Antrag der Fraktion der NPD: Keine ungerechtfertigten Sanktionen beim Arbeitslosengeld II – Drucksache 5/4185 –
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei diesem Antrag kann ich es mir leicht machen und Herrn Professor Dr. Stephan Rixen von der Universität Kassel zitieren, der als Bearbeiter im Kommentar Eicher/Spellbrink zum SGB II den Paragrafen 31 betreut hat. Ich gebe die Fundstelle genau an, da ich ja nicht zu Guttenberg heiße.
In der Randnummer 53 zum Paragrafen 31 schreibt er, Zitatanfang: „§ 31 Abs 5 SGB II enthält eine ‚Sonderregelung‘ bzw ‚schärfere Sanktionsregelungen‘ … für die Gruppe der 15- bis 24-jährigen (= unter 25jährigen) erwerbsfähigen Hilfenbedürtigen. Indem deren Verweigerungshaltung stärker sanktioniert wird, soll der Langzeitarbeitslosigkeit der entsprechenden Altersgruppe besonders nachhaltig entgegengewirkt werde …“
Ob die Regelung unverhältnismäßig ist, hängt davon ab, wie weit oder wie eng man den Gestaltungsspielraum beziehungsweise die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bemisst. Angesichts des zweiten Gestaltungsermessens, das das Bundesverfassungsgericht dem sozialpolitischen Gesetzgeber belässt, so sagt Rixen, scheint dessen Annahme, die verschärfte Regelung werde Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene zur Arbeitsaufnahme besonders motivieren, nicht schlechterdings unvertretbar.
Aber – jetzt kommt es – Rixen sagt: Im Ergebnis mutiert der gut gemeinte Respekt des Bundesverfassungsgerichts vor der Gestaltungsverantwortung des sozialpolitischen Gesetzgebers zu einem verfassungsrechtlichen Freibrief, praktisch jede pseudopädagogische Stammtischweisheit in Gesetzesform zu gießen. Ein Rechtsprofessor wirft ausgerechnet den Parteien, die sich über die Stammtische besonders erhaben fühlen, nämlich den Hartz-IV-Erfindern SPD und Grüne, Stammtischniveau vor.
Was die Stammtischweisheiten betrifft, so würde ich dem Professor widersprechen. Kein Stammtisch wäre so
dämlich oder so asozial, sich so etwas wie die Diskriminierung der Jugend im Paragrafen 31 (5) SGB II auszudenken, von Politikerstammtischen einmal abgesehen.
Aber mit „Pseudopädagogik“ hat er recht. Erst einmal ist es eine Frechheit, dass irgendwelche hergelaufenen Politiker sich anmaßen, 18- bis 24-jährige Bürger erziehen zu wollen. Das sind erwachsene Menschen und Staatsbürger mit allen Rechten. Mit 18 kann man sich zur Bundeswehr melden und sich in Afghanistan totschießen lassen, wozu ja gerade aufgerufen wird. Mit 19 kann man bereits Unteroffizier sein und mit 24 durchaus Hauptmann mit der Verantwortung für eine ganze Kompanie. Man kann mit 24 Familienvater sein mit mehreren Kindern, Steuerzahler, …
… Steuerzahler seit langen Jahren, seit dem 14./15. Lebensjahr, und man ist natürlich Wähler. Da hat der Staat nicht mehr als Erzieher aufzutreten, dazu hat er auch gar nicht die moralische Autorität.
Als Erziehungsmethode erinnern die verschärften Sanktionen der Jugendlichen und auch jüngeren Erwachsenen an Praktiken katholischer Internate in den 50er-Jahren: Erziehung durch Aushungern, ohne Abendessen ins Bett schicken sozusagen. Dass man einen aufmüpfigen 15- bis 17-Jährigen zur Räson bringen will, indem man ihm 100 Prozent der Leistung sofort bei der ersten sogenannten Pflichtverletzung streicht, sodass er sich nicht mal was zu essen kaufen kann, ist eine lächerliche Vorstellung. Damit weckt man nur den Trotz der Jugendlichen und treibt sie auf die Straße oder in die Kriminalität. Das ist primitivste Holzhammerpädagogik. Es fehlt nur noch, dass man nach dem Vorbild Guantanamos kooperationswillige Hartz-IV-Empfänger weiße und die renitenten Hartz-IV-Empfänger orange Overalls tragen lässt.
Es gibt keinen Grund, 15- bis 24-jährige Leistungsempfänger auf diese Weise zu diskriminieren. Das muss aufhören. Und da wir das, was DIE LINKE kann, erst recht können, beantrage ich namentliche Abstimmung.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Andrejewski! Zu Ihrem Antrag möchte ich einiges, ich sage mal, korrigieren. Sie haben ja nun in Ihrem Antrag sehr klar gesagt, dass Sie nicht möchten, dass man mit dem Paragrafen 31 Absatz 5 letzten Endes aus Ihrer Sicht erwachsene Bürger erzieht. Ich glaube, das habe ich so richtig verstanden, hoffe ich, ne?
Zum anderen ist es aber so, dass Sie in Ihrem Antrag selber sagen, dass der Ansatz, der dahintersteckt, nämlich über eine Sanktion, so muss man es ja ansprechen, das Verhalten der entsprechenden Altersgruppe möglicherweise aus Sicht der, Sie nennen es die sogenannten demokratischen Parteien, ich sage, es sind die demokratischen Parteien, an der Stelle doch dahin zu kriegen, dass wir es schaffen, dass diese jungen Menschen doch
auf eine richtige Bahn kommen. Das ist unser Ansatz. Sie haben vielleicht einen anderen, aber das ist unser Ansatz.
Dazu will ich Ihnen nur Folgendes sagen: Sie selber haben in Ihrer Begründung im Satz 2 stehen: „Zum anderen dürften verschärfte Sanktionen bei Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren kontraproduktiv sein.“ Sie selber sagen ja nicht, dass es pauschal kontraproduktiv ist. Sie sagen, es könnte kontraproduktiv sein, was im Umkehrschluss natürlich auch heißt, dass Sie selber nicht ausschließen, dass es produktiv ist.
Ich will Ihnen ganz offen sagen, zumindest für die demokratischen Parteien an der Stelle sprechen zu können, dass das System des Förderns und Forderns aus meiner Sicht durchaus der richtige Ansatz ist. Sie lehnen es ab und sagen, Sie stellen ab auf den Kommentar und sagen, das kann man nur dann beurteilen, wenn man auf die Verhältnismäßigkeit – vermutlich, ich nehme jetzt mal an, im Einzelfall – abzielt und sagt, im Einzelfall kann es dazu führen und im anderen Einzelfall kann womöglich die Sanktion nicht zu dem gewollten Ergebnis führen. Und das bringt dann für Sie zum Ausdruck, dass man im Ergebnis diese gesamte Gemengelage ablehnen muss.
Herr Andrejewski, ich glaube, das ist ein fehlerhafter Ansatz, weil ich der Meinung bin, dass es im Kern gar nicht darum geht, den Einzelfall an der Stelle voranzustellen, sondern vielmehr darum, die große Linie des Paragrafen 31 zu sehen. Und da haben wir ja folgende Situation, Sie haben es selber angedeutet: Bei der Pflichtverletzung ist es möglich, die Unterkunftskosten direkt an den Vermieter zu zahlen.
Herr Andrejewski, wo ist das Problem? Ob ich demjenigen an der Stelle bei einer Pflichtverletzung das Geld aufs Konto überweise oder direkt an den Vermieter, das sehe ich so als pauschale Sanktion erst mal noch nicht, was diese Geschichte betrifft. Aber den zweiten Teil, das ist nämlich – und das empfinden womöglich auch noch andere als eine sehr schwerwiegende Sanktion – die Situation, dass wir bei einer Pflichtverletzung Geldleistung durch geldwerte Leistung ersetzen können.
Auch da will ich Ihnen sagen, im Ergebnis ist das für denjenigen, der eine Pflichtverletzung begangen hat, ein richtiges Signal. Er bekommt im Grunde genommen dadurch, dass wir ihm geldwerte Leistung zur Verfügung stellen – ja noch nicht in abgeminderter Form im ersten Moment –, das Gefühl, dass er aufgrund dessen, dass er vielleicht nicht alles richtig gemacht hat, in die Situation kommt, dass er erkennen muss, dass er zwar die gleichen Leistungen hat, aber nicht im Sinne von Geld.
Und das halte ich für richtig. Das halte ich ganz offen für richtig. Man muss junge Menschen auch dahin bringen, Herr Andrejewski, dass sie den Weg gehen und dass wir sie später mal in die Gesellschaft integrieren können. Es kann nicht sein, dass wir junge Menschen schon erziehen, dass sie im Grunde genommen in Hartz IV bleiben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine nationale Partei eigentlich wollen kann, dass man dieses System des Verbleibs in Hartz IV fördern will.
Deshalb sage ich Ihnen, ich glaube, dass Ihr Antrag durchaus nicht konsequent ist. Und deshalb ist es eigentlich notwendig, diesen Antrag abzulehnen, wobei ich Ihnen an einer Stelle offen sagen will, das Problem ist immer, dass Sie sehr stark pauschalisieren. Und wenn man sich mal den Paragrafen 31 Absatz 5 tatsächlich anguckt, dann müssen wir feststellen, dass
wir im Grunde genommen langfristig darüber nachdenken müssen, wie wir hier mit jungen Menschen umgehen. Ich glaube, das tun wir hier auch. Natürlich ist es so, dass wir das Problem haben, wenn junge Menschen in schwierige Verhältnisse geraten,
… und dass wir den jungen Menschen helfen, diese schwierige Situation zu überstehen, und ihnen da heraushelfen. Ich glaube, dass die Möglichkeit der Sanktion an der Stelle durchaus eine richtige ist, die man aufrechterhalten sollte. Deshalb ist aus meiner Sicht Ihr Antrag abzulehnen. – Recht herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Schnur von den demokratischen Parteien, Sie haben nicht so ganz verstanden, was ich da meinte. Ich habe den Unterschied …
Na ja, muss er nicht, das stimmt. Man muss nichts verstehen, wenn man hier sitzt, das ist klar, das ist ja Ihr Motto.
Ich habe nicht generell gesagt, dass Sanktionen falsch sind. Natürlich gibt es auch arbeitsunwillige Leute, die man vielleicht unter Druck setzen muss. Das ist richtig. Es gibt Arbeitsunwillige auf allen sozialen Niveaus, auch bei Hartz-IV-Empfängern. Ich greife nur den Unterschied an, der gemacht wird zwischen 25-Jährigen und Älteren und unter 25-Jährigen, dass bei den 25-Jährigen und Älteren Sanktionen erst mal in viel milderer Form eingreifen, dass die erst mal 10 Prozent und dann 30 Prozent bei einer Pflichtverletzung, während bei unter 25-Jährigen gleich beim ersten Mal 100 Prozent des Regelsatzes einbehalten werden kann bei einer Pflichtverletzung. Natürlich bekommt er dann die Wohnung noch, da das Geld dann überwiesen wird an den Vermieter.
Das ist aber egal, er kriegt bei der ersten Pflichtverletzung gleich 100 Prozent Regelsatzkürzung und es ist immer noch so, dass Lebensmittelkarten stattdessen ausgegeben werden können, aber nicht müssen. Und ich kenne Fälle, wo die tatsächlich nicht oder in unzureichendem Maße ausgegeben wurden.
Das Ganze wird begründet mit Erziehung und ich spreche dem Staat das Recht ab, einen 24-Jährigen oder 23-Jährigen erziehen zu wollen. Der kann sogar schon
mit seinem Studium fertig sein und kann schon irgendeinen Akademikerberuf haben. Er kann Hauptmann sein und sonst was. Wie kann man da hingehen und den erziehen wollen? Wieso macht man diese Grenze zwischen 24- und 25-Jährigen? Wie wird das überhaupt begründet? Warum wird die Grenze genau da gezogen?
Und pädagogisch ist es eben Unsinn. Was sind das schon für 16- und 17-Jährige, die alleine von Hartz IV leben? Die sind wahrscheinlich in schwierigen sozialen Verhältnissen. Und ob es da so klug ist, mit der knallharten Peitsche vorzugehen und zu sagen, dir werden 100 Prozent gestrichen, du kriegst Lebensmittelkarten, ob man den dann wirklich auf die richtige Bahn bringt oder ob man ihn nicht in den Trotz treibt? Vielleicht weniger hier in Mecklenburg-Vorpommern, aber in Berlin gibt es massenhaft Straßenkinder. Das muss man doch nicht befördern.
Ich würde mich mal fragen, was wäre denn, wenn in Paragraf 31 Absatz 5 nicht stehen würde „unter 25-Jährige“, sondern „Ausländer“, wenn da stehen würde: „Deutsche kriegen bei der ersten Pflichtverletzung 10 Prozent, Ausländer kriegen gleich 100 Prozent“, und wenn dann in den Bundestagsdrucksachen stehen würde, die den Zweck des Gesetzes erläutern, Ausländer müsste man besonders zur Arbeit anhalten, bei denen müsste man die Verweigerungshaltung besonders brechen. Dann wäre aber was los. Da wäre ein Aufstand los. Bei unter 25-Jährigen kann man das machen, bei jungen Leuten, bei Ausländern wäre das Rassismus, Volksverhetzung oder wer weiß was.
Ich frage mich wirklich, warum das so ist. Vielleicht weil bei Ihren Parteien Ausländer schon eine große Rolle spielen – es gibt auch schon eine türkische Ministerin von der CDU in Niedersachsen – und weil die Jugend bei Ihnen wohl immer mehr verschwindet und Sie auf die Jugend keine Rücksicht mehr nehmen müssen. Das Durchschnittsalter der SPD ist bundesweit 56 Jahre. Die paar Jusos machen zwar viel Lärm hier in MecklenburgVorpommern, aber die kann man eigentlich unter Artenschutz stellen, zusammen mit Storch Heinar.