Protokoll der Sitzung vom 18.03.2011

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke schön, Frau Dr. Linke.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/4179. In der Debatte wurde beantragt, diesen Antrag in den Sozialausschuss zu überweisen. Ich lasse dann jetzt erst mal über den Überweisungsantrag abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. –

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Reicht nicht ganz.)

Danke schön. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Überweisungsantrag bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, Gegenstimmen der Fraktion der SPD, der CDU, der FDP und auch der NPD abgelehnt.

Ich lasse jetzt in der Sache abstimmen über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/4179. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Danke. Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/4179 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, Gegenstimmen der Fraktion der SPD, der CDU, der NPD und Gegenstimmen der Fraktion der FDP sowie einer Stimmenthaltung der FDP abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 39: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Ausstieg aus der Leiharbeit vollziehen – Sklavenarbeit im 21. Jahrhundert die Grundlagen entziehen, Drucksache 5/4189.

Antrag der Fraktion der NPD: Ausstieg aus der Leiharbeit vollziehen – Sklavenarbeit im 21. Jahrhundert die Grundlagen entziehen – Drucksache 5/4189 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Köster.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie kennen die vielen Schönwetterredner der etablierten Parteien sicherlich auch, überall blühende Landschaften in dieser Republik.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Zuletzt wollten uns dieses der Ministerpräsident auf dem SPD-Landesparteitag vor wenigen Tagen und die Bundeskanzlerin auf der CDU-Aschermittwoch-Veranstaltung in Demmin einreden.

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Die Wirklichkeit weicht von diesen Sonntagsreden allerdings deutlich ab, denn in der Bundesrepublik Deutschland driftet die Arbeitswelt immer weiter auseinander. Spürbar wird dieses vor allem daran, dass die Anzahl der Leiharbeiter, befristet Beschäftigten und Teilzeitbeschäftigten sich immer weiter erhöht. Und vor allem Frauen geraten auf dem Arbeitsmarkt immer stärker in die Niedriglohnfalle. Nur etwa die Hälfte der Frauen hat einen ungeförderten sozialversicherungspflichtigen unbefristeten Vollzeitarbeitsplatz. So viel zu Ihrer beruflichen Gleichstellungspolitik.

Auch auf diesem Gebiet, meine Damen und Herren, haben Sie, wie es nicht anders zu erwarten war, absolut versagt. Obwohl die Leiharbeitnehmer genauso hart schuften wie ihre Kollegen, werden sie finanziell stark benachteiligt. Und für manche Arbeitgeber sind sie nur billige Arbeitssklaven, die sie hin und her schieben, wie es gerade gewünscht wird.

(Heinz Müller, SPD: Also von Arbeitssklaven verstehen Sie ja was.)

Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich innerhalb der letzten zwölf Jahre die Zahl der Leiharbeiter laut Statistischem Bundesamt von 180.000 auf nunmehr, Stand Oktober 2010, 770.000 erhöht hat. Andere Quellen, zum Beispiel gewerkschaftliche, sprechen sogar von

900.000 Leiharbeitnehmern. Die „Süddeutsche Zeitung“ geht gar davon aus, dass sich in diesem Jahr die Zahl der Leiharbeitnehmer auf rund eine Million erhöhen wird. In Mecklenburg-Vorpommern stieg die Zahl der Leiharbeiter nach Gewerkschaftsangaben von Oktober 2009 bis Oktober 2010 von 9.400 auf 10.900. Zehn Prozent der Leiharbeitnehmer verdienen laut einer DGB-Untersuchung weniger als 1.000 Euro brutto im Monat, weitere 20 Prozent weniger als 1.200 Euro brutto im Monat und nicht einmal 20 Prozent erhielten mehr als 2.000 Euro brutto im Monat.

Im Angesicht dieser Zahlen kann es nicht verwundern, dass jeder achte Zeitarbeiter so wenig verdient, dass er auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist. In den sogenannten neuen Ländern mussten laut DGB-Untersuchung, die auf Daten der Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit fußt, sogar 15 Prozent der sozialversicherten Leiharbeiter mit Hartz IV aufstocken.

Hinzu kommt auch in der Zeitarbeitsbranche ein OstWest-Gefälle. Während ein Zeitarbeiter in Westdeutschland rund 1.456 Euro bekam, ging sein mitteldeutscher Kollege mit gerade einmal 1.225 Euro nach Hause. Die im Zuge der jüngsten Hartz-IV-Verhandlungen wie auf der Viehauktion ausgehandelten 7,65 Euro West und 6,75 Ost haben an dieser Schieflage nichts geändert. Auch handelt es sich um ein wenig Kosmetik, denn vom Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sind wir noch weit entfernt.

Längst sind von Leiharbeit nicht mehr nur Geringqualifizierte betroffen. Mittlerweile wird in vielen Branchen, so beispielsweise in der Pflegebranche oder in der Druckindustrie, dazu übergegangen, Stammbelegschaften mit gut qualifizierten Arbeitnehmern auszudünnen

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das war von Anfang an so.)

und die so Freigesetzten durch die Hintertür als billigere Leihkräfte wieder einzustellen. Diese Fachkräfte verdienen laut einer Einkommensanalyse der Bundesagentur für Arbeit als Leiharbeiter nur noch durchschnittlich 1.393 Euro brutto im Monat, einschließlich aller Zuschläge und Jahresleistungen wohlgemerkt. Als Angehörige der Stammbelegschaft würden sie jedoch das Doppelte verdienen.

In Mecklenburg-Vorpommern, dem viel gepriesenen Gesundheitsland Nummer eins, verdienen Leiharbeiter rund 35 Prozent weniger als entsprechend qualifizierte Vollzeitbeschäftigte. Wie aus den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, bekommen Leihkräfte im Nordosten der Bundesrepublik 1.275 Euro monatlich im Vergleich zu 1.942 Euro für Vollzeitbeschäftigte mit Berufsausbildung. Ganze 4,4 Prozent aller Leiharbeiter in Vollzeit erhalten mehr als 2.100 Euro brutto. Derart krasse Lohndifferenzen würden erklären, warum es für Unternehmen geradezu verlockend ist, Leiharbeiter anzuheuern, anstatt eine Stammbelegschaft aufzubauen, erklärt dazu Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Wie es auch besser geht, machen uns andere EU-Staaten vor. In Frankreich beispielsweise gilt tatsächlich „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Dort erhalten Leiharbeiter, wie der „Stern“ Anfang 2010 berichtete, überdies eine sogenannte Prekariatsprämie in Höhe von zehn Prozent der Bruttolohnsumme, eben weil ihre Beschäftigung so unsicher ist. Zwar ist das alles noch nicht der Weisheit letzter Schluss, doch ist ein sichtbarer Anfang

gemacht. In den Niederlanden steigen die Leiharbeiter mit 8,24 Euro ein. Sie haben einen Anspruch, nach sechseinhalb Monaten fest eingestellt zu werden. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen ist ein Instrument, das ursprünglich der Überbrückung von Personalengpässen und der Bewältigung von Auftragsspitzen diente, zu einer Art von modernem Sklavenhandel verkommen.

Und damit wäre ich auch schon beim ersten Punkt unseres Antrages. Wir halten eine Rückkehr zum Grundsatz der Überlassungshöchstdauer für zwingend geboten. In diesem Zusammenhang, so unsere Forderung, setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine gesetzliche Änderung ein, wonach Leiharbeitnehmer nach spätestens sechs Monaten in eine Festanstellung zu übernehmen sind.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das haben Sie doch abgeschrieben bei der Gewerkschaft.)

Auch wenden wir uns in aller Schärfe gegen das Prinzip der Synchronisation, also jene Praxis, Arbeitsverträge für Zeitarbeitnehmer mit Dauer des bevorstehenden Einsatzes zu synchronisieren, sprich, den Leiharbeitnehmer nur so lange zu beschäftigen, wie er beim Kunden eingesetzt ist. Daraus kann nur folgen, das Synchronisationsverbot wieder einzuführen. Die entsprechenden Passagen im Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, auch Hartz-I-Gesetz genannt, sind zugunsten der Arbeitenden zu ändern. Das sogenannte Equal-Pay-Prinzip,

(Heinz Müller, SPD: Oh Gott! – Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

auf gut Deutsch, gleicher Lohn bei gleicher Qualifikation und Ausbildung, muss ohne Ausnahme vom ersten Tag der Beschäftigung an durchgesetzt werden, so, wie es im Übrigen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und in der EU-Leiharbeiterrichtlinie festgelegt ist.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Kopfschmerzen bereitet auch die derzeitige Fassung des Paragrafen 9 Nummer 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – sein Titel: „Unwirksamkeit“. Da hört sich zunächst alles recht gut an. Unwirksam sind demnach „Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen“ – es sei denn, der Verleiher gewährt dem zuvor arbeitslosen Leiharbeitnehmer insgesamt Leiharbeit für die Überlassung an einen Entleiher für die dort von insgesamt höchstens sechs Wochen mindestens ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe des Betrages, den der Leiharbeitnehmer zuletzt als Arbeitslosengeld erhalten hat – und, jetzt kommts, „ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen...; im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren“. Derartige Schlupflöcher wollen wir zugunsten der Arbeitnehmer geschlossen wissen.

Aus dem bisher Gesagten folgt zwingend, dass wir die Landesregierung überdies auffordern, sich zunächst für einen Branchenmindestlohn für Zeitarbeiter geradezumachen. Der Mindestlohn soll dabei mit dem Branchenmindestlohn der fest angestellten Kräfte vergleichbar sein. Die Zeit- und Leiharbeitsbranche ist in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf

zunehmen. In einem letzten und entscheidenden Schritt ist unabhängig von der Branche ein gesetzlicher Mindestlohn einzuführen, der dann konsequenterweise die Branche der Zeit- und Leiharbeit mit einschließt.

Mit dem gerade vorgestellten Maßnahmenkatalog soll ein schrittweiser, aber von Nachhaltigkeit geprägter Ausstieg aus dem mittlerweile stark zuungunsten der Betroffenen gestalteten Segment der Leiharbeit vollzogen werden. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schulte von der Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin von den demokratischen Fraktionen gebeten worden, heute zu dem Antrag der Fraktion der NPD zu reden. Selbstverständlich werde ich dieser Bitte heute entsprechen und das, was ich hier jetzt sage, ist dann auch die Auffassung nicht nur meiner Fraktion, sondern der Fraktionen von FDP, CDU und der Fraktion DIE LINKE.

(Stefan Köster, NPD: Das ist also Konsens. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Meine Damen und Herren, die NPD beklagt sich immer darüber, dass sich die demokratischen Fraktionen inhaltlich nicht mit ihren Anträgen auseinandersetzen. Gesetzt den Fall, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das sei tatsächlich so, das will ich mal dahingestellt sein lassen – ich erinnere nur an die wirklich hervorragende Rede, die der Kollege Ringguth heute an diesem Tag gehalten hat –, gesetzt den Fall, das sei also so, dann stellt sich natürlich die Frage, woran das denn liegen mag.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dann lassen Sie mich die Gelegenheit, dass ich jetzt hier zu diesem Antrag reden darf, nutzen, um das am Beispiel dieses Antrages tatsächlich mal etwas näher zu untersuchen.

Wir haben hier – Herr Köster hat ihn eben eingebracht – einen Antrag zum Thema Zeit- oder Leiharbeit vorliegen und wir haben dort in diesem Antragstext Forderungen aufgenommen, die so, das muss man konstatieren, oder in ähnlicher Weise in der politischen Debatte auch von anderen Parteien in der einen oder anderen Form diskutiert werden.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Plagiat. – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Nichts Neues.)

Also, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, warum sollte man einen solchen Antrag je nach politischer Couleur dann trotzdem ablehnen oder ihn nicht zumindest für eine Beratung in den zuständigen Ausschuss überweisen? Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Ringguth hat heute in seiner Rede – ich hatte eben schon darauf verwiesen – eindrucksvoll dargelegt, dass jeder Antrag, jede politische Äußerung nicht für sich alleine steht,

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

sondern immer in ihrem Gesamtkontext gesehen und bewertet werden muss. Das gilt für Äußerungen, die ich an dieser Stelle tue, das gilt für Äußerungen meiner Par

tei insgesamt, das gilt selbstverständlich auch für Äußerungen von CDU, FDP und der Fraktion DIE LINKE und natürlich auch und erst recht für Äußerungen, die die NPD hier in diesem Haus und an anderer Stelle tut.

Dass man Äußerungen und Handlungen immer im Gesamtzusammenhang sehen muss, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das sieht man schon daran, was der Volksmund sagt: Wenn zwei das Gleiche tun, dann ist das noch lange nicht dasselbe. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Volksweisheit, Weisheit eines Volkes, auf das sich die NPD in ihrem Größenwahn ja immer wieder beruft.