Protokoll der Sitzung vom 17.03.2011

wer Gesetze verabschiedet, Herr Jäger, ja, wer permanent Gesetze verabschiedet, die eine Grundgesetzänderung nach der anderen nach sich ziehen, der nimmt den Zusammenbruch des Gebäudes in Kauf, der verändert diese Bundesrepublik zur Unkenntlichkeit des einmal demokratischen Sozialstaates.

Mein Fraktionsvorsitzender hat in seiner Einbringungsrede bereits deutlich gemacht, dass sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag und letztlich auch die Verhandlungsführer und der Bundesrat mit der Zustimmung zu dieser also nicht nachvollziehbaren Regelsatzerhöhung sowie zu diesem Bildungspaket

(Dr. Armin Jäger, CDU: Eben. Genau.)

erneut verfassungswidrig gehandelt haben. Deshalb schließlich haben auch die Grünen dieses Verhandlungsergebnis nicht mitgetragen.

Und das Gesamtergebnis wird auch nicht dadurch besser, dass sich die SPD jetzt für einen Mindestlohn einsetzt. Ich sagte bereits, Hartz IV hat zu einem großen Niedriglohnsektor geführt, hat es also erforderlich gemacht, dass wir heute in Deutschland über gesetzliche Mindestlöhne reden.

(Torsten Renz, CDU: Ich weiß gar nicht, was Sie mit der SPD heute haben andauernd. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Aber das soll hier nicht näher thematisiert werden, denn das war nicht Gegenstand der Verfassungsgerichtsentscheidung.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Nein, vom Verfassungsgericht wurde vielmehr die Art und Weise des Zustandekommens der Regelsätze thematisiert, also es wurden Regelsätze gefordert, die auch Selbstverwirklichung durch Bildung ermöglichen.

Und da fragt man sich: Wo ist die stolze SPD geblieben,

(Torsten Renz, CDU: Schon wieder die SPD.)

deren aktiver Politik in den 60er- und 70er-Jahren es in der Bundesrepublik zu verdanken war, dass Kindern aus

Arbeiterfamilien der Zugang zum Abitur und zu den Universitäten geöffnet wurde?

(Michael Andrejewski, NPD: Die wurde schröderisiert. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Wo ist die SPD geblieben, die sich in alter Tradition als Arbeiterpartei verstand und sich deshalb jahrzehntelang für den Bruch des bürgerlichen,

(Dr. Till Backhaus, SPD: Langsam, langsam, langsam!)

des bürgerlichen Bildungsprivilegs eingesetzt hat?

(Dr. Till Backhaus, SPD: Also mit einem Porsche kommen Sie nicht durch. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Herr Dr. Backhaus, ich erinnere mich noch gut an die Debatte zum gesetzlichen Mindestlohn, da haben Sie mich als sozialistische Träumerin, als sozialutopische Träumerin bezeichnet.

(Dr. Till Backhaus, SPD: Ich Sie sowieso nicht.)

Heute greifen Sie diese Themen auf, weil Ihnen nichts weiter übrig bleibt, weil die gesellschaftliche Realität Sie dazu zwingt.

(Dr. Till Backhaus, SPD: Porsche und Kommunismus.)

Nun wissen wir, die sozialen Strukturen sind heute andere als in den 60er- und 70er-Jahren.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Unser besonderes Augenmerk gilt den Menschen,

(Zuruf von Dr. Till Backhaus, SPD)

die unter Hartz-IV- und Niedriglohnbedingungen leben.

(Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Aber im Gegensatz zu Frau von der Leyen, die uns nie über ihre Politikvorstellungen im Unklaren gelassen hat, war die SPD in den Verhandlungen nicht als Partei der sozial Benachteiligten erkennbar. Oder glauben Sie, verehrte Abgeordnete, glauben Sie ernsthaft, dass diese willkürlich festgesetzten 5 oder 8 Euro Regelsatzerhöhungen sowie das mit diesen Regelsatzerhöhungen vorgelegte Bildungspaket aus Deutschland eine international gebildete Nation machen werden?

Die Verhandlungspartner aus CDU, CSU und SPD wollen statt bedarfsgerechter, also auch an Bildungsausgaben orientierter Regelsätze jetzt ein Bildungspaket auf den Weg bringen, das von den Kommunen in Zusammenarbeit mit den Jobcentern ungesetzt werden soll, um Kindern aus SGB-II-Familien, die das Klassenziel eventuell nicht erreichen, beim Lernen zu helfen. Sie nennen das Hilfe aus erster Hand. Das ist kinderfeindlich. Das begründet eine Dreiteilung der Gesellschaft:

(Torsten Renz, CDU: Dreiteilung jetzt schon.)

Hier die Kinder begüterter Eltern, denen helfen Eltern oder die Schule, dort Kinder aus Familien, deren Eltern Geringverdiener oder Sozialhilfeempfänger sind – denen wird über die Kommune geholfen, wobei noch unklar ist, wen die Kommune als für die Hilfe zuständige Stelle benennen wird –, daneben jene Kinder aus Hartz-IVFamilien, denen über das Jobcenter geholfen werden soll. Nun stellen Sie sich mal so ein neun- oder zehnjäh

riges Kind vor, das zum Jobcenter läuft und Nachhilfe beantragt, weil es versetzungsgefährdet ist!

Frau Ministerin Schwesig, das ist und bleibt ein falscher Ansatz, ähnlich wie wir das hier schon zum KiföG thematisiert haben.

Und jetzt etwas zur Alternative, Sie haben danach gefragt,

(Torsten Renz, CDU: Richtig.)

zu einer Alternative, die verfassungskonform sein wird. Internationale Erfahrungen zeigen, dass das Bildungsniveau einer Gesellschaft davon beeinflusst wird, wie es gelingt, an den Stärken aller Kinder, aller Kinder der Gesellschaft anzusetzen, sie im Bildungsprozess herauszufordern und zu entwickeln. Bildungsprozesse sind interaktive Prozesse, die in der Schule durch intelligenten Unterricht und in der Freizeit durch anregungsreiche Beschäftigung gefördert werden. Bildungsprozesse sollten auch in Deutschland so organisiert und inhaltlich geführt werden, dass also Defizite gar nicht erst entstehen.

Das Bildungspaket aber knüpft an die familiäre Situation der Kinder an, führt zur Ausgliederung sozial benachteiligter, eventuell lernschwacher Kinder. Diese Kinder müssen loslaufen, sich über Jobcenter Hilfe organisieren, die ihnen die Lehrer an ihrer Schule geben sollten und auch geben könnten, wenn man denn die eingesetzten Mittel tatsächlich im Interesse der Kinder zu ihrer Förderung und Entwicklung einsetzen wollte. Statt vorhandene Schul- und Freizeitstrukturen zu stärken, werden jetzt Nebenstrukturen etabliert, und das hilft mit Sicherheit weder den Kindern noch unserer gesamten Gesellschaft.

Hier, das muss man sagen, hat die Bundes-SPD ihre mit Hartz IV angelegte ausgrenzende, unsoziale Politik fortgeschrieben. Hier hat die SPD versagt. Man hätte erwartet,

(Torsten Renz, CDU: Starke Worte.)

dass die SPD die soziale Situation im Land Mecklenburg-Vorpommern benennt und die Verhandlungsführer aufrüttelt, um Maßnahmen gegen diese ausgrenzende Hartz-IV-Politik einzufordern, gerade vor dem Hintergrund, dass in unserem Land fast jedes zweite Kind infolge von Hartz IV von Armut und damit von Ausgrenzung betroffen ist.

Ihr Parteikollege, Finanz- und Sozialdezernent Niesen hier aus Schwerin, hat dies in der SVZ vom Dienstag beschrieben. Wir haben im Zusammenhang mit unseren zahlreichen Anträgen – Herr Rühs hat darauf hingewiesen – das bereits ausführlich debattiert. Ganz aktuell stellt sich der Bundeszuschuss zum Mittagessen sogar als Trojanisches Pferd heraus, aber darüber wird ja noch gesondert gesprochen.

Lassen Sie mich ganz kurz noch erwähnen, dass die SPD im Bundestag einen Antrag eingebracht hat, mit dem sie sich gegen die Pauschalierung der Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und gegen die Verschärfung von Sanktionsregelungen in der Grundsicherung ausgesprochen hat. Es wäre wünschenswert gewesen, auch hierzu hätten sich die Verhandlungsführer der SPD im Prozess der Aushandlung des vorliegenden Pakets ausgesprochen beziehungsweise eindeutig positioniert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem SGB II wurde zweimal gegen das Grundgesetz verstoßen, fest

gestellt vom Bundesverfassungsgericht. Wenn Sie also hier auch als Parteien im Landtag glaubwürdig sein wollen, tragen Sie mit dafür Sorge, dass so schnell wie möglich in dieser Frage der soziale Rechtsstaat wiederhergestellt wird. Alles andere hat mit einem kinder- und familienfreundlichen Mecklenburg-Vorpommern, alles andere hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke schön, Frau Dr. Linke.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

(Gino Leonhard, FDP: Was?!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schulte hat ja, denke ich, ganz deutlich darauf hingewiesen, worum es uns hier in diesem Antrag geht. Es ist schon sehr bedauerlich, dass hier Abgeordnete dieses Hohen Hauses meinen, eine Normenkontrollklage wäre nicht zulässig oder was weiß ich nicht alles. Das ist, glaube ich, immer noch Aufgabe des Gerichtes und von niemand anderem. Das sollten wir respektieren.

(Dr. Till Backhaus, SPD: Ein Glück, dass wir einen Rechtsstaat haben!)