Protokoll der Sitzung vom 18.03.2011

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Und darauf werde ich gleich auch noch einmal sehr genau eingehen.

Aufmerksam machen möchte ich hier jedoch zunächst darauf, dass die NPD-Fraktion mit Anträgen wie dem heutigen etwas sehr Schlimmes versucht, nämlich den Menschen im Land den Eindruck zu erwecken, die Vertreter der demokratischen Parteien seien bezogen auf bestimmte Themen entweder bewusst oder unbewusst untätig – das haben Sie, Herr Müller, eben gerade wieder gemacht – oder vielleicht sogar uninteressiert.

(Stefan Köster, NPD: Sind Sie doch.)

Und dann werden eben absichtlich wie immer Halbwahrheiten verbreitet, Informationen weggelassen, um das Bild der untätigen anderen Parteien zu zeichnen und sich selbst als Retter der Benachteiligten, der Entrechteten und Vergessenen darstellen zu können.

(Michael Andrejewski, NPD: Wo ist denn der Gedenktag?)

Auf diese Art und Weise versucht die NPD wieder und wieder, ihren zutiefst demokratiefeindlichen Kern nämlich eigentlich zuzudecken, das ist das Thema, um für breitere Bevölkerungsgruppen so als vermeintlich normale und damit ja auch wählbare Partei dazustehen. Populistisch werden dann Themen aufgegriffen und über Anträge in diesem Hohen Haus zum Thema gemacht, die eine vermeintliche Kümmerkompetenz –

(Stefan Köster, NPD: Nur die CDU ist die wahre Partei.)

das ist ja Ihr Thema, Ihre Kümmerkompetenz – der Rechtsextremisten und Demokratiefeinde sozusagen vortäuschen sollen.

(Stefan Köster, NPD: Sie sind ja der wahre Gott.)

Mal geht es um Ostseefischer, beim nächsten Mal geht es um Hartz-IV-Empfänger oder es sollen –

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

so wie heute – die Interessen der deutschen Heimatvertriebenen ausgerechnet vor den Karren der NPD gespannt werden. Und dass Sie das tun, dass Sie das tun, um die Heimatvertriebenen durch diese versuchte Vereinnahmung im wahren Wortsinne zu besudeln, das nehme ich Ihnen auch ganz persönlich übel. Und ich sage Ihnen auch, warum. Ich bin das Kind von Flüchtlingen, von Vertriebenen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Und mein Vater ist mit seiner gesamten Gymnasialklasse als knapp 16-Jähriger aus Königsberg, wo er damals lebte, nach Leuna-Merseburg gegangen. Er erzählte mir dann, das erste Mal ist er wirklich sehr nachdenklich geworden, als mit einem Angriff auf diese Stellung die Hälfte seiner Klasse, alles Jungs, und der Lehrer tot waren. Er hat seine Heimat, er hat seine Heimatstadt Königsberg nie wiedergesehen.

(Stefan Köster, NPD: Das geht vielen so.)

Und meine Mutter hat bis zum zehnten Lebensjahr im damaligen Hinterpommern gelebt. Und es war ganz offensichtlich, was sie bei Flucht und Vertreibung an Schlimmem erlebt hat, das hat sie zeitlebens so sehr

traumatisiert, dass sie ganz lange darüber auch zu uns Kindern überhaupt nicht sprechen konnte. Das tat sie erst kurz vor ihrem Tode. Und auch wenn meine Eltern nicht mehr leben, sie hätten mir jetzt gesagt: Sag diesen Herren, sag diesen unsäglichen Herren, dass alles Leid, dass sie damals als junge Leute erleben mussten, eine Ursache hatte.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Und dass die Ewiggestrigen diese Ursache immer wieder verneinen, das, hätten meine Eltern gesagt, ist ekelhaft, meine Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Und auch ich sage Ihnen, dass nun ausgerechnet die NPD, eine Partei, die die Zeit des Nationalsozialismus nach wie vor glorifiziert und die für immer damit verbundenen Verbrechen immer wieder zu relativieren versucht, sich zum Anwalt nun ausgerechnet der deutschen Heimatvertriebenen aufzuschwingen versucht, das ist unglaublich.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Im Namen aller demokratischen Mitglieder dieses Hauses nenne ich Ihr Verhalten, meine Herren von der NPD, einfach nur schäbig.

(Stefan Köster, NPD: Schauen Sie mal in den Spiegel!)

Und deutlich sage ich an dieser Stelle, dass ich in dieser Frage die Vizepräsidentin des Landtages Mecklenburg-Vorpommern und Landesvorsitzende des hiesigen Landesverbandes des Bundes der Vertriebenen, nämlich dich, Frau Renate Holznagel, an meiner Seite weiß.

(Michael Andrejewski, NPD: Na klar, ist ja eine Partei.)

Meine Damen und Herren, wieder einmal ist das Vorgehen der NPD-Fraktion allzu durchsichtig. Der Antrag zielt auf Effekthascherei und er offenbart eine beinahe schon erschreckende Unkenntnis, denn die NPD tut so, als ob sich seit Jahren niemand für einen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung interessiere. Das haben, Herr Müller, Sie eben gerade wieder gesagt.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Und, meine Herren am Fenster, Sie sind wieder mal nicht auf der Höhe der Zeit. Das Gegenteil dessen, was Sie die Menschen glauben machen wollen, ist nämlich richtig. Der Deutsche Bundestag hat zu der Frage zuletzt am 10. Februar 2011, also ganz aktuell, diskutiert und im Ergebnis die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen,

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Schlecht recherchiert.)

wie dem Anliegen der Initiative des Bundesrates Rechnung getragen werden kann, den 5. August zum bundesweiten Gedenktag für die Opfer von Vertreibung zu erheben,

(Stefan Köster, NPD: Was hat sich geändert?)

also ganz aktuell.

(Stefan Köster, NPD: Gar nichts hat sich geändert. Das ist doch nur Gequassel.)

Dieser Mehrheitsbeschluss kam nach einer Debatte zustande, in der im Detail natürlich sehr unterschiedliche Ansichten der im Bundestag vertretenen Parteien zum Thema deutlich wurden. Und ich sage das selbstbewusst, und zwar in dem Sinne, dass zum Wesen der Demokratie eben Vielfalt von Meinungen gehört.

Wahr ist, dass der Antrag der Koalition mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP verabschiedet wurde. Wahr ist auch, dass es einen Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen gab, der dann keine Mehrheit fand. Und wahr ist ebenfalls, dass auch SPD und DIE LINKE nicht mit Kritik an dem vorgelegten Antrag und der am 5. August 1950 in Stuttgart verabschiedeten Charta der deutschen Heimatvertriebenen gespart haben.

Aber, und dies ist wichtig hervorzuheben, ausnahmslos alle Fraktionen waren sich in zwei aus meiner Sicht ganz entscheidenden Punkten einig, nämlich erstens, dass Gedenken an die Opfer von Vertreibung allein im Geist der Versöhnung möglich ist – und das ist der große Unterschied zu Ihnen – und dass niemals die Ursache des Leidens der deutschen Heimatvertriebenen vergessen werden darf.

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Stefan Köster, NPD)

Erlauben Sie mir, an dieser Stelle die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu zitieren, die bereits am 18.09.2006 bei der Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter der Überschrift „60 Jahre Vertreibung – 60 Jahre Wege zur Versöhnung“ treffend Folgendes bezogen auf die deutschen Heimatvertriebenen formuliert hat:

„Des Schicksals dieser Menschen zu gedenken, ist ein wichtiger Teil unserer deutschen Identität. Gelingen, und zwar im Geiste der im Titel der Veranstaltung genannten Versöhnung, kann ein solches Gedenken aber nur, wenn wir die Ursache dieses Leides nie aus den Augen verlieren. Ohne den Nationalsozialismus mit seinen unermesslichen Verbrechen, Kriegsleiden und Zerstörungen hätte es die Vertreibung der Deutschen nach 1945 nicht gegeben. Aus diesen singulären Verbrechen erwächst eine immerwährende Verantwortung für uns als Deutsche. Im Bewusstsein dieser Verantwortung hat jede Bundesregierung seit 1945 Politik für Deutschland gestaltet.“

(Michael Andrejewski, NPD: Für die Alliierten.)

„Und aus diesem Bewusstsein entsteht genau der Geist der Versöhnung, ohne den ein angemessenes, ein würdiges Gedenken auch des erlittenen Leids von Flucht und Vertreibung nicht möglich ist und ohne den vor allem eine gemeinsame Zukunft in einem friedlichen Europa nicht möglich wäre.“

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin Merkel hat damals auf den Punkt gebracht, was heute für die demokratischen Fraktionen auch dieses Hauses gilt. Und trotz aller Unterschiedlichkeit, was uns eben eint als Einwohner eines Bundeslandes, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Hunderttausende Vertriebene eine neue Heimat gefunden haben, sage ich stellvertretend für meine Kolleginnen und Kollegen ganz deutlich: Wir in Mecklenburg-Vorpommern, wir wissen nur zu gut um das Leid der deutschen Heimatvertriebenen. Aber wir wissen eben auch um dessen Ursache.

Zu verschiedenen Gelegenheiten haben dies Abgeordnete der demokratischen Fraktionen des Landtages

hier an dieser Stelle immer wieder deutlich gemacht. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle beispielhaft meinen Kollegen, den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Dr. Nieszery, der in einer, wie ich fand, eindrucksvollen Rede vor etwas mehr als einem Jahr den entscheidenden Unterschied nämlich zwischen den Abgeordneten der NPD und uns, den Abgeordneten der demokratischen Fraktionen, herausgearbeitet hat.

Die Trauer, die Trauer um die Opfer der unter Naziherrschaft in Europa getöteten, verletzten, vertriebenen und traumatisierten Menschen sei nicht teilbar. Das hat Dr. Nieszery damals gesagt. Und die NPD versuche hingegen, zwischen den Opfern zu differenzieren und die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu verharmlosen. Und er schloss damals mit den Worten, und ich zitiere:

(Stefan Köster, NPD: Sie folgen doch Klassendenken!)

„Und das, da können Sie sicher sein, lassen wir Ihnen niemals durchgehen!“

Nein, meine Damen und Herren von der NPD, wir lassen Ihnen weder die Verharmlosung der Gräueltaten des Nationalsozialismus durchgehen, und in der Tat, das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir werden Ihnen auch nicht durchgehen lassen, dass Sie den Menschen im Land Hetze, Gewalt und auch gespenstische Märsche als aufrichtiges Gedenken verkaufen wollen.