwendige Anschaffungen, die dann auf ein Konto bei der Sozialbehörde fließen und bei Bedarf und gegen Belege ausgezahlt werden. Denn so, wie es Millionärssöhne gibt, die ihr Erbe verschleudern, so finden sich natürlich auch unter Hartz-IV-Empfängern Kandidaten, die das für notwendige Anschaffungen vorgesehene Geld verballern. Es gibt Hallodris in allen Schichten, Ober- und Unterschicht.

Und natürlich dürfen Heizkosten nicht pauschaliert werden, weil dann ein harter Winter bei hohen Energiepreisen, und das ist ja alles sehr unberechenbar geworden, die Leute ruinieren würde und auf ewig in Schulden treiben würde. Doch solange von Steuergeldern gemästete Luxusgeschöpfe wie von der Leyen und Schwesig für die Festsetzung der Hartz-IV-Regelsätze verantwortlich sind, wird sich gar nichts ändern.

Wir stimmen dem Antrag zu.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Was wir seit einem Jahr, insbesondere in den letzten Monaten, im Zusammenhang mit den Hartz-IV-Regelsätzen erleben, ist in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig.

(Torsten Renz, CDU: Wieso das?)

Das Bundesverfassungsgericht – also nicht irgendwer, sondern der oberste Hüter unserer Verfassung – stellte vor einem Jahr fest, dass es im Zusammenhang mit der Umsetzung des SGB II und des SGB XII erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gibt.

Lassen Sie mich zur Erinnerung noch einmal zitieren. Die Verfassungsrichter sagten, „die Regelleistung für Erwachsene und Kinder“ erfülle „nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG“. Das Gericht führte weiter aus: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums … sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“

Hieraus resultiert der klare Auftrag zur transparenten, umfassenden Überprüfung der Regelsätze. Stattdessen passierte etwas bisher nicht Dagewesenes. Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat verweigern sich in schöner Übereinkunft diesem Auftrag und entwickeln mit ihren Mehrheiten aus CDU, CSU, FDP und SPD ihre eigenen Vorstellungen zum Umgang mit Verfassungsgerichtsentscheidungen. Im Ergebnis feiern sie ihr Produkt – 5 oder 8 Euro Regelsatzerhöhung, Bildungspaket –, das herzlich wenig mit einer Lösung des vom Verfassungsgericht thematisierten Problems zu tun hat.

Bei Frau von der Leyen hört sich das so an, und ich zitiere: „Mit dieser Reform schlagen wir ein neues Kapitel der Sozialgeschichte auf: Wir wollen die vom Bundesverfassungsgericht geforderten verbesserten Rechtsansprüche von Kindern auf Bildung und Teilhabe nicht

durch Geldleistungen, sondern durch Sach- und Dienstleistungen erfüllen. Diese Entscheidung folgt der Einsicht, dass es sinnvoll ist, Familien, die durch Langzeitarbeitslosigkeit oder ein sehr geringes Einkommen mit multiplen Problemen“ – man beachte die Wortwahl! – „konfrontiert sind, Informations- und Organisationskosten abzunehmen.“ Gemeinsames „Ziel ist es, den bedürftigen Kindern“ – auch hier wieder die Wortwahl sehr beeindruckend – „die Teilnahme an Aktivitäten aller Gleichaltrigen und den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Damit investieren wir gezielt in die Zukunftschancen“ unserer Kinder. So Frau von der Leyen.

(Torsten Renz, CDU: Und das stimmt nicht?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, die Verfassungsgerichtsentscheidung regelte nicht Rechtsansprüche, sondern konstatierte das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus den Artikeln 1 und 20, und zwar bei Beachtung, bei Betrachtung, bei Analyse der konkreten Gesetze SGB II und SGB XII. Insofern sind die Aussagen der Bundesministerin von der Leyen nicht nur in der Sache falsch, sie sind zudem im höchsten Maße für die betroffenen Menschen diskriminierend und zynisch.

Falsch sind sie, weil es Sachleistungen bereits in der Sozialhilfe, also in dem guten alten BSHG gab. Selbst das SGB II in seiner bisherigen oder geltenden Fassung sieht die Möglichkeit vor, einmalige Sonderbedarfe als Sachleistungen zu erbringen, nachzulesen unter anderem im Paragrafen 23.

Aber diskriminierend sind diese Aussagen, weil sie allen Geringverdienern und Langzeitarbeitslosen per se „multiple Probleme“ in ihrer Lebensführung unterstellen und den Willen nach Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung aus eigener Kraft all dieser Menschen aushebeln.

Zynisch sind diese Aussagen auch, weil die geplanten Leistungen die Ursachen der von Frau von der Leyen in diesem Zusammenhang so genannten „multiplen Probleme“ nicht bekämpfen. Deutschland bleibt europaweit das Land mit dem höchsten Anteil von Frauen und Männern, die im Niedriglohnbereich arbeiten, und auch das ist eine Folge der Einführung von Hartz IV, der Aufhebung der dynamisierten Arbeitslosenhilfe, wie es sie bis 2004 gab.

Zynisch sind diese Äußerungen auch deshalb, weil den „bedürftigen Kindern“ – wie sie Frau von der Leyen nennt – die Teilnahme an geistig-kulturellen und sportlichen Aktivitäten ebenso wie der Zugang zu Bildung mit dieser Regelsatzerhöhung bei den Eltern, mit diesem Maßnahmenpaket für die betroffenen Kinder gar nicht ermöglicht wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, bei aller Kritik, Frau Bundesministerin von der Leyen bleibt konsequent, sie bleibt konsequent in ihrem großbürgerlichen Politikansatz,

(Michael Andrejewski, NPD: Das kann man so sagen, ja.)

der Gesellschaft in Leistungsträger und Leistungsempfänger teilt.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Sie fordert immer wieder in diesem Sinne Leistungsgerechtigkeit ein,

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

hält eine Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich für gerecht und forciert diese mit den von ihr getragenen politischen Maßnahmen. Das entspricht weitestgehend dem aktuellen Politikverständnis – wir haben es eben an den Kommentaren gehört – von CDU, CSU und FDP auf Bundesebene, aber eben auch offensichtlich hier im Saal.

Die Grünen haben sich im Rahmen ihres Bundestagswahlkampfes 2009 weitestgehend von Hartz IV als sozial politische Problemlösung verabschiedet. Wie, so fragt man sich nun, hat sich eigentlich die SPD, die Mutter der Hartz-Gesetze, bei der Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidung eingebracht? Es ist tatsächlich eine Schande, mit welcher Selbstherrlichkeit die SPD der Diktion der Hartz-Gesetze verhaftet bleibt, obwohl das Bundesverfassungsgericht Regelsätze, aber auch die zur Umsetzung der Hartz-Gesetze geschaffenen Argen einer verfassungsrechtlichen Kritik unterzogen hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, das Grundgesetz mit seinem Wertekanon ist das Fundament dieses demokratischen Staates. Wer dieses Fundament beschädigt,

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

wer Gesetze verabschiedet, Herr Jäger, ja, wer permanent Gesetze verabschiedet, die eine Grundgesetzänderung nach der anderen nach sich ziehen, der nimmt den Zusammenbruch des Gebäudes in Kauf, der verändert diese Bundesrepublik zur Unkenntlichkeit des einmal demokratischen Sozialstaates.